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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.03.2003
Aktenzeichen: VII B 188/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 35
AO 1977 § 240 Abs. 3
AO 1977 § 240
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wird vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nach § 35 der Abgabenordnung (AO 1977) als Verfügungsberechtigte auf Haftung für Lohnsteuer Februar 1997 in Anspruch genommen, welche die entrichtungspflichtige A-GmbH (GmbH), mit der die Klägerin einen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen hatte, schuldig geblieben ist. Die GmbH hat die Lohnsteuer zwar pünktlich angemeldet, deren Geschäftsführer und der Geschäftsführer der Klägerin haben die Banküberweisungsaufträge für die betreffende, am 10. März 1997 fällige Zahlung jedoch erst am 12. März 1997 unterzeichnet und am folgenden Tag der Bank übergeben. Diese hat die Aufträge nicht mehr ausgeführt. Am 14. März 1997 ist die Sequestration hinsichtlich des Vermögens der GmbH angeordnet worden.

Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. In dem Urteil des Finanzgerichts (FG) heißt es, die Klägerin habe die Lohnsteuer schuldhaft nicht abgeführt. Einzelne Konten der GmbH hätten zwar im Februar und Anfang März noch ein Guthaben ausgewiesen; dem habe jedoch ein Sollbestand auf einem anderen Konto gegenübergestanden. Schon im Januar habe der Geschäftsführer der Klägerin den Kontokorrentkreditrahmen als ausgeschöpft angesehen, ihm sei die schwierige finanzielle Situation der GmbH also schon weit vor der Fälligkeit der Lohnsteuer bekannt gewesen. Bei einer Besprechung am 27. Februar 1997 sei den Geschäftsführern der GmbH und der Klägerin bekannt gewesen, dass drei Wochen später ein Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) ernsthaft erwogen werden müsse. Deshalb habe die Klägerin in erhöhtem Maße besondere Sorgfalt hinsichtlich der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen der GmbH anwenden und insbesondere dafür sorgen müssen, dass die Lohnsteuer Februar 1997 spätestens bis zum 10. März 1997 abgeführt wird. Das sei nicht geschehen. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Überweisungsaufträge sei der Haftungstatbestand bereits verwirklicht gewesen. Selbst wenn unter Ausnutzung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977, so fährt das FG fort, Steuern verspätet gezahlt würden, bleibe die darin liegende Pflichtverletzung schuldhaft; das Verschulden bleibe erhalten, wenn während der Schonfrist unerwartet Zahlungsunfähigkeit eintrete.

Zudem könne nicht von dem Eintritt einer unerwarteten Zahlungsunfähigkeit ausgegangen werden. Denn die kritische Einschätzung der Vermögenslage der GmbH vom Januar habe sich bis Mitte März 1997 nicht geändert, wie aus der Besprechung vom 27. Februar 1997 ersichtlich werde. Die Klägerin habe daher nicht davon ausgehen können, dass sie die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer bis zum 10. März 1997 werde erfüllen können. Sie habe deshalb alles unternehmen müssen, um diese Pflicht zu erfüllen. Dazu gehöre nach der Rechtsprechung die gleichrangige Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des FA hinsichtlich der darauf entfallenden Lohnsteuer, notfalls unter anteiliger Kürzung beider Verbindlichkeiten. Die ungekürzte Auszahlung der Löhne Anfang März führe zu einer schuldhaften Pflichtverletzung; obwohl die strittige Lohnsteuer nicht der Lohnzahlung für März, sondern für Februar zuzuordnen sei, lasse das Verhalten der Klägerin erkennen, dass sie die ihr abverlangte Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht wird:

Es sei die Rechtsfrage zu klären, ob bei erstmaliger unverschuldeter Ausnutzung der Schonfrist nicht eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung vorliege. Zudem bedürfe es einer Fortbildung des Rechts dahin, dass bei der Anwendung des § 240 Abs. 3 AO 1977 nicht eine formale, sondern eine wirtschaftliche Betrachtung anzustellen sei; Steuerpflichtige, insbesondere Kaufleute, müssten ökonomisch handeln und alle Möglichkeiten ausnutzen, um Zinsvorteile zu erlangen. Diese Denkweise nicht im Rahmen des § 240 AO 1977 anzuwenden, sei wirklichkeitsfremd.

Die Beschwerde rügt ferner, dass ihr nur kurzzeitig die Möglichkeit gegeben worden sei, sich mit dem Urteil des beschließenden Senats vom 11. Dezember 1990 VII R 85/88 (BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282) zu befassen und dass das FG diese Entscheidung bis zur mündlichen Verhandlung selbst nicht als entscheidungserheblich angesehen habe; dadurch sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Ferner habe das FG verfahrensfehlerhaft die Streitsache mit einer anderen zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, ohne die Klägerin dazu zu hören.

