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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.01.2004
Aktenzeichen: VII B 190/03
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 | |
FGO § 116 Abs. 3 Satz 1 | |
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3 |
Gründe:
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Inhaberin einer Zulassung von Bestandsaufzeichnungen für Tätigkeiten in der Freizone X sowie einer Zulassung der Freihafenlagerung von Gemeinschaftswaren. Diese Zulassungen waren zunächst dem jetzigen Geschäftsführer der Klägerin, K, erteilt worden und waren nach Gründung der Klägerin auf diese mit Bescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt --HZA--) vom 27. Oktober 1998 übertragen worden. Nach Ermittlungen des Zollfahndungsamts beging K unter seiner Einzelfirma, der Firma A sowie der Firma B mehrere Steuerstraftaten in drei Tatkomplexen:
- In den Jahren 1994 und 1995 wurden für aus Drittländern importierte Fleischerzeugnisse, die nicht für die Europäische Gemeinschaft zugelassen waren, von K externe gemeinschaftliche Versandverfahren eröffnet. Auf seine Anordnung wurden die Waren jedoch in mehreren Fällen nicht der Bestimmungszollstelle gestellt, sondern in Deutschland abgeladen. Mit Hilfe von gefälschten Handelsrechnungen und nicht existierenden Firmenbezeichnungen erwirkte K trotz des Einfuhrverbots für die Waren deren Abfertigung zum freien Verkehr, wobei er sie zum Teil falsch deklarierte, um so die Einfuhrabgaben zu verkürzen.
- 1995 beantragte die Firma B, die auf Weisung des K handelte, für eine Sendung Gefrierfleisch ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren nach Bulgarien, dessen Erledigung aufgrund eines Rückscheins mit gefälschten griechischen Erledigungsvermerken erfolgte.
- In der Zeit von August bis Oktober 1994 wurden weitere in Versandverfahren befindliche Warensendungen ohne Wiedergestellung für K entladen. Die entsprechenden Erledigungsvermerke des Zollamts waren falsch. Für die Anschluss-Versandverfahren nach Slowenien wurden österreichische Erledigungsvermerke gefälscht.
Das zuständige Hauptzollamt setzte die aus diesen Taten entstandenen Abgaben in Höhe von insgesamt mehr als ... Mio. DM gegen K fest.
Nach Bekanntwerden dieser Ermittlungs- und Besteuerungsverfahren gegen K widerrief das HZA die der Klägerin erteilte Zulassung vom 27. Oktober 1998. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Das FG urteilte, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt durch Umwandlung des Freihafens X in eine Freizone des Kontrolltyps II erledigt habe und dass die nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage zu wertende Klage unzulässig sei. Der Widerruf der Zulassung von Bestandsaufzeichnungen sei nach Art. 810 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodexdurchführungsverordnung --ZKDVO a.F--) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 253/1) i.d.F. vor In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4. Mai 2001 (ABlEG Nr. L 141/1) nur die Folge der Untersagung der Ausübung von Tätigkeiten in einer Freizone. Beide Entscheidungen, die im Streitfall in demselben Verwaltungsakt enthalten seien, stünden daher in dem Verhältnis des Grundbescheids zum Folgebescheid zueinander. Der Folgebescheid könne nur erfolgreich angegriffen werden, wenn der Grundbescheid beseitigt sei. Die Klägerin habe aber nur den Widerruf der Zulassung von Bestandsaufzeichnungen, also den Folgebescheid, angefochten, nicht aber die Aufhebung des Grundbescheids beantragt.
Auch wenn man eine den Grundbescheid miterfassende Antragstellung der Klägerin unterstellen wollte, sei die Klage unbegründet, da die Untersagung der Ausübung von Tätigkeiten in der Freizone X zu Recht erfolgt sei. In Anbetracht der sich aus den Fahndungsberichten ergebenden zollrechtlichen Verfehlungen des K sei die Untersagung durch das HZA nicht ermessensfehlerhaft. Die begangenen Zollverstöße seien derart schwer und nachhaltig, dass jegliche Tätigkeiten als ausgeschlossen anzusehen seien, die Gewähr und Zuverlässigkeit in zollrechtlichen Belangen erforderten. Da K als Geschäftsführer der Klägerin ihr allein handlungsberechtigtes Organ sei, müsse sie sich dessen Handeln und auch dessen Unzuverlässigkeit in zollrechtlichen Angelegenheiten zurechnen lassen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Grundsätzlich bedeutsam seien die Rechtsfragen, ob ein Klagebegehren als ausschließlich auf die Aufhebung des Folgebescheids gerichtet ausgelegt werden könne, wenn der Grund- und der Folgebescheid in demselben Verwaltungsakt enthalten seien, und ob allein Ermittlungsergebnisse der Zollverwaltung ausreichten, um einer Person die persönliche Gewähr für die Einhaltung der Vorschriften des Zollkodex abzusprechen.
