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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.10.1999
Aktenzeichen: VII B 197/99
Rechtsgebiete: ZPO, FGO


Vorschriften:

ZPO § 888
ZPO §§ 704 ff.
FGO § 154
FGO § 151
FGO § 101
FGO § 128 Abs. 1
FGO § 151 Abs. 1 Satz 1
FGO § 151 Abs. 1 Satz 2
FGO § 151 Abs. 4
FGO §§ 152 bis 154
FGO § 100 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erstritt gegen die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Finanzbehörde) das inzwischen rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts (FG) mit dem Tenor: "Der Bescheid der Beklagten über das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung ... wird mit der Maßgabe aufgehoben, daß der Prüfungsausschuß P bei der Benotung der Klausuren des Klägers - in Abstimmung mit den anderen Prüfungsausschüssen - überprüft, ob der angewandte Bewertungsvorschlag in Anbetracht der hohen Nichtzulassungsquote zur mündlichen Prüfung unter Beachtung einer relativen Bestehensgrenze zu korrigieren ist." Dem Antragsteller wurde eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erteilt.

Mit Schreiben vom ... teilte die Finanzbehörde dem Antragsteller mit, daß der Prüfungsausschuß P beschlossen habe, den angewandten Bewertungsvorschlag nicht zu korrigieren, und stellte fest, daß der Antragsteller die Steuerberaterprüfung nicht bestanden habe, weil die Gesamtnote die Zahl 4,5 übersteige. Dem Schreiben war eine beglaubigte Ausfertigung der Stellungnahme des Prüfungsausschusses zu den Prüfungsanforderungen in der Steuerberaterprüfung beigefügt. Hiergegen hat der Antragsteller Klage beim FG erhoben.

Mit Schriftsatz vom ... beantragte der Antragsteller beim FG, gegen die Finanzbehörde wegen Nichterfüllung des rechtskräftigen Urteils ein Zwangsgeld nicht unter 10 000 DM festzusetzen, ersatzweise Zwangshaft bis zu einer Höchstdauer von sechs Monaten gegen die die Finanzbehörde vertretende Senatorin zu verhängen, hilfsweise für den Fall der Nichtanwendbarkeit des § 888 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Zwangsgeld von 2 000 DM festzusetzen.

Das FG wies den Antrag mit der Begründung ab, die begehrte Vollstreckungsmaßnahme komme im Streitfall weder nach § 154 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch nach § 151 FGO i.V.m. § 888 ZPO in Betracht. Das Urteil sei in seinem Ausspruch zur Sache nicht vollstreckbar. Entgegen der Ansicht des Antragstellers handele es sich dabei nicht um ein Bescheidungsurteil i.S. der §§ 154, 101 FGO. Die Klage des Antragstellers sei eine reine Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Nichtbestehens der Steuerberaterprüfung gewesen. Entsprechend beschränke sich die Rechtswirkung des Urteils auf die Aufhebung der als rechtsfehlerhaft erkannten Prüfungsentscheidung. Die im Tenor beigefügte Maßgabe habe keine Verpflichtung der Finanzbehörde zur Vornahme von bestimmten, konkret zu bezeichnenden Maßnahmen hervorgerufen. Die Verpflichtung der Finanzbehörde, den Antragsteller neu zu bescheiden, entstehe mit der Aufhebung der angefochtenen Prüfungsentscheidung, ohne daß dies durch einen Urteilsspruch angeordnet werden müßte. Die Bindung der Finanzbehörde an die Rechtsauffassung des Gerichts folge unmittelbar aus § 100 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO. Daher habe der Zusatz im Urteilstenor "mit der Maßgabe ..." keine über den durch die Aufhebung der Prüfungsentscheidung entstandenen Rechtszustand hinausgehende Verpflichtung, die als solche vollstreckbar wäre, erzeugt. Für eine Vollstreckung aus dem Urteil sei mithin kein Raum. Der Antragsteller könne in dem Klageverfahren gegen den erneuten negativen Prüfungsbescheid der Finanzbehörde zur Überprüfung stellen, ob die Erwägungen des Prüfungsausschusses P, wie sie sich aus dessen Stellungnahme ergäben, geeignet seien, die vom FG im Urteil festgestellten Verfahrensfehler in nachprüfbarer Weise zu beseitigen.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Vollstreckungsantrag weiter. Er ist der Ansicht, das Urteil habe sehr wohl einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Das FG dürfe den Sinn des Urteils nicht gegen den Wortlaut des rechtskräftigen Tenors auslegen, denn dem Vollstreckungsgericht stehe eine Abänderung der Entscheidung im Vollstreckungsverfahren nicht zu.

Die Finanzbehörde hat keine Stellungnahme abgegeben.

