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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.05.1998
Aktenzeichen: VII B 171/97
Rechtsgebiete: AO 1977, StPO, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 71
AO 1977 a.F. § 363 Abs. 1
StPO § 153 Abs. 2
FGO § 128 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 46 Abs. 1
FGO § 155
ZPO § 246
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), ein in den Niederlanden ansässiger niederländischer Staatsangehöriger, hat in den Jahren 1985 und 1986 mehrfach im Zusammenwirken mit anderen Personen eingeschmuggelten Rohkaffee in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) verkauft. Der Antrags- gegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) nahm den Antragsteller deshalb mit Haftungsbescheid vom ... Dezember 1988 gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftenden für die Eingangsabgaben in Anspruch. Gegen den ihm am ... Februar 1989 im Wege der Amtshilfe durch die niederländischen Behörden zugestellten Bescheid legte der Antragsteller am ... März 1989 Einspruch ein. Das HZA setzte daraufhin die Vollziehung des angefochtenen Bescheides unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs bis zur Entscheidung über den Einspruch aus. Mit Steueränderungsbescheid vom ... April 1996 setzte das HZA den Haftungsbetrag auf ... DM (Zoll, Kaffeesteuer, Einfuhrumsatzsteuer) herab und wies den Einspruch am ... Mai 1996 als unbegründet zurück.

Das Landgericht verurteilte die an dem Schmuggel beteiligten Täter ... am 20. November 1995 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei bzw. gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Schmuggels und stellte durch Beschluß vom 17. Mai 1996 das in bezug auf den Antragsteller abgetrennte Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 2 der Strafprozeßordnung vorläufig und --nach erfolgter Zahlung eines Geldbetrages von ... DM-- endgültig am 3. Juni 1996 ein.

Da mit der Zurückweisung des Einspruchs auch die gewährte Aussetzung der Vollziehung endete, stellte der Antragsteller beim HZA erneut einen entsprechenden Antrag, den das HZA ablehnte. Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung, nachdem er zuvor Klage gegen den Haftungsbescheid i.d.F. des Steueränderungsbescheides und der Einspruchsentscheidung erhoben hatte, die er darauf stützte, daß der Haftungsanspruch nach siebenjähriger Untätigkeit des HZA verwirkt sei. Hinsichtlich der Kaffeesteuer wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für erledigt erklärt, weil insoweit die in den Niederlanden ohnehin nur in Betracht kommenden Sicherungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden könnten.

Das FG entschied aus den in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1997, 353 veröffentlichten Gründen, daß der Antrag zwar zulässig, aber unbegründet sei. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde. Er macht geltend, der Anspruch sei verwirkt, weil das HZA über einen Zeitraum von sieben Jahren nicht über den Anspruch entschieden habe. Durch dieses Unterlassen habe der Antragsteller darauf vertrauen können, daß die Forderung nicht mehr geltend gemacht werde. Für den Antragsteller, der zu keinem Zeitpunkt seine Beteiligung an den ihm zur Last gelegten Taten bestritten habe, seien keine Gründe ersichtlich gewesen, weshalb das HZA nicht tätig geworden sei. Gründe, aus denen das HZA über den Einspruch nicht habe entscheiden können, habe es nicht gegeben. Wenn das HZA dennoch den Abschluß des Strafverfahrens habe abwarten wollen, hätte es das Verfahren nach § 363 Abs. 1 AO 1977 a.F. aussetzten müssen. Seit Einlegung des Einspruchs habe das HZA keine weiteren Ermittlungen durchgeführt. Die Unterlassung eines förmlichen Aussetzungsbescheids sei eine grobe Pflichtverletzung des HZA, insbesondere deshalb, weil der Antragsteller als Niederländer mit der deutschen Vollzugspraxis nicht vertraut gewesen sei und für ihn keine Notwendigkeit bestanden habe, sich der Vertretung durch einen deutschen Rechtsanwalt zu versichern. Die Untätigkeit des HZA habe für den Antragsteller einen Vertrauenstatbestand begründet. Im Vertrauen darauf, nicht mehr als Haftender in Anspruch genommen zu werden, habe er sein berufliches und privates Leben eingerichtet.

Dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers ist mehrfach die Verlängerung der Frist zur weiteren Begründung der Beschwerde bewilligt worden, die dieser mit der Begründung beantragt hatte, auf nähere Angaben des Antragstellers angewiesen zu sein, die dieser infolge eines erlittenen Schlaganfalls nicht machen könne. Eine weitere Fristverlängerung wurde nicht mehr bewilligt, nachdem der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers ein Attest vorgelegt hat, aus dem sich ergibt, daß der Antragsteller infolge ernsthafter chronischer Leiden nicht mehr in der Lage ist, seine geschäftlichen Belange zu vertreten, und eine Verbesserung seines Zustandes nicht zu erwarten ist.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Vollziehung der Verwaltungsentscheidungen, soweit das Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht für erledigt erklärt worden ist, unter Aufhebung der Vorentscheidung auszusetzen und insoweit die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben. Hilfsweise beantragt er --soweit nicht antragstellerschädlich-- das Verfahren auszusetzen.

