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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.10.2004
Aktenzeichen: VII B 1/04
Rechtsgebiete: BRAGO, FGO, EStG


Vorschriften:

BRAGO § 12 Abs. 1
BRAGO § 12 Abs. 1 Satz 1
BRAGO § 12 Abs. 2
BRAGO § 12 Abs. 2 Satz 1
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
EStG § 77
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Höhe von Rechtsanwaltsgebühren, welche die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Beklagte) für die Wahrnehmung ihrer Interessen im Einspruchsverfahren fordert.

In diesem Verfahren hat sich die Klägerin erfolgreich gegen die Aberkennung des Kindergeldes für ihre Kinder gewehrt. Daraufhin legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. Mai 2002 der Beklagten für das Betreiben des Einspruchsverfahrens eine Kostenrechung vor, in der sie u.a. 9/10 einer Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) geltend machten. Im Gegensatz dazu berücksichtigte die Beklagte eine Mittelgebühr von 7,5/10 der vollen Gebühr.

Die insoweit gegen den Kostenerstattungsbescheid erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen aus, zu Recht sei die Beklagte von einer Mittelgebühr von 7,5/10 ausgegangen. Bei Rahmengebühren --wie der Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO-- bestimme der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Für die Bestimmung der angemessenen Gebühr sei die sog. Mittelgebühr --im Streitfall 7,5/10-- ein fester Anhaltspunkt, welche der angemessene Betrag sei, wenn es sich um einen Durchschnittsfall handele. Unter Berücksichtigung aller in § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO aufgeführten Kriterien stelle sich der Streitfall --entgegen der Auffassung der Klägerin-- lediglich als Durchschnittsfall dar, der ein Überschreiten der Mittelgebühr nicht rechtfertige. Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin getroffene Bestimmung der Gebühr in Höhe von 9/10 sei daher unbillig und nicht verbindlich, weil die Gebühr von einem Dritten, der Beklagten, zu erstatten sei (§ 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO). Die Bestimmung einer erhöhten Gebühr sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Toleranzgrenze zu rechtfertigen. Zwar sei anerkannt, dass die Bestimmung einer Gebühr durch den Rechtsanwalt noch als billig erscheine, wenn sie lediglich im Rahmen von 20 % von der Vorstellung des anderen Teils abweiche. Dies könne gleichwohl nicht bedeuten, dass in jedem Durchschnittsfall eine bis zu 20 %-ige Überschreitung der Mittelgebühr im Rahmen der Billigkeit bleibe. Vielmehr sei der Gedanke der Toleranzgrenze nur für die Fälle hilfreich, in denen mit der Mittelgebühr-Methode kein fester Betrag ermittelt werden könne.

Schließlich habe das Gericht in der Sache entscheiden dürfen, ohne vorher ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen. § 12 Abs. 2 BRAGO, wonach in einem Rechtsstreit über die Höhe einer Rahmengebühr das Gericht ein entsprechendes Gutachten einzuholen habe, sei zwingend anwendbar, wenn es sich um einen Gebührenstreit zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber handele. Hier gehe es allerdings um einen Rechtsstreit zwischen dem Gebührenschuldner und dem Erstattungsverpflichteten, so dass die Einholung eines Gutachtens entbehrlich gewesen sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit welcher sie die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt und einen Verfahrensfehler rügt.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision zum Teil nicht hinreichend dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verlangt, und zum Teil nicht vorliegen.

1. a) Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfasst zunächst die Fälle der sog. Divergenzrevision und erfordert darüber hinaus auch dann eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH), wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann. Hierzu ist der schlüssige Vortrag erforderlich, dass die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig ist, künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die betreffende Rechtsfrage zu verhindern (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 XI B 136/01, BFH/NV 2002, 1479, m.w.N.). Auch zur Darlegung dieser Voraussetzungen ist es aber mindestens erforderlich, dass das Urteil, von dem die Vorinstanz abgewichen ist, und der Rechtssatz, den sie falsch angewandt oder ausgelegt hat, bezeichnet werden (BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837).