Die Beschwerde ist, wenn man von den Mängeln ihrer Begründung (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) absieht, zumindest unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Die in der Beschwerde sinngemäß formulierte Rechtsfrage, ob einem "pünktlichen Steuerzahler" ein zur Haftung führender Vorwurf schuldhaft pflichtwidrigen Verhaltens gemacht werden kann, wenn er --aufgrund ihm nicht zuzurechnenden Drittverschuldens-- "unbewusst" bzw. ohne es "zu wollen", die Schonfrist ausgenutzt hat, würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Für das Revisionsgericht sind nach § 118 Abs. 2 FGO die tatsächlichen Feststellungen des FG grundsätzlich bindend und neues tatsächliches Vorbringen ist im Revisionsverfahren unzulässig. Das FG hat aber im Streitfall nicht festgestellt, dass der Klägerin die bei Fälligkeit der Lohnsteuer unterbliebene Zahlung nicht zuzurechnen ist und dass sie die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 nicht hat ausnutzen wollen. Überdies könnte die von der Beschwerde --vor allem auch unter dem Gesichtspunkt eines Bedürfnisses nach einer Fortentwicklung des Rechts-- aufgeworfene Frage, ob einem Vertreter des Steuerpflichtigen bzw. demjenigen, der für ihn als Verfügungsberechtigter auftritt, ohne Gefahr der Haftungsinanspruchnahme zugestanden werden muss, die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 auszunutzen, insbesondere, wenn dies nicht dauerhaft geschieht --es sich also um einen "pünktlichen Steuerzahler" handelt--, allenfalls dann für die Möglichkeit einer Haftungsinanspruchnahme des Betreffenden von Bedeutung sein, wenn dieser abgesehen von der Zahlung der Steuern schon bei Fälligkeit alle seine Pflichten erfüllt hat. Das ist indes nach den für das angestrebte Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG bei der Klägerin nicht der Fall. Das FG hat dazu ausgeführt, dass die Mitte März eingetretene Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht unerwartet gewesen sei, sondern dass sie u.a. der Geschäftsführer der Klägerin seit Ende Februar, vielleicht sogar bereits seit Januar vorausgesehen habe. In einem solchen Fall ist das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282 nicht einschlägig. Denn tritt die Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners nicht unerwartet während der Schonfrist ein, sondern musste der Pflichtige bereits bei Fälligkeit der Steuer mit dem baldigen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit rechnen, so handelt er wenigstens grob fahrlässig, wenn er gleichwohl die Steuer nicht zahlt, sondern es darauf ankommen lässt, möglicherweise alsbald zur Zahlung nicht mehr im Stande zu sein.

Ferner übersieht die Beschwerde, wenn sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lediglich aus dem Hinweis des FG auf das Urteil des Senats in BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282 abzuleiten versucht, dass das Urteil des FG selbständig tragend (vgl. Bl. 9 des Entscheidungsabdrucks: "Zudem ...") darauf gestützt ist, der Klägerin sei --unabhängig von der Frage der Ausnutzung der Schonfrist-- ein zur Haftung führender Verschuldensvorwurf deshalb zu machen, weil trotz unbefriedigter Steuerforderung Februar und trotz der Erkenntnis, dass diese Steuerforderung angesichts der finanziellen Situation der GmbH nicht mehr befriedigt werden kann, Anfang März die März-Löhne ungekürzt ausgezahlt worden seien. Sich mit dieser Begründung anhand des § 115 Abs. 2 FGO auseinander zu setzen, wäre für eine schlüssige Beschwerdebegründung geboten gewesen, weil die Revision nur dann zugelassen werden könnte, wenn ein Revisionszulassungsgrund auch im Hinblick auf diese Erwägungen des FG vorläge.

2. Die Rüge, der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör sei vom FG nicht beachtet worden, ist u.a. deshalb schon unschlüssig, weil nicht dargelegt ist, was die Klägerin bei frühzeitigerem Hinweis auf das vorgenannte Urteil des erkennenden Senats noch hätte vortragen wollen und inwiefern ein solcher Vortrag --aus der in diesem Zusammenhang allein maßgeblichen rechtlichen Sicht des FG-- zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Überdies hat das FA bereits mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör nicht mit Erfolg gerügt werden kann, wenn der Beteiligte es unterlassen hat, die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten zu nutzen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Dass die Klägerin dies getan hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Der angebliche Verfahrensmangel einer Verbindung des Verfahrens mit einem anderen Verfahren ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs zu dieser Absicht bzw. die --vermeintliche-- "erneute Trennung" der Verfahren ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt, weil u.a. nicht angegeben ist, inwiefern eine andere Verfahrenshandhabung des FG zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte führen können.

Ende der Entscheidung

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