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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 31.03.2000
Aktenzeichen: VII B 187/99
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO
Vorschriften:
AO 1977 § 129 | |
AO 1977 § 34 | |
AO 1977 § 69 | |
AO 1977 § 34 Abs. 1 | |
AO 1977 § 69 Satz 1 | |
FGO § 68 | |
FGO § 105 Abs. 5 | |
FGO § 142 | |
FGO § 142 Abs. 1 | |
FGO § 114 | |
ZPO § 114 | |
ZPO § 117 |
Gründe
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren gegen einen --während des finanzgerichtlichen Verfahrens gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigten-- Haftungsbescheid, mit dem sie neben dem zweiten Geschäftsführer für rückständige Umsatzsteuer, Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge einer GmbH in Anspruch genommen worden ist.
Nach ihren Angaben war die nicht im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragene Antragstellerin durch Anstellungsvertrag bei der GmbH vom Juni 1996 bis zum 30. November 1996 neben einem weiteren Geschäftsführer als Geschäftsführerin angestellt. Im Dezember 1996 stellte die Antragstellerin zusammen mit dem zweiten Geschäftsführer den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH, der im März 1997 mangels Masse zurückgewiesen wurde. Aus zwei von der Antragstellerin eingereichten Kontoauszügen betreffend das Geschäftskonto der GmbH ist ersichtlich, dass die GmbH am 1. Oktober 1996 1 332 DM auf Kraftfahrzeugsteuer bezahlt und am 25. November 1996 einen Betrag von 16 886,89 DM an den Beklagten (Finanzamt --FA--) zur Tilgung rückständiger Steuerschulden geleistet hat.
Mit Haftungsbescheid vom 16. Dezember 1997 hat das FA die Antragstellerin nach §§ 34, 69 AO 1977 auf einen Haftungsbetrag von 80 v.H. (= 18 676,24 DM) für während ihrer Geschäftsführertätigkeit fällig gewordene Umsatzsteuern in Höhe von 23 005,30 DM (einschließlich 1 060 DM Verspätungszuschläge) zuzüglich 340 DM Säumniszuschläge in Anspruch genommen. Zur Begründung führte das FA im Haftungsbescheid und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung aus, die Antragstellerin sei mit ihrer Bestellung im Juni 1996 Geschäftsführerin der GmbH geworden. Eine Pflichtverletzung der Antragstellerin hinsichtlich der Nichtbegleichung der Umsatzsteuerschulden sei darin begründet, dass sie --obwohl sie bereits vorher auf betriebswirtschaftlichem Gebiet tätig gewesen sei-- die ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen habe und trotz noch vorhandener Mittel das FA nicht mit der gleichen Tilgungsquote wie die anderen Gläubiger befriedigt habe. Es seien aus dem Haftungszeitraum Kontoauszüge der GmbH in Fotokopie vorgelegt worden, aus denen sich ergebe, dass die GmbH zu dieser Zeit noch Zahlungen an Dritte geleistet und Zahlungseingänge verbucht habe. Aus den Akten der Finanzbehörde sei zu entnehmen, dass die GmbH im Haftungszeitraum Umsatzsteuerrückstände in Höhe von 11 088,49 DM getilgt habe. Da die Antragstellerin nur unvollständige Angaben über die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und deren Tilgung im Haftungszeitraum gemacht, andererseits aber eingeräumt habe, die Angestelltenlöhne in voller Höhe ausbezahlt zu haben, werde die Quote, in der die Steuerrückstände zu tilgen gewesen wären, auf 80 v.H. geschätzt. Die Inanspruchnahme der Steuerschuldnerin sei nicht mehr Erfolg versprechend, nachdem das Gesamtvollstreckungsverfahren gegen die GmbH mangels Masse nicht eröffnet werden konnte. Neben der Antragstellerin sei auch der zweite Geschäftsführer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden.
