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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.03.2001
Aktenzeichen: VI R 189/97
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 12 Nr. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) heirateten im September des Streitjahres 1994 und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten beide Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit. Anfang November 1994 zogen sie von ihrer bisherigen Wohnung in M (60 qm, zwei Zimmer, monatlicher Mietzins 530 DM) in eine Doppelhaushälfte in M (anderer Stadtteil) um (85 qm, drei Zimmer, monatlicher Mietzins ohne Nebenkosten 1 500 DM).

Bereits im September 1994 hatte der Arbeitgeber des Klägers seinen Betrieb von L nach G verlegt. Dadurch hatte sich die einfache Fahrtstrecke des Klägers zu seiner Arbeitsstätte vorübergehend von 26 km auf 30 km verlängert. Durch den Umzug verkürzte sich diese Strecke jedoch auf 17 km. Die Fahrtstrecke der Klägerin vergrößerte sich allerdings erheblich. Die Klägerin befand sich jedoch bereits ab Anfang November 1994 wegen der Ende Dezember geborenen Tochter im Mutterschaftsurlaub; danach nahm sie einen dreijährigen Erziehungsurlaub.

In ihrer Einkommensteuer-Erklärung für 1994 machten die Kläger Umzugskosten in Höhe von 6 183 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nicht selbständiger Arbeit geltend. Zur Begründung führten sie an, die tägliche Fahrzeit des Klägers zur jeweiligen Arbeitsstätte habe sich erheblich verkürzt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Umzugskosten nicht.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 360 veröffentlichten Gründen ab. Es könne offen bleiben, ob eine erhebliche Verkürzung der arbeitstäglichen Fahrzeit vorliege, da der Umzug jedenfalls auch privat mitveranlasst sei. Die Kläger seien wegen des Familienzuwachses in eine größere Wohnung gezogen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Der Umzug sei durch den Beruf des Klägers veranlasst, da bei ihm eine tägliche Fahrzeitersparnis von mehr als einer Stunde eingetreten sei. Private Motive für die Auswahl der Wohnung stünden deshalb nicht entgegen. Die Kläger hätten die neue Wohnung nur angemietet; nicht einmal die im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. November 1991 VI R 77/89 (BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494) für unerheblich erachtete private Mitveranlassung liege vor. Wegen der Verlängerung der Fahrtstrecke der Klägerin um 10 Minuten --sie benutze nunmehr ein eigenes Kfz-- sei der Umzug bei ihr nicht beruflich veranlasst. Die Umzugskosten seien im Schätzungswege auf beide Ehegatten gleichmäßig zu verteilen.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils Umzugskosten des Klägers in Höhe von 3 092 DM als Werbungskosten anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach Ansicht des BFH (Urteil in BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494) seien lediglich die privaten Motive bei der Auswahl der Wohnung unerheblich, sofern im Übrigen feststehe, dass der Umzug als solcher beruflich veranlasst sei. Das FG habe zutreffend darauf abgestellt, dass der Familienzuwachs der Kläger eine Wohnungsvergrößerung erforderlich gemacht habe. Deshalb stehe das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dem Abzug der Umzugsaufwendungen als Werbungskosten entgegen.

Die Revision ist begründet. Sie führt --im Umfang des Revisionsantrags-- zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die streitigen Aufwendungen können Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nicht selbständiger Arbeit sein. Insbesondere durfte das FG nicht offen lassen, ob beim Kläger arbeitstäglich eine erhebliche Fahrzeitverkürzung vorliegt.

1. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Werbungskosten alle Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Dazu können auch Umzugskosten gehören (zuletzt BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 VI R 147/99, BFHE 191, 561, BStBl II 2000, 476, m.w.N.). Voraussetzung dafür ist, dass der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1992 VI R 132/88, BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610; vom 28. April 1988 IV R 42/86, BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777).

Eine derartige berufliche Veranlassung hat der BFH z.B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn --auch ohne berufliche Veränderung-- durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. September 1998 VI B 208/98, BFH/NV 1999, 178; Urteile vom 27. Juli 1995 VI R 17/95, BFHE 178, 345, BStBl II 1995, 728; in BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610). Die Tatsache, dass der Umzug innerhalb einer Großstadt erfolgt ist, steht der Qualifikation der Aufwendungen als Werbungskosten nicht entgegen (so bereits BFH-Urteil vom 15. Oktober 1976 VI R 162/74, BFHE 121, 27, BStBl II 1977, 117).

Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile in BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610; in BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494; Beschluss vom 19. Oktober 2000 VI B 280/99, BFH/NV 2001, 588) ist jedoch auf Motive des Steuerpflichtigen für den Umzug in eine bestimmte Wohnung (z.B. größere Mietwohnung oder Einfamilienhaus) dann nicht mehr abzustellen, wenn die berufliche Veranlassung des Umzugs nach objektiven Kriterien eindeutig feststeht. Dem ist die Verwaltung gefolgt (vgl. H 41 --Berufliche Veranlassung-- LStH 2001). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.

Das Abstellen auf eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde zielt einerseits darauf ab, einen solchen Umzug zumindest ähnlich wie einen Umzug anlässlich eines Arbeitsplatzwechsels zu behandeln. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass eine in Aussicht stehende, mindestens einstündige Fahrzeitersparnis nach der Lebenserfahrung für viele Arbeitnehmer so bedeutsam ist, dass sie einen Umzug näher an den Arbeitsplatz ernsthaft in Erwägung ziehen (vgl. von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. B 601). Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann deshalb ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Motive --wie hier insbesondere der größere Raumbedarf der Kläger wegen der Geburt des Kindes-- im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten.

Zum anderen enthält das Erfordernis einer mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis eine die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung. Der damit verbundene Zweck der Vereinfachung und Praktikabilität in der Rechtsanwendung wäre beeinträchtigt, wenn private Motive bei einem ansonsten typischerweise beruflich veranlassten Umzug wieder Bedeutung erlangten. Die Auffassung des Senats vermeidet überdies ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre der Steuerpflichtigen.

2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Sie wird deshalb an das FG zurückverwiesen, damit dieses Feststellungen zur arbeitstäglichen Fahrzeitersparnis des Klägers zu seiner Arbeitsstelle in G trifft. Wegen des zeitgleich mit dem Umzug angetretenen Mutterschaftsurlaubs (mit anschließendem Erziehungsurlaub) ist die spätere Verlängerung des Wegs zur Arbeitsstätte bei der Klägerin für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.



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