Das HZA tritt dem Beschwerdevorbringen, dass Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären seien, entgegen.
II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet, weil der geltend gemachte Grund für die Zulassung der Revision nicht vorliegt.
Einer Rechtsfrage ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996, 141, m.w.N.). Das Vorliegen dieser Zulassungsvoraussetzungen muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift und innerhalb der Begründungsfrist schlüssig und substantiiert darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO). Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1996, 141, m.w.N.; vom 14. März 2000 V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148).
Hat das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muss der Beschwerdeführer darüber hinaus einen Zulassungsgrund bezüglich jeder dieser Begründungen darlegen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Anm. 28). Hieran fehlt es im Streitfall.
Das FG hat seine Entscheidung auf zwei Gründe gestützt: Zum einen habe die Klägerin nur den Widerruf der Zulassung von Bestandsaufzeichnungen angefochten, nicht aber die Untersagung der Ausübung von Tätigkeiten in einer Freizone, welche als Grundbescheid gemäß Art. 810 Abs. 1 ZKDVO a.F. vorrangig hätte beseitigt werden müssen. Zum anderen sei die Untersagung der Ausübung von Tätigkeiten in der Freizone X --selbst wenn man sie als vom Klageantrag miterfasst ansehen wollte-- wegen der anzunehmenden Unzuverlässigkeit des K in zollrechtlichen Angelegenheiten zu Recht erfolgt. Es handelt sich hierbei um Gründe, welche die klagabweisende Entscheidung des FG jeweils selbständig tragen.
1. Hinsichtlich des zuletzt genannten Grundes, welcher die Entscheidung des FG trägt, formuliert die Beschwerde die Rechtsfrage, ob bereits Ermittlungsergebnisse der Zollverwaltung ausreichen, um einer Person die persönliche Gewähr für die Einhaltung der Vorschriften des Zollkodex abzusprechen, bevor deren Verfehlungen in einem rechtsbeständigen Bescheid bzw. in einem rechtskräftigen Strafurteil festgestellt worden sind. Ob die Beschwerde allerdings in ausreichend schlüssiger Weise darlegt, dass es sich hierbei um eine für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handelt, erscheint zweifelhaft, weil allein der Hinweis der Beschwerde, dass die Rechtsfrage vom BFH bisher noch nicht entschieden sei, insoweit nicht ausreichend ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 141), kann aber offen bleiben. Jedenfalls ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, da sie sich nur so beantworten lässt, wie es im Streitfall geschehen ist.
Nach Art. 172 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften --ZK-- (ABlEG Nr. L 302/1) können die Zollbehörden Personen, die nicht die erforderliche Gewähr für die Einhaltung der Vorschriften des ZK bieten, die Ausübung einer Tätigkeit in einer Freizone oder einem Freilager untersagen. Ob diese Voraussetzungen für eine Untersagung erfüllt sind, ob also eine Person, die Tätigkeiten in einer Freizone bzw. einem Freilager ausübt, die erforderliche Gewähr für die Einhaltung der Vorschriften des ZK bietet oder nicht, ist eine Frage, die aufgrund einer dem Tatrichter vorzubehaltenden Tatsachenwürdigung im Einzelfall zu beantworten ist und die somit einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.
