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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.03.2000
Aktenzeichen: VI R 32/99
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, FGO
Vorschriften:
AO 1977 § 175 | |
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2 | |
AO 1977 § 171 Abs. 10 | |
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2 | |
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 | |
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 | |
EStG § 32 Abs. 4 Satz 6 | |
EStG § 32 Abs. 4 Satz 7 | |
EStG § 32 Abs. 3 | |
EStG § 62 Abs. 1 | |
EStG § 63 Abs. 1 Satz 1 | |
EStG § 63 Abs. 1 Satz 2 | |
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a | |
BKGG § 2 Abs. 2 | |
FGO § 118 Abs. 2 | |
FGO § 135 Abs. 2 |
Gründe
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt für ihre Tochter (T), die im ganzen Jahr 1997 für einen Beruf ausgebildet wurde, bis zu deren Volljährigkeit im Juni 1997 Kindergeld, dessen Weiterzahlung sie auch für das zweite Halbjahr 1997 begehrt. T bezog 1997 eine Ausbildungsvergütung von insgesamt brutto 15 171 DM. Davon flossen ihr im zweiten Halbjahr neben Weihnachts- und Urlaubsgeld (1 584 DM) 6 835 DM (2 x 1 083,53 DM zuzüglich 4 x 1 167,11 DM) zu. Die gesamten Werbungskosten haben 3 355 DM betragen.
Den Anfang Juli 1997 gestellten Antrag auf Weitergewährung des Kindergeldes ab Juli 1997 lehnte das Arbeitsamt -Familienkasse- (Beklagter und Revisionskläger --Beklagter--) mit Bescheid vom 23. Juli 1997 ab und setzte das Kindergeld auf 0 DM fest, da die Einkünfte und Bezüge den anteiligen Jahresgrenzbetrag für Juli bis Dezember 1997 in Höhe von 6 000 DM voraussichtlich übersteigen würden. Der Rechtsbehelfsbelehrung ist als "wichtiger Hinweis" der Satz angefügt: "Falls sich nach Ablauf des Jahres ergeben sollte, dass Ihr Kind die jährliche Einkommensgrenze nicht überschreitet, können Sie einen Antrag auf Neufestsetzung nach § 175 Abgabenordnung stellen." Den daraufhin im Dezember 1997 gestellten Antrag auf Neufestsetzung des Kindergeldes mit beigefügter Erklärung zu den Einkünften und Bezügen der T lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1998 ab. Auch der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte ging in der Einspruchsentscheidung davon aus, dass die Einkünfte der T im zweiten Halbjahr 1997 bei Bruttoeinnahmen in Höhe von (laufende Bezüge 6 835 DM zzgl. Sonderzahlungen 1 584 DM =) 8 419 DM und anteiligen Werbungskosten in Höhe von 1 862 DM insgesamt 6 557 DM betragen und deshalb die Grenze von 6 000 DM überschritten hätten.
Mit der Klage trug die Klägerin vor, das Kindergeld sei schon deswegen zu gewähren, weil die in erster Linie maßgebende Jahresgrenze von 12 000 DM unterschritten sei, aber auch deswegen, weil die Grenze von 6 000 DM nicht erreicht werde, wenn Urlaubs- und Weihnachtsgeld richtigerweise nur zeitanteilig berücksichtigt würden, weil dann die Einkünfte des zweiten Halbjahres nur 5 940 DM betrügen. Der Beklagte trat der Klage zusätzlich mit der Begründung entgegen, der Bescheid vom 23. Juli 1997 sei bestandskräftig, weil er nicht angefochten worden sei. Die Korrekturvoraussetzungen der §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) lägen nicht vor. Die Klägerin habe keine Tatsachen oder Beweismittel vorgetragen (vgl. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977), die zu einer Steuervergütung führten. Noch am 18. Dezember 1997 seien die Werbungskosten von der Klägerin mit 2 582 DM beziffert worden. Sollten tatsächlich höhere Werbungskosten angefallen sein, träfe die Klägerin ein grobes Verschulden daran, dass dies erst nachträglich bekannt geworden sei. Der nachgereichte Steuerbescheid sei kein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO 1977. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 komme nur zum Zuge, wenn ein steuerlich relevanter Sachverhalt nachträglich und rückwirkend eine andere Gestaltung erfahre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. April 1988 IV R 215/85, BFHE 153, 485, BStBl II 1988, 863), nicht jedoch, wenn sich die Kenntnis der Finanzbehörde bezüglich eines vorhandenen Sachverhalts nachträglich erweitere oder wenn ein bekannter Sachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich anders beurteilt werden solle.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 394 wiedergegebenen Gründen statt.
Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das FG habe gegen § 101 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen. Soweit die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig sei, spreche das Gericht die Verpflichtung der Behörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen. Das Gericht dürfe folglich den begehrten Verwaltungsakt nicht selbst erlassen.
Das angefochtene Urteil sei auch deswegen fehlerhaft, weil das FG bei der Ermittlung des Grenzbetrages von 12 000 DM lediglich die Ausbildungsvergütung festgestellt habe, nicht jedoch das Fehlen weiterer Einkünfte und Bezüge. Feststellungen zu Letzterem hätten nicht getroffen werden können, da T weitere Einkünfte in Höhe des Ertragsanteils einer Leibrente (46 DM) und Bezüge in Höhe des Kapitalanteils (1 120 DM) gehabt habe, die zu einer Überschreitung des Grenzbetrages führten.
Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Kindergeld, da die zeitanteilige Reduzierung des Einkommensgrenzbetrages nicht auf die Fälle beschränkt sei, in denen im Laufe eines Kalenderjahres die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wegfielen, sondern auch den Fall erfasse, dass ein Kind im Laufe des Kalenderjahres sein 18. Lebensjahr vollende. Die Regelungen des § 32 Abs. 4 Sätze 6 und 7 EStG seien nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit § 32 Abs. 3 EStG zu sehen. Da ein Kind nach dieser Vorschrift bis zum Monat der Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig von besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG und damit auch einkommensunabhängig berücksichtigt werde, sei es folgerichtig, dass die Einkommensgrenze auch für diejenigen Monate um jeweils 1/12 gemindert werde, in denen das Kind unabhängig von den besonderen Voraussetzungen berücksichtigt werde. Auch aus der Gesetzesbegründung zu der vergleichbaren Regelung des § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) lasse sich entnehmen, dass bei der Prüfung, ob der Kindergeldanspruch wegen der Einkünfte und Bezüge eines über 18 Jahre alten Kindes ausgeschlossen sei, die Monate außer Betracht zu bleiben hätten, in denen das Kind bereits deswegen zu berücksichtigen sei, weil es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Nach der Begründung zu § 2 Abs. 2 BKGG sei nämlich (ausschließlich) auf diejenigen Monate abzustellen, in denen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG (entspricht § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG) erfüllt seien (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 164). Dies bedeute, dass für diejenigen Monate, in denen das Kind noch unabhängig von den besonderen Voraussetzungen zu berücksichtigen sei, die Jahreseinkommensgrenze um jeweils 1/12 herabzusetzen sei. Unbeachtlich sei, wie sich die Auslegung im konkreten Einzelfall auswirke. Derzeit befänden sich rd. 475 000 Kinder in betrieblicher Ausbildung, bei denen die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7 EStG auch im Hinblick auf den Eintritt der Volljährigkeit zu berücksichtigen seien. Legte man nur die Jahreseinkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde, führte dies in vielen Fällen, in denen z.B. höhere Ausbildungsvergütungen gezahlt würden, zu einem Ausschluss des Kindergeldanspruchs für das gesamte Kalenderjahr, also auch für die Monate vor Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes. Dies widerspräche jedoch dem Willen des Gesetzgebers, Kindergeld vor Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig von besonderen Voraussetzungen und damit auch einkommensunabhängig zu gewähren.
Bei der Prüfung, ob die anteilige Einkommensgrenze überschritten ist, komme es ausschließlich auf die im besonderen Anspruchszeitraum zugeflossenen Einkünfte und Bezüge an (§ 11 Abs. 1 EStG). Dies entspreche Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Danach solle für volljährige Kinder, die für einen Beruf ausgebildet würden, erst dann und nur dann ein Anspruch auf Kindergeld bestehen, wenn diese ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Einkünfte und Bezüge decken könnten. Sinn und Zweck der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs sei die Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch steuerliche Entlastung der Eltern. Flössen dem Kind nach Vollendung seines 18. Lebensjahres im Anspruchszeitraum Einnahmen zu, über die es tatsächlich wirtschaftlich verfügen könne und die das Existenzminimum sicherstellten, ergebe sich bei den Eltern kein Bedarf für eine steuerliche Freistellung in diesem Zeitraum.
Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beziehe man neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (brutto 15 171 DM ./. 3 355 DM Werbungskosten = 11 816 DM) die Rente (1 166 DM) in die Betrachtung ein, werde die Jahresgrenze von 12 000 DM um 576 DM überstiegen, da zwar der Ertragsanteil nur (46 DM ./. 46 DM Werbungskosten =) 0 DM, jedoch der Kapitalanteil (1 120 DM ./. Kostenpauschale 360 DM =) 760 DM betrage. Maßgebend sei jedoch, wie der Beklagte zutreffend ausgeführt habe, die zeitanteilige Grenze von 6 000 DM, die nicht überschritten werde. Neben den laufenden Ausbildungsvergütungen des zweiten Halbjahres in Höhe von 6 835 DM seien das Urlaubs- und Weihnachtsgeld nur zeitanteilig zu berücksichtigen, also mit 792 DM. Von der Summe (7 627 DM) seien die anteiligen Werbungskosten (2 396 DM, wird im Einzelnen spezifiziert) abzuziehen, so dass nur 5 231 DM verblieben. Die Waisenrente habe im Juni 1997 geendet. Von Juli bis Dezember 1997 seien keine Rentenzahlungen erfolgt. Erst 1999 habe es eine Rentennachzahlung gegeben.
Die Revision ist unbegründet.
I. Es kann dahinstehen, welche Bestandskraftwirkung vom Ablehnungsbescheid vom 23. Juli 1997 ausgehen konnte und unter welchen Voraussetzungen er abänderbar war. Denn falls eine Änderungsmöglichkeit nicht bestehen sollte, wäre --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- der der Rechtsbehelfsbelehrung beigefügte "wichtige Hinweis" eine unzutreffende Belehrung gewesen, derzufolge die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen begonnen hätte. Denn es wäre der Eindruck erweckt worden, die Klägerin könne untätig bleiben, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen (BFH-Urteil vom 19. September 1997 VI R 273/94, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst --DStRE-- 1998, 374). Des Weiteren ist dem FG darin zu folgen, dass Gegenstand des Verfahrens die endgültige Ablehnung der Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Juli bis Dezember 1997 durch die Einspruchsentscheidung vom 31. März 1998 war, über deren Rechtmäßigkeit das FG abschließend entscheiden konnte.
II. Dem Beklagten kann auch im Ergebnis nicht gefolgt werden. Zwar geht er zutreffend davon aus, dass in die Beurteilung nur Einkünfte und Bezüge einzubeziehen sind, die auf Monate nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes entfallen. Jedoch haben die auf diesen Zeitraum entfallenden Einkünfte und Bezüge den anteiligen Jahresgrenzbetrag nicht überschritten, weshalb der Klägerin Kindergeld für Juli bis Dezember 1997 zusteht.
1. Der Kindergeldanspruch für die Monate Juli bis Dezember 1997 beruht auf § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
2. Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Einkünfte und Bezüge der T zu versagen. Nach dem Senatsurteil vom 1. März 2000 VI R 162/98, ist der Betrag von 12 000 DM für alle Monate um 1/12 zu mindern, zu deren Beginn das Kind sein 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die im Laufe des Jahres aus dem Berufsausbildungsverhältnis ausgezahlten Sonderzuwendungen sind den Monaten anteilig zuzuordnen, in denen Berufsausbildung stattfand.
3. Im Streitfall gehören die Monate Januar bis Juni zu den Kürzungsmonaten i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG, weil T ihr 18. Lebensjahr erst im Laufe des Juni 1997 vollendete. Aus diesem Grunde ist der Jahresgrenzbetrag von 12 000 DM auf 6 000 DM zu ermäßigen. Auf den Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 "entfallen" i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG die laufenden Lohnzahlungen (6 835 DM) und die zeitanteiligen sonstigen Bezüge (1/2 von 1 584 DM = 792 DM), insgesamt also 7 627 DM, von denen die nachgewiesenen Werbungskosten im Verhältnis dieser Lohnzahlungen (7 627 DM) zum Jahresbruttolohn (15 171 DM), also 1 687 DM abzuziehen sind. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, auf welche Monate eine etwaige Waisenrente entfällt. Denn der Vortrag des Beklagten, T habe noch eine Waisenrente erhalten, stellt neues tatsächliches Vorbringen dar, das im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen ist (§ 118 Abs. 2 FGO). Weil die sich danach ergebenden Einkünfte in Höhe von 5 940 DM die Freigrenze von 6 000 DM nicht übersteigen, steht der Klägerin Kindergeld für den streitigen Zeitraum zu.
4. Die Kostenentscheidungg beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Ende der Entscheidung
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