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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.07.1999
Aktenzeichen: VI R 206/98
Rechtsgebiete: FGO, GKG


Vorschriften:

FGO § 6
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 143 Abs. 2
GKG § 8
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Prozeßbevollmächtigte X des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erhob in dessen Namen gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Klage, mit der bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit je ein Freibetrag in Höhe von 500 DM und 200 DM geltend gemacht wurde. Auf Aufforderung reichte X eine undatierte, vom Kläger unterschriebene, auf X ausgestellte Vollmacht nach, die zur Vertretung u.a. "in meinen/unseren Steuer- und Buchführungsangelegenheiten ... vor allen Gerichten" bevollmächtigte. Der Vollmachtsvordruck enthält einen Stempelaufdruck "für Einkommensteuer, Lohnsteuer-Jahresausgleich, Solidaritätszuschlag" mit der handschriftlichen Ergänzung "1994-1998". Die Vollmacht war an ein Begleitschreiben angeheftet, aus dem das Aktenzeichen, der Kläger, der Beklagte und der Betreff Einkommensteuer 1995 ersichtlich sind.

Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), dem der Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden war, teilte X und dem Kläger persönlich mit, daß er Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung habe, da Kläger anderer Verfahren, für die X vergleichbare Vollmachten vorgelegt habe, in vielen Verfahren mitgeteilt hätten, daß Klagen ohne ihr Wissen und zum Teil gegen ihren erklärten Willen erhoben worden seien. In einem zusätzlichen Aufklärungsschreiben an den Kläger wurde dieser aufgefordert, zur Frage der Bevollmächtigung Stellung zu nehmen mit dem Hinweis, daß das Gericht bei unterbleibender Äußerung davon ausgehen werde, daß keine Bevollmächtigung erfolgt sei. Hierauf haben weder X noch der Kläger reagiert.

Der Einzelrichter wies die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Gerichtsbescheid ab und ließ die Revision zu. Das Gericht ging davon aus, daß eine wirksame Bevollmächtigung nicht nachgewiesen worden sei. In Massenverfahren seien massenhaft eingehende Hinweise auf einen Vollmachtsmißbrauch durch den angeblichen Prozeßvertreter von dem Gericht besonders zu beachten. Da es sich bei dem vorliegenden Streitfall offensichtlich nicht um ein einzelnes, auf die Belange und den Willen des Klägers abgestimmtes Verfahren handle, sondern um eine Klage, wie sie X massenhaft auch für andere Steuerpflichtige erhoben habe, sei bedeutsam, daß sich in diesen anderen Verfahren eine beträchtliche Anzahl der Kläger an das Gericht gewandt und erklärt hätten, daß X die entsprechende Formularvollmacht mißbraucht habe.

Die diesbezüglichen Zweifel des Gerichts seien nicht ausgeräumt worden, da weder X eine neue wirksame Vollmacht nachgereicht noch der Kläger sich geäußert habe, obwohl er über seine Mitwirkungspflicht und die möglichen Rechtsfolgen seines Schweigens belehrt worden sei.

Die Revision sei zugelassen worden zur Klärung der Rechtsfrage, ob eine zweifelbehaftete Prozeßvollmacht stillschweigend genehmigt werden könne. Angesichts der fehlenden Rückäußerung seitens X und des Klägers halte das Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für geboten.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie von § 76 Abs. 2 und § 62 Abs. 3 FGO.

Der Kläger beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, sowie gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Staatskasse die Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Die Revision ist zulässig. Zwar hat X für das Revisionsverfahren keine besondere Vollmacht vorgelegt. Nach der im Klageverfahren eingereichten Vollmacht ist er jedoch sowohl zur Prozeßführung vor dem FG als auch zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen die erstinstanzliche Entscheidung bevollmächtigt.

2. Die Revision ist auch begründet. Das FG hat die Klage zu Unrecht mangels Vorlage einer wirksamen Prozeßvollmacht als unzulässig abgewiesen.

Der Senat hat mit Urteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97 (BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445) in einem vergleichbaren Fall entschieden, daß die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde den Anforderungen des § 62 Abs. 3 FGO genügt. An dieser Rechtsauffassung, wegen deren Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen auf das erwähnte Urteil verwiesen wird, hält der Senat auch für den Streitfall fest. Im übrigen kann aus dem Schweigen des Klägers auf die Anfrage des FG nicht auf einen Widerruf der einmal erteilten Vollmacht geschlossen werden. Der --jederzeit mögliche-- Widerruf der Vollmacht muß dem Gericht angezeigt werden (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. April 1971 II 59/65, BFHE 101, 469, BStBl II 1971, 403; BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521). Das ist im Streitfall nicht geschehen.

Die erteilte Vollmacht war auch nicht wegen "berechtigter" Zweifel zurückzuweisen. Zweifel am Weiterbestehen einer Vollmacht, die das FG aus der Tatsache herleitet, daß derselbe Bevollmächtigte in vergleichbaren Verfahren anderer Kläger erteilte Vollmachten mißbräuchlich verwendet haben soll, erhärten sich nicht, wenn die Partei auf ein diesbezügliches Anschreiben des Gerichtes nicht reagiert. Denn es kann einer Partei, gerade wenn sie eine umfassende Vollmacht erteilt hat, sehr wohl obliegen, auf das Einhalten interner Beschränkungen zu achten bzw. etwaige Mißverständnisse auszuräumen. Wenn sich --wie im Streitfall-- etwaige Zweifel an einer Bevollmächtigung nicht erhärten, ist eine den Beweisanforderungen des § 62 Abs. 3 FGO genügende Vollmacht zu beachten, ohne daß es einer unterstellten Genehmigung bedarf (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. September 1998 VI R 37/98, BFH/NV 1999, 485).

3. Da das FG die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung fehlerhaft beurteilt hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren kann nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und der Verstoß offen zutage tritt. Die abweichende Beurteilung einer Verfahrensfrage genügt regelmäßig nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 3. August 1998 V E 2/98, BFH/NV 1999, 72). Im Streitfall liegt ein schwerwiegender, offen zutage tretender Verfahrensverstoß nicht vor. Das FG ist davon ausgegangen, daß der Streitfall mit dem vom erkennenden Senat in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445 entschiedenen Fall nicht vergleichbar sei. Diese Rechtsansicht ist zwar, wie dargelegt, unzutreffend, jedoch nicht so offenkundig fehlerhaft, daß die Anwendung des § 8 GKG gerechtfertigt wäre.

Ende der Entscheidung

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