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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.09.1999
Aktenzeichen: VII B 210/99
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, AO 1977, BGB, GKG


Vorschriften:

FGO § 152 Abs. 1
FGO § 151 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 113 Abs. 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 2
FGO § 152 Abs. 1 Satz 2
FGO § 74
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1
FGO § 143 Abs. 2
ZPO § 767
ZPO § 769 Abs. 1
AO 1977 § 226 Abs. 1
BGB § 389
BGB § 388
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Mit Kostenfestsetzungsbeschluß vom 25. Juni 1998 sind die dem Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) von dem Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zu erstattenden Kosten aus dem zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Verfahren wegen gesonderter Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus Kapitallebensversicherungen auf ... DM festgesetzt worden. Daraufhin beantragte der Kläger gemäß § 152 Abs. 1 i.V.m. § 151 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG), aus diesem Kostenfestsetzungsbeschluß die Vollstreckung zu verfügen. Das FA wandte hiergegen das Erlöschen der Kostenforderung durch zwischenzeitliche Aufrechnung mit Steuerrückständen des Klägers ein. Nach einem Hinweis des Gerichts erhob das FA zur Berücksichtigung der Aufrechnung seinerseits Vollstreckungsabwehrklage (§ 151 Abs. 1 FGO i.V.m. § 767 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig zu erklären. Hierüber hat das FG noch nicht entschieden.

Mit beim FG eingegangenen Schreiben vom ... 1999 hat das FA beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung einstweilen einzustellen (§ 151 Abs. 1 FGO i.V.m. § 769 Abs. 1 ZPO). Für dieses Begehren eröffnete das FG kein eigenständiges vorläufiges Vollstreckungsschutzverfahren, sondern brachte es in das vorliegende Verfahren, in dem der Kläger die Verfügung der Vollstreckung beantragt, als Hilfsantrag des FA (neben dessen Hauptantrag, die Verfügung der Vollstreckung abzulehnen) ein.

Das FG entschied in den Gründen seines angefochtenen Beschlusses, ein Ausspruch der vom Kläger begehrten Vollstreckungsverfügung komme derzeit nicht in Betracht und begründete diese Entscheidung damit, daß der (hilfsweise) gestellte Vollstreckungsschutzantrag des FA Erfolg habe. Im Tenor des Beschlusses stellte das FG die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß bis zur Zustellung des Urteils über die Vollstreckungsabwehrklage ohne Sicherheitsleistung ein.

Gegen diesen "Einstellungsbeschluß" des FG hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, eine Begründung des Rechtsmittels sei ihm in Anbetracht dessen, daß auch das FG seine Entscheidung nicht begründet habe, die ohnehin in Anbetracht des bisherigen Verfahrensablaufs einigermaßen überrasche, nicht möglich.

Das FA hat sich nicht geäußert.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO analog). Das FG hat gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, weil es in seinem Beschluß nicht über den Antrag des Klägers, sondern über einen solchen des beklagten FA entschieden hat (§ 113 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

1. Zur Grundordnung des Verfahrens, deren Einhaltung das Beschwerdegericht auch ohne ausdrückliche Rüge gewährleisten muß, gehört auch der Grundsatz der Bindung an das Antragsbegehren gemäß §§ 113 Abs. 1, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO. Nach diesem Grundsatz darf das Gericht in Anerkennung der privatautonomen Verfügungsfreiheit des Antragstellers über den Streitgegenstand nicht über das Antragsbegehren hinausgehen ("ne ultra petita"). Es darf dem Antragsteller weder etwas zusprechen, was dieser nicht beantragt hat, noch über etwas anderes ("aliud") entscheiden, als der Antragsteller ausweislich seines Antrags (einschließlich seiner eigenen Interpretation dieses Antrags) begehrt und zur Entscheidung gestellt hat --Entscheidungsprogramm-- (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 1994 VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697, m.w.N.).

Im Streitfall hatte das FG ausweislich des Rubrums und der in den Gründen des angefochtenen Beschlusses wiedergegebenen Antragstellung allein über den Antrag des Klägers, die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß zu verfügen, zu entscheiden. Über dieses Entscheidungsprogramm durfte das FG nicht hinausgehen. Innerhalb dieses Programms kamen als mögliche Entscheidungen des FG in Betracht, entweder dem Antrag stattzugeben, also die Vollstreckung mit näheren Maßgaben (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu verfügen, oder den Antrag abzulehnen, gegebenenfalls auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO bis zur (vorgreiflichen) Entscheidung über den vom FA nach § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. § 769 ZPO gestellten Vollstreckungsschutzantrag anzuordnen.

Nicht innerhalb dieses Entscheidungsprogramms liegt jedoch die im Tenor des angefochtenen Beschlusses getroffene Entscheidung, die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß bis zur Zustellung des Urteils über die vom FA erhobene Vollstreckungsabwehrklage ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Die vorläufige Einstellung der Vollstreckung kann niemals in einem Antragsverfahren des Gläubigers der Geldforderung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 FGO, die Vollstreckung zu verfügen, angeordnet werden. Dies ist nur möglich aufgrund eines den Gegenstand eines eigenständigen Vollstreckungsschutzverfahrens bildenden Antrags des hoheitlichen Schuldners der Geldforderung gemäß § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. § 769 Abs. 1 ZPO, nachdem dieser die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erhoben hat.

