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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.10.1999
Aktenzeichen: VI R 7/99
Rechtsgebiete: FGO, GKG


Vorschriften:

FGO § 6
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 90a Abs. 2 Nr. 1
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 143 Abs. 2
FGO § 79a Abs. 2 Satz 2
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
GKG § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Prozeßbevollmächtigte (P) der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob in deren Namen gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Klage, mit der ein Kinderfreibetrag in Höhe von 4 400 DM und bei beiden Klägern Arbeitnehmerfreibeträge geltend gemacht wurden. Auf Aufforderung reichte P eine undatierte, von den Klägern unterschriebene, auf ihn ausgestellte Vollmacht nach, die zur Vertretung u.a. in "unseren Steuer ... angelegenheiten ... vor allen Gerichten" bevollmächtigte. Diese Vollmacht war an ein Begleitschreiben angeheftet, aus dem das Aktenzeichen, die Kläger, der Beklagte und der Betreff Einkommensteuer 1995 ersichtlich sind.

Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), dem der Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden war, teilte P und den Klägern persönlich mit, daß er Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung habe, da Kläger anderer Verfahren, für die P vergleichbare Vollmachten vorgelegt habe, in vielen Verfahren mitgeteilt hätten, daß Klagen ohne ihr Wissen und z.T. gegen ihren erklärten Willen erhoben worden seien. In einem zusätzlichen Aufklärungsschreiben an die Kläger wurden diese aufgefordert, zur Frage der Bevollmächtigung Stellung zu nehmen mit dem Hinweis, daß das Gericht bei Unterbleiben der Äußerung davon ausgehen werde, daß keine Bevollmächtigung erfolgt sei. Hierauf haben weder P noch die Kläger reagiert.

Der Einzelrichter wies die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Gerichtsbescheid ab und ließ die Revision zu. Das Gericht ging davon aus, daß eine wirksame Bevollmächtigung nicht nachgewiesen worden sei. In Massenverfahren seien massenhaft eingehende Hinweise auf einen Vollmachtsmißbrauch durch den angeblichen Prozeßvertreter von dem Gericht besonders zu beachten. Da es sich bei dem vorliegenden Streitfall offensichtlich nicht um ein einzelnes, auf die Belange und den Willen der Kläger abgestimmtes Verfahren handele, sondern um eine Klage, wie sie P massenhaft auch für andere Steuerpflichtige erhoben habe, sei bedeutsam, daß sich in diesen anderen Verfahren eine beträchtliche Anzahl der Kläger an das Gericht gewandt und erklärt hätten, daß P die entsprechende Formularvollmacht mißbraucht habe. Ausweislich der Aufstellung, die sich in den Gerichtsakten befinde, handele es sich allein im Dezernat des Einzelrichters um über 70 Verfahren innerhalb weniger Monate.

Die diesbezüglichen Zweifel des Gerichts seien nicht ausgeräumt worden, da weder P eine neue wirksame Vollmacht nachgereicht habe noch die Kläger sich geäußert hätten, obwohl sie über ihre Mitwirkungspflicht und die möglichen Rechtsfolgen ihres Schweigens belehrt worden seien.

Die Revision sei zugelassen worden zur Klärung der Rechtsfrage, ob eine zweifelbehaftete Prozeßvollmacht stillschweigend genehmigt werden könne. Angesichts der fehlenden Rückäußerung seitens P und der Kläger halte das Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für geboten.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie von § 76 Abs. 2 und § 62 Abs. 3 FGO.

Die Kläger beantragen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, sowie gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) von der Erhebung der Kosten des Revisionsverfahrens abzusehen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision sei nicht statthaft, da gegen den vorliegenden Gerichtsbescheid gemäß § 79a Abs. 2 Satz 2 FGO ausschließlich der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben sei (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. November 1993 II R 77/93, BFHE 172, 319, BStBl II 1994, 118). Sie werde auch nicht dadurch statthaft, daß sie der Einzelrichter zugelassen habe (BFH-Beschluß vom 29. Januar 1999 VI R 85/98, BFHE 187, 415, BStBl II 1999, 302). Im übrigen sei der angefochtene Gerichtsbescheid frei von Rechtsfehlern.