Die Antragstellerin hat Anfechtungsklage gegen den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhoben und gleichzeitig den Antrag auf Gewährung von PKH für dieses Verfahren gestellt. Das Finanzgericht (FG) hat den PKH-Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 9. Juni 1999 abgelehnt. In seiner Begründung führt das FG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 6. August 1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79, und Beschluss vom 12. Februar 1998 VII B 252/97, BFH/NV 1998, 1140) aus, Gegenstand des Verfahrens sei nunmehr der nach § 129 AO 1977 berichtigte Haftungsbescheid auch ohne dass ein Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt worden sei. Die Rechtsverfolgung habe jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach summarischer Prüfung lägen die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme vor. Die Antragstellerin sei durch ihre Bestellung auch ohne Eintragung in das Handelsregister zur Geschäftsführerin der GmbH geworden. Im Hinblick auf die Nichtabführung der Umsatzsteuer sowie der dazu angefallenen Nebenabgaben sei ihr eine grob fahrlässige Pflichtverletzung anzulasten, da der GmbH im Haftungszeitraum dem Vortrag der Antragstellerin zufolge immerhin noch Mittel zur Begleichung der Angestelltenlöhne zur Verfügung gestanden hätten. Mangels genauer Angaben zu den Verbindlichkeiten und zu deren Tilgung im Haftungszeitraum sei die Schätzung der Quote, mit der die GmbH eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger hätte bewirken müssen, durch das FA mit 80 v.H. nicht zu beanstanden. Die Überprüfung der Ermessensentscheidung lasse Ermessensfehler oder einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erkennen. Die Höhe der Haftungssumme müsse nicht in einem angemessenen Verhältnis zum bezogenen Gehalt stehen. Im Übrigen werde auf die Gründe der Einspruchsentscheidung verwiesen, der das Gericht in entsprechender Anwendung des § 105 Abs. 5 FGO folge.
Mit ihrer Beschwerde wehrt sich die Antragstellerin gegen den Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie das FA gegenüber anderen Gläubigern, insbesondere gegenüber den Arbeitnehmern, gleichmäßig oder vorrangig hätte befriedigen müssen. Dieser Irrtum sei unvermeidbar gewesen, weil sie erstmals im Haftungsverfahren davon Kenntnis erhalten habe, dass sie die Löhne hätte kürzen müssen, um die Umsatzsteuerschulden anteilig zu begleichen. Sie verweist auf ihr Vorbringen im Klageverfahren, wonach sie aus der Arbeitslosigkeit als Geschäftsführerin eingestellt worden sei, ohne die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten für diese Tätigkeit zu besitzen. Bei ihrer Einstellung habe sie die finanzielle Lage der GmbH nicht gekannt und während ihrer gesamten Tätigkeit dort weniger Gehalt bezogen, als jetzt von ihr als Haftungsschuldnerin verlangt werde.
Sie mache aber darauf aufmerksam, dass für November 1996 überhaupt keine Löhne mehr bezahlt und die Arbeitnehmer zum 30. November 1996 entlassen worden seien und dass am 25. November 1996 ein Betrag von 16 886,89 DM vom Geschäftskonto der GmbH an das FA zur Begleichung von Steuerschulden überwiesen worden sei (zum Beweis lege sie die Kopie des Bankauszuges vom 25. November 1996 vor). Außerdem sei am 1. Oktober 1996 eine weitere Zahlung für die Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 1 332 DM an das FA erfolgt. Weitere Tilgungsleistungen seien der GmbH nicht möglich gewesen, weil ihr keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Die GmbH sei schon im November 1996 nicht mehr zahlungsfähig gewesen, daher sei auch im Dezember 1996 der Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt worden.
Mit einer geschätzten Tilgungsquote von 80 v.H. der gesamten Steuerrückstände und Nebenabgaben sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Entsprechende Ermessenserwägungen habe das FA weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung angegeben. Dass sie zu der Frage, ob der GmbH bei Fälligkeit der Steueransprüche genügend Mittel zur Begleichung aller Schulden zur Verfügung gestanden hätten, keine genauen Angaben habe machen können, liege daran, dass die Daten auf der Festplatte des inzwischen von der Lieferfirma als Vorbehaltseigentümerin abgeholten Firmencomputers gespeichert gewesen seien und sonstige Unterlagen sich zwar noch in dem ehemaligen Firmengebäude befänden, dort aber Strom, Wasser, Heizung usw. abgestellt worden seien, so dass es ihr im Winter unzumutbar gewesen sei, dort nach weiteren Unterlagen zu suchen.
II. Die Beschwerde ist begründet, weil die erforderliche hinreichende Aussicht auf einen Teilerfolg der Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht unwahrscheinlich ist.
