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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: VII B 180/06
Rechtsgebiete: GmbHG, AO, BGB, FGO
Vorschriften:
GmbHG § 64 | |
GmbHG § 64 Abs. 1 | |
AO § 34 | |
AO § 69 | |
AO § 191 | |
AO § 191 Abs. 1 Satz 1 | |
BGB § 823 Abs. 2 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 | |
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3 |
Gründe:
I. Wegen rückständiger Umsatzsteuer für den Monat November 1995 (11/95) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger), einen der beiden Geschäftsführer der GmbH, mit einem im Einspruchsverfahren auf diesen Zeitraum beschränkten Haftungsbescheid in Haftung, nachdem am 6. Dezember 1995 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH, die am 4. Dezember 1995 den Geschäftsbetrieb eingestellt hatte, gestellt worden war.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Eine Verletzung der Erklärungs- und Zahlungspflicht bezüglich der Umsatzsteuer 11/95 läge nicht vor, da der Kläger im Erklärungs- und Fälligkeitszeitpunkt (11. Januar 1996) wegen Eröffnung des Konkursverfahrens am 2. Januar 1996 nicht mehr für die GmbH verfügungsberechtigt gewesen sei. Auch unter dem Aspekt der Mittelvorsorge könne eine Verletzung der Zahlungspflicht nicht begründet werden. Steuerliche Pflichten vor Fälligkeit der Steuer oblägen dem gesetzlichen Vertreter nur im Hinblick auf die zukünftige Erfüllung der Ansprüche des Fiskus. Dagegen sei er --nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)-- auch in Zeiten der Krise in seinen unternehmerischen Dispositionen frei, auch wenn dadurch steuerliche Ansprüche des Fiskus begründet würden. Der Kläger habe aber keine besonderen Gestaltungen gewählt, die die Begleichung der Umsatzsteuer unmöglich gemacht hätten.
Der Gesichtspunkt der Konkursverschleppung, wie er in § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zum Ausdruck komme, begründe die Haftung nach den §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO), die eine Verletzung einer durch Steuergesetze auferlegten Pflicht voraussetze, nicht, denn die Pflicht zur Stellung des Konkursantrags sei keine steuerliche, sondern eine handelsrechtliche. Im Übrigen scheide eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers für den Monat 11/95 jedenfalls deshalb aus, weil eine solche --mangels Verfügungsberechtigung des Klägers zur Zahlung der Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt-- nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden gewesen wäre.
Eine auf § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestützte Haftung für einen --im Übrigen vom FA weder konkretisierten noch festgestellten-- Schaden, der daraus resultiere, dass Dritte aus Leistungen der GmbH Vorsteuern in Anspruch genommen hätten, während die GmbH selbst die Umsatzsteuer aus den betreffenden Rechnungen wegen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr habe abführen können, scheitere auch daran, dass es sich dabei nicht um eine Haftung "für eine Steuer", wie von § 191 Abs. 1 Satz 1 AO vorausgesetzt, sondern für einen deliktisch verursachten Schaden handele.
Das FA macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen,
- ob der Geschäftsführer einer GmbH für die im Zeitraum zwischen Konkursreife und Stellung des Konkursantrags neu begründeten Steuerschulden im Rahmen seiner Mittelvorsorgepflicht nach §§ 191 i.V.m. 69 AO in voller Höhe und nicht nur im Rahmen anteiliger Tilgung in Haftung genommen werden kann,
- ob § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 191 AO eine Haftung für steuerliche Verbindlichkeiten begründet,
geltend und beantragt, die Revision zuzulassen.
Der Kläger hält die Ausführungen des FG für zutreffend und die vom FA angesprochenen Rechtsfragen für geklärt und beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Das FA hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht in der nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt.
Das FA hat nicht berücksichtigt, dass das FG die Aufhebung des Haftungsbescheides nicht allein auf die von ihm hervorgehobenen rechtlichen Gesichtspunkte, sondern auf mehrere, die Entscheidung jeweils selbständig tragende Gründe gestützt hat. Hat das FG sein Urteil aber kumulativ begründet, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. März 2004 VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978; vom 23. Dezember 2004 III B 14/04, BFH/NV 2005, 667).
1. Die Frage, ob der Geschäftsführer für zwischen Konkursreife und Stellung des Konkursantrags neu begründete Steuerschulden in voller Höhe statt nur mit der Quote, mit der er Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern getilgt hat, in Haftung genommen werden kann, war für das FG nicht entscheidungserheblich. Denn nach seinen Feststellungen lag eine Verletzung der Erklärungs- und der Zahlungspflicht hinsichtlich der Umsatzsteuer für den Monat 11/95 nicht vor, weil der Kläger zum Fälligkeitszeitpunkt wegen Konkurseröffnung nicht mehr berechtigt und verpflichtet war, für die GmbH zu handeln. Die dagegen erhobene Einwendung des FA, diese Auffassung sei wegen der Mittelvorsorgepflicht des Geschäftsführers nicht haltbar, weil es Inhalt dieser Pflicht sei, die Verursachung der fehlenden Zahlungsfähigkeit bei Fälligkeit der Steuern zu sanktionieren und zwar unabhängig davon, wer im Zeitpunkt der Fälligkeit Verfügungsberechtigter sei, zeigt nicht die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage auf, sondern richtet sich gegen die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils einschließlich der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und genügt damit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 978, und vom 26. August 2004 II B 117/03, BFH/NV 2004, 1625, jeweils m.w.N.).
