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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.02.1998
Aktenzeichen: VI R 55/97
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 32a Abs. 6 Nr. 1 | |
EStG § 26 Abs. 1 Satz 1 |
Die Einkommensteuer eines verwitweten Steuerpflichtigen ist in dem Veranlagungszeitraum, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist, nur dann nach der Splittingtabelle festzusetzen, wenn der Steuerpflichtige und sein verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes nicht dauernd getrennt gelebt haben.
EStG § 32a Abs. 6 Nr. 1, § 26 Abs. 1 Satz 1
Urteil vom 27. Februar 1998 VI R 55/97
Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1997, 806)
Gründe
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1993 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie lebte von ihrem im Dezember 1992 verstorbenen Ehemann seit Februar 1992 dauernd getrennt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr unter Anwendung der Grundtabelle fest. Die Klägerin wandte demgegenüber ein, die Steuer sei nach der Splittingtabelle festzusetzen. Die Voraussetzungen des § 32a Abs. 6 i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien erfüllt, wenn die Eheleute zu Beginn des Todesjahres nicht dauernd getrennt gelebt hätten.
Das Finanzgericht (FG) schloß sich dieser Auffassung an und gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 806 veröffentlicht.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 32a Abs. 6 Nr. 1, § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Revision des FA ist begründet. Der Senat legt § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG anders als die Vorinstanz dahin aus, daß die Einkommensteuer eines verwitweten Steuerpflichtigen in dem Veranlagungszeitraum, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist, nur dann nach der Splittingtabelle festzusetzen ist, wenn der Steuerpflichtige und sein verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes nicht dauernd getrennt gelebt haben.
Nach § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG ist das Verfahren nach Abs. 5 (Splitting-Verfahren) bei einem verwitweten Steuerpflichtigen auch anzuwenden zur Berechnung der tariflichen Einkommensteuer für das zu versteuernde Einkommen für den Veranlagungszeitraum, der dem Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist, wenn der Steuerpflichtige und sein verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllt haben. Dem FG ist zuzugestehen, daß der Wortlaut dieser Vorschrift dahin verstanden werden kann, es reiche aus, daß im Zeitpunkt des Todes lediglich eine der in § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG genannten zeitlichen Alternativen erfüllt sein müsse. Das FG hat es aber zu Recht auch für möglich gehalten, den Wortlaut des § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG dahin zu deuten, daß das Merkmal "im Zeitpunkt seines Todes" an die Stelle der zeitlichen Bestimmungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG treten soll und nur im übrigen dessen Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Der Umstand, daß der Gesetzgeber in § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG im Gegensatz zu § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG, der auf den Veranlagungszeitraum bezogen ist, auf den "Zeitpunkt" des Todes und nicht auf das Kalenderjahr des Todes abgestellt hat, legt nach Ansicht des Senats die letztgenannte Auslegung näher. Das bedeutet, daß die Ehegatten im Zeitpunkt des Todes nicht dauernd getrennt leben durften. Das Ergebnis dieser Auslegung erscheint auch nicht unbillig. Es ist einleuchtend, daß die Härte, die typischerweise im Wegfall des Splittingverfahrens liegt, nur dann ausgeglichen werden soll, wenn der Tod des Ehegatten der Grund für den Wegfall ist, und daß das Splittingverfahren nicht mehr in solchen Fällen gewährt werden soll, in denen die Ehegatten im Folgejahr auch ohne den Tod des Ehegatten einzeln zu veranlagen gewesen wären.
Diese Auslegung steht auch mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift im Einklang. Diese spricht nicht dafür, daß ein verwitweter Steuerpflichtiger im Folgejahr des Todes des Ehegatten selbst dann noch begünstigt werden sollte, wenn ihm ohne den Tod des Ehegatten das Splittingverfahren nicht mehr zugebilligt worden wäre. Die Vorgängervorschrift des § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG sah in § 32a Abs. 3 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juli 1958 (BGBl I, 473, BStBl I, 412, 419 f.) bis für den Veranlagungszeitraum 1969 einschließlich vor, daß Abs. 2 (das Splittingverfahren) bei "verwitweten Personen, die im Zeitpunkt des Todes ihres Ehegatten von diesem nicht dauernd getrennt gelebt haben", in dem Veranlagungszeitraum gilt, in dem der Ehegatte verstorben ist und in dem folgenden Veranlagungszeitraum. Die für das Streitjahr maßgebliche Fassung gilt seit dem Steueränderungsgesetz 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I, 141, BStBl I, 116) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1970. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BTDrucks V/3430, S. 13) beruhte die Änderung darauf, daß eine in § 63a Nr. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vom 7. April 1961 (BGBl I, 379, BStBl I, 96) getroffene Anordnung, das sog. Verwitwetensplitting für das Todesjahr des Ehegatten in bestimmten Fällen nicht anzuwenden, vom Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 9. Juni 1965 VI 263/64 U (BFHE 83, 387, BStBl III 1965, 639) wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage i.S. des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes für unwirksam erklärt worden war. Es sollte mit der Neufassung nunmehr der Rechtszustand wieder hergestellt werden, der bis zur Entscheidung des BFH zu § 63a Nr. 1 EStDV 1961 gegolten hatte. Im übrigen werde --so die Gesetzesmaterialien-- darauf abgestellt, daß die verwitwete Person und ihr verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes unbeschränkt steuerpflichtig gewesen seien und nicht dauernd getrennt gelebt hätten (BTDrucks V/3430, S. 13).
Da die Vorentscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
Ende der Entscheidung
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