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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.07.2001
Aktenzeichen: VII B 203/00
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO
Vorschriften:
AO 1977 § 284 | |
AO 1977 § 328 | |
AO 1977 § 393 Abs. 1 | |
AO 1977 § 393 Abs. 1 Satz 2 | |
AO 1977 § 393 Abs. 1 Satz 1 | |
AO 1977 § 393 Abs. 1 Satz 3 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 a.F. |
Gründe:
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wendet sich gegen die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977).
Nach einer Überprüfung des vom Kläger betriebenen Handels mit Nutzfahrzeugen vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA-) die Auffassung, der Kläger habe zu Unrecht den Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Lieferanten in Anspruch genommen, die nicht Unternehmer gewesen seien bzw. gar nicht existiert hätten. Er erließ von den Steueranmeldungen abweichende --noch nicht bestandskräftige-- Umsatzsteuerbescheide, die zu einer Nachforderung von mehr als ... DM geführt haben. Gleichzeitig leitete das FA gegen den Kläger steuerstrafrechtliche Ermittlungen wegen Verdachts der Steuerhinterziehung ein, die noch nicht abgeschlossen sind. In der Zwischenzeit führte das FA wegen dieser Nachforderungen, die bis auf einen geringen Teil nicht von der Vollziehung ausgesetzt waren, ergebnislose Vollstreckungsversuche bei dem Kläger durch und forderte diesen schließlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 auf. Einspruch und Klage dagegen blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat u.a. ausgeführt, die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verstoße nicht gegen das in § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zum Ausdruck kommende nemo-tenetur-Prinzip. § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 wolle zwar verhindern, dass nach Einleitung des Strafverfahrens die dem Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren --zu dem auch das Vollstreckungsverfahren gehöre-- obliegenden Mitwirkungspflichten erzwungen werden könnten. Das Zwangsmittelverbot erstrecke sich nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift nur auf die in § 328 AO 1977 genannten Zwangsmittel, zu denen die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 nicht gehöre.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen:
a) Ob sich das Verbot von Zwangsmitteln nach § 393 Abs. 1 Satz 1, 2 AO 1977 auf die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung i.S. des § 284 AO 1977 erstrecke und
b) ob jede Mitwirkungshandlung nach § 393 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 wegen der abstrakten Gefahr der Selbstbelastung verweigert werden könne, wenn ein Steuerstrafverfahren wegen Steuerverkürzung in derselben Steuerart eingeleitet worden sei.
II. 1. Gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ist die Zulässigkeit und damit auch die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde noch nach § 115 Abs. 2 und Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der vor In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG geltenden Fassung (FGO a.F.) zu beurteilen, weil das angefochtene Urteil vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden ist.
2. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F., wenn eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605). Ob den mit der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beizumessen wäre, kann der Senat offen lassen, denn eine Zulassung der Revision kommt nur in Betracht, wenn die aufgeworfene und für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebliche Rechtsfrage auch klärungsbedürftig ist (BFH-Beschluss vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924). Daran fehlt es vor allem dann, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (BFH-Beschluss vom 5. April 1995 I B 126/94, BFHE 177, 231, BStBl II 1995, 496, m.w.N.). Dies ist vorliegend, wie das FG zutreffend entschieden hat, der Fall.
