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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 17.08.2007
Aktenzeichen: VII B 1/07
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte 1993 vier Sendungen Oberhemden aus Südostasien ein, die sie im Dezember 1993 ihrem Zolllager entnahm und unter Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes "frei" zur Abfertigung zum freien Verkehr anmeldete, wobei sie jeweils in Kambodscha ausgestellte Ursprungszeugnisse der Form A sowie in Hongkong bzw. Schanghai ausgestellte Seefrachtbriefe über Transporte von Hongkong bzw. Schanghai nach Hamburg vorlegte. Nachdem eine Delegation der Europäischen Kommission auf einer Dienstreise nach Kambodscha festgestellt hatte, dass dort Ursprungszeugnisse der Form A zu Unrecht ausgestellt worden waren, wurden diese von den kambodschanischen Behörden widerrufen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) erhob daraufhin mit Steueränderungsbescheid den Zoll für die genannten Einfuhrsendungen nach. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 27. Juni 2001 ab; das Urteil ist rechtskräftig.

Den auf Art. 239 des Zollkodex (ZK) gestützten Erstattungsantrag der Klägerin lehnte das HZA ab. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG urteilte, dass im Streitfall besondere Umstände i.S. des vorliegend noch anzuwendenden Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 175/1), bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten gegeben sei, nicht vorlägen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Nacherhebung der Einfuhrabgaben nicht nur wegen der zu Unrecht erteilten Ursprungszeugnisse, sondern auch wegen des fehlenden Nachweises, dass die Waren unmittelbar aus dem begünstigten Ausfuhrland in die Gemeinschaft befördert wurden (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 693/88 --VO Nr. 693/88-- der Kommission vom 4. März 1988 über die Begriffsbestimmung des Warenursprungs bei der Anwendung der von der EWG für bestimmte Waren aus Entwicklungsländern gewährten Zollpräferenzen, ABlEG Nr. L 77/1), rechtmäßig gewesen sei. Dass die Waren über Hongkong verschifft worden seien, weil sich in Kambodscha kein Hafen befunden habe, der von Linienschiffen hätte angelaufen werden können, sei ebenso wenig ein besonderer Umstand i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 wie der erst im Klageverfahren gegen den Steueränderungsbescheid gegebene Hinweis auf den fehlenden Direktbeförderungsnachweis. Im Übrigen habe die Klägerin sowohl hinsichtlich der fehlenden präferenzbegünstigten Herstellung als auch hinsichtlich des fehlenden Direktbeförderungsnachweises offensichtlich fahrlässig gehandelt.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.

1. Die mit dem Erlass und der Erstattung von Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen gemäß Art. 13 VO Nr. 1430/79 bzw. Art. 239 ZK im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des beschließenden Senats geklärt und somit nicht klärungsbedürftig.

Auf einen besonderen Fall i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 bzw. des Art. 239 ZK i.V.m. Art. 905 Abs. 1 der Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZKDVO), der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, kann geschlossen werden, wenn im Licht des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszwecks dieser Vorschriften Umstände festgestellt werden, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (EuGH-Urteil vom 27. September 2001 Rs. C-253/99, EuGHE 2001, I-6493, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2001, 408).

Ob derartige Umstände vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalles, die in erster Linie aufgrund einer dem Tatsachengericht vorbehaltenen Würdigung der festgestellten Tatsachen zu beantworten ist. Das FG hat insoweit die Auffassung vertreten, dass in der fehlerhaften Erteilung der Ursprungszeugnisse durch die kambodschanischen Behörden zwar ein besonderer Fall gesehen werden könne, dass dies aber nicht angenommen werden könne, soweit die Klägerin den erforderlichen Direktbeförderungsnachweis nicht habe vorlegen können, da die hiermit zusammenhängenden Probleme jeden betroffen hätten, der Waren auf dem Seeweg aus Kambodscha über Hongkong ausgeführt habe. Diese Würdigung verstößt weder gegen Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze; grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich insoweit nicht.

2. Zur Beantwortung der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 bzw. des Art. 239 ZK i.V.m. Art. 905 Abs. 1 ZKDVO vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden (EuGH-Urteil vom 11. November 1999 Rs. C-48/98, EuGHE 1999, I-7877); es sind dabei die im Rahmen von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für die Prüfung, ob der Irrtum der Zollbehörde einem Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, herangezogenen Kriterien entsprechend anzuwenden (EuGH-Urteil vom 13. März 2003 Rs. C-156/00, EuGHE 2003, I-2527, ZfZ 2003, 189). Auch hierbei handelt es sich um eine Einzelfallbeurteilung des Tatsachengerichts auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen.

