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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.11.2004
Aktenzeichen: VII B 137/04
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 122 Abs. 2
AO 1977 § 232
AO 1977 § 319
FGO § 69 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Im Anschluss an eine Vollstreckungsankündigung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vom 4. Dezember 2002 und eine darauf folgende Pfändungsverfügung vom 20. März 2003 wegen Umsatzsteuerschulden 1994 und 1995 zuzüglich Zinsen und Säumniszuschläge beantragte der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) einen Abrechnungsbescheid und machte im Wesentlichen den Eintritt der Zahlungsverjährung geltend. Das FA erließ unter dem 12. September 2003 einen Abrechnungsbescheid über Umsatzsteuerforderungen 1994 und 1995 und dazugehörige Zinsen und Säumniszuschläge sowie über Säumniszuschläge für Umsatzsteuerforderungen aus den Jahren 1989 bis 1993, mit dem es feststellte, dass die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis hinsichtlich der Umsatzsteuer 1994 bis 1995 und der aufgeführten Säumniszuschläge nicht verjährt seien. Über den hiergegen erhobenen Einspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden. Auf den zugleich mit dem Einspruch gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Abrechnungsbescheids setzte das FA die Vollziehung nur teilweise bezüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 1 250,54 € (später erhöht auf 1 914,54 €) für Umsatzsteuer 1995 aus, da es diesen Betrag wegen des vom Antragsteller bestrittenen und nicht nachweisbaren Zugangs der Vollstreckungsankündigung vom 4. Dezember 2002 als verjährt ansah.

Auf den daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf AdV setzte dieses aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1276 auszugsweise veröffentlichten Gründen die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 12. September 2003 in Höhe von weiteren 8 486,05 € (Umsatzsteuerforderungen 1995 zuzüglich Zinsen) aus, lehnte aber den Antrag im Übrigen sowie den hilfsweise gestellten Antrag auf Untersagung der Vollziehung der Säumniszuschläge für 1989 bis 1995 im Wege der einstweiligen Anordnung ab. Das FG entschied, dass die Umsatzsteuerforderungen 1994 nicht verjährt seien. Das FA habe unter dem 15. Juni 1998 einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1994 erlassen, der eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der noch offenen Forderungen aus 1994 enthalten habe. Trotz des Bestreitens des Antragstellers sei davon auszugehen, dass dieser Bescheid seinem damaligen Steuerberater zugegangen sei. Hinsichtlich der übrigen Säumniszuschläge sei von der nach Ansicht des Antragstellers eingetretenen Verwirkung des Zahlungsanspruchs nicht auszugehen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, die zum einen damit begründet wird, dass das FG über den restlichen --nicht bereits vom FA ausgesetzten-- Teil der Säumniszuschläge zu den Umsatzsteuerforderungen 1995 nicht entschieden habe. Auch insoweit sei die AdV zu gewähren, da sich die hinsichtlich der Umsatzsteuerforderungen 1995 eingetretene Verjährung auch auf die steuerlichen Nebenforderungen erstrecke. Zum anderen habe das FG hinsichtlich der Umsatzsteuerforderungen 1995 (gemeint offenbar: 1994) und der nach Ansicht des FG insoweit nicht eingetretenen Verjährung die Beweislast verkannt. Nach § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) habe im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts nachzuweisen. Durch den Umsatzsteuerbescheid 1994 vom 15. Juni 1998 sei die Zahlungsverjährung daher nicht unterbrochen worden. Die streitigen Säumniszuschläge seien jedenfalls verwirkt, da sie in Höhe von 15 779 € erstmals im Abrechnungsbescheid vom 12. September 2003 erhoben worden seien und da er (der Antragsteller) wegen seiner Zahlungsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum den Erlass der Säumniszuschläge habe erwarten und davon habe ausgehen können, dass das FA beabsichtige, von der Erhebung von Säumniszuschlägen von vornherein abzusehen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss des FG zu ändern und die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 12. September 2003 auch hinsichtlich Umsatzsteuerforderungen 1994 einschließlich Zinsen sowie der Säumniszuschläge, für die Vollziehungsaussetzung noch nicht gewährt worden ist, auszusetzen, hilfsweise dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Säumniszuschläge 1989 bis 1995 zu untersagen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist nicht begründet. Soweit das FG den Antrag auf AdV des Abrechnungsbescheids vom 12. September 2003 abgelehnt hat, ist dies im Ergebnis zu Recht geschehen.

1. Hinsichtlich der Umsatzsteuerforderungen 1994 und der darauf entfallenden Zinsen ist die AdV bereits deshalb abzulehnen, weil der angefochtene Abrechnungsbescheid insoweit keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt.