Die vom Kläger bezeichneten Rechtsfragen, ob sich das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auch auf die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 im Falle erfolgloser Vollstreckungsversuche zur Beitreibung der umstrittenen und zum Gegenstand strafrechtlicher Ermittlung gewordenen Steueransprüche erstreckt (Frage 1) und ob wegen dieser strafrechtlichen Ermittlungen jegliche Mitwirkung des Steuerpflichtigen im steuerlichen Verfahren verweigert werden darf (Frage 2), bedürfen keiner höchstrichterlichen Klärung, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz --nämlich § 393 Abs. 1 AO 1977-- beantworten lassen. Nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften; mithin bleibt der Steuerpflichtige in einem neben dem Strafverfahren durchgeführten Besteuerungsverfahren --zu dem in dem durch § 393 AO 1977 angesprochenen Sinn auch das Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren gehören-- zur Mitwirkung weiter verpflichtet (vgl. §§ 90, 93 ff., § 200 AO 1977; herrschende Meinung, vgl. Klein/Wisser, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 393 Rz. 1; Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 393 AO 1977 Rz. 14, 18, 37, m.w.N.; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 5. Aufl., § 393 AO 1977 Rz. 29 ff.; Wannemacher, Steuerstrafrecht, 4. Aufl., 1999, § 393 AO 1977, S. 781 ff.; s. auch BTDrucks 7/4292, 36 und 46, sowie Senatsbeschluss vom 16. Dezember 1997 VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl II 1998, 231, m.w.N.). Seine Mitwirkung kann nur nicht erzwungen werden. Insoweit trifft § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 eine eindeutige Aussage dahin gehend, dass im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel i.S. des § 328 AO 1977 gegen den Steuerpflichtigen unzulässig sind, wenn er dadurch gezwungen würde, sich wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Mit dem Hinweis auf § 328 AO 1977 im Gesetzeswortlaut hat der Gesetzgeber den Kreis der zur Durchsetzung eines Mitwirkungsverlangens der Behörde unzulässigen Maßnahmen ausdrücklich begrenzt auf die in § 328 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 genannten Zwangsmittel, d.h. (der Androhung und Festsetzung) des Zwangsgeldes, der Ersatzvornahme und des unmittelbaren Zwangs. Die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung i.S. des § 284 AO 1977 gehört mithin --wie das FG zu Recht entschieden hat-- nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift nicht zu den verbotenen Zwangsmitteln zur Durchsetzung einer Mitwirkung des Steuerpflichtigen. Die Vorschrift schließt danach staatlichen Zwang zur Durchsetzung von Auskunftspflichten bei Gefahr der Strafverfolgung aus, gewährt aber nicht Schutz vor anderen im Steuerverfahren begründeten Rechtsnachteilen. Wegen dieser Eindeutigkeit der Aussage in § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ist offensichtlich auch, soweit erkennbar, weder im Schrifttum (s. dazu Klein/Wisser, a.a.O., § 393 Rz. 10 ff., und Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 393 AO 1977 Rz. 24 ff. und 71, 72 ff., sowie Joecks in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 393 AO 1977 Rz. 29 ff., und Kohlmann, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 393 AO 1977 Rz. 43 ff., sowie die dort zitierte Literatur) noch in der Rechtsprechung je die Auffassung vertreten worden, die Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung i.S. des § 284 AO 1977 stelle ein unzulässiges Zwangsmittel i.S. des § 393 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 328 AO 1977 dar.
Soweit die Beschwerdeschrift anhand der von ihr für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen --insbesondere der Frage, ob jedwede Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei Einleitung steuerstrafrechtlicher Maßnahmen verweigert werden darf-- darüber hinaus die Frage nach der Reichweite des nemo-tenetur-Prinzips allgemein im finanzgerichtlichen Verfahren geklärt wissen will, kann dies nicht Gegenstand des begehrten Revisionsverfahrens sein, weil diese nach den Beschwerdeausführungen allgemein gehaltene Frage in einem sich anschließenden Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Denn das FG hat bei der Überprüfung der vom FA gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 auf den Einzelfall abgestellt und ausgeführt, dass die eidesstattliche Versicherung nicht geeignet sei, steuerstrafrechtlich relevante Auswirkungen auf den im Strafverfahren zu ermittelnden Sachverhalt der Geltendmachung von Betriebsausgaben unter Verwendung von Rechnungen nicht existierender Unternehmer durch den Kläger zu haben. Der Umstand, dass der Kläger diese enge Begrenzung des strafrechtlich bedeutsamen Sachverhaltes für falsch hält, vermag die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache noch nicht zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Mai 1994 II B 29/94, BFH/NV 1995, 125).
Im Übrigen teilt der Senat auch für den hier zu beurteilenden Fall die Auffassung, die das Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- (im sog. Gemeinschuldner-Beschluss vom 13. Januar 1981 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 1431 ff.) zur fortbestehenden Mitwirkungsverpflichtung des Gemeinschuldners im Konkursverfahren trotz anhängigen steuerstrafrechtlichen Verfahrens vertreten hat und sieht wie das BVerfG dem Rechtsschutzgebot i.S. des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) sowie dem Rechtsstaatsprinzip i.S. des Art. 20 GG i.V.m. dem Gebot der Achtung des Persönlichkeitsrechts und der Handlungsfreiheit i.S. von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ausreichend Rechnung getragen durch das strafrechtliche Verwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 der Strafprozeßordnung (vgl. in BVerfGE 56, 37, 51 f.), welches eingreift, wenn strafrechtlich verwertbare Aussagen unter staatlichem Zwang erlangt worden sind. Die Frage, ob ein strafrechtliches Verwertungsverbot eingreifen müsste, sofern anlässlich der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung --wie der Kläger meint-- ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt zu Tage treten würde, ist indes weder Gegenstand des angefochtenen Urteils noch der Beschwerde.
Ende der Entscheidung
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