Es gibt auch keinen rechtlichen Grund, Art. 172 Abs. 3 ZK --wie es die Beschwerde vertritt-- in der Weise auszulegen, dass die Untersagung nur dann zulässig ist, wenn die Verfehlungen, welche gegen die zollrechtliche Zuverlässigkeit der betreffenden Person sprechen, zuvor in einem rechtsbeständigen Bescheid oder in einem rechtskräftigen Strafurteil festgestellt worden sind. Gründe, welche gegen die "erforderliche Gewähr" im Sinne der Vorschrift sprechen, müssen nicht zugleich Gegenstand anderer zollrechtlicher Verfahren bzw. eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens sein. Handelt es sich aber bei diesen Gründen um angebliche Verfehlungen der betreffenden Person, die --wie im Streitfall-- zugleich einen Straftatbestand erfüllen, so ist die Zollbehörde (und ebenso in einem späteren Klageverfahren das FG) an die in dem Strafverfahren getroffenen Feststellungen nicht gebunden. Zollbehörde und FG sind zwar nicht gehindert, sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen eines Strafgerichts zu Eigen zu machen, wenn und soweit sie diese für zutreffend halten --insbesondere bei einem bereits vorliegenden rechtskräftigen Urteil--; eine Verpflichtung, die im Strafverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu übernehmen, besteht hingegen nicht (Senatsurteil vom 12. Januar 1988 VII R 74/84, BFH/NV 1988, 692). Im Fall einer Untersagung der Ausübung von Tätigkeiten in einer Freizone gemäß Art. 172 Abs. 3 ZK besteht somit auch kein rechtlicher Grund, zunächst den Ausgang eines ggf. gegen die betreffende Person gerichteten Strafverfahrens abzuwarten.
Ob es in einem solchen Fall evtl. zweckmäßig ist, ein rechtskräftiges Strafurteil bzw. einen rechtsbeständigen behördlichen Bescheid abzuwarten, in dem die Verfehlungen der betreffenden Person eine Rolle spielen, ist ebenfalls eine Frage des Einzelfalls, wobei zu berücksichtigen ist, dass Gründe der zollamtlichen Überwachung in der Freizone in der Regel ein schnelles Handeln gebieten und dass mit dem Vorliegen eines rechtsbeständigen Bescheids oder eines rechtskräftigen Urteils erst nach Ablauf einer längeren Zeit gerechnet werden kann. Es mag Ermittlungsergebnisse der Zollverwaltung geben, die eine derart sichere Grundlage für die Beurteilung der "erforderlichen Gewähr" i.S. des Art. 172 Abs. 3 ZK bieten, dass auf weitere Feststellungen verzichtet werden kann, während andere Ermittlungsergebnisse so zweifelhaft erscheinen mögen, dass zunächst ihre Klärung in einem anderen steuerrechtlichen Verfahren oder in einem Strafverfahren abzuwarten ist.
Anders als die Beschwerde meint, ist die von ihr bezeichnete Rechtsfrage auch nicht klärungsbedürftig, weil gegen die in den Ermittlungsergebnissen der Zollfahndung enthaltenen Feststellungen keine Rechtsschutzmöglichkeiten bestünden, der Betroffene sich erst in Verwaltungs- oder Strafverfahren gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen könne und die Untersagung von Tätigkeiten in einer Freizone bei einem in der Freizone eingerichteten Gewerbebetrieb faktisch zu einer Untersagung der gewerblichen Tätigkeit führe.
Wird einer Person --wie im Streitfall der Klägerin-- die Ausübung von Tätigkeiten in einer Freizone gemäß Art. 172 Abs. 3 ZK untersagt, stehen ihr dagegen alle gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Um eine in der Freizone ständig ausgeübte gewerbliche Tätigkeit nicht sofort beenden zu müssen, kann insbesondere ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt werden. Im Rahmen eines solchen Verfahrens ist dann zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an ggf. vorliegenden Ermittlungsergebnissen der Zollverwaltung bestehen, auf welche die Untersagungsverfügung gestützt wird. Bestehen ernstliche Zweifel, ist dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben. Sind hingegen die Ermittlungsergebnisse nicht ernstlich zweifelhaft, ist es auch nicht unverhältnismäßig, wenn die Untersagung vollziehbar bleibt und die betreffende Person ihre Tätigkeiten in der Freizone einstellen muss.
Schließlich besteht auch die Möglichkeit --wie im Streitfall geschehen--, die Untersagungsverfügung durch Einspruch und Klage anzufechten. Auch in einem finanzgerichtlichen Klageverfahren können Ermittlungsergebnisse der Zollverwaltung angegriffen und aufgrund substantiierter Einwendungen des Klägers vom FG auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Im Streitfall hat die Klägerin nach den Feststellungen des FG aber offenbar keine substantiierten Einwendungen gegen die Richtigkeit der gegen ihren Geschäftsführer erhobenen Vorwürfe geltend gemacht, welche dem FG hätten Anlass geben können, die Ergebnisse der Zollfahndungsermittlungen in Zweifel zu ziehen.
2. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die grundsätzliche Bedeutung der weiteren --zur Auslegung des Klagebegehrens-- aufgeworfenen Rechtsfrage von der Beschwerde schlüssig dargelegt ist und ob dieser Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Ende der Entscheidung
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