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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.09.1997
Aktenzeichen: VI R 32/97
Rechtsgebiete: EstG, LStDV


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 52
LStDV 1990 § 3 Abs. 2
BUNDESFINANZHOF

Eine Gewerkschaft ist eine Einrichtung, die ein "Geschäftsjubiläum" i.S. von § 3 Abs. 2 LStDV 1990 begehen kann. Zuwendungen an ihre Arbeitnehmer aus Anlaß ihres Jubiläums können deshalb steuerfrei sein (Änderung der Rechtsprechung in dem Urteil vom 20. September 1977 VI R 124/75, BFHE 123, 460, BStBl II 1978, 60).

EStG § 3 Nr. 52 LStDV 1990 § 3 Abs. 2

Urteil vom 19. September 1997 - VI R 32/97

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1997, 861)


Gründe

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gewerkschaft. Anläßlich ihres 125-jährigen Bestehens zahlte sie an ihre Arbeitnehmer ein Jubiläumsgeld, das pro Arbeitnehmer den Betrag von 1 200 DM nicht überschritt. Sie führte insoweit keine Lohnsteuer ab.

Im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Ansicht, die Jubiläumszuwendungen seien lohnsteuerpflichtig, da sie nicht nach § 3 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1990 von der Lohnsteuer befreit seien; die Klägerin betreibe als Gewerkschaft kein Geschäft und könne deshalb auch kein Geschäftsjubiläum im Sinne dieser Vorschrift begehen. Er erließ einen auf § 40 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Bescheid über die Nachforderung pauschaler Lohnsteuer. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, abweichend von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), in dem Urteil vom 20. September 1977 VI R 124/75 (BFHE 123, 460, BStBl II 1978, 60) könne ein Geschäftsjubiläum i.S. des § 3 Abs. 2 LStDV 1990 auch ein Arbeitgeber begehen, der --wie z.B. eine Gewerkschaft-- nicht gewinnorientiert tätig sei. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 861 veröffentlicht.

Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung des § 3 Nr. 52 EStG i.V.m. § 3 Abs. 2 LStDV 1990.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat stillschweigend ohne Rechtsverstoß angenommen, daß es sich bei den Jubiläumszuwendungen um steuerbare Einnahmen der Arbeitnehmer der Klägerin handelt (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1987 VI R 43/86, BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820). Es hat die danach entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die Zuwendungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmer anläßlich ihres 125-jährigen Bestehens gemäß § 3 Nr. 52 EStG i.V.m. § 3 Abs. 2 LStDV 1990 von der Lohnsteuer befreit waren, zutreffend bejaht. Der Ansicht des FA, die Klägerin habe deshalb kein "Geschäftsjubiläum" im Sinne dieser Vorschrift begehen können, weil sie nicht nach Gewinn strebe, folgt der Senat nicht.

l. Nach § 3 Abs. 2 LStDV 1990 sind --unter bestimmten, im Streitfall nicht umstrittenen weiteren Voraussetzungen-- Jubiläumszuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer im zeitlichen Zusammenhang mit seinem Geschäftsjubiläum steuerfrei. Dem FA ist einzuräumen, daß bei dem Begriff des Geschäftsjubiläums im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in erster Linie an ein gewerbliches oder kaufmännisches Unternehmen gedacht wird. Jedoch spricht der Zweck der Steuerbefreiungsvorschrift dafür, sie dahin auszulegen, daß ein Geschäftsjubiläum in diesem Sinne auch ein Arbeitgeber begehen kann, der keinen gewinnorientierten Geschäftsbetrieb unterhält.

a) Der Zweck der Befreiungsvorschrift liegt in einer Begünstigung der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber. Denn Schuldner der Lohnsteuer ist gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer, so daß dieser den aus der Steuerbefreiung resultierenden Vorteil erlangt. Aus der danach maßgeblichen Sicht des Arbeitnehmers ist es aber ohne Bedeutung, ob sein Arbeitgeber einen Gewerbebetrieb unterhält, ein Freiberufler oder die öffentliche Hand ist. Entscheidend ist für ihn, daß der Arbeitgeber die Wiederkehr seines Entstehungs- oder Gründungsjahres zum Anlaß für eine zusätzliche Zuwendung nimmt. Der Arbeitgeber will ein Ereignis feiern, das sein Geschäft, seinen Betrieb, sein Büro oder seine Einrichtung betrifft. Er nutzt dies als Gelegenheit, sich für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen bei seinen Arbeitnehmern durch eine zusätzliche Zuwendung zu bedanken und sie für die Zukunft zu motivieren. Die danach gleiche Situation der Arbeitnehmer erfordert auch eine gleiche lohnsteuerliche Behandlung der Zuwendungen. Diese kann nur durch eine weite Auslegung des Begriffs des Geschäftsjubiläums dahin erreicht werden, daß darunter die Wiederkehr des Entstehungs- oder Gründungsjahres unabhängig von der Art der Betätigung des Arbeitgebers zu verstehen ist. Nur eine solche Auslegung ist auch ermächtigungskonform. Denn die in § 3 Nr. 52 EStG geforderten sozialen Gründe könnten es schwerlich rechtfertigen, ausschließlich die Arbeitnehmer gewinnorientierter Betriebe zu begünstigen.

