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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 17.06.2005
Aktenzeichen: VI R 69/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 56 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Gegen die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Urteil des Finanzgerichts (FG) hatte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beim Bundesfinanzhof (BFH) erfolgreich Beschwerde eingelegt. Der Beschluss über die Zulassung der Revision wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. November 2004 zugestellt. Er war mit einem Hinweis versehen, dass das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt werde, ohne dass der Kläger noch gesondert Revision einlegen müsse; innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses sei jedoch beim BFH eine Begründung der Revision einzureichen. Mit einem am 17. Dezember 2004 zugestellten Schreiben wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass die Frist für die Begründung der Revision am 10. Dezember 2004 abgelaufen sei, und dass eine Begründung bislang nicht vorliege. Daraufhin übermittelte der Prozessbevollmächtigte per Telefax zunächst am 18. Dezember 2004 die auf den 8. Dezember 2004 datierte Revisionsbegründungsschrift des Klägers und sodann am 20. Dezember 2004 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zu dessen Begründung trägt er für den Kläger vor:

Im Büro des Prozessbevollmächtigten sei die Überwachung der Rechtsmittelfristen dergestalt organisiert, dass der zuständige Rechtsanwalt nach Eingang eines Schriftstücks vor Ausstellung des Empfangsbekenntnisses auf der Urteilsausfertigung die Frist vermerke und den Vorgang sodann an die zuständige Mitarbeiterin weiterleite. Diese notiere die Frist nochmals, und zwar sowohl auf dem Handaktenbogen als auch in einem über den PC geführten Fristenkalender, wo der Vorgang mit einem auffälligen Hinweis auf den Fristablauf versehen werde. Am Morgen des entsprechenden Tages werde die Akte sodann dem die Sache bearbeitenden Rechtsanwalt mit dem Vermerk "Fristablauf" gesondert vorgelegt. Nach Bearbeitung der Angelegenheit werde die Erledigung überprüft; werde dabei festgestellt, dass die Sache noch nicht erledigt ist, erfolge eine erneute Wiedervorlage mit einem entsprechenden Hinweis.

Der Prozessbevollmächtigte habe die mit der Eintragung und Kontrolle der Fristen betraute Rechtsanwalts- und Notargehilfin X nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision angewiesen, die Begründungsfrist im Fristenkalender zu notieren und ihm die Akte zum 8. Dezember 2004 wieder vorzulegen. Nach erfolgter Vorlage der Akte habe Frau X am 8. Dezember 2004 die Revisionsbegründung geschrieben und dem Prozessbevollmächtigten übergeben. Der Prozessbevollmächtigte habe die Angelegenheit noch am selben Abend mit dem Kläger besprochen und Frau X anschließend im Büro eine Nachricht hinterlassen, dass noch eine bestimmte Änderung vorzunehmen und die Revisionsbegründungsschrift sodann per Telefax an den BFH abzusenden sei. Am darauffolgenden Tag (dem 9. Dezember 2004) habe Frau X allerdings lediglich die Durchschrift des Schriftsatzes an den Kläger weitergeleitet, die Sache im PC als erledigt gekennzeichnet und die Akte sodann weiterverfristet. Aus welchen Gründen dabei nicht zugleich auch die Revisionsbegründung an den BFH abgesandt worden sei, könne nicht nachvollzogen werden. Es handele sich dabei um ein einmaliges und offenkundiges Versehen der geschulten und zuverlässigen Mitarbeiterin X. Regelmäßige Kontrollen des Prozessbevollmächtigten hätten ergeben, dass Frau X Fristabläufe und Streitsachen seit über acht Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe.

Zur Glaubhaftmachung des Sachvortrags überreicht der Kläger einen PC-Ausdruck der in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten notierten Wiedervorlagen für den Zeitraum vom 8. Dezember bis zum 10. Dezember 2004 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau X. Darin erklärt Frau X, sie habe die am Vortag gefertigte Revisionsbegründung am 9. Dezember 2004 auf ihrem Schreibtisch vorgefunden. Der Schriftsatz sei "mit dem Hinweis der Berichtigung und weiteren Erledigung" versehen gewesen. Er sei sodann zur Kenntnisnahme an den Kläger herausgegangen. Das bereits unterschriebene Original habe sich noch auf der Akte befunden und sei offensichtlich später bei Erfassung der Postausgänge in der Akte abgelegt worden. Dabei sei die Akte versehentlich weiterverfristet und sodann --mit anderen Akten zusammen-- von Frau X als "erledigt" im PC eingetragen und abgelegt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, ihm wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr (1993) dergestalt abzuändern, dass die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit um 50 000 DM niedriger angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Das FA ist der Auffassung, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die Fristenkontrolle in seiner Kanzlei nicht ordnungsgemäß durchgeführt. So hätte er nach der Rechtsprechung des BFH die Revisionsbegründungsfristen gesondert überwachen und zudem eine wirksame Postausgangskontrolle einrichten müssen. Diese schuldhaften Mängel in der Büroorganisation müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Wiedereinsetzung sei folglich nicht zu gewähren.

Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.

II. Die Revision des Klägers ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der Kläger hat die am 10. Dezember 2004 abgelaufene Frist zur Begründung seiner Revision (§ 116 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) versäumt. Die Revisionsbegründung ist beim BFH erst am 18. Dezember 2004 und damit verspätet eingegangen.