Die nach § 128 Abs. 1 FGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Soll im Anwendungsbereich der FGO gegen die öffentliche Hand vollstreckt werden, so gilt gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO das Achte Buch der ZPO über die Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff.) sinngemäß, wobei das FG Vollstreckungsgericht ist (§ 151 Abs. 1 Satz 2 FGO). Diese Generalverweisung gilt freilich nur insoweit, als sich aus den nachfolgenden Sondervorschriften der FGO (§ 151 Abs. 2 bis 4, §§ 152 bis 154) nichts Gegenteiliges ergibt (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 151 Rz. 1 und 2). Die Vollstreckung findet hiernach nur aus den in § 151 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Titeln statt (vgl. Senatsbeschluß vom 30. Januar 1973 VII B 128/71, BFHE 108, 479, BStBl II 1973, 499). Außerdem muß der in Betracht kommende Titel überhaupt einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Bei Gestaltungsurteilen, die aufgrund von Anfechtungsklagen ergehen, ist das grundsätzlich hinsichtlich des Hauptausspruchs nicht der Fall (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 151 FGO Tz. 3). Eine Vollstreckung gegen die öffentliche Hand findet somit regelmäßig nur statt, wenn eine der in § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts bzw. eine diesen Einrichtungen zugehörige Behörde (§ 63 FGO) aus einem der in § 151 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Titel zu einer Leistung (Geldleistung oder sonstigen Leistung) verurteilt worden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 2. November 1994 VII B 109/94, BFH/NV 1995, 616; Gräber/von Groll, a.a.O., § 151 Rz. 1). Im Streitfall kommt es daher darauf an, ob das Urteil des FG als rechtskräftige Entscheidung (§ 151 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ein Leistungsurteil in diesem Sinne ist.

Der Senat ist wie die Vorinstanz der Auffassung, daß das vorbezeichnete Urteil kein Leistungs-, sondern ein Gestaltungsurteil ist. Nach dessen Tenor hat das FG entsprechend dem Klageantrag des Antragstellers die Prüfungsentscheidung der Finanzbehörde und damit die angefochtene Verwaltungsentscheidung in ihrem Inhalt mit unmittelbarer Rechtswirkung aufgehoben, die Rechtslage also zugunsten des Antragstellers gestaltet (§ 100 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO). Es handelt sich um einen Fall der sog. echten Kassation, bei der das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt ersatzlos aufhebt und die Sache in den ungeregelten Zustand vor Erlaß der Hoheitsmaßnahme "zurückversetzt" (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 17). Das bedeutet, daß die Finanzbehörde nach Rechtskraft des Urteils erneut über die Zulassung zur mündlichen Steuerberaterprüfung zu entscheiden hat und bei dieser Entscheidung kraft Gesetzes an die der Aufhebung des Verwaltungsakts zugrundeliegende rechtliche Beurteilung des Gerichts gebunden ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO). Hebt das Gericht einen Prüfungsbescheid wegen Verfahrensfehlern auf, wird es regelmäßig in den Gründen nähere Maßgaben mitgeben, auf welche Art und Weise der oder die begangenen Fehler bei der erneut zu treffenden Entscheidung von der zur Entscheidung berufenen Behörde vermieden werden können. Wird oder werden diese Maßgaben, wie im Streitfall, ausnahmsweise aus Gründen der Deutlichkeit in den Tenor des Aufhebungsurteils mitaufgenommen, so kommt einem solchen Ausspruch über die in § 100 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO angeordnete Bindungswirkung hinaus keine selbständige Bedeutung zu. Insbesondere wird das Gestaltungsurteil allein dadurch nicht (auch) zu einem Leistungsurteil. Es liegt weder der Fall des § 100 Abs. 4 FGO (gleichzeitige Verurteilung zu einer Leistung) noch der eines sog. Bescheidungsurteils (§ 101 Satz 2 FGO), das nur bei einer ursprünglichen Verpflichtungsklage, nicht aber im Zusammenhang mit der im Streitfall vorliegenden Anfechtungsklage in Betracht kommt, vor. Im übrigen ergibt sich dies, worauf das FG zutreffend hinweist, bei genauer Betrachtung bereits aus dem Wortlaut des Urteilstenors, denn eine Aufhebung eines Verwaltungsakts mit der sich an die Verwaltungsbehörde richtenden Maßgabe, bei oder vor der erneut zu treffenden Entscheidung etwas zu überprüfen (hier: mögliche Korrektur des angewandten Bewertungsvorschlags unter Beachtung einer relativen Bestehensgrenze), ist nicht gleichbedeutend mit einer ausdrücklich formulierten Verpflichtung, eine ganz bestimmte Maßnahme durchzuführen. Insofern kann keine Rede davon sein, daß das FG den Urteilstenor etwa gegen den ausdrücklichen Wortlaut ausgelegt und damit seine im Erkenntnisverfahren getroffene Entscheidung im Vollstreckungsverfahren unzulässigerweise abgeändert hätte, wie der Antragsteller meint.