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Die Revision ist statthaft. Die angefochtene Entscheidung ist nicht gemäß § 79a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 FGO durch den bestellten Berichterstatter, sondern durch den Einzelrichter ergangen, dem der Rechtsstreit gemäß § 6 FGO übertragen worden war. Gegen die vom Einzelrichter i.S. des § 6 FGO in dieser Eigenschaft erlassenen Gerichtsbescheide sind die allgemein für Gerichtsbescheide des Senats vorgesehenen Rechtsbehelfe gegeben (BFH-Urteil vom 8. März 1994 IX R 58/93, BFHE 174, 107, BStBl II 1994, 571), also im Falle ihrer Zulassung die Revision (§ 90a Abs. 2 Nr. 1 FGO).

2. Die Revision ist zulässig. P hat zwar für das Revisionsverfahren keine besondere Vollmacht vorgelegt. Nach der im Klageverfahren eingereichten Vollmacht ist er jedoch sowohl zur Prozeßführung vor dem FG, als auch zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen die erstinstanzliche Entscheidung bevollmächtigt.

3. Die Revision ist auch begründet. Das FG hat die Klage zu Unrecht mangels Vorlage einer wirksamen Prozeßvollmacht als unzulässig abgewiesen.

Der Senat hat mit Urteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97 (BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445) in einem vergleichbaren Fall entschieden, daß die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde den Anforderungen des § 62 Abs. 3 FGO genügt. An dieser Rechtsauffassung, wegen deren Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen auf das erwähnte Urteil verwiesen wird, hält der Senat auch für den Streitfall fest. Im übrigen kann aus dem Schweigen der Kläger auf die Anfrage des FG nicht auf einen Widerruf der einmal erteilten Vollmacht geschlossen werden. Der --jederzeit mögliche-- Widerruf der Vollmacht muß dem Gericht angezeigt werden (BFH-Beschluß vom 27. April 1971 II 59/65, BFHE 101, 469, BStBl II 1971, 403; BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521). Das ist im Streitfall nicht geschehen.

Die erteilte Vollmacht war auch nicht wegen "berechtigter" Zweifel zurückzuweisen. Zweifel am Weiterbestehen einer Vollmacht, die das FG aus der Tatsache herleitet, daß derselbe Bevollmächtigte in vergleichbaren Verfahren anderer Kläger erteilte Vollmachten mißbräuchlich verwendet haben soll, erhärten sich nicht, wenn die Partei auf ein diesbezügliches Anschreiben des Gerichts nicht reagiert. Denn es kann einer Partei, gerade wenn sie eine umfassende Vollmacht erteilt hat, sehr wohl obliegen, auf das Einhalten interner Beschränkungen zu achten bzw. etwaige Mißverständnisse auszuräumen. Wenn sich --wie im Streitfall-- etwaige Zweifel an einer Bevollmächtigung nicht erhärten, ist eine den Beweisanforderungen des § 62 Abs. 3 FGO genügende Vollmacht zu beachten, ohne daß es einer unterstellten Genehmigung bedarf (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. September 1998 VI R 37/98, BFH/NV 1999, 485).

4. Da das FG die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung fehlerhaft beurteilt hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren kann nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und der Verstoß offen zutage tritt. Die abweichende Beurteilung einer Verfahrensfrage genügt regelmäßig nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 3. August 1998 V E 2/98, BFH/NV 1999, 72). Im Streitfall liegt ein schwerwiegender, offen zutage tretender Verfahrensverstoß nicht vor. Das FG ist davon ausgegangen, daß der Streitfall mit dem vom erkennenden Senat in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445 entschiedenen Fall nicht vergleichbar sei. Diese Rechtsansicht ist zwar, wie dargelegt, unzutreffend, jedoch nicht so offenkundig fehlerhaft, daß die Anwendung des § 8 GKG gerechtfertigt wäre. Dabei kann offenbleiben, ob etwas anderes gilt, wenn Entscheidungen des Spruchkörpers des FG zu einer Rechtsfrage, die nach seiner Auffassung grundsätzliche Bedeutung hat, bereits mit der Revision angefochten sind und dieser Spruchkörper zur nämlichen Rechtsfrage zahlreiche weitere Entscheidungen trifft, obwohl er damit rechnen kann, daß eine alsbaldige Klärung erfolgen wird.

Ende der Entscheidung

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