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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.09.1998
Aktenzeichen: VI R 37/98
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 62 Abs. 3 Satz 2
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 62 Abs. 3 Satz 1
AO 1977 § 165 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben mit Schriftsatz vom 22. November 1996 durch Steuerberater B Klage wegen Einkommensteuer 1986 bis 1989 erhoben und angekündigt, daß eine Vollmacht nachgereicht werde. Auf den diesbezüglichen Hinweis des Gerichts wurde mitgeteilt, daß die Prozeßvollmacht bereits zum Verfahren der Kläger Az.: ... wegen Einkommensteuer 1990 vorgelegt worden sei. Auf der dortigen --undatierten-- Vollmacht sind die Veranlagungszeiträume 1983 bis 1996 angegeben, wobei B bevollmächtigt worden war, die Kläger in ihren "Steuer ... angelegenheiten vor allen Gerichten ..." zu vertreten. Nachdem der Hinweis, die dortige Vollmacht reiche für das hiesige Verfahren nicht aus, unbeantwortet geblieben ist, setzte die Berichterstatterin mit Verfügung vom 21. Februar 1997 zur Vorlage der Vollmacht gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Frist bis zum 24. März 1997 mit ausschließender Wirkung. Nachdem die Klägerseite auch hierauf nicht reagierte, erging zunächst ein Gerichtsbescheid und nach Antrag auf mündliche Verhandlung ein Urteil, mit dem die Klage als unzulässig verworfen wurde.

Das Finanzgericht (FG) führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1211 veröffentlichten Urteil aus, die für ein anderes Klageverfahren eingereichte Vollmacht reiche dem Gericht als Nachweis für eine Bevollmächtigung im vorliegenden Streitfall nicht aus.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von Bundesrecht, insbesondere von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 62 Abs. 3 und 96 Abs. 2 FGO.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

1. Die Revision ist zulässig.

Ausweislich der Vollmachtsurkunde, von der das FG eine Fotokopie zu seinen Akten genommen hatte, war B zur Prozeßführung vor dem FG (dazu unten) und --da die Bevollmächtigung "vor allen Gerichten" gilt-- auch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) befugt. Der erkennende Senat hat das Original der Vollmacht, welches sich in den Akten des Verfahrens der Kläger wegen Einkommensteuer 1990 befindet, eingesehen, weil diese Akten in dem zwischenzeitlich beim Senat anhängigen Verfahren vorgelegt worden sind.

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

a) Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, genügt die Bezugnahme auf eine in einem anderen Verfahren beigebrachte Prozeßvollmacht ausnahmsweise als Nachweis der Bevollmächtigung, wenn dem erkennenden Gericht die Einsicht in diese Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und aus ihr hervorgeht, daß sie auch für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, bestimmt ist (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluß vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848; zuletzt BFH-Urteil vom 23. Juli 1997 X R 125/96, BFH/NV 1998, 58, m.w.N.).

Im Streitfall war die Einsichtnahme offenbar ohne weiteres möglich, was dem Umstand entnommen werden kann, daß das FG Feststellungen über den Inhalt der im Verfahren wegen Einkommensteuer 1990 vorgelegten Vollmacht getroffen und eine Fotokopie dieser Vollmacht zu seinen Akten genommen hat.

b) Eine Vollmacht ist für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, jedenfalls dann bestimmt, wenn sich aus der Vollmachtsurkunde als solcher eine Bevollmächtigung auch für dieses Verfahren ergibt. Das ist der Fall, wenn die an den Nachweis einer Bevollmächtigung im FG-Verfahren allgemein gestellten Anforderungen erfüllt sind, nämlich, daß aus der Urkunde hervorgeht, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726, und vom 20. September 1991 III R 115/89, BFH/NV 1992, 671, jeweils m.w.N.).

Wie auch vom FG nicht in Zweifel gezogen wird, ist ausweislich der Vollmachtsurkunde B von den Klägern bevollmächtigt worden, sie hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1983 bis 1996 in ihren Steuerangelegenheiten vor den Gerichten zu vertreten. Eine derartige Vollmacht eröffnete eine Vertretungsbefugnis nicht nur für das Verfahren wegen Einkommensteuer 1990 sondern auch wegen Einkommensteuer 1986 bis 1989, also das anhängige Verfahren 2 K 5023/96. Dabei ist maßgebend, daß sich durch Auslegung des Inhalts der Urkunde als Gegenstand der Bevollmächtigung auch die Befugnis ergibt, Rechtsstreitigkeiten über Einkommensteuer der Streitjahre 1986 bis 1989 zu führen. Demgegenüber ist irrelevant, daß B zunächst selbst angekündigt hatte, eine Prozeßvollmacht nachzureichen.