Vollziehbar und damit einer AdV zugänglich sind nur solche Verwaltungsakte, deren Wirkung sich nicht auf eine Negation beschränkt, sondern die entweder selbst eine positive Regelung enthalten oder die eine in einem Bescheid enthaltene positive Regelung aufheben. Der Abrechnungsbescheid vom 12. September 2003 stellt hinsichtlich der Umsatzsteuerforderungen 1994 und der darauf entfallenden Zinsen lediglich fest, dass diese Forderungen --soweit nicht getilgt-- nicht durch Verjährung erloschen sind; seine Wirkung erschöpft sich in dieser bloßen Negation. Der Abrechnungsbescheid ist deshalb in diesem Umfang nicht vollziehbar. Grundlage für die Verwirklichung dieser Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bleibt der Umsatzsteuerbescheid 1994 vom 15. Juni 1998 (§ 155 Abs. 1, § 218 Abs. 1, § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; vgl. dazu: Senatsbeschlüsse vom 25. März 1997 VII B 149/96, BFH/NV 1997, 547; vom 10. November 1987 VII B 137/87, BFHE 151, 128, BStBl II 1988, 43).

Der Senat hält trotz der Einwände des FG an dieser Rechtsprechung, die mit der im Schrifttum insoweit überwiegend vertretenen Auffassung übereinstimmt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 218 AO 1977 Rz. 28; Klein/ Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 218 Rz. 40; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 218 AO 1977 Rz. 139, jeweils m.w.N.), fest. Für die vom FG vertretene Ansicht, dass es nicht sachgerecht sei, wenn der vorläufige Rechtsschutz gegen Abrechnungsbescheide unterschiedlich ausgestaltet sei, je nachdem, ob der Bescheid eine erstmalige Festsetzung von Steuern betreffe oder das Erlöschen bzw. Nichterlöschen einer bereits festgesetzten Steuer feststelle, und dass der vorläufige Rechtsschutz gegen Abrechnungsbescheide vielmehr stets von gleicher Qualität und Ausgestaltung sein und deshalb nach § 69 Abs. 3 FGO gewährt werden müsse, ist eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich. Auf den verfassungsrechtlich zu gewährleistenden effektiven Rechtsschutz lässt sich diese Ansicht des FG jedenfalls nicht stützen, da dem Adressaten des Abrechnungsbescheids Möglichkeiten, vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen, in jedem Fall offen stehen. Dass die Voraussetzungen für einen begründeten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Einzelfall evtl. schwieriger zu erfüllen sind als die Voraussetzungen für einen begründeten Antrag auf AdV, ändert nichts daran, dass der Abrechnungsbescheid nicht die Grundlage der Verwirklichung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 218 Abs. 1 AO 1977) ist und dass er dem Steuerpflichtigen weder eine Leistungspflicht auferlegt noch Grundlage für eine Leistungspflicht ist. Der vollziehbare Verwaltungsakt, durch den der Steuerpflichtige auf Zahlung in Anspruch genommen wird, ist in Fällen der vorliegenden Art der jeweilige Steuerbescheid. Ist dieser Steuerbescheid --wie im Streitfall-- unanfechtbar, kommt eine AdV dieses Bescheids nicht mehr in Betracht. Es ist rechtlich nicht geboten, dem Steuerpflichtigen die dann nicht mehr bestehende Möglichkeit, einen Antrag auf AdV zu stellen, durch einen bloßen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids wieder zu eröffnen.

Auf den zwischen den Beteiligten streitigen Zugang des Umsatzsteuerbescheids 1994 vom 15. Juni 1998 kommt es daher im vorliegenden AdV-Verfahren nicht an, da eine AdV des angefochtenen Abrechnungsbescheids insoweit nicht in Betracht kommt.

2. Ob ein Abrechnungsbescheid insofern einen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellen kann, als mit ihm erstmals die Feststellung getroffen wird, dass Säumniszuschläge verwirkt sind (so Klein/Rüsken, a.a.O., § 218 Rz. 40; Alber in HHSp, a.a.O., § 218 AO 1977 Rz. 140; vgl. Senatsurteil vom 12. August 1999 VII R 92/98, BFHE 189, 331, BStBl II 1999, 751; a.A.: Tipke/ Kruse, a.a.O., § 218 AO 1977 Rz. 29), kann im Streitfall offen bleiben.

a) Soweit Säumniszuschläge auf rückständige Umsatzsteuerforderungen 1994 entfallen, ist ihr Entstehen z.T. nicht erstmals mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 12. September 2003 festgestellt worden, sondern bereits mit dem Umsatzsteuerbescheid 1994 vom 15. Juni 1998. Dort sind Säumniszuschläge für den Zeitraum September 1995 bis einschließlich Juni 1998 in Höhe von 10 812 DM ausgewiesen und der Antragsteller ist zur Zahlung bis zum 20. Juli 1998 aufgefordert worden. Eine AdV kommt insoweit nicht in Betracht, da der Bescheid rechtsbeständig ist.