Abgesehen davon hat sich das FA auch nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass das FG in --zutreffender-- Anwendung der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 28. November 2002 VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337) darauf abgestellt hat, dass der Geschäftsführer auch in Zeiten der Krise steuerrechtlich nicht verpflichtet ist, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann. Eine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht könne ihm nur angelastet werden, wenn er zu einem Zeitpunkt, in dem er gewusst habe, dass der GmbH keine Zahlungsmittel mehr zur Verfügung stünden und auch zukünftig nicht mehr zufließen würden, ein Umsatzsteuer auslösendes Verkaufsgeschäft durchgeführt hätte, ohne dafür Sorge zu tragen, dass die GmbH über das durch dieses Geschäft erzielte Entgelt verfügen könne, um damit die durch das Geschäft entstehende Umsatzsteuer zu begleichen. Zwar bringt das FA vor, als Krise könne nur der Zeitraum von der drohenden Zahlungsunfähigkeit bis zum Ende der 3-wöchigen Frist nach eingetretener Konkursreife begriffen werden, nach deren Ablauf gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG Konkurs anzumelden sei, und dass mit diesem Zeitpunkt die legale Dispositionsfreiheit des Geschäftsführers beendet sei.
Die Verletzung der Mittelvorsorgepflicht im vorgenannten Sinne wird mit diesem Vorbringen indes nicht schlüssig dargelegt. Denn bei ordnungsgemäßer Abwicklung eines Umsatzsteuer auslösenden Verkaufsgeschäftes ist der Verkäufer (hier der Geschäftsführer) durch die Zahlung des Rechnungsbetrages --unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der GmbH im Übrigen-- in der Lage, die darin enthaltene Umsatzsteuer abzuführen.
Im Grunde legt das FA mit diesem Einwand die Verletzung der Pflicht des Geschäftsführers zur rechtzeitigen Anmeldung des Konkurses dar, jedoch nicht die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage.
2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Verletzung der Pflicht des Geschäftsführers zur rechtzeitigen Anmeldung des Konkurses eine Haftung für steuerliche Verbindlichkeiten --sei es nach §§ 34, 69 AO i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG, sei es nach § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 191 AO-- begründet, ist nicht schlüssig dargelegt.
a) Das FG hat unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung in BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337 eine Haftung des Geschäftsführers wegen Verletzung einer handelsrechtlichen Pflicht verneint. Das FA wendet dagegen lediglich ein, der BFH habe sich mit den im Schrifttum --zeitlich vor der letztgenannten Entscheidung aus dem Jahre 2003-- gegen diese Auffassung vorgebrachten Argumenten nicht auseinandergesetzt. Damit ist nicht dargelegt, woraus sich eine nach der genannten Senatsentscheidung weiterhin bestehende Klärungsbedürftigkeit ergeben sollte. Insbesondere hat das FA nicht substantiiert vorgetragen, inwieweit neue, gewichtige und bisher von der Rechtsprechung nicht berücksichtigte Gesichtspunkte aufgetaucht sind (BFH-Beschluss vom 7. März 2005 II B 49/04, BFH/NV 2005, 1335). Der bloße Hinweis auf vermeintlich nicht berücksichtigte Stimmen in der Literatur reicht schon deshalb nicht aus, weil allein die nicht ausdrückliche Auseinandersetzung mit Literaturmeinungen nicht die Schlussfolgerung erlaubt, der Senat habe die dort genannten Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen.
b) Darüber hinaus hat das FG eine Haftung nach diesen Vorschriften auch deshalb verneint, weil danach keine Haftung "für eine Steuer" i.S. des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO begründet werde und diese Haftung lediglich auf das negative Interesse gerichtet sei. Der dagegen gerichtete Einwand des FA, die ausgefallene Umsatzsteuer stelle, soweit ihr ein Vorsteuerabzug beim Rechnungsadressaten gegenüberstehe, das negative Interesse des Fiskus dar, und die Schadensbegriffe nach §§ 34, 69 AO und § 64 GmbHG seien insoweit identisch, reicht für die Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Das FA stellt insoweit seine Rechtsauffassung in der Art einer Revisionsbegründung derjenigen des FG gegenüber. Das allein kann die Zulassung der Revision jedoch nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluss vom 28. April 1994 X B 313/93, BFH/NV 1995, 124).
c) Lediglich klarstellend weist der Senat darauf hin, dass er auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Erwägungen des FA zu den wirtschaftlichen Auswirkungen verspäteter Konkursanmeldungen keine Veranlassung sieht, von den grundsätzlichen Ausführungen in seiner Entscheidung in BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337 abzuweichen bzw. diese zu modifizieren. Die steuerliche Pflicht zur Mittelvorsorge bereits vor Fälligkeit der Steuer betrifft allein die zukünftige Erfüllung entstandener Steueransprüche des Fiskus, nicht aber deren Begründung. Denn an der seinerzeit für durchschlagend erachteten Erwägung, dass das Umsatzsteuergesetz es grundsätzlich in Kauf nimmt, dass die Umsatzsteuer, die der Leistungsempfänger als Vorsteuer gegenüber dem Fiskus geltend machen kann und die im Gegenzug bei dem Leistenden erhoben wird, im Einzelfall wegen dessen Konkurs nicht oder nur teilweise realisiert werden kann, hat sich durch möglicherweise vermehrte Konkursverschleppung nichts geändert.
Ende der Entscheidung
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