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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.06.1999
Aktenzeichen: VII B 244/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 251 Abs. 3
AO 1977 § 130 Abs. 1
AO 1977 § 122 Abs. 1
AO 1977 § 125 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 102
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3
FGO § 76
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Nach Bestreiten der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für die Besteuerungszeiträume 1991 und 1992 zur Gesamtvollstreckungstabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderungen durch den zum Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über die Vermögen der X und der dieser als Alleingesellschafterin gehörenden Y bestellten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erließ das FA einen Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe der angemeldeten Umsatzsteuerbeträge. Dieser Bescheid ist mangels Anfechtung durch den Kläger bestandskräftig geworden. Nachdem das FA die später eingegangenen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1991 und 1992, die eine niedrigere Zahllast auswiesen, unter Berufung auf die Bestandskraft des Feststellungsbescheids nicht mehr berücksichtigte, beantragte der Kläger beim FA die Feststellung der Nichtigkeit des Feststellungsbescheids, hilfsweise die Rücknahme des Bescheids nach § 130 Abs. 1 AO 1977 und weiter hilfsweise die Feststellung, daß durch den Feststellungsbescheid kein Vorrecht festgestellt worden sei. Dies lehnte das FA ab.

Die hiergegen vom Kläger erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es führte im wesentlichen aus, der Feststellungsbescheid sei gemäß § 122 Abs. 1 AO 1977 wirksam dem Kläger in seiner Funktion als Gesamtvollstreckungsverwalter bekanntgegeben worden, was sich zwar nicht bereits aus dem Anschriftenfeld, aber aus dem weiteren Inhalt des Bescheids ergebe. Der Bescheid sei auch nicht nichtig gemäß § 125 Abs. 1 AO 1977. Obschon er die Rechtsgrundlagen, auch hinsichtlich des Vorrechts der angemeldeten Umsatzsteuerforderungen, fehlerhaft bezeichne und insofern unpräzise sei, leide er allein deswegen nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler, was Voraussetzung für die Annahme der Nichtigkeit sei. Die Geltendmachung des Vorrechts ergebe sich aus den Angaben im Feststellungsbescheid insgesamt. Die Ausübung des Ermessens durch das FA bei der Ablehnung des Antrags, den Feststellungsbescheid nach § 130 Abs. 1 AO 1977 zurückzunehmen, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Ein Ausnahmefall, bei dem die Ablehnung der Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts ermessensfehlerhaft sei, wenn nämlich vom Betroffenen die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht hätte erwartet werden können, liege nicht vor, denn der Kläger sei in der Lage gewesen, die Fehlerhaftigkeit des Feststellungsbescheids in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt der Kläger hinsichtlich der Entscheidung des FG sowohl über seinen Hauptantrag als auch über die beiden Hilfsanträge jeweils auf Divergenz und insgesamt auf den Verfahrensmangel mangelnder Sachaufklärung.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie legt in zwei Fällen eine Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und auch den behaupteten Verfahrensfehler mangelnder Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dar; im übrigen liegt die behauptete Divergenz nicht vor.

1. Bei einer auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muß unter genauer Bezeichnung der Divergenzentscheidung(en) des Bundesfinanzhofs (BFH) bzw. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kenntlich gemacht werden, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt. Der Beschwerdeführer muß dartun, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der näher angeführten Rechtsprechung des BFH bzw. des BVerfG nicht übereinstimmt. Hierzu müssen in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze des angefochtenen Urteils und der mutmaßlichen Divergenzentscheidung(en) herausgearbeitet und gegenübergestellt werden, so daß eine Abweichung erkennbar wird. Es muß sich jeweils um die Entscheidung tragende Rechtssätze handeln (st. Rspr., vgl. z.B. die BFH-Beschlüsse vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671, 672, und vom 7. Dezember 1994 II B 179/93, BFH/NV 1995, 695, jeweils m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift zum Teil nicht. Es fehlt teilweise an der Gegenüberstellung abstrakter Rechtssätze, die das FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, mit ebensolchen abstrakten Rechtssätzen in den vom Kläger in Anspruch genommenen Divergenzentscheidungen des BFH, so daß eine Abweichung erkennbar wird. Der Kläger formuliert statt dessen eigene Rechtssätze, die sich so aus dem angefochtenen Urteil bzw. den Divergenzentscheidungen nicht ergeben (nachfolg. a und c). In einem Fall (nachfolg. b) liegt die behauptete Divergenz nicht vor.

a) Die vom FG bei seiner Entscheidung über den Hauptantrag (Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids) getroffene Aussage, für eine wirksame Bekanntgabe des Verwaltungsakts sei die Ansprache des Klägers in seiner Funktion als Gesamtvollstreckungsverwalter im Anschriftenfeld des Bescheids nicht zwingend erforderlich, weil sich der Kläger als Inhaltsadressat aus dem weiteren Inhalt des Feststellungsbescheids ergebe, steht entgegen der Darstellung des Klägers erkennbar nicht in Widerspruch zum Urteil des BFH vom 15. März 1994 XI