Die Rechtsprechung, die anstelle einer zu den Akten des betreffenden Verfahrens einzureichenden Originalvollmacht unter bestimmten Voraussetzungen eine Bezugnahme auf die in einem anderen Verfahren vorgelegte Vollmacht genügen läßt, trägt dem Umstand Rechnung, daß der Zugang zu einer Sachentscheidung und damit ein effektiver Rechtsschutz nicht an bloßen Förmeleien scheitern soll, wenn das Gericht sich ohne weiteres davon überzeugen kann, daß die anderweitig vorgelegte Vollmacht auch zum Führen des zusätzlichen Verfahrens berechtigt. Diese Rechtsprechung schließt denknotwendig ein, daß die anderweitig eingereichte Vollmacht sich nicht lediglich auf das dortige konkrete Verfahren bezieht, sondern zu darüber hinausgehenden Prozeßhandlungen des Bevollmächtigten berechtigt. In Übereinstimmung hiermit kann eine Vollmacht, die über die Vertretung im konkreten Rechtsstreit hinaus zu weiteren Maßnahmen berechtigt, regelmäßig weder im Verfahren, für das sie eingereicht worden ist, mit der Begründung zurückgewiesen werden, daß sich eine wirksame Prozeßvollmacht ausschließlich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen dürfe, noch darf sie in dem weiteren Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt ist, mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie sei im vorgelegten Verfahren durch Zweckerreichung erloschen.

Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, welche Folgen sich für den Fall ergeben, daß in der in Bezug genommenen Urkunde eines der Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Vollmacht --Aussteller, Bevollmächtigter und Vollmachtsgegenstand-- nicht selbst enthalten ist, aber dem Umstand entnommen werden kann, daß die Vollmacht einem Schriftsatz angeheftet ist, der den Verwendungszusammenhang ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1997 IX R 20/96, BFHE 183, 369, BStBl II 1997, 823, m.w.N.). Insbesondere kann dahinstehen, ob eine derartige, erst durch ein Begleitschreiben vervollständigte Urkunde als Vollmachtsnachweis in einem anderen Verfahren überhaupt in Betracht kommt. Deshalb sind die vom FG herangezogenen BFH-Entscheidungen nicht einschlägig, die sich auf Vollmachten beziehen, denen die Mußerfordernisse einer Bevollmächtigung nicht selbst zu entnehmen sind.

c) Eine den Formerfordernissen genügende Prozeßvollmacht kann wegen "berechtigter" Zweifel zurückzuweisen sein, wenn die Vollmacht offensichtlich rechtsmißbräuchlich verwendet wird oder die Umstände den Schluß erlauben, daß eine einmal erteilte Vollmacht nicht mehr durch eine Innenvollmacht gedeckt ist. Hierzu reichen die vom FG angeführten Gründe indessen nicht aus.

aa) Wie der Senat im Urteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97 (BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445) entschieden hat, kann --von bestimmten Mißbrauchsfällen abgesehen-- das Ausmaß der vermeintlichen Aussichtslosigkeit des konkreten Klageantrages nicht zum Maßstab dafür gemacht werden, ob eine Vollmacht den Anforderungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO genügt. Im Streitfall wurde die Klage mit dem Ziel erhoben, in den Streitjahren 1986 bis 1989 für zwei Kinder auf 6 000 DM erhöhte Kinderfreibeträge zu gewähren. Ein solches Klageziel läßt trotz des Umstandes, daß die Entscheidung zur Höhe der Kinderfreibeträge gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig erging, für sich gesehen nicht den Schluß zu, daß die diesbezügliche Prozeßvollmacht mißbräuchlich verwendet werde. Ebensowenig kann ein Mißbrauch daraus geschlossen werden, daß das nämliche, vom selben Berater vertretene Klagebegehren in einer Vielzahl von Fällen vor dem FG erfolglos geblieben ist. Schließlich kann die Wirksamkeit einer Prozeßvollmacht auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Mandant in Kenntnis weiterer Umstände das Prozeßrisiko ebenfalls eingegangen wäre.

bb) Hinweise dafür, daß B im Innenverhältnis nicht bzw. nicht mehr befugt war, von der ihm erteilten Vollmacht Gebrauch zu machen, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Insbesondere läßt sich ein solcher Hinweis nicht aus dem Umstand herleiten, daß B trotz gerichtlicher Aufforderung zur Vorlage einer neuen Vollmacht untätig geblieben ist. Da eine formal ordnungsgemäße Vollmacht vorlag, hätte B nur reagieren müssen, wenn beispielsweise die konkrete Prozeßführung oder durch Beweisanzeichen veranlaßte Zweifel am Weitergelten der Vollmacht über bloße Mutmaßungen hinausgehende "berechtigte" Zweifel ausgelöst hätte. Derartige Zweifel haben sich auch nicht daraus ergeben, daß die Kläger, nachdem ihnen der in dieser Sache ergangene Gerichtsbescheid vom 2. April 1997 zusätzlich persönlich zugestellt worden ist, nicht reagiert haben. Es kann dahinstehen, ob es den Klägern oblegen hätte, einen etwaigen Vollmachtsmißbrauch zu unterbinden, sofern die im Parallelverfahren vorgelegte Vollmacht nicht von ihnen als Generalvollmacht oder als Vollmacht für mehrere Veranlagungszeiträume erteilt oder später von ihnen eingeschränkt worden sein sollte. Jedenfalls läßt ihr Schweigen keine Schlüsse auf berechtigte Zweifel zu.

Der Senat weist darauf hin, daß mit der an Gesichtspunkten einer einfachen Handhabung des FG-Verfahrens orientierten Entscheidung zum Vorrang einer formal ordnungsgemäßen Vollmacht im Regelfall nicht etwa auch ein Urteil darüber abgegeben wird, daß eine im Innenverhältnis mißbräuchlich verwendete Vollmacht nicht zu Schadensersatzansprüchen berechtigte.

3. Da das FG zu Unrecht die Ordnungsmäßigkeit der Vollmacht und damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen verneint hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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