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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.10.1998
Aktenzeichen: VII B 101/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 122 Abs. 2
AO 1977 § 218 Abs. 2
AO 1977 § 319
FGO § 142 Abs. 1
ZPO § 114
ZPO § 850 ff.
ZPO § 850 c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) hat im Jahre 1996 gegen den Einkommensteuererstattungsanspruch 1993 des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) mit einer Kraftfahrzeugsteuerforderung für 1995 und Umsatzsteuerforderungen aus dem Jahre 1987 aufgerechnet. Ausweislich der Umsatzsteuerakte des FA war die Umsatzsteuer 1987 durch Schätzungsbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung in Höhe von ... DM festgesetzt worden. Der Bescheid ist nach Aktenlage an die zutreffende Wohnanschrift des Antragstellers adressiert und am 24. Februar 1988 zur Post gegeben worden. Mit an den Antragsteller unter der gleichgebliebenen Wohnanschrift adressierten Bescheid vom 11. April 1990 hat das FA den Vorbehalt der Nachprüfung für die Umsatzsteuer 1987 aufgehoben.

In den Jahren ab 1988 hat der Vollziehungsbeamte des FA mehrfach vergeblich versucht, wegen der rückständigen Steuerforderungen bei dem Antragsteller zu vollstrecken, bzw. die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung --u.a. durch Erlaß eines Pfändungs- und Einziehungsbeschlusses gegenüber der Bank, bei der der Antragsteller ein Konto unterhalten hat, im Jahre 1989 und mittels einer Lohnpfändung im Jahre 1995-- beizutreiben. Im Zusammenhang mit der Lohnpfändung erhob der Antragsteller erstmals im Jahre 1995 Einwendungen gegen den Bestand der Umsatzsteuerforderung aus dem Jahre 1987, die er für längst erledigt hielt. Im Anschluß an die im Oktober 1996 erfolgte Aufrechnung sprach der Kläger verschiedentlich beim FA vor und behauptete nunmehr erstmals, er habe den Umsatzsteuerbescheid für 1987 nicht erhalten. Das FA erteilte daraufhin einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), der nach erfolglosem Einspruch mit der Klage angefochten worden ist. Die zur Durchführung des Klageverfahrens beantragte Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das Finanzgericht (FG) mit Beschluß vom 24. Februar 1998 abgelehnt, weil der Rechtsstreit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Es verwies auf die Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung, wonach die Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht durch § 319 AO 1977 ausgeschlossen sei und das FA aus dem Verhalten des Steuerpflichtigen hätte schließen können, daß diesem der Bescheid --trotz seines Bestreitens-- zugegangen sein müsse. Aus der Tatsache, daß das FA dem Antragsteller Einkommensteuererstattungen für die Jahre 1990 bis 1992 ausbezahlt habe, könne nicht gefolgert werden, der Umsatzsteueranspruch 1987 bestehe nicht bzw. nicht mehr. Da auch Zahlungsverjährung nicht eingetreten sei, sei die Aufrechnung zulässig.

