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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.12.2001
Aktenzeichen: VII B 110/01
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 258
AO 1977 § 256
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Mit Schreiben vom ... 1998 ersuchte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) das zuständige Amtsgericht um Anordnung der Haft gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, nachdem der Kläger zum festgesetzten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Angabe von Gründen nicht erschienen und die entsprechende Aufforderung des FA in Bestandskraft erwachsen war. Der sodann erlassene Haftbefehl vom ... wurde dem Gerichtsvollzieher zum Vollzug übersandt. Die hiergegen vom Kläger eingelegten Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg. Der Senat hat eine diesbezügliche Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom heutigen Tage VII B 109/01 als unbegründet zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Mit Schreiben vom ... 1998 teilte der Kläger dem FA mit, er habe wegen einer Krankheit und sehr schleppend gehender Geschäfte seinen Zahlungsverpflichtungen aus einer früher mit dem FA getroffenen Vollstreckungsvereinbarung nicht nachkommen können und bat unter Vorschlag eines neuen Zahlungsplans um Vollstreckungsaufschub. Dies lehnte das FA, wie auch einen erneuten Antrag des Klägers auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, unter Hinweis auf das bisherige Verhalten des Klägers und den dem Gerichtsvollzieher zum Vollzug übergebenen Haftbefehl ab. Die vom Kläger hiergegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Ebenso blieb auch die Klage des Klägers vor dem Finanzgericht (FG), mit der er die Aufhebung der Einspruchsentscheidung und der den Vollstreckungsaufschub ablehnenden Verfügungen sowie die Verurteilung des FA, dem Antrag auf Vollstreckungsaufschub stattzugeben, begehrte, erfolglos.

Das FG urteilte, Ermessensfehler des FA bei der Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs (§ 258 der Abgabenordnung --AO 1977--) seien nicht ersichtlich. Bei der gegebenen Sachlage (bestandskräftige Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und rechtmäßige Anordnung der Erzwingungshaft) lägen Anhaltspunkte für eine Unbilligkeit i.S. des § 258 AO 1977 nicht vor. Der Kläger habe nicht darlegen können, dass das Ermessen des FA auf Null reduziert, einzige richtige Entscheidung also die Gewährung des Vollstreckungsaufschubs gewesen sei. Mit seinen materiell-rechtlichen Einwänden gegen die Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts (angeblich nicht gegebene Schätzungsbefugnis des FA und unzutreffend geschätzte Besteuerungsgrundlagen) könne er gemäß § 256 AO 1977 im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nicht gehört werden.

Seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt der Kläger auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger ist der Auffassung, § 256 AO 1977, der die Prüfung materieller Einwendungen im Vollstreckungsverfahren ausschließe, sei mit Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbaren. Als Ausfluss des Grundsatzes der Chancengleichheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sei das Gebot der Sachlichkeit zu beachten. Es erfordere, dass in jedem Verfahrensstadium zumindest eine Einwendung zu prüfen und in die Ermessensabwägung miteinzubeziehen sei. Wörtlich heißt es dann: "Die Rechtsnorm, daß materielle Einwendungen nur außerhalb der Zwangsvollstreckung mit den dort vorgesehenen Rechtsbehelfen zu verfolgen sind, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß zumindest solche Einwendungen in die Ermessensabwägung miteinzubeziehen sind und nicht von vornherein ungeprüft bleiben dürfen. Insoweit ist dann von einem Ermessensfehlgebrauch auszugehen. Die Rechtsfrage ist daher von grundsätzlicher Bedeutung, da die Norm gegen das Verfassungsrecht verstößt und eine Klärung im Interesse der Allgemeinheit angezeigt ist."

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt.

Zunächst ist zu beanstanden, dass der Kläger bereits die Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll, nicht klar und unmissverständlich formuliert hat. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger wohl folgende Rechtsfrage aufwerfen wollte: Muss § 256 AO 1977 verfassungskonform dahin gehend ausgelegt werden, dass materielle Einwendungen aus dem zugrunde liegenden zu vollstreckenden Verwaltungsakt im Vollstreckungsverfahren zumindest im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen sind?

Da § 256 AO 1977 nach seinem klaren Wortlaut jedwede (materielle) Einwendung gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt im Vollstreckungsverfahren ausschließt, unabhängig davon, ob es sich bei der im Vollstreckungsverfahren zu prüfenden Frage um eine Ermessensfrage handelt oder nicht, müsste die Vorschrift bei diesem bislang unbestrittenen Verständnis verfassungswidrig sein, sollte die vom Kläger vertretene verfassungskonforme Auslegung in Erwägung zu ziehen sein. Davon geht auch der Kläger aus, indem er die Verfassungswidrigkeit des § 256 AO 1977 behauptet.

In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist anerkannt, dass die behauptete Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht von der Einhaltung der Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung entbindet, sofern diese nicht offenkundig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. August 1992 VII B 227/91, BFH/NV 1993, 312; vom 26. Januar 1993 VII B 188/92, BFH/NV 1993, 673). Mit der bloßen Rechtsbehauptung, eine vom FG angewendete Vorschrift sei verfassungswidrig, wird eine grundsätzliche Bedeutung indes nicht dargelegt. Der Beschwerdeführer muss vielmehr erläutern, gegen welche Verfassungsnorm die Vorschrift nach seiner Ansicht verstößt, und dies näher begründen (BFH-Beschluss vom 11. Februar 1992 VII B 253/91, BFH/NV 1992, 753).

Im Streitfall hat der Kläger zwar Art. 20 Abs. 3 GG als höherrangige Kollisionsnorm genannt, das daraus abgeleitete "Gebot der Sachlichkeit" ist jedoch dem Senat als solches fremd. Der Kläger hat auch nicht ausgeführt, woher er dieses Gebot nimmt (Schrifttum, Rechtsprechung) und welchen Inhalt dieses Gebot im Einzelnen haben soll. Er hat sich auch nicht mit Sinn und Zweck des § 256 AO 1977 und den dazu im Schrifttum vertretenen Meinungen auseinander gesetzt und vor diesem Hintergrund seine eigene Auffassung zu der Vorschrift kritisch überprüft. All dies wäre für eine "Darlegung" der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich gewesen, da die grundsätzliche Bedeutung der vom Kläger aufgeworfenen Frage jedenfalls nicht offenkundig ist.

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