Hieran fehlt es im Streitfall. Die Beschwerde rügt, das FG-Urteil weiche von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ab, indem es bei der Frage der Ausfüllung einer Rahmengebühr i.S. des § 12 Abs. 1 BRAGO (der im Streitfall noch Anwendung findet; § 61 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, BGBl I 2004, 788) die dort allgemein anerkannte Toleranzgrenze außer Acht gelassen habe. Das FG widerspreche mit seiner Auffassung, dass die Toleranzgrenze nicht ausgehend von der Mittelgebühr gelte, der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht, dass innerhalb gewisser Toleranzgrenzen die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr keiner Korrektur unterliege. Mit der hierzu vorliegenden zivilgerichtlichen Rechtsprechung habe sich das FG überhaupt nicht auseinander gesetzt.

Eine Divergenz wird hiermit allerdings nicht schlüssig dargelegt. Der Beschwerde mangelt es bereits an einer genauen Bezeichnung zivilgerichtlicher Entscheidungen, von denen das vorinstanzliche Urteil abweichen soll. Die Beschwerde formuliert zwar einen abstrakten Rechtssatz, von dem sie behauptet, dass das FG-Urteil abweiche. Jedoch werden die gerichtlichen Entscheidungen nicht aufgeführt, die den aufgestellten Rechtssatz belegen sollen. Lediglich der pauschale Verweis auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung ist nicht dazu geeignet, ein Abweichen erkennbar zu machen, und reicht daher nicht aus, eine Divergenzrüge schlüssig zu begründen.

Abgesehen von der insoweit unzureichenden Begründung weist der Senat im Übrigen darauf hin, dass das FG-Urteil im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und einiger Oberlandesgerichte (OLG) steht, wenn es bei der Annahme eines "Durchschnittsfalls" dem Rechtsanwalt verwehrt, ausgehend von der Mittelgebühr eine in dem Toleranzrahmen sich bewegende erhöhte Gebühr zu fordern. Denn nach dem Beschluss des BVerwG vom 18. September 2001 1 WB 28/01 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungsreport 2002, 73) und den Beschlüssen des OLG Düsseldorf vom 6. November 2001 4 WF 138/01 (Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2002, 666) sowie des OLG Celle vom 31. August 2001 15 WF 170/01 (Anwaltsgebühren Spezial 2001, 268) bleibt für die Berücksichtigung einer vom Mittelwert der gesetzlichen Rahmengebühr hinausgehenden Toleranzgrenze nur dann Raum, wenn besondere Umstände im Einzelfall vorliegen und der Rechtsanwalt seine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung dieser Umstände in Verbindung mit den vier Bemessungskriterien des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO getroffen hat. Handelt es sich dagegen um einen "Durchschnittsfall", so ist nach dieser Rechtsprechung auch die Toleranzgrenze nicht per se anzuwenden. Diesen Rechtssätzen entspricht das finanzgerichtliche Urteil.

b) Wenn sich die Beschwerde gegen die Ansicht des FG wendet, dass es sich bei dem Streitfall um einen Durchschnittsfall handele, der lediglich eine Mittelgebühr in Höhe von 7,5/10 einer vollen Geschäftsgebühr rechtfertige, und demgegenüber die Ansicht vertritt, dass das FG nicht in der Lage gewesen sei, anstelle des Rechtsanwalts der Klägerin unter Abwägung aller Umstände eine billige Gebühr festzulegen, so macht sie in Wahrheit eine ihrer Ansicht nach unzutreffende Tatsachenwürdigung durch das FG geltend, womit jedoch ein Grund für die Zulassung der Revision nicht dargelegt werden kann. Denn damit wendet sich die Beschwerde im Grunde gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit des Urteils. Mit einer solchen Rüge kann jedoch eine Zulassung der Revision nicht erreicht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202, und vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476, jeweils m.w.N.).

c) Soweit die Beschwerde sinngemäß dahin zu verstehen ist, dass aufgrund der Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision erfordere, fehlt es an der entsprechenden Darlegung gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte zwar durch die Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Möglichkeit der Revisionszulassung im Fall einer rechtswidrigen Entscheidung des FG erweitert werden. Sie soll sich auch auf solche Fälle erstrecken, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht, weil z.B. die Auslegung revisiblen Rechts durch die Vorinstanz fehlerhaft ist und der unterlaufene Fehler von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen (vgl. z.B. BTDrucks 14/4061, 9; BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 45). Dies erfordert jedoch die schlüssige Darlegung dieser Voraussetzungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hieran fehlt es.