Das Antragsverfahren nach § 152 Abs. 1 Satz 1 FGO und das Antragsverfahren nach § 769 Abs. 1 ZPO sind zwei voneinander unterschiedliche Verfahren, wobei Gläubiger und Schuldner der Geldforderung jeweils die Beteiligtenstellung tauschen. Dabei ist das Verfahren nach § 769 Abs. 1 ZPO vorgreiflich (zum Verhältnis der beiden Verfahren s. etwa die Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 1993 VII B 191/92 und VII B 190/92, BFH/NV 1994, 218 bzw. 249). Ob beide Verfahren gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO miteinander verbunden werden können, bedarf hier keiner Entscheidung, denn eine solche Verbindung hat das FG nicht angeordnet. Es ist offensichtlich von einem einzigen Verfahren des Klägers gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 FGO ausgegangen, in welches es den Vollstreckungsschutzantrag des FA nach § 769 Abs. 1 ZPO als Hilfsantrag auf der Seite des FA als Antragsgegner eingeführt hat. Ein solches prozessuales Vorgehen erscheint dem Senat nicht zulässig. Es widerspricht dem Gebot der prozessualen Rechtsklarheit und läßt sich auch mit der angeführten "ne ultra petita-Lehre" nicht vereinbaren. Im Ergebnis hat damit das FG im Antragsverfahren des Klägers nach § 152 Abs. 1 Satz 1 FGO unzulässigerweise über ein "aliud" entschieden.

2. Dieser Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Sache ist nicht spruchreif und daher an das FG zurückzuverweisen. Bei seiner erneuten Entscheidung über den Antrag des Klägers nach § 152 Abs. 1 Satz 1 FGO wird das FG zu berücksichtigen haben, daß das FA, nachdem es bereits die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO anhängig gemacht hat, mit Schriftsatz vom ..., eingegangen beim FG am ..., einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 769 Abs. 1 ZPO gestellt hat. Damit ist das erforderliche eigenständige Vollstreckungsschutzverfahren mit vertauschten Rollen der Beteiligten eingeleitet. Dieses Verfahren ist zu registrieren und dem vorliegenden Verfahren des Klägers vorgreiflich. Dabei bleibt es dem FG überlassen, ob es das vorliegende Verfahren formell bis zu einer Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag des FA aussetzt oder stillschweigend zurückstellt und zunächst die Reaktionen der Beteiligten auf seine Entscheidung nach § 769 Abs. 1 ZPO abwartet.

In der Sache verweist der Senat auf seine ständige Rechtsprechung, wonach dann, wenn das FA als Kostenschuldner gegen die Vollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluß Vollstreckungsabwehrklage zwecks Geltendmachung der Aufrechnung in sinngemäßer Anwendung der §§ 151 Abs. 1 FGO, 767 ZPO erhebt (s. dazu Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 1983 VII B 73/83, BFHE 139, 494, BStBl II 1984, 205; in BFH/NV 1994, 218), wiederum auf Antrag des FA in sinngemäßer Anwendung der §§ 151 Abs. 1 FGO, 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Vollstreckung statthaft ist (BFH/NV 1994, 218, m.w.N.; Senatsbeschluß vom 22. August 1995 VII B 107/95, BFHE 178, 532, BStBl II 1995, 916). Das FG hat nach pflichtgemäßem Ermessen die einstweilige Einstellung der Vollstreckung zu verfügen, wenn es der Auffassung ist, daß die vom FA erhobene Vollstreckungsabwehrklage (Hauptsache) Aussicht auf Erfolg hat, weil die vom FA dem Kläger erklärte Aufrechnung infolge Bestehens einer Aufrechnungslage nach summarischer Prüfung wahrscheinlich zu einer Feststellung des Erlöschens der Erstattungsforderung des Klägers aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß (Hauptforderung) führen wird (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977-- i.V.m. § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--).

Die Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 226 AO 1977 ist grundsätzlich zulässig (vgl. Senatsbeschluß vom 30. Juli 1996 VII B 7/96, BFH/NV 1997, 93, 94, m.w.N.). Nach § 226 Abs. 1 erster Fall AO 1977 gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 387 BGB kann aufgerechnet werden, wenn eine Aufrechnungslage besteht, d.h. wenn die zur Aufrechnung einander gegenüberstehenden Forderungen gegenseitig geschuldet werden und gleichartig sind, die Gegenforderung fällig und die Hauptforderung erfüllbar ist. Die Aufrechnungslage muß grundsätzlich im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) vorliegen (vgl. Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Aufl., 1999, § 387 Rz. 3).

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das vorliegende Beschwerdeverfahren, sollten solche überhaupt anfallen, ist indes nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes abzusehen. Sie wären bei richtiger prozessualer Behandlung der Sache durch das FG wahrscheinlich nicht entstanden.

Ende der Entscheidung

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