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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.02.2009
Aktenzeichen: VI R 40/07
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 42d Abs. 1 Nr. 3
EStG § 42d Abs. 3 S. 2
FGO § 102
1. Liegt eine vorsätzlich begangene Steuerstraftat vor, ist das Auswahlermessen des FA insoweit vorgeprägt, als die Haftungsschuld gegen den Steuerstraftäter festzusetzen ist und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf.

2. Diese Vorprägung des Ermessens gilt insbesondere auch dann, wenn sich mehrere Haftungsschuldner einer Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben und deshalb bei der Ausübung des Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander stehen.

3. Der jeweils betroffene Haftungsschuldner kann in diesem Fall nicht beanspruchen, dass das FA bei der Ermessensausübung in einer Weise differenziert, dass andere Haftungsschuldner abgabenrechtlich in Anspruch genommen werden, er selbst hingegen nicht.


Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ermessensfehlerfrei als Haftungsschuldner für verkürzte Lohnsteuer in Anspruch genommen worden ist.

Der Kläger ist Zahnarzt. Er betätigte sich auch auf dem Immobiliensektor, indem er sanierungsbedürftige Geschäftsbauten erwarb und nach Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen verkaufte oder verpachtete. In einem der Objekte betrieb der Kläger mit Fremdpersonal selbst mehrere Verkaufsstände.

Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) wegen der Zahlung von Schwarzlöhnen gegen den Kläger einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern in Höhe von insgesamt 6 037,82 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 371 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der vom Senat nur wegen Lohnsteuerhaftung zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FG habe verkannt, dass die vorrangige Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nicht ermessensfehlerhaft gewesen sei.

Das FA beantragt sinngemäß,

das Urteil des Niedersächsischen FG vom 18. Januar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das FG habe zutreffend angenommen, dass die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner ermessensfehlerhaft sei, da das FA sein Auswahlermessen nicht erkannt und ausgeschöpft habe.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1.

Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlender Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG).

a)

Das FA hatte --wovon auch das FG zutreffend ausgegangen ist-- bei der Frage der Inanspruchnahme des Klägers durch Festsetzung der Haftungsschuld eine Ermessensentscheidung zu treffen. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit --und auch das FG ist davon ausgegangen--, dass es für die streitige Lohnsteuer hier neben dem Kläger mit den Arbeitnehmern weitere Schuldner gibt, die nach § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG mit dem Kläger gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Abgabenschuld verpflichtet sind.

b)

Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des FG, dass der angefochtene Haftungsbescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil das FA das ihm gemäß § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG eingeräumte (Auswahl-)Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt habe.

aa)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) steht im Abgabenrecht als Teil des öffentlichen Rechts die Entscheidung, welcher von mehreren grundsätzlich gleichrangigen Schuldnern in Anspruch genommen werden soll, nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde, für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 der Abgabenordnung gelten. Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden. Die Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden. Anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822; BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFHE 204, 380, jeweils m.w.N.).

bb)

Wie intensiv das Auswahlermessen von der Behörde zu begründen ist, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls und davon abhängig, welche für die Behörde ersichtlichen besonderen Umstände auf Seiten des jeweiligen Gesamtschuldners bestehen, die für oder gegen seine Inanspruchnahme sprechen und die deshalb in die Ermessenserwägung und dementsprechend in die schriftliche Begründung des betreffenden Verwaltungsakts einfließen müssen. So ist für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung vom BFH entschieden, dass im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf. Hat jemand als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt; sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte; einer besonderen Begründung für die Ermessensausübung bedarf es in diesen Fällen nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822; BFH-Urteil in BFHE 204, 380, jeweils m.w.N.).

cc)

Diese Vorprägung des Ermessens gilt insbesondere auch dann, wenn sich mehrere Gesamtschuldner einer vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht haben und deshalb bei der Ausübung des Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander stehen. Auch in diesen Fällen würde es sich regelmäßig als ermessensfehlerhaft erweisen, wenn die Behörde einen Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat zu Schulden kommen lassen und damit einen Steuertatbestand verwirklicht hat, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung freistellte. Auf die Heranziehung eines vorsätzlich an einer Steuerstraftat Beteiligten kann grundsätzlich nicht verzichtet werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822). Deshalb kann der haftende Steuerstraftäter nicht beanspruchen, dass statt seiner ein gleichrangig haftender Mittäter in Anspruch genommen wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822; BFH-Urteil in BFHE 204, 380, jeweils m.w.N.), selbst wenn die Haftungsschuld bei den übrigen Mittätern ebenso schnell und einfach nacherhoben werden kann.

dd)

Nach diesen Grundsätzen ist das Auswahlermessen des FA im Streitfall im Sinne einer Inanspruchnahme des Klägers vorgeprägt, wenn dieser die behaupteten Schwarzlöhne tatsächlich ausgezahlt und damit eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen hat. Hat der Kläger tatsächlich Lohnsteuer verkürzt, ist dem FA kein Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens anzulasten.

ee)

Offenlassen kann der erkennende Senat, ob der Umstand, dass das FA --mit einer möglicherweise fehlerhaften Begründung-- nicht auch die Empfänger der behaupteten Schwarzlohnzahlungen als weitere Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat, den Kläger in eigenen Rechten verletzen und die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids bewirken kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 380). Nach den vom Kläger nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG ist zweifelhaft, ob das FA noch an der im Haftungsbescheid gegebenen Begründung, die verkürzte Lohnsteuer könne von den --namentlich bekannten-- Empfängern der behaupteten Schwarzlohnzahlungen nicht nachgefordert werden, festhält. Damit ist für den Senat nicht ersichtlich, ob das FA tatsächlich davon abgesehen hat, die Haftungsschuld gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern festzusetzen.

2.

Das auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO) zurückverwiesen. Das FG hat den Haftungsbescheid allein wegen der vermeintlichen Ermessensunterschreitung des FA aufgehoben und deshalb offen gelassen, ob der Kläger --wie vom FA behauptet-- den Haftungstatbestand nach § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG verwirklicht hat. Das erstinstanzliche Gericht hat hierzu Feststellungen nachzuholen und insbesondere zu prüfen, ob der Kläger aufgrund unrichtiger Angaben in den Lohnkonten oder den Lohnsteuerbescheinigungen tatsächlich Lohnsteuer verkürzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1993 VI R 116/90, BFHE 171, 547, BStBl II 1993, 775). Darüber hinaus hat das FG zu berücksichtigen, dass dem Kläger als Steuerstraftäter der Einwand verwehrt ist, das FA hätte statt seiner die Arbeitnehmer kraft Mitwisserschaft als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen müssen.

Ende der Entscheidung

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