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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 03.12.2002
Aktenzeichen: VII B 147/02
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ließ durch einen ihrer Fahrer im August 1997 einen Container mit Nichtgemeinschaftswaren aus der Freizone in Bremen nach Hamburg transportieren. Dabei unterließ es der Fahrer der Klägerin, die Waren beim Verlassen der Freizone der zuständigen Zollbehörde zu gestellen und eine Versandanmeldung abzugeben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) setzte deshalb gegen die Klägerin mit Bescheid vom Oktober 1997 u.a. ... DM Zoll fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Ferner beantragte sie die Erstattung der festgesetzten Einfuhrabgaben, was das HZA mit dem angefochtenen Bescheid vom Februar 1998 ablehnte.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG). Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Klägerin habe nach Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) keinen Anspruch auf die Erstattung der Einfuhrabgaben. Sie habe bereits nicht nachgewiesen, dass das Unterlassen der Gestellung der Waren beim Verlassen der Freizone nicht auf einer ihr zuzurechnenden offensichtlichen Fahrlässigkeit beruht habe. Entweder habe sich der Fahrer nicht an die ihm erteilten Anweisungen gehalten oder die Klägerin habe diesen nicht ausreichend unterwiesen und überwacht.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ferner erfordere die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Das Erfordernis des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten gemäß Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Art. 239 ZK diene der Umsetzung des Wirtschaftszollgedankens. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, die Erstattung von Einfuhrabgaben vom Grad des Verschuldens des Beteiligten abhängig zu machen, obwohl die fraglichen Waren nach Israel ausgeführt worden seien, ohne jemals in den Wirtschaftskreislauf der Gemeinschaft gelangt zu sein. Das Erfordernis des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten sei weder geeignet noch erforderlich, diesen zur Einhaltung von Verfahrensvorschriften anzuhalten. Es sei zudem eine völlig unangemessene Sanktion, bei der Feststellung offensichtlicher Fahrlässigkeit jegliche Erstattung von Einfuhrabgaben zu versagen. Ferner verstoße es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, die Erhebung von Einfuhrabgaben von subjektiven Elementen in der Person des Beteiligten abhängig zu machen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und im Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. BFH, Beschlüsse vom 12. Juni 1996 IV B 133/95, BFHE 180, 450, BStBl II 1997, 82, 83; vom 27. Mai 2002 VIII B 150/01, BFH/NV 2002, 1463).

Eine konkrete Rechtsfrage hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht formuliert. Sie macht vielmehr in der Art einer Revisionsbegründung die Unvereinbarkeit des Tatbestandsmerkmals des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit in Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK mit übergeordneten Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts geltend. Selbst wenn man dem Vorbringen der Klägerin eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen würde, wäre diese in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. Denn an der Vereinbarkeit des Erfordernisses fehlender offensichtlicher Fahrlässigkeit gemäß Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK mit übergeordneten Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts können offensichtlich keine Zweifel bestehen.

a) Insoweit gilt Entsprechendes wie hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Fehlens grober Fahrlässigkeit des Beteiligten in Art. 859 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodexdurchführungsverordnung --ZKDVO--) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1). Hierzu hat der Senat bereits eingehend dargelegt, dass diese Bestimmung nicht gegen übergeordnete Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstößt (vgl. Senatsurteil vom 13. November 2001 VII R 88/00, BFHE 196, 383, 390).

Demgemäß verstößt auch das Tatbestandsmerkmal des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten in Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für die Frage, ob eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, kommt es darauf an, ob die gewählten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet sind und ob sie das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen (vgl. etwa Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften --EuGH--, Urteil vom 22. November 2001 Rs. C-110/97 --Niederlande/Rat--, EuGHE 2001, I-8763 Randnr. 122).

b) Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 196, 383, 390 ausgeführt hat, sind auch unter Berücksichtigung des Wirtschaftszollgedankens wesentliche Förmlichkeiten, die sicherstellen sollen, dass die Einhaltung der Voraussetzungen für die Nichterhebung des Zolls überwacht werden können, strikt einzuhalten. Denn nur so kann der umfangreiche Warenverkehr mit vertretbarem Aufwand überwacht und Wettbewerbsgleichheit zwischen allen am internationalen Warenverkehr Beteiligten geschaffen werden. Wie im Rahmen von Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO (hierzu Senatsurteil in BFHE 196, 383, 391), ist das Erfordernis des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit gemäß Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK nicht nur geeignet, den Beteiligten zur Einhaltung der Verfahrensvorschriften anzuhalten, sondern auch erforderlich, um die Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu gewährleisten. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht gilt dies nicht nur hinsichtlich des Ausschlusses eines Anspruchs auf Erstattung oder Erlass von Einfuhrabgaben bei einer betrügerischen Absicht des Beteiligten. Denn auch durch einen unterhalb des Vorsatzes liegenden Verschuldensmaßstab wird ein Beteiligter angehalten, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die Einhaltung der Verfahrensvorschriften sicherzustellen. Das Tatbestandsmerkmal des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit in Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK ist zudem angemessen, weil es weitgehend von der Sorgfalt des Beteiligten und der von ihm zur Erfüllung seiner Verpflichtungen herangezogenen Personen abhängt, ob eine Erstattung oder ein Erlass ausscheidet (vgl. zu Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO Senatsurteil in BFHE 196, 383, 391). Insoweit ist es unerheblich, dass Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK hinsichtlich des Verschuldensgrades des Beteiligten keine (weitere) Abstufung der eintretenden Rechtsfolgen trifft. Denn die Erstattung oder der Erlass von Einfuhrabgaben stellt eine Ausnahme von dem gewöhnlichen Einfuhrsystem dar. Deshalb ist das Fehlen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit des Beteiligten eine unabdingbare Voraussetzung für die Erstattung oder den Erlass von Einfuhrabgaben (vgl. EuGH-Urteil vom 11. November 1999 Rs. C-48/98 --Söhl & Söhlke--, EuGHE 1999, I-7877 Randnr. 52).

c) Anders als die Klägerin meint, stellt Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK keine Regelung dar, die die Verhängung einer strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Sanktion ermöglicht. Bei der Bestimmung des Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK handelt es sich vielmehr um eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel, die andere als die praktisch am häufigsten vorkommenden Fälle, für die eine besondere Regelung in Art. 239 Abs. 1 Anstrich 1 ZK i.V.m. den Art. 900 bis 903 ZKDVO geschaffen werden konnte, erfassen soll (vgl. Senatsbeschluss vom 26. November 1996 VII R 106/95, BFH/NV 1997, 447, 448, sowie Senatsurteil vom 24. April 2001 VII R 114/99, BFHE 195, 466, 472).

d) Es ist auch nicht ersichtlich, warum Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung (vgl. hierzu etwa EuGH-Urteil vom 15. Januar 2002 Rs. C-179/00 --Weidacher--, EuGHE 2002, I-501 Randnr. 49) verstoßen soll. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist gerade das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten eine unabdingbare Voraussetzung für die Erstattung oder den Erlass, weil nur so gewährleistet werden kann, dass die Anzahl der Fälle, in denen Einfuhrabgaben erstattet oder erlassen werden, begrenzt bleibt (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1999, I-7877 Randnr. 52). Das Erfordernis des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit gilt zudem für sämtliche Wirtschaftsteilnehmer in der Gemeinschaft gleichermaßen und stellt so sicher, dass Wettbewerbsgleichheit zwischen allen am internationalen Warenverkehr Beteiligten besteht (vgl. Senatsurteil in BFHE 196, 383, 390).

e) Die Klägerin kann sich für die von ihr vertretene Ansicht nicht auf die Aufsätze von Witte, Zweierlei Zollschuld - Wie subjektive Elemente die Zollschuld beeinflussen (Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1998, 97) und Müller-Eiselt, Die Entstehung der Zollschuld bei Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nach dem Zollkodex - Das Zollschuldrecht auf dem Irrweg zu einem Sanktionszollrecht? (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2001, 398) stützen. Witte führt zwar aus, dass ein verschuldensabhängiges Zollschuldrecht unbefriedigend sei (DStZ 1998, 97, 102). Ähnlich äußert sich Müller-Eiselt (ZfZ 2001, 398, 402). Gleichwohl haben weder Witte noch Müller-Eiselt in den von der Klägerin zitierten Aufsätzen die Auffassung vertreten, dass das Erfordernis des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten gemäß Art. 239 Abs. 1 Anstrich 2 ZK gegen höherrangige Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstößt.

Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO hat die Klägerin nichts vorgetragen. Da die Beschwerdebegründung zudem keine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft, kommt auch unter diesem Gesichtspunkt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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