Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 05.09.2006
Aktenzeichen: VI R 38/04
Rechtsgebiete: EStG, SGB VI


Vorschriften:

EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SGB VI § 7
SGB VI § 171
Die Übernahme von Beitragsleistungen zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber für sog. Kirchenbeamte stellt dann keinen Arbeitslohn dar, wenn die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die zugesagten beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angerechnet werden sollen.
Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die lohnsteuerliche Behandlung von Beitragszahlungen des Arbeitgebers für in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig versicherte Arbeitnehmer.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er beschäftigt Arbeitnehmer mit beamtenähnlichem Status (sog. Kirchenbeamte), denen er im Arbeitsvertrag Dienst- und Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Vorschriften für Beamte des Landes Niedersachsen zugesagt hat. Die Kirchenbeamten sind aufgrund der Versorgungszusage nicht versicherungspflichtig.

In den Arbeitsverträgen haben sich die Arbeitnehmer damit einverstanden erklärt, dass der Kläger "zur Sicherung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung die Pflichtversicherung oder die freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung" für sie fortführt. Der Kläger erklärte sich für diesen Fall zur Übernahme der vollen Beitragsleistung bereit. Auf die Versorgungsbezüge sollten die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet werden. Von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde dann Gebrauch gemacht, wenn der Kirchenbeamte bei seiner Einstellung bereits Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung von einigem Ausmaß zurückgelegt hatte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung die Zahlung der Beiträge für die in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig versicherten Arbeitnehmer durch den Kläger in den Jahren 1995 bis 1998 als zusätzlichen Arbeitslohn an und nahm deswegen den Kläger mit Haftungsbescheid vom 21. Juli 1999 in Anspruch.

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1829 veröffentlichten Gründen ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung den Bescheid vom 21. Juli 1999 insoweit aufzuheben, als darin eine Haftung für Lohnsteuer wegen Entrichtung von Beiträgen an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte festgesetzt worden ist.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur antragsgemäßen Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Übernahme der Beitragsleistungen zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei den Arbeitnehmern nicht als Arbeitslohn zu erfassen.

1. Zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Arbeitslohn sind nach § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen; dabei ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form die Einnahmen gewährt werden.

a) Demgemäß ist Arbeitslohn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) jeder gewährte Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Das ist der Fall, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der Zurechnungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird, und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinn als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist.

b) Zum Arbeitslohn können auch Ausgaben gehören, die ein Arbeitgeber leistet, um einen Arbeitnehmer oder diesem nahe stehende Personen für den Fall der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes abzusichern (Zukunftssicherung). Die Arbeitslohnqualität von Zukunftssicherungsleistungen, bei denen die Leistung des Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer) erfolgt, hängt davon ab, ob sich der Vorgang --wirtschaftlich betrachtet-- so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Zweck seiner Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung, an die der Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 32/04, BFHE 210, 447, BStBl II 2006, 500; vom 14. September 2005 VI R 148/98, BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532; vom 15. Februar 2006 VI R 92/04, BStBl II 2006, 528, jeweils m.w.N.). Leistet der Arbeitgeber dagegen Zuwendungen an eine Unterstützungseinrichtung, die dem Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch einräumt, sind erst die laufend von der Versorgungseinrichtung an den Arbeitnehmer ausgezahlten Bezüge als Arbeitslohn zu qualifizieren (BFH-Urteil vom 16. April 1999 VI R 60/96, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406).

Die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Altersrentenversicherung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SBG VI) sind nach der Rechtsprechung des BFH Arbeitslohn (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2004 VI B 120/03, BFH/NV 2004, 1263; vom 29. Oktober 2004 XI B 170/03, BFH/NV 2005, 539; vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Juli 2005 VI R 165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005, 890). Dagegen ist der sog. Arbeitgeberanteil zum Pflichtbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung kein Arbeitslohn des einzelnen Arbeitnehmers (BFH-Urteil vom 6. Juni 2002 VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34; Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. Juni 2000 B 4 RA 57/98 R, BSGE 86, 262).

2. Die Zahlung der freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber gemäß § 171 SGB VI ist kein Arbeitslohn. Der Senat lässt dahinstehen, ob die Zahlung der Beiträge zu einem geldwerten Vorteil auf Seiten der Arbeitnehmer führt. Denn die Zahlungen werden jedenfalls nicht "für" deren Arbeitsleistung gewährt.

a) Dem genannten Tatbestandsmerkmal ist zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter haben muss. Demgegenüber sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen (BFH-Urteile in BFHE 210, 447, BStBl II 2006, 500; in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532). Ein Vorteil wird dann im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse gewährt, wenn aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund steht. In diesem Fall kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden (BFH-Urteile vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367; vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30; in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532). Davon ist hier auszugehen.

b) Die Versorgung im Alter richtet sich bei den vom Kläger angestellten sog. Kirchenbeamten allein nach beamtenrechtlichen Vorschriften, da sie "Anspruch auf Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Vorschriften für Beamte im Dienst des Landes Niedersachsen" haben. Nur weil auf diese Weise die zukünftige Versorgung ausreichend gesichert erscheint, besteht Versicherungsfreiheit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, die für nicht versicherungspflichtige Personen zulässig ist (§ 7 SGB VI), dient im Streitfall nicht dem Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung, da abredegemäß die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angerechnet werden. Die vom Kläger insoweit geleisteten Beiträge kommen dem einzelnen Arbeitnehmer nicht zugute; sie verbessern seine Versorgungsposition nicht und erhöhen demgemäß auch seine Leistungsfähigkeit nicht.

c) Die Funktion der freiwilligen Versicherung erschöpft sich im Streitfall in der Anrechung auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge. Auf diese Weise entlastet sich der Kläger von seiner Pensionsverpflichtung. Wirtschaftlich dient die Zahlung der Beiträge zur freiwilligen Versicherung der Sicherung und Finanzierung der Pensionszusage. Die freiwillige Versicherung ist nämlich für die Personen sinnvoll, die bereits für eine längere Zeit Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet haben. Ihnen wird auf diese Weise das Recht gegeben, ihre Anwartschaften durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge bis zu einer Vollversicherung auszubauen (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, § 7 SGB VI Rz. 11). Diesen Vorteil macht sich der Kläger dadurch zu Eigen, dass er, wie es in § 3 der Anstellungsverträge heißt, "für" die Arbeitnehmer die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung fortführt, um sich im Versorgungsfall durch Anrechnung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge zu entlasten.

Die Fortführung der gesetzlichen Rentenversicherung unter Anrechnung der bereits vom Arbeitnehmer erworbenen Rentenanwartschaften kommt im Ergebnis nur dem Kläger zugute. Sie liegt deshalb nach den genannten Grundsätzen vorrangig in seinem betrieblichen Interesse.

3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Haftungsbescheid ist antragsgemäß zu ändern.

Ende der Entscheidung

Zurück