b) Soweit für spätere Zeiträume (also ab 20. Juli 1998) das Entstehen von Säumniszuschlägen auf rückständige Umsatzsteuerforderungen 1994 erstmals mit dem Abrechnungsbescheid vom 12. September 2003 festgestellt worden ist, bestehen jedenfalls keine ernstlichen Zweifel (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO) an der Rechtmäßigkeit der Feststellung des Abrechnungsbescheids, wonach diese Säumniszuschläge nicht durch Verjährung erloschen sind. Für die 1998 entstandenen Säumniszuschläge begann die fünfjährige Verjährungsfrist mit dem 1. Januar 1999 (§§ 228, 229 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) und endete daher erst mit dem 31. Dezember 2003.

c) Hinsichtlich der Säumniszuschläge auf rückständige Umsatzsteuerforderungen 1995 ist das Vorbringen der Beschwerde, dass das FG über den nicht bereits vom FA ausgesetzten Teil der Säumniszuschläge nicht entschieden habe, nicht zutreffend. Vielmehr ist den Ausführungen des FG unter Nr. II. 4. des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen, dass es die beantragte AdV insoweit abgelehnt hat.

Diese Ablehnung ist auch zu Recht erfolgt, da ernstliche Zweifel hinsichtlich des Eintritts der Verjährung insoweit nicht bestehen. Entgegen der Ansicht der Beschwerde erstreckt sich die vom FG angenommene Verjährung der Umsatzsteuerforderungen 1995 nicht auch auf die Säumniszuschläge. Wie sich aus § 232 AO 1977 ergibt, wirkt sich die Verjährung des Hauptanspruchs nur auf die von ihm abhängenden Zinsen aus. Für andere steuerliche Nebenleistungen wie z.B. Säumniszuschläge laufen dagegen selbständige Verjährungsfristen (Klein/Rüsken, a.a.O., § 232 Rz. 2).

Das FA hat mit seiner Beschwerdeerwiderung nachvollziehbar dargelegt, dass diejenigen im Abrechnungsbescheid aufgeführten Säumniszuschläge auf rückständige Umsatzsteuerforderungen 1995, die von der vom FA bereits gewährten AdV nicht erfasst sind, 1998 und später entstanden sind. Der Antragsteller ist diesem Vorbringen nicht entgegengetreten. Wie bereits ausgeführt, war aber für 1998 und später entstandene Säumniszuschläge die fünfjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, als der angefochtene Abrechnungsbescheid erlassen wurde.

d) Entgegen der Ansicht der Beschwerde kann auch nicht angenommen werden, dass der Anspruch des FA auf Zahlung der Säumniszuschläge verwirkt ist.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, setzt das Rechtsinstitut der Verwirkung als Ausfluss der auch im Steuerrecht geltenden Grundsätze von Treu und Glauben voraus, dass ein Berechtigter durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung seines Rechts als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss; ein bloßes Untätigbleiben der Finanzbehörde kann dabei in der Regel nicht als ausreichend angesehen werden (Senatsurteil vom 30. März 1993 VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4, m.w.N.). Im Streitfall hat der Antragsteller insoweit auch mit seiner Beschwerde im Wesentlichen nur geltend machen können, dass das FA untätig geblieben sei, ihn in der Vergangenheit nicht zur Zahlung der Säumniszuschläge aufgefordert und das Entstehen der Säumniszuschläge zum größten Teil erstmals mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid festgestellt habe. Ein darüber hinausgehendes Verhalten des FA, aufgrund dessen der Antragsteller bei objektiver Beurteilung hätte annehmen dürfen, das FA werde die Säumniszuschläge nicht mehr geltend machen, fehlt. Weshalb der Antragsteller meint, aus dem Schreiben des FA vom 11. Juni 2003 herleiten zu können, dass das FA nicht mehr beabsichtige, weitere Säumniszuschläge zu erheben, ist bereits nicht nachvollziehbar; für die bis dahin entstandenen Säumniszuschläge sagt dieses Schreiben aber jedenfalls nichts aus.

3. Den hilfsweise gestellten Antrag, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) die Vollziehung der Säumniszuschläge 1989 bis 1995 zu untersagen, hat das FG ebenfalls zu Recht abgelehnt. Es fehlt insoweit bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Die Gefahr eines nicht wieder gutzumachenden Schadens infolge der Vollstreckung ist nicht erkennbar. Vor einer Gefährdung seines laufenden Lebensunterhalts durch die Pfändung seines Einkommens wird der Antragsteller durch die Pfändungsschutzvorschriften der ZPO, die nach § 319 AO 1977 sinngemäß gelten, geschützt. Die Behauptung der Beschwerde, dass durch die Vollstreckung der mit der Hausbank des Antragstellers geschlossene Ratenzahlungsvergleich gefährdet werde, ist in keiner Weise substantiiert worden.

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