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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.02.2005
Aktenzeichen: VII B 213/04
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 35
AO 1977 § 69
AO 1977 § 251 Abs. 3
EStG § 41 a Abs. 1 Nr. 1
FGO § 102
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) als Geschäftsführer einer in Konkurs geratenen GmbH gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch genommenen L. In dem Konkursverfahren über das Vermögen des L machte das FA die Haftungsforderung im Wege eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO 1977 geltend. Einspruch und Klage gegen den Feststellungsbescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass L zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden sei. Der Verstoß gegen die von ihm zu erfüllenden steuerlichen Pflichten beruhe im Streitfall auf der verspäteten Abgabe der Lohnsteueranmeldung für den Monat November 1994, die die GmbH entgegen § 41 a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erst am 15. Dezember 1994 abgegeben habe. Zum Fälligkeitszeitpunkt am 10. Dezember 1994 seien noch ausreichende Mittel zur Begleichung der Lohnsteuerschulden vorhanden gewesen. Bereits die verspätete Abgabe der Steueranmeldung sei ursächlich für den Schadenseintritt gewesen. Auf die Gründe für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt --d.h. auf den Umstand, dass bereits im Vergleichstermin im Auftrag der Gläubiger ein Rechtsanwalt als Sachwalter bestellt worden sei, der die alleinige Verfügungsberechtigung über die Konten der GmbH gehabt habe-- komme es deshalb nicht an. L könne sich auch nicht darauf berufen, dass dessen als kaufmännischer Geschäftsführer tätige Vater für die Anmeldung und Zahlung der Lohnsteuer verantwortlich gewesen sei. Denn eine eindeutige und schriftlich fixierte Abgrenzung der Verantwortungsbereiche sei nicht vorgenommen worden. Schließlich habe L selbst in Kenntnis der Krisensituation keinerlei Kontrollen vorgenommen, sondern sich ganz auf seinen Vater verlassen.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG. Hierzu beruft er sich im Wesentlichen auf das Vorliegen einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Im Streitfall habe das FA im Rahmen seiner Ermessensentscheidung keine Erwägungen zur haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Sachwalters getroffen. Da dieser seine Zustimmung zum Hinausschieben der Lohnsteuerzahlungen gegeben habe, hafte er nach § 92 Abs. 1 und § 42 der Vergleichsordnung sowie aufgrund der Verletzung der sich aus dem Bestellungsvertrag ergebenden Überwachungspflichten. Als Verfügungsberechtigten treffe ihn auch eine Haftung aus §§ 35 und 69 AO 1977.

In seiner Entscheidung habe das FG folgenden Rechtssatz aufgestellt: "Haften mehrere Personen für einen Steuerschaden gesamtschuldnerisch, so sind Ausführungen zur Auswahl des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners auch dann entbehrlich, wenn diesem zwar keine vorsätzliche Pflichtverletzung oder eine Steuerhinterziehung vorgeworfen werden kann, aber als weiterer Haftungsschuldner lediglich ein Sachwalter in Betracht kommt." Dieser Rechtssatz weiche von einem in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Februar 1991 VII R 3/90 (BFH/NV 1991, 504) und vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03 (BFHE 204, 380) aufgestellten Rechtssatz zur Vorprägung von Ermessensentscheidungen in entscheidungserheblicher Weise ab. Die unterbliebenen Ermessenserwägungen zur Inanspruchnahme des Sachwalters stellten zudem einen schwerwiegenden Fehler dar, so dass die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO). Darüber hinaus werfe der Streitfall hinsichtlich der Begründung der Betätigung des Auswahlermessens bei mehreren Haftungsschuldnern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Schließlich handle es sich bei dem Urteil um eine verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Überraschungsentscheidung. Denn der Kläger habe nach dem Verfahrensablauf nicht damit rechnen können, dass das FG seine Entscheidung tragend auf die verspätete Abgabe der Lohnsteueranmeldung stützen würde.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Nach seiner Ansicht liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vor.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat lässt es offen, ob der Kläger die von ihm vorgebrachten Zulassungsgründe in der erforderlichen Weise dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Das erstinstanzliche Urteil weicht jedenfalls nicht von der Rechtsprechung des BFH ab. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Darüber hinaus liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.

