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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 02.12.2005
Aktenzeichen: VI R 16/03
Rechtsgebiete: EStG, SGB IV


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 62
EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1
SGB IV § 7 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist die Steuerfreiheit der Arbeitgeberanteile, die eine GmbH für eine Arbeitnehmerin, die zugleich Gesellschafterin ist, zur gesetzlichen Sozialversicherung leistet.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist auf dem Gebiet der Herstellung sowie des Vertriebs von Oberbekleidung tätig. Am Stammkapital sind die Eheleute K und M je zur Hälfte beteiligt. Alleiniger Geschäftsführer ist der Ehemann. M war in den Streitjahren 1994 bis 1997 im Betrieb der Klägerin als Angestellte tätig. Nach dem Anstellungsvertrag vom 31. August 1991 war sie für die Entwicklung und Fertigung sämtlicher Produkte alleinverantwortlich zuständig. Sie erhielt ein Jahresfestgehalt von etwa 75 000 DM sowie eine Erfolgstantieme von 12,5 v.H., bezogen auf den nach handelsrechtlichen Gesichtspunkten ermittelten Jahresüberschuss der Klägerin vor Steuern. Zugleich war ihr eine Altersversorgung und auch die Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit und Tod in entsprechender Anwendung der Regelungen für den Geschäftsführer zugesagt worden. Die Klägerin unterwarf die von ihr geleisteten Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht der Lohnsteuer.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, die geleisteten Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung stellten steuerpflichtigen Arbeitslohn dar. Es handele sich um einen nicht steuerfreien Zuschuss des Arbeitgebers, so dass eine Nachversteuerung vorzunehmen sei. Das FA erließ einen entsprechenden Haftungsbescheid gegen die Klägerin. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1471 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe wesentliche Merkmale, die im Streitfall gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprächen, nicht hinreichend gewichtet. Von Bedeutung sei insbesondere, dass M aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Erfolg des Unternehmens gehabt habe. Es sei nicht möglich gewesen, Gesellschafterbeschlüsse gegen ihren Willen zu fassen. Sie habe als Gesellschafterin maßgebenden Einfluss auf die Verwendung des Betriebsergebnisses sowie auf die Bestellung, Abberufung und Entlastung des Geschäftsführers gehabt. Sie sei innerhalb der Betriebsstruktur alleinverantwortlich für die Entwicklung und Fertigung sämtlicher Produkte gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer ihr bei Wahrnehmung dieses Aufgabenbereichs Weisungen erteilt oder von seiner Dienstaufsicht Gebrauch gemacht habe, gebe es nicht. Entscheidend sei der Umstand, dass sie durch ihre kapitalmäßige Beteiligung die Geschicke der GmbH maßgeblich habe mitsteuern können.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass das FA die Klägerin nicht gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG in Haftung nehmen durfte, weil diese die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nicht der Lohnsteuer unterworfen hatte. Die Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung gehören hier nicht zum Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.

1. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden.

a) Zum Arbeitslohn gehören grundsätzlich auch Beiträge, die ein Arbeitgeber für die Zukunftssicherung eines Arbeitnehmers an einen Dritten leistet. Denn die Zukunftssicherung fällt typischerweise in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers; finanziert sie der Arbeitgeber, wendet er Arbeitslohn zu. Etwas anderes gilt für die gesetzlich geschuldeten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, weil die Entrichtung des Arbeitgeberanteils nicht als Gegenleistung für die Arbeitsleistung zu beurteilen ist. § 3 Nr. 62 EStG, der die Steuerfreiheit gesetzlicher Zukunftssicherungsleistungen vorsieht, hat insoweit lediglich deklaratorische Bedeutung (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Juni 2002 VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34; vom 18. Mai 2004 VI R 11/01, BFHE 206, 158, BStBl II 2004, 1014).

b) Die Frage, ob der Arbeitgeber gesetzlich zur Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung verpflichtet ist, entscheidet sich nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Im Streitfall stand M in einem Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin im Sinn des Sozialversicherungsrechts.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- und Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch; § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch; § 168 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes bis zum 31. Dezember 1997). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (Urteil des BSG vom 23. Juni 1994 12 RK 72/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1994, 2974). Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Maßstäbe lassen sich nicht aufstellen. Letztlich kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände an (BSG-Urteile vom 17. Mai 2001 B 12 KR 34/00 R, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2002, 149; vom 29. Mai 2002 5 AZR 161/01, juris KARE 600006459). GmbH-Gesellschafter sind regelmäßig dann, wenn sie zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft sind und mindestens 50 v.H. des Stammkapitals innehaben, Selbständige. Dagegen besitzt ein GmbH-Gesellschafter, der in der GmbH angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschaftsrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben oder abzuschwächen. Allerdings kann die rechtlich bestehende Abhängigkeit im Einzelfall durch die tatsächlichen Verhältnisse so überlagert sein, dass eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn dennoch ausscheidet (BSG-Urteil in HFR 2002, 149).

2. Das FG hat die vorgenannten Rechtsgrundsätze auf den von ihm festgestellten Sachverhalt rechtsfehlerfrei angewendet. Die Schlussfolgerung, dass M abhängig beschäftigt war, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

M hält als Gesellschafterin zwar die Hälfte des Stammkapitals der Klägerin, sie ist aber nicht deren Geschäftsführerin. Ein GmbH-Gesellschafter, der in der GmbH angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, steht grundsätzlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinn des Sozialversicherungsrechts. Ob eine Überlagerung rechtlich bestehender Abhängigkeit durch die tatsächlichen Verhältnisse vorliegt, ist anhand einer Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BSG-Urteile in HFR 2002, 149, und in NJW 1994, 2974).

Das FG ist aufgrund einer umfassenden Tatsachenwürdigung zu dem Ergebnis gekommen, dass die für ein Beschäftigungsverhältnis sprechenden Umstände überwiegen. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass das enge familienrechtliche Band zum Mitgesellschafter und Geschäftsführer nicht allein die Annahme rechtfertigt, dieser habe mit Rücksicht auf die Bindung zu seiner Ehefrau auf sein Weisungsrecht verzichtet. Weitere Anhaltspunkte, die für einen Verzicht auf das Weisungsrecht sprechen könnten, hat das FG nicht festgestellt. Soweit es auf den Umstand, dass M aufgrund ihrer hälftigen Kapitalbeteiligung ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Erfolg der GmbH hat, nicht entscheidend abgestellt hat, ist dies zumindest vertretbar. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das FG der Zusage einer Erfolgstantieme nur eine gewisse, aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat. Im Übrigen bindet die Gesamtwürdigung durch das FG den BFH auch dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (BFH-Urteil vom 26. Januar 2005 VI R 71/03, BFHE 208, 572, BStBl II 2005, 349). Das Vorbringen der Revision, das sich gegen das Ergebnis der Gesamtwürdigung des FG richtet, kann demgegenüber nicht durchgreifen. Der BFH darf als Revisionsgericht seine eigene Würdigung nicht an die Stelle der noch vertretbaren Würdigung des FG setzen.

Ende der Entscheidung

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