Von den vorstehend genannten rechtlichen Kriterien ist das FG bei seiner Entscheidung ausgegangen. Wenn demgegenüber die Beschwerde die Voraussetzungen für eine offensichtliche Fahrlässigkeit als nicht gegeben ansieht, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der FG-Entscheidung, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.

3. Insoweit ist auch die von der Beschwerde bezeichnete Frage, ob hinsichtlich des Vorliegens offensichtlicher Fahrlässigkeit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK in seiner gegenwärtigen Fassung heranzuziehen ist, nicht klärungsbedürftig, weil sie sich anhand der Rechtsprechung des EuGH beantworten lässt.

Für die Fälle einer sich als unzutreffend erweisenden Präferenzbescheinigung ist Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK durch die am 19. Dezember 2000 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 (VO Nr. 2700/2000) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 311/17) um die Unterabsätze 2 bis 5 erweitert worden. Nach dem EuGH-Urteil vom 9. März 2006 Rs. C-293/04 (EuGHE 2006, I-2263, ZfZ 2006, 157) ist Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK in dieser Fassung auch auf eine Zollschuld anwendbar, die --wie im Streitfall-- vor dem Inkrafttreten der VO Nr. 2700/2000 entstanden und nacherhoben worden ist. Da nach dem EuGH-Urteil in EuGHE 2003, I-2527, ZfZ 2003, 189 bei der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt, die Kriterien des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK bezüglich der Erkennbarkeit des Irrtums und der Gutgläubigkeit des Wirtschaftsteilnehmers entsprechend anzuwenden sind, gilt dies somit auch für die in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 bis 5 ZK genannten Kriterien.

4. Anders als die Beschwerde meint, kann allerdings nicht angenommen werden, dass das FG bei der Beurteilung der offensichtlichen Fahrlässigkeit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nicht in der Fassung der VO Nr. 2700/2000 angewandt hat, denn das FG hat in seinem Urteil vom 27. Juni 2001, auf welches es im Streitfall Bezug genommen hat, diese Vorschrift auch alternativ in ihrer Fassung gemäß der VO Nr. 2700/2000 geprüft, hat aber die Gutgläubigkeit der Klägerin i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 4 ZK verneint.

5. Jedenfalls hat das FG offensichtliche Fahrlässigkeit auf Seiten der Klägerin ebenso bezüglich des fehlenden Direktbeförderungsnachweises angenommen und hat damit seine Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, weshalb auch insoweit ein Grund für die Zulassung der Revision vorliegen müsste (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 28), was jedoch nicht der Fall ist. Grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich auch insoweit nicht, denn bezüglich des Direktbeförderungsnachweises lässt sich die Frage der offensichtlichen Fahrlässigkeit nur so beantworten, wie es das FG getan hat. Das Erfordernis der direkten Beförderung und die insoweit vorzulegenden Nachweisdokumente ergeben sich aus Art. 6 VO Nr. 693/88 klar und eindeutig. Deshalb kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Frage des Direktbeförderungsnachweises erstmals im finanzgerichtlichen Verfahren gegen den Steueränderungsbescheid aufgeworfen worden sei. In Anbetracht der präferenzrechtlichen Vorschriften musste der Klägerin von Anfang klar sein, dass sie die für die Inanspruchnahme der Präferenz maßgeblichen Voraussetzungen, also auch die Direktbeförderung, jederzeit würde nachweisen müssen, unabhängig davon, worauf die Nacherhebung der Einfuhrabgaben zunächst gestützt worden war. Dass sie sich den Direktbeförderungsnachweis nicht bereits bei der Wareneinfuhr beschafft und vorgelegt hat, ist ein ihr zurechenbares Versäumnis, jedoch kein besonderer, nicht auf offensichtlicher Fahrlässigkeit beruhender Umstand.

6. Die Entscheidung der Kommission vom 1. August 2002 (REM 05/01) hat lediglich Textileinfuhren aus Laos zum Gegenstand und ermächtigt die Zollbehörden der Mitgliedstaaten nicht, Einfuhrabgaben auf Wareneinfuhren aus anderen Ländern zu erstatten. Das FG hat daher diese Entscheidung der Kommission im Streitfall zu Recht nicht herangezogen. Anders als die Beschwerde meint, liegt hierin kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

7. Da der Streitfall keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen aufwirft, ist auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) nicht gegeben.

8. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist nicht schlüssig dargelegt, da --wie ausgeführt-- auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens eine Divergenz zum EuGH-Urteil in EuGHE 2006, I-2263, ZfZ 2006, 157 nicht besteht.

Ende der Entscheidung

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