1. In seinem Urteil in BFH/NV 1991, 504 hat der Senat auch nach In-Kraft-Treten der AO 1977 an seiner Rechtsansicht festgehalten, dass eine vorsätzliche Pflichtverletzung und Steuerhinterziehung das Entschließungsermessen der Finanzbehörde in der Weise vorprägt, dass die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen ist. Da das FA in dem vom Senat entschiedenen Fall beide in Betracht kommenden Haftungsschuldner in Anspruch genommen hatte, waren für ihn auch keine Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens erkennbar. Hinsichtlich der Ausübung des Auswahlermessens bei mehreren als Gesamtschuldner in Betracht kommenden Haftungsschuldnern hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 204, 380 entschieden, dass im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat das Auswahlermessen der Finanzbehörde in der Weise vorgeprägt sei, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen seien und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedürfe.

Von diesen Rechtsgrundsätzen ist das FG nicht abgewichen. Denn seiner Entscheidung hat es den Sachverhalt zugrunde gelegt, wie er sich ausweislich der Einspruchsentscheidung darstellte. Dieser ist zu entnehmen, dass das FA sowohl L als auch dessen Vater --und damit beide Geschäftsführer der GmbH-- als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass im gesamten Verfahren keine Ausführungen zu einer möglichen Haftung des Sachwalters gemacht worden seien. Nach Ansicht des FA kam eine solche Haftung auch nicht in Betracht. Bei dieser Ausgangslage stellte sich für das FG die Frage einer Vorprägung des Entschließungs- oder Auswahlermessens überhaupt nicht. Denn in seiner Urteilsbegründung hat das FG eine etwaige Haftung des Sachwalters weder angesprochen noch näher geprüft. Aus seiner materiell-rechtlichen Sicht --auf die es allein ankommt-- ging es von einer ausschließlichen Haftung der Geschäftsführer der GmbH aus, die vom FA auch gleichermaßen in Anspruch genommen worden sind. Dem erstinstanzlichen Urteil ist daher der von der Beschwerde formulierte Rechtssatz nicht zu entnehmen. Deshalb konnte das FG auch keinen von der Rechtsprechung des Senats abweichenden Rechtssatz zur Vorprägung des Auswahlermessens aufstellen; denn aus der Sicht des FG war eine Befassung mit dieser Frage durch den Streitfall nicht veranlasst.

2. Soweit dem Vorbringen des Klägers die Rüge entnommen werden könnte, das FG habe rechtsfehlerhaft eine Haftung des Sachwalters verneint, würde es sich gegen die materiell-rechtliche Würdigung des FG richten. Einwendungen gegen die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des FG vermögen indes die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO nicht zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2003 X B 74/02, BFH/NV 2003, 805, m.w.N.).

3. Da sich dem FG die Frage einer Haftung des Sachwalters und somit auch eine Frage nach der Entbehrlichkeit von Ausführungen zur Betätigung des Auswahlermessens nicht stellte, könnte die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

4. Auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Zulassung der Revision nicht veranlasst. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur dann betroffen, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler unterlaufen sind, die von so erheblichem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, etwa weil Verfahrensgrundrechte verletzt worden sind oder das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Recht eines Beteiligten auf eine willkürfreie gerichtliche Entscheidung durch das Urteil des FG nicht befriedigt wird (Senatsbeschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, m.w.N.). Etwaige Rechtsfehler von solchem Gewicht sind für den beschließenden Senat im Streitfall jedoch nicht erkennbar.

5. Schließlich liegt der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel nicht vor. Das erstinstanzliche Urteil stellt sich nicht als verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Überraschungsentscheidung dar. Bereits in der Einspruchsentscheidung ist auf die von L in seiner Eigenschaft als GmbH-Geschäftsführer zu erfüllenden steuerlichen Pflichten hingewiesen worden, die einbehaltenen Lohnsteuern gemäß § 41 a Abs. 1 EStG spätestens am 10. Tag nach Ablauf des Lohnsteueranmeldungszeitraumes dem FA anzumelden und abzuführen. Für den Kläger war somit erkennbar, dass das FA L gegenüber auch die nicht rechtzeitige Abgabe der Steueranmeldung zum Vorwurf machte. Folglich konnte der Kläger auch nicht davon ausgehen, dass diese Pflichtverletzung nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens sein würde. Darüber hinaus hat das FG seine Begründung auch darauf gestützt, dass L in der Krisensituation seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen sei. Allein dadurch habe er die ihm obliegenden Pflichten zumindest in grob fahrlässiger Weise verletzt. Aufgrund dieser Alternativbegründung beruht die erstinstanzliche Entscheidung nicht auf dem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangel, selbst wenn dieser vorliegen würde.

Ende der Entscheidung

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