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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.10.2008
Aktenzeichen: VII B 23/08
Rechtsgebiete: FGO, AO
Vorschriften:
FGO § 76 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 | |
FGO § 115 Abs. 2 | |
AO § 89 |
Gründe:
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen rückständiger Abgaben einer GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Nach einer Rücksprache teilte das FA dem Kläger unter Zusammenfassung der Ergebnisse der Besprechung schriftlich mit, dass der Kläger wegen der Haftungsschuld einen Teilerlassantrag stellen werde, über den noch abschließend entschieden werden müsse. Es sei jedoch geplant, gegen Einmalzahlung der hälftigen Haftungsschuld die Löschungsbewilligung für die Zwangssicherungshypothek zu erteilen. Über die andere Hälfte der Haftungsschuld werde der Erlass ausgesprochen. Den daraufhin gestellten Erlassantrag lehnte das FA jedoch mit dem Hinweis ab, dass dem Schreiben keine verbindliche Erlasszusage entnommen werden könne und dass die Erlassvoraussetzungen nicht vorlägen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Durch Beweisbeschluss hat das Finanzgericht (FG) den mit Haftungsfällen befassten Sachbearbeiter des FA (M) aufgefordert, einige Fragen über den Inhalt des mit dem Kläger an Amtsstelle geführten Gesprächs zu beantworten. Daraufhin hat M eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, aus der hervorgeht, dass er aufgrund einer erlittenen schweren Hirnblutung aus medizinischen Gründen derzeit und bis auf Weiteres kognitiv nicht in der Lage sei, Beweisfragen zu beantworten. Auf fernmündliche Rückfrage des FG hat die behandelnde Ärztin mitgeteilt, dass M voraussichtlich frühestens in etwa einem Jahr in der Lage sein werde, auf die Fragen einzugehen.
Zur Begründung der Klageabweisung hat das FG darauf hingewiesen, dass M aufgrund seiner auf unabsehbare Zeit fortdauernden Erkrankung als unerreichbares Beweismittel angesehen werden müsse. Aber selbst wenn das Schreiben des FA als Zusage eines Teilerlasses verstanden werden könnte, könne der Kläger daraus keine Rechte ableiten. Denn M sei als Bearbeiter für Haftungsfälle für Fragen eines Erlasses nicht zuständig gewesen. Nur die Stundungs- und Erlassstelle hätte über den Erlass befinden können. Schließlich hätte der Kläger unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht davon ausgehen können, dass eine etwaige Erlasszusage nach Ablauf von nahezu zwei Jahren noch Bestand hätte haben können. Auch aus diesem Grund sei der vom Kläger begehrte Teilerlass ausgeschlossen.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verletzung der dem FG nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Verfahrensfehlerhaft habe das FG die Vernehmung des benannten Zeugen unterlassen. Dieser hätte nach seiner Genesung bekunden können, eine verbindliche Erlasszusage sowohl mündlich erteilt zu haben, als auch schriftlich erteilt haben zu wollen. Zudem habe M noch während des persönlichen Gesprächs mit seinem Vorgesetzten Rücksprache gehalten. Eklatant rechtsfehlerhaft sei die Hilfsbegründung des FG, dass die Erlasszusage eines unzuständigen Sachbearbeiters keine rechtliche Wirkung entfalte. Das FG weiche damit von der Entscheidung des Hessischen FG vom 18. Dezember 1999 6 K 2063/97 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2000, 50) ab, in der festgestellt worden sei, dass eine solche Zusage einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand aufgrund der Verletzung der sich aus § 89 der Abgabenordnung (AO) ergebenden Fürsorgepflicht begründen könne. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Fürsorgepflichtverletzung angenommen werden könne, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, weshalb die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen sei.
Das FA ist der Beschwerde unter Hinweis auf die im Streitfall tatsächliche Unerreichbarkeit des Zeugen entgegengetreten.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1.
In seiner Urteilsbegründung hat das FG insgesamt drei Gründe aufgeführt, die jeder für sich die Entscheidung tragen. Hat das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muss der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder dieser Begründungen einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO darlegen (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215, und vom 23. Dezember 2004 III B 14/04, BFH/NV 2005, 667). Hinsichtlich der Rechtsansicht des FG, dass ein Erlass im Streitfall deshalb ausgeschlossen sei, weil sich die vermeintliche Erlasszusage nicht über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren habe erstrecken können, hat der Kläger keinen Grund vorgetragen, der zu einer Zulassung der Revision führen könnte.
2.
Hinsichtlich der gerügten Nichtvernehmung des Zeugen M legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, dass die Entscheidung des FG auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Denn das FG hat selbst für den Fall, dass M die Erteilung einer verbindlichen Erlasszusage bestätigen würde, das Bestehen eines Erlassanspruchs aus anderen Gründen verneint. Aus Sicht des FG hätte die Vernehmung des Zeugen M demnach nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen können. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde gegen die vermeintlich rechtsfehlerhafte Annahme der Unerreichbarkeit des Zeugen. Mit diesem Vorbringen wird ein Verfahrensmangel jedoch nicht belegt. Vielmehr rügt der Kläger die fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen jedoch nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).
3.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Frage, unter welchen Umständen ein Zeuge aufgrund seines Gesundheitszustandes als auf unabsehbare Zeit nicht erreichbar anzusehen ist, einer allgemeingültigen Beantwortung nicht zugänglich ist. Denn es kommt bei der vom FG vorzunehmenden Beurteilung auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, wie z.B. die Schwere und Dauer der Erkrankung, den Heilungsverlauf, die Prognose über die Genesungsaussichten, an. Aus diesen Gründen ist die Frage nicht grundsätzlich bedeutsam.
4.
Die von der Beschwerde behauptete Divergenz ist nicht hinreichend bezeichnet. Macht der Beschwerdeführer geltend, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), so muss er in der Beschwerdebegründung darlegen, inwiefern über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen und welche sonstigen Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten. Rügt er eine Abweichung von Entscheidungen anderer FG, muss er tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Oktober 2003 X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, und vom 5. Juli 2002 XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, denn die Herausarbeitung und Gegenüberstellung von divergierenden abstrakten Rechtssätzen ist ihr nicht zu entnehmen. Ausführungen darüber, dass eine Zusage eines unzuständigen Sachbearbeiters keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen könne, hat das FG auch nicht gemacht und sich somit nicht durch Bildung eines divergierenden Rechtssatzes in Widerspruch zum Urteil des Hessischen FG in EFG 2000, 50, gesetzt. Im Übrigen hat das Hessische FG eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch einen unterlassenen Hinweis auf die sachliche und persönliche Unzuständigkeit nur für den Fall in Erwägung gezogen, dass der Steuerpflichtige ausdrücklich um eine für die Zukunft bindende Zusage ersucht hat.
Schließlich hängt die Beantwortung der Frage, unter welchen Umständen von einer Verletzung der dem FA nach § 89 AO obliegenden Fürsorgepflicht auszugehen ist, von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, so dass eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ebenfalls nicht in Betracht kommt.
Ende der Entscheidung
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