Ergibt sich aus dem betreffenden Urteil für die Finanzbehörde mithin keine Verpflichtung zur Leistung, ist eine Vollstreckung aus diesem Urteil in seinem Ausspruch zur Sache, wie das FG zutreffend entschieden hat, nicht möglich. Das FG hat den Antragsteller mit seinen Einwänden zu Recht auf das anhängige Klageverfahren gegen die erneute Prüfungsentscheidung der Finanzbehörde verwiesen.

2. Aber auch unabhängig von diesen grundsätzlichen Erwägungen zur fehlenden Vollstreckbarkeit könnte der Antragsteller mit seinem Begehren, ein Zwangsgeld gegen die Finanzbehörde festzusetzen, im Streitfall nicht durchdringen. Wäre nämlich davon auszugehen, daß das FG der Finanzbehörde im Tenor seines Urteils doch eine Verpflichtung auferlegt hätte und stünde ferner fest, daß die Finanzbehörde dieser Verpflichtung bei ihrer erneuten Prüfungsentscheidung nicht nachgekommen ist, so entfaltete die Sondervorschrift des § 154 FGO für Zwangsmaßnahmen gegen die öffentliche Hand zur Erzwingung anderer als Geldleistungen --regelmäßig nicht vertretbare Handlungen, die ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängig sind-- gegenüber der einschlägigen allgemeinen Vorschrift aus dem Achten Buch der ZPO (§ 888 ZPO) eine Sperrwirkung in mehrfacher Hinsicht.

Zunächst ist in § 154 FGO die Verhängung einer Zwangshaft gegen die öffentliche Hand, d.h. gegen die für die jeweilige Körperschaft oder Behörde handelnden Personen, aus verständlichen Gründen nicht vorgesehen. Die Verhängung eines Zwangsgeldes ist zwar grundsätzlich möglich; sie wird jedoch in § 154 FGO bei der Vollstreckung gegen die öffentliche Hand auf bestimmte Fallgruppen beschränkt und unterliegt eigenständigen Modalitäten. Die Verhängung eines Zwangsgeldes kommt in Fällen, in denen die Finanzbehörde gerichtlich auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommt, lediglich bei drei abschließend geregelten Gestaltungen in Betracht: Die Finanzbehörde muß entweder zur Folgenbeseitigung verurteilt worden sein (§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO), was voraussetzt, daß der als rechtswidrig erkannte Verwaltungsakt bereits vollzogen worden ist; oder sie ist verurteilt worden, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen bzw. den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 FGO), was die Erhebung einer Verpflichtungsklage voraussetzt; oder ihr ist durch einstweilige Anordnung nach § 114 FGO ein bestimmtes Verhalten aufgegeben worden.

Im Streitfall liegt keine dieser drei Gestaltungen vor. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß im Zusammenhang mit Anfechtungsklagen (§ 100 FGO) lediglich die ausdrücklich angeordnete Folgenbeseitigung (§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO) im Ausspruch zur Sache vollstreckbar und zwangsgeldbewehrt ist, nicht aber auch andere Typen von Urteilsaussprüchen aufgrund von Anfechtungsklagen (vgl. dazu die im Senatsbeschluß vom 6. Juni 1989 VII B 230/88, BFH/NV 1990, 117 referierte Entscheidung der Vorinstanz). Daraus folgt für den Streitfall, daß eine Verhängung von Zwangsgeld aufgrund von § 154 FGO nicht in Betracht kommt. Da diese Vorschrift lex specialis gegenüber § 888 ZPO ist, ist hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Rechtsfolge ein Rückgriff auf § 888 ZPO ausgeschlossen.

Schließlich weist der Senat noch auf zwei weitere Besonderheiten des § 154 FGO gegenüber § 888 ZPO hin, die schon für sich gesehen einem Erfolg der Beschwerde des Antragstellers entgegenständen. In § 154 FGO ist nämlich zum einen die Höhe des Zwangsgeldes auf den Höchstbetrag von 2 000 DM beschränkt; zum anderen bedarf die Festsetzung eines Zwangsgeldes der vorherigen (erfolglosen) Androhung unter Fristsetzung. Damit schiede die im Hauptantrag begehrte Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 10 000 DM wegen Betragsüberschreitung aus, und die im Hilfsantrag begehrte Festsetzung des Höchstbetrags des Zwangsgeldes käme mangels vorheriger Androhung unter Fristsetzung durch das Gericht nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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