2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen Versäumung dieser Frist liegen nicht vor. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 56 Abs. 1, § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--), auszuschließen. Der Prozessbevollmächtigte wäre verpflichtet gewesen, durch geeignete organisatorische Maßnahmen in seiner Kanzlei die Einhaltung der seinen Mandanten gesetzten Fristen sicherzustellen. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt daher vor, wenn die Fristversäumung --wie im Streitfall-- ursächlich auf eine mit Mängeln behaftete Büroorganisation zurückzuführen ist (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266).

a) Der Kläger hat zwar im Einzelnen die Vorkehrungen geschildert, die in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten zur Eintragung der Notfristen in den Fristenkalender und zur rechtzeitigen Wiedervorlage der fristgebundenen Vorgänge an den jeweils sachbearbeitenden Rechtsanwalt ergriffen worden sind. Dem Wiedereinsetzungsschreiben und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ist indessen nicht zu entnehmen, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten auch eine hinreichende Erledigungs- und Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze gewährleistet gewesen wäre.

aa) Nach dem Vorbringen des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten beruht die Fristversäumung im Streitfall auf einem schlichten Büroversehen der sonst zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin X. Ein Büroversehen begründet jedoch nur dann kein Vertreterverschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war. Hat der Prozessbevollmächtigte hingegen nicht alle Vorkehrungen getroffen, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, so hat er das Büroversehen selbst zu vertreten (BFH-Beschluss vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung reicht hierfür die (unerlässliche) Führung eines Fristenkontrollbuchs (dazu BFH-Beschluss vom 13. November 1998 X R 31/97, BFH/NV 1999, 941) allein nicht aus. Zur Organisationspflicht gehört es vielmehr auch, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Zu der hiernach geforderten Endkontrolle gehört die Anweisung, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest "postfertig", d.h. postausgangsbereit vorliegt (BFH-Urteil in BFHE 155, 275, 277 f., BStBl II 1989, 266, 268; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 941, und vom 9. Februar 2004 VIII R 56/03, nicht veröffentlicht, juris Nr. STRE 200450290). Soll der fristwahrende Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Endkontrolle fristwahrender Maßnahmen, dass die jeweilige Frist erst gelöscht wird, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (BFH-Beschlüsse vom 22. April 2004 VII B 369/03, BFH/NV 2004, 1285; vom 5. August 1997 VII B 74/97, BFH/NV 1998, 192; vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818, 821).

bb) Der Vortrag des Klägers enthält keine Ausführungen über die Art und den Umfang der Endkontrolle und über die Anweisungen für die Austragung der Fristen in den Fällen der Telefaxübermittlung wie auch bei Aufgabe fristwahrender Schriftstücke zur Post mit einfachem Brief. Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, welchen Kanzleiangehörigen (den Berufsträgern selbst oder deren Büropersonal) die Aufgabe zugewiesen ist, die tatsächliche Erledigung fristgebundener Angelegenheiten zu überprüfen und eine Löschung eingetragener Fristen zu veranlassen. Eines solchen Tatsachenvortrages hätte es indessen bedurft, denn die Darstellung einer wirksamen Erledigungs- und Ausgangskontrolle gehört zur Schilderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, der zur Beurteilung eines möglichen Organisationsverschuldens des Prozessbevollmächtigten unverzichtbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 1285, und juris Nr. STRE 200450290). Bei einer effektiven Endkontrolle hätte aufgrund der nicht fristgerechten Aufgabe des Schriftstückes zur Post und aufgrund des fehlenden Sendeberichts die unterbliebene Absendung nicht unentdeckt bleiben und die Übermittlung des Schriftstückes noch vor Ablauf der Frist am Folgetag (dem 10. Dezember 2004) nachgeholt werden können. Bei dieser Sachlage ist der Vortrag, eine sonst zuverlässige Büroangestellte habe den fristwahrenden Schriftsatz versehentlich weder per Telefax vorab versandt noch danach auf dem gewöhnlichen Postweg verschickt, sondern bloß zur Handakte abgelegt, nicht ausreichend, um ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH erfordert der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40; vom 26. Februar 1998 III R 66/97, BFH/NV 1998, 1231; in BFH/NV 2004, 1285).

b) Eine der Kanzleiangestellten X für den 9. Dezember 2004 erteilte konkrete Einzelanweisung zur sofortigen Absendung des Schriftsatzes (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 62/03, BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564, m.w.N.) lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte hat den der Angestellten gegebenen Auftrag lediglich als "Nachricht" bezeichnet. Auch Frau X selbst hat ihn --ohne dazu weitere Einzelheiten zu nennen-- bloß als "Hinweis" angesehen. Eine derart unbestimmte Übertragung einer Fristsache ist nicht geeignet, vorhandene Mängel in der Büroorganisation auszugleichen und deren Ursächlichkeit für die Fristversäumung in Frage zu stellen. Dafür hätte es nämlich einer klaren und präzisen Einzelweisung bedurft (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22. Juni 2004 VI ZB 10/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW--, Rechtsprechungsreport Zivilrecht --NJW-RR-- 2004, 1361; vom 31. Mai 2000 V ZB 57/99, NJW-RR 2001, 209; jeweils zu § 233 ZPO).

Außerdem hätte eine konkrete Anweisung des Prozessbevollmächtigten im Einzelfall nur dann allgemeine organisatorische Regelungen obsolet gemacht, wenn solche Regelungen durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung für die Einhaltung der Frist verloren hätten. Das aber ist nicht der Fall, wenn die Weisung nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung aber --wie im Streitfall-- darauf beruht, dass es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf (BGH-Beschluss vom 23. Oktober 2003 V ZB 28/03, NJW 2004, 367).

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