Mit der Beschwerde gegen die Versagung der PKH bestreitet der Antragsteller erneut den Zugang des Umsatzsteuerbescheides 1987. Die Ausführungen des FG zur Bekanntgabe des Bescheides überzeugten nicht. Angesichts seines guten Gewissens, keine Steuerschulden zu haben, hätte er trotz inzwischen eingeleiteter Vollstreckungsmaßnahmen keine Veranlassung gesehen, den Nichtzugang des Verwaltungsakts geltend zu machen.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die Rechtsverfolgung verspricht nicht die von § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) geforderte hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Zutreffend vertreten FA und FG den Rechtsstandpunkt, daß der Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers wegen überzahlter Einkommensteuer (Lohnsteuer) nicht Bestandteil des Arbeitseinkommens im Sinne der Pfändungsschutzbestimmungen des § 319 AO 1977 i.V.m. §§ 850 ff. ZPO ist und somit weder ein Pfändungsverbot nach § 850c ZPO noch ein Aufrechnungsverbot besteht (Senatsbeschluß vom 26. September 1995 VII B 117/95, BFH/NV 1996, 281, m.w.N.). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist der aus dem --trotz wiederholter Vollstreckungsmaßnahmen-- widerspruchslosen Verhalten des Antragstellers in der Zeit nach Ergehen des Umsatzsteuerbescheides 1987 bis zum Jahre 1995 gezogene Schluß, daß der Umsatzsteuerbescheid 1987 dem Antragsteller zugegangen sein müsse und damit wirksam bekanntgegeben worden ist (§ 122 Abs. 2 AO 1977). Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang eines nach den Akten des FA ordnungsgemäß adressierten und zur Post gegebenen Bescheides überhaupt, so gilt die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 AO 1977 nicht. Bestehen danach Zweifel am Zugang eines Schriftstücks, muß das FA den Zugang nachweisen. Hierfür gelten die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises (vgl. Senatsurteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534, und Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 1994 X R 27/92, BFH/NV 1994, 768, 769). Die im summarischen Verfahren vom FG übernommene Beweiswürdigung des FA hält auch der im Beschwerdeverfahren ebenfalls summarisch vorzunehmenden Überprüfung stand. Das FG konnte aus der nach Aktenlage erfolgten Absendung des Umsatzsteuerbescheides an die zutreffende Anschrift des Antragstellers und seinem das Bestehen der Forderung nicht anzweifelnden Verhalten während all der Jahre, in denen gegen ihn jeweils unter Angabe der Umsatzsteuerforderung für 1987 Vollstreckungsmaßnahmen in die Wege geleitet worden sind, den mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffenden Schluß ziehen, daß dem Antragsteller der Inhalt des Umsatzsteuerbescheides 1987 bekannt gewesen ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 3. März 1993 II R 11/90, BFH/NV 1994, 141). So war die Umsatzsteuerforderung für 1987, wie sich aus der vom Antragsteller unterschriebenen Niederschrift ergibt, Gegenstand eines Vollstreckungsversuches des Vollziehungsbeamten am 15. Januar 1988 sowie der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Bank in X vom 22. Juni 1989, von der der Antragsteller eine Abschrift erhalten hat, ohne daß er Einwendungen gegen deren Höhe erhoben oder den Zugang eines entsprechenden Umsatzsteuerbescheides bestritten hätte. Auch auf die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Jahre 1990 hat der Antragsteller nicht reagiert. Dazu hätte für ihn jedoch um so mehr Anlaß bestanden, als die wiederholten Vollstreckungsversuche des FA seine wirtschaftliche Existenz massiv gefährdet haben; denn er hatte seine Gaststätte im Jahre 1987 aufgegeben und war danach geraume Zeit arbeitslos. Die tatsächliche Würdigung, daß ein Steuerpflichtiger, den der Vollziehungsbeamte zur Vollstreckung einer bestimmten Steuerforderung aufsucht, den Einwand, die zu vollstreckende Forderung sei ihm gegenüber nicht festgesetzt oder bereits beglichen worden, sofort und nicht erst nach Jahren erhebt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. In die Würdigung der erstmals im Jahre 1996 vorgetragenen Behauptung, der im Jahre 1988 ergangene Umsatzsteuerbescheid 1987 sei ihm nicht zugegangen, ist auch einzubeziehen, daß sich der Antragsteller bei seinen verschiedenen --inhaltlich durch Aktenvermerke festgehaltenen-- Vorsprachen im FA Ende des Jahres 1996/Anfang 1997 nur mehr ungenau an die die Umsatzsteuer 1986 und 1987 betreffenden Vorgänge erinnern konnte und zur Besorgung der Steuerangelegenheiten für diese Jahre sehr unterschiedliche Angaben gemacht hat und daß das Schreiben des ehemaligen Steuerberaters vom 23. Februar 1987, aus dem der Antragsteller herleitet, er schulde dem FA keine Umsatzsteuer für die Jahre 1986 und 1987 mehr, sich lediglich auf die Umsatzsteuerforderungen für die Zeit 6/86 bis 12/86 bezieht. Die Auszahlung der Einkommensteuererstattungsbeträge für 1990 bis 1992 schließt die Aufrechnung mit dem noch nicht der Zahlungsverjährung unterlegenen Umsatzsteueranspruch 1987 gegen den Erstattungsanspruch 1995 nicht aus.

Da mithin die aufgrund der vorliegenden Indizien getroffene rechtliche Würdigung, daß dem Antragsteller der Umsatzsteuerbescheid für 1987 im Jahre 1988 zugegangen und damit ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist (§ 122 Abs. 2 AO 1977), rechtlich nicht zu beanstanden ist, und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine formelle oder materielle Rechtswidrigkeit des Abrechnungsbescheides ersichtlich sind, konnte der PKH-Beschwerde des Antragstellers mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht stattgegeben werden.

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