Das HZA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. 1. Die vom FG zugelassene Beschwerde ist statthaft (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

2. Die Aussetzung des Verfahrens käme nur unter den Voraussetzungen des § 155 FGO i.V.m. § 246 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in Betracht, wenn der Antragsteller prozeßunfähig wäre. Für die Aussetzung fehlt es aber an dem dafür erforderlichen unbedingten Antrag. Der vom Antragsteller diesbezüglich als Hilfsantrag gestellte Antrag erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil er an die Bedingung geknüpft ist, daß die Aussetzung nicht antragstellerschädlich ist. Im übrigen läge die Aussetzung aber auch nicht im Interesse des Antragstellers, weil dann nicht über die Aussetzung der Vollziehung des sonst vollziehbaren Haftungsbescheids entschieden werden könnte.

3. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus zutreffenden Erwägungen abgelehnt. Ihm ist nicht zu entsprechen, weil der Aussetzungsgrund ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Haftungsbescheids (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) bei summarischer Prüfung nicht vorliegt.

Das FG hat nach summarischer Prüfung zutreffend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erkannt, daß die der Geltendmachung des Haftungsanspruchs durch das HZA vom Antragsteller entgegengehaltene Verwirkung des Anspruchs nicht vorliegt.

Verwirkung bedeutet, daß ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit, es geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Zeitablauf allein führt nicht zur Verwirkung. Hinzukommen muß ein Vertrauenstatbestand und eine Vertrauensfolge (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, BFHE 147, 409, BStBl II 1987, 12, m.w.N.). Im Streitfall fehlt es bereits an einem solchen, durch das HZA geschaffenen Vertrauenstatbestand.

Aus dem Umstand, daß sein Einspruch sieben Jahre unbearbeitet blieb, durfte der Antragsteller nicht schließen, das HZA habe den Haftungsanspruch gegen ihn aufgegeben. Aus der Tatsache, daß das HZA einen Haftungsbescheid gegen ihn erlassen und sein Einspruch anhängig war, über den das HZA noch nicht entschieden hatte, mußte der Antragsteller vielmehr schließen, daß das HZA nicht durch bloßes Untätigbleiben auf den geltend gemachten Haftungsanspruch verzichten würde (vgl. BFH in BFHE 147, 409, BStBl II 1987, 12, und Urteil vom 22. April 1986 VIII R 171/83, BFH/NV 1986, 679). Selbst wenn der Antragsteller die ihm vorgeworfenen Straftaten, die Anlaß für seine Steuerhaftung nach § 71 AO 1977 sind, nie bestritten haben sollte, war es doch sachgerecht, daß das HZA zunächst den rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens abwartete, bevor es seinerseits über den Einspruch entschied. Denn dadurch behielt es die Möglichkeit, sich etwaige Erkenntnisse des Strafverfahrens zum Tathergang und zur Beteiligung des Antragstellers zunutze zu machen, der in seinem Einspruch behauptet hatte, den Kaffee "verzollt" an den Empfänger geliefert, nichts mit der tatsächlichen Einfuhr des Kaffees zu tun und keinerlei Vorteil aus den Kaffeetransaktionen gehabt zu haben.

Das HZA hätte in diesem Fall zwar das Verfahren nach § 363 Abs. 1 AO 1977 a.F. aussetzen können (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Juli 1995 III B 8/95, BFH/NV 1996, 149 f.; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 363 AO 1977 Rz. 41). Dadurch, daß das HZA das Verfahren nicht ausgesetzt hat, hat es aber keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der zu einer Verwirkung des Haftungsanspruchs führen kann. Zwar ist das HZA verpflichtet, zügig über den eingelegten Einspruch zu entscheiden, wenn es das Verfahren nicht aussetzt. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht gibt dem Beteiligten aber nur das Recht, unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO eine Untätigkeitsklage zu erheben, schafft jedoch darüber hinaus keinen Vertrauenstatbestand, aus dem sich ableiten ließe, daß das HZA seinen Anspruch nicht mehr geltend machen will. Die Untätigkeitsklage ist das vom Gesetzgeber vorgesehene Mittel, das dem Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich Klarheit über die Absichten der Verwaltung zu verschaffen. Nimmt er diese Möglichkeit nicht wahr, so fällt es in seinen Risikobereich, wenn er sich infolge der Untätigkeit der Verwaltung darauf verläßt, daß ein gegen ihn geltend gemachter Anspruch dauerhaft nicht weiterverfolgt wird.

Etwas anderes kann auch im Streitfall nicht gelten, in dem der Beteiligte ein Niederländer ist, der mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik nicht vertraut ist. Schon in Anbetracht der nicht unbedeutenden Höhe des gegen ihn geltend gemachten Haftungsanspruchs hätte es für ihn naheliegen müssen, sich von Anfang an einer rechtskundigen Beratung zu versichern. Dazu hätte insbesondere auch deswegen Anlaß bestanden, weil der Anspruch aufgrund einer dem Antragsteller unbekannten Rechtsordnung geltend gemacht wurde.

Da es bereits an einem durch das HZA geschaffenen Vertrauenstatbestand fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, inwieweit der Antragsteller darauf vertraut und sich darauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge), daß das HZA seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde.



Ende der Entscheidung

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