Mit der Beschwerde wird im Wesentlichen im Stile einer Revisionsbegründung vorgebracht, dass die erstinstanzliche Entscheidung aus den im Einzelnen genannten Gründen rechtswidrig sei. Damit wird aber kein Fehler von erheblichem Gewicht dargelegt, welcher das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte. Unabhängig von der Frage, ob der beschließende Senat die Entscheidung des FG, dass es sich bei dem Streitfall um einen Durchschnittsfall handele, als richtig erachtet, ist die Rechtsauffassung des FG jedenfalls rechtlich vertretbar, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Revision nicht zuzulassen ist.

2. Schließlich ist dem FG ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht dadurch unterlaufen, dass es kein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer eingeholt hat.

Zwar leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel, wenn das Gericht ohne ersichtlichen Grund ein solches Gutachten nicht einholt (vgl. Urteil des OLG Frankfurt vom 20. April 1998 12 U 50/97, MDR 1998, 800). Die Pflicht zur Einholung eines Gutachtens gilt nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO allerdings nur dann, wenn es zu einem Rechtsstreit über Rahmengebühren eines Rechtsanwalts kommt. Hiermit ist nicht jeder Rechtsstreit gemeint, in dem es um die Gebühren des Rechtsanwalts geht, sondern ausschließlich der Rechtsstreit zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber als unmittelbarem Schuldner der Gebühren (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl., § 12 Rz. 20; Schneider, Fehler bei Einholung eines Gebührengutachtens des Kammervorstands, Neue Juristische Wochenschrift 2004, 193). Das FG ist daher zu Recht davon ausgegangen --was die Beschwerde im Übrigen auch einräumt--, dass es nicht gemäß § 12 Abs. 2 BRAGO zur Einholung eines Gutachtens verpflichtet war, weil es sich im Streitfall nicht um einen Honorarprozess, sondern um einen Rechtsstreit zwischen einem Gebührenschuldner --der Klägerin-- und einem Dritten --der nach § 77 des Einkommensteuergesetzes erstattungspflichtigen Familienkasse-- gehandelt hat.

Gleichwohl geht die Beschwerde davon aus, dass das FG zwingend ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer hätte einholen müssen, weil es über die erforderliche Sachkunde nicht selbst verfügt habe, um anstelle des Rechtsanwalts die schwierige Ermessensentscheidung zu treffen. Deshalb sei bei der Entscheidung der Frage, ob ein Gutachten einzuholen gewesen sei, das Ermessen des FG auf Null reduziert gewesen. Dieses Vorbringen reicht jedoch nicht aus, um einen Verfahrensfehler schlüssig darzulegen. Ähnlich wie bei der Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, weil es einen beantragten Sachverständigenbeweis nicht erhoben habe (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1999 VII B 18/99, BFH/NV 2000, 343), ist auch bei der Rüge der mangelnden Einholung eines Gutachtens i.S. des § 12 Abs. 2 BRAGO genau anzugeben, warum sich das FG die für die Beurteilung der betreffenden Fragen erforderliche Sachkunde nicht selbst zutrauen durfte, woraus sich also seine mangelnde Sachkunde ergibt, welche Erkenntnisse des FG mutmaßlich aufgrund der unterbliebenen Einholung gewonnen hätte und inwiefern diese Erkenntnisse --auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- zu einer der Klägerin günstigeren Entscheidung hätten führen können.

Im Streitfall fehlt es bereits an Ausführungen, woraus sich die mangelnde Sachkunde des FG ergeben soll. Die Beschwerde behauptet lediglich, dass es dem FG "offenkundig" an der erforderlichen Sachkunde gefehlt habe. Nähere Erläuterungen, die dieses Vorbringen erhärtet hätten, sind nicht erfolgt. Genauso wenig führt die Beschwerde aus, inwiefern ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer die materiell-rechtliche Auffassung des FG dahin gehend hätte beeinflussen können, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung zu treffen, zumal zu berücksichtigen ist, dass das FG selbst bei Einholung eines solchen Gutachtens nicht an dessen Inhalt gebunden gewesen wäre, es also trotzdem bei seiner Ansicht hätte bleiben können (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O., § 12 Rz. 20).

Ende der Entscheidung

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