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO ist PKH zu bewilligen, wenn der Kläger bzw. Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und ferner die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217, und vom 22. Februar 1994 VII B 114/92, BFH/NV 1994, 822, m.w.N.). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig zu bewerten sind, so dass im Ergebnis für beide Beteiligten eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehen kann. Eine abschließende Prüfung darf bei Abwägung der für und gegen den Erfolg sprechenden Umstände nicht vorgenommen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 1998 VII B 107/98, BFH/NV 1999, 342).
2. Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze hat die Beschwerde der Antragstellerin Erfolg.
Zunächst hat das FG zutreffend dargelegt, dass das FA die Antragstellerin grundsätzlich als Haftungsschuldnerin gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 in Anspruch nehmen konnte. Mit ihrer "Anstellung als Geschäftsführerin" ist die Antragstellerin ab dem Anstellungszeitpunkt und der Aufnahme ihrer Tätigkeit Geschäftsführerin der GmbH geworden (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., 1995, § 39 Rz. 1, § 6 Rz. 26 f.), ohne dass es auf die Eintragung im Handelsregister ankommt. Die Antragstellerin hätte jedoch auch dann als "faktische" Geschäftsführerin in Haftung genommen werden können, wenn der bisher nicht vorgelegte Anstellungsvertrag die Geschäftsführerstellung der Antragstellerin nicht ausdrücklich festgelegt haben sollte, weil sie --bislang unwidersprochen-- als Geschäftsführerin aufgetreten ist, die Geschäfte der GmbH im streitbefangenen Zeitraum geführt und schließlich den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zusammen mit dem zweiten Geschäftsführer unterschrieben und gestellt hat (vgl. Senatsurteil vom 7. April 1992 VII R 104/90, BFH/NV 1993, 213).
Die Antragstellerin ist neben dem zweiten Geschäftsführer als Geschäftsführerin der GmbH tätig geworden. Als solche hatte sie nach § 34 Abs. 1 AO 1977 die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln, die sie verwaltete, entrichtet wurden. Sie haftet nach § 69 AO 1977, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihr auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.
Die gegen die Annahme einer Pflichtverletzung gerichteten Einwendungen der Antragstellerin sind nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung unbegründet. Die Antragstellerin macht geltend, sie sei aus der Arbeitslosigkeit heraus als Geschäftsführerin angestellt worden, ohne Kenntnis von der wirtschaftlichen Lage der GmbH gehabt zu haben und ohne die für eine Geschäftsführertätigkeit notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu besitzen. Daher sei auch ihr Irrtum über die Notwendigkeit, die Steuerschulden gegenüber dem FA gleichrangig oder gar vorrangig vor den Arbeitnehmerlöhnen zu begleichen, unvermeidbar und damit entschuldbar gewesen. Gerade dieses Verhalten ist der Antragstellerin jedoch als grobe Sorgfaltsverletzung vorzuwerfen; denn in einem solchen Fall wirtschaftlicher Unerfahrenheit und Überforderung hätte sie nicht bereit sein dürfen, die Geschäftsführertätigkeit zu übernehmen, ohne sich mit den wichtigsten handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH vertraut zu machen und ohne sich nach der finanziellen Lage der Gesellschaft zu erkundigen, um die noch vorhandenen Mittel sorgsam verwalten zu können.
3. Dennoch hat die Beschwerde Erfolg.
a) Die Haftung nach § 69 Satz 1 AO 1977 hat Schadensersatzcharakter; d.h. sie beschränkt sich im Umfang auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, 860). Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so betrifft die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Steuerschuld nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 5. September 1989 VII R 61/87, BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979; vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, und vom 17. Juli 1985 I R 205/80, BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702). Diese zur Haftung nicht entrichteter Umsatzsteuer entwickelten Grundsätze gelten auch für die übrigen Steuern und Nebenleistungen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785), mit Ausnahme der Lohnsteuer. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt jedenfalls für die dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegenden nicht entrichteten Umsatzsteueransprüche sowie die dazugehörigen Nebenabgaben.
b) Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits im Streitfall bei summarischer Betrachtung allein davon ab, ob sich das Vorbringen der Antragstellerin, die GmbH habe bei der Zahlung auf Verbindlichkeiten das FA gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt, als zutreffend erweist. In diesem Falle hätte die Klage ganz oder zum Teil Erfolg.