b) Der mit dem Zweck der Vorschrift und ihrer Ermächtigungsgrundlage im Einklang stehenden weiten Begriffsauslegung steht die Entstehungsgeschichte nicht entgegen. Die Steuerbefreiung der Jubiläumszuwendungen war ursprünglich in § 5 LStDV geregelt. Nach § 5 Nr. 2 der LStDV vom 22. Juli 1959 (BGBl I, 477, 479) waren Jubiläumsgeschenke steuerfrei, die anläßlich eines "Firmenjubiläums" gegeben wurden. Der Begriff des Firmenjubiläums ist in der LStDV vom 30. Dezember 1959 (BGBl I 1960, 1) durch den des "Geschäftsjubiläums" ersetzt worden. Nach den Erläuterungen in der amtlichen Begründung (BRDrucks 353/59, S. 2 der Begründung) sollte dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß es bei der Berechnung der maßgebenden Zeiträume, in denen das Unternehmen bestanden hat, entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis nicht entscheidend auf firmenrechtliche Gesichtspunkte ankomme, sondern daß "das Geschäft" als solches die erforderliche Zeit bestanden haben müsse. Daß die Bundesregierung den Begriff in der amtlichen Begründung mit Anführungszeichen versehen hat, kann --wie das FG meint-- für die Annahme sprechen, auch sie sei von einem weiten, über den allgemeinen Sprachgebrauch hinausgehenden Verständnis ausgegangen. Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an, denn jedenfalls lassen sich in den Materialien keine Anhaltspunkte für eine Absicht des Verordnungsgebers finden, die Lohnsteuerbefreiung auf Arbeitnehmer in gewinnorientierten Betrieben zu beschränken.

2. Der Senat weicht mit der vorstehenden Auffassung von seiner Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 123, 460, BStBl II 1978, 60 ab. Darin hat er unter "Geschäftsjubiläum" das Jubiläum einer "Einrichtung" verstanden, die sich in irgendeiner Weise unternehmerisch betätigt. Dies hatte eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einerseits und der öffentlichen Hand andererseits zur Folge. Der Senat hat ausdrücklich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verneint und die Ungleichbehandlung damit gerechtfertigt, daß unterschiedliche Sachverhalte vorlägen: Bei einem Unternehmer der Privatwirtschaft läge ein persönlicher Anlaß für die Zuwendungen vor, der bei einer öffentlichen Einrichtung fehle. Dieser damaligen Wertung vermag der Senat heute nicht mehr zu folgen.

a) Entgegen der damals geäußerten Ansicht handelt es sich bei einem Geschäftsjubiläum gerade nicht, wie z.B. bei einem Geburtstag des Inhabers des Geschäftes, um einen persönlichen, sondern um einen betrieblichen, unternehmerischen oder beruflichen Anlaß. Ein solcher ist aber mit der Wiederkehr des Entstehungs- oder Gründungsjahres einer Körperschaft des öffentlichen Rechts oder einer Gewerkschaft durchaus vergleichbar.

b) Außerdem ist die geänderte Wertung des Senats auch unter dem Gesichtspunkt der sog. verfassungskonformen Auslegung geboten. Es hat sich nämlich seit dem Urteil in BFHE 123, 460, BStBl II 1978, 60, das vor zwanzig Jahren ergangen ist, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Art. 3 Abs. 1 GG eine Entwicklung vollzogen. Ursprünglich ausgehend von einem bloßen Willkürverbot, hat das BVerfG im Laufe der Zeit immer mehr den Gedanken in den Vordergrund gestellt, daß die Gründe für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung um so schwerwiegender sein müssen, je gravierender der Grad der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung ist (vgl. dazu Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Anhang Art. 3, Rzn. 3 bis 10). Zu dem Problem der Gruppengleichheit hat es entschieden, daß der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung unterliege; diese strenge Bindung gelte auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirke (vgl. Beschluß vom 26. Januar 1993 1 BvL 38, 40, 43/92, BVerfGE 88, 87, 96 f.).

Dementsprechend hat der BFH beispielsweise § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG verfassungskonform dahin ausgelegt, daß bei gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst soweit wie möglich eine gleiche steuerliche Belastung eintritt wie bei den Arbeitnehmern im privaten Dienst (Urteile vom 9. Juli 1992 IV R 7/91, BFHE 169, 144, BStBl II 1993, 50; vom 8. Oktober 1993 VI R 9/93, BFH/NV 1994, 312). Soweit er eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG nicht mehr als möglich angesehen hat, hat er die Vorschrift wegen der unterschiedlichen Behandlung von Zuwendungen im Bundes- und Landesdienst einerseits und im übrigen öffentlichen oder privaten Dienst andererseits für verfassungswidrig gehalten (vgl. Vorlagebeschluß vom 21. Oktober 1994 VI R 15/94, BFHE 175, 368, BStBl II 1995, 142). Auch bei dem im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt liegen keine einleuchtenden Gründe dafür vor, den Arbeitnehmern von Gewerkschaften oder sonstigen Arbeitgebern, die nicht gewinnorientiert tätig sind, die Lohnsteuerfreiheit der Jubiläumszuwendungen zu versagen, wenn sie Arbeitnehmern gewährt wird, deren Arbeitgeber nach Gewinn streben.

Ende der Entscheidung

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