Zu Recht sind sowohl das FA als auch das FG davon ausgegangen, dass die Antragstellerin nur insoweit in Anspruch genommen werden kann, als sie pflichtwidrig die Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH nicht in etwa dem gleichen Umfang getilgt hat wie andere Verbindlichkeiten, und dass zur Feststellung, inwieweit dem FA gemäß diesem Grundsatz der anteiligen Tilgung ein Schaden entstanden ist, die Quote festgestellt werden muss, in deren Höhe unter Ausschöpfung der vorhandenen oder bereitzuhaltenden Betriebsmittel die bestehenden Verbindlichkeiten hätten getilgt werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Senats vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678, und in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, jeweils m.w.N.).
Reichen die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht aus, sind die rückständigen Umsatzsteuerbeträge (Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge) vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, 778, m.w.N.). Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das FA --und auch das FG, selbst wenn es sich um ein PKH-Verfahren handelt, in dem nur eine summarische Prüfung vorzunehmen ist-- unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder --soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann-- im Schätzungswege festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO 1977). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer, Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge der GmbH in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO 1977, ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357, und vom 23. August 1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570, 571). Da die Berechnung der Haftungssumme zeitraumbezogen ist, d.h. hinsichtlich der vorhandenen Zahlungsverpflichtungen und der hierauf geleisteten Zahlungen auf den ganzen Haftungszeitraum abzustellen ist, hätte die Antragstellerin zur Ermittlung der zutreffenden Haftungsquote und daraus folgend der Summe, für die sie als Haftungsschuldnerin einzustehen hat, eine Aufstellung aller Verbindlichkeiten der GmbH zu Beginn des Haftungszeitraums (1. Oktober 1996) und zum Ende des Haftungszeitraums (30. November 1996) erstellen sowie --anhand der Kontoauszüge über die Betriebskonten der GmbH-- angeben müssen, in welcher Höhe während des Haftungszeitraums (1. Oktober bis 30. November 1996) Zahlungen auf die Gesamtverbindlichkeiten der GmbH geleistet worden sind. Aus dem sich aus diesen Zahlen ergebenden Verhältnis der Gesamtverbindlichkeiten zu den Gesamttilgungen im Haftungszeitraum hätte das FA die zutreffende Haftungsquote ermitteln können. Die Klägerin hat aber keine Angaben über die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und den Umfang ihrer Tilgung im Haftungszeitraum gemacht.
Wenngleich dem Senat eine Haftungsquote von 80 v.H. angesichts des Umstandes, dass die Antragstellerin als Geschäftsführerin der GmbH während des zweimonatigen Haftungszeitraums im Monat November nicht einmal mehr die Arbeitnehmerlöhne bezahlt hat, sehr hoch erscheint, ist deshalb diese Schätzung des FA vom FG zu Recht nicht beanstandet worden; denn solange die Antragstellerin die vorgenannten Zahlen nicht selbst ermittelt und vorgelegt hat, konnte das FA von seiner Schätzungsbefugnis Gebrauch machen. Ein Schätzungsfehler kann dem FA, das im Streitfall keinerlei Angaben über die Gesamtverbindlichkeiten und die Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten erhalten hat, nicht vorgeworfen werden. Insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, es sei ihr unzumutbar gewesen, die nach ihren Angaben noch vorhandenen Unterlagen der GmbH herauszusuchen und sie dem FA zur Ermittlung einer möglicherweise für sie günstigeren Haftungsquote vorzulegen.
c) Dennoch bietet die Rechtsverfolgung der Antragstellerin nach summarischer Prüfung --jedenfalls teilweise-- Aussicht auf Erfolg. Denn der angefochtene Haftungsbescheid erscheint insoweit rechtsfehlerhaft, als es das FA unterlassen hat, die während des Haftungszeitraums auf die gesamten rückständigen Steuerverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen der GmbH bei der Ermittlung der Haftungsquote zu berücksichtigen, soweit es sich nicht um Zahlungen auf die vorrangig zu tilgenden Lohnsteuerbeträge gehandelt hat (vgl. BFH-Urteile vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539, und in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172).
Auch wenn der Senat eine Tilgungsquote von 80 v.H. für sämtliche Verbindlichkeiten der GmbH als zutreffend unterstellt, so wäre die Inanspruchnahme der Haftungsschuldnerin für die rückständigen Steuerschulden in Höhe von 80 v.H., d.h. in Höhe der insgesamt möglichen Tilgungsquote nur dann gerechtfertigt, wenn die GmbH keinerlei Zahlungen auf ihre während des Haftungszeitraums bestehenden Steuerschulden geleistet hätte. Tatsächlich haftet die Antragstellerin nämlich für die nach der Vergleichsrechnung zu bezahlende Umsatzsteuer (Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge) nur noch in Höhe des Differenzbetrages zwischen der Quote der Gesamtschuldentilgung einerseits und der Quote der Tilgung der Steuerverbindlichkeiten andererseits (Haftungssumme der Antragstellerin). Das bedeutet, dass die während des Haftungszeitraumes auf die gesamten während dieses Zeitraums bestehenden Steuerschulden der GmbH erbrachten Zahlungen (das sind --soweit sie für den Senat anhand der vorliegenden Kontoauszüge der GmbH ersichtlich sind-- die Zahlung von 1 332 DM am 1. Oktober 1996 auf die Kraftfahrzeugsteuer und vom 25. November 1996 in Höhe von 16 886,89 DM auf die übrigen Steuerverbindlichkeiten) sowie ggf. die während des Haftungszeitraumes auf die rückständigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten erfolgten Verrechnungen von Vorsteuerüberschüssen aus vorangegangenen Vorauszahlungszeiträumen oder die sonstigen Steuerguthaben als Zahlungen auf die ermittelte Tilgungsquote anzurechnen sind. Das gilt ungeachtet dessen, dass diese Tilgungsleistungen auf andere im Haftungszeitraum noch offene Steuerrückstände verrechnet worden sind; denn die Verrechnung auf diese im Haftungsbescheid nicht erfassten Steuerverbindlichkeiten berührt den Umstand nicht, dass die während des Haftungszeitraumes geleisteten Zahlungen auf die Quote, mit der die notleidende GmbH noch in der Lage war, ihre Steuerverbindlichkeiten zu erfüllen und erfüllt hat, anzurechnen sind.
Der Senat kommt damit zu dem Ergebnis, dass sämtliche während des Haftungszeitraumes auf die Steuerverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen und sonstigen Tilgungsvorgänge in die Vergleichsberechnung zur Ermittlung der anteilig noch zu tilgenden Umsatzsteuer einzubeziehen sind (zur Berechnung vgl. ausführlich das Senatsurteil vom 7. November 1989 VII R 34/87, BFHE 159, 106, BStBl II 1990, 201, sowie das Berechnungsschema der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 23. November 1994, Betriebs-Berater 1995, 82).
4. Anders als bei der Ermittlung der Gesamtverbindlichkeiten und der darauf geleisteten Gesamtzahlungen der GmbH im Haftungszeitraum war das FA zur Ermittlung der Steuerrückstände zu Beginn und Ende des Haftungszeitraumes und der darauf entrichteten Tilgungsleistungen während des Haftungszeitraumes nicht auf die Mitwirkung der Antragstellerin angewiesen, sondern hätte diese leicht und einwandfrei aus den für die GmbH geführten Steuerkonten entnehmen können. Das FA und auch das FG haben im PKH-Verfahren entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird die Feststellungen zur Ermittlung der gesamten Steuerverbindlichkeiten und der darauf anzurechnenden Tilgungsleistungen der GmbH für den Haftungszeitraum vom 1. Oktober bis 30. November 1996 anhand vom FA vorzulegender unverschlüsselter Kontoauszüge noch zu treffen haben und die Haftungssumme der Antragstellerin und damit den wahrscheinlichen Erfolg der Klage insoweit neu zu ermitteln haben.
Der Antragstellerin bleibt es vorbehalten, durch Vorlage eines Liquiditätsstatus der GmbH (Auflistung sämtlicher Verbindlichkeiten der GmbH zum 1. Oktober und zum 30. November 1996 sowie der während dieser Zeit darauf erbrachten Zahlungen) noch eine für sie günstigere Haftungsquote zu erreichen. Da nach alldem eine Minderung der Haftungssumme zum Tragen kommt, müsste dasFG, sofern die übrigen für die Bewilligung der PKH erforderlichen Voraussetzungen des § 114 FGO i.V.m. § 117 ZPO erfüllt sind, die PKH --jedenfalls teilweise-- gewähren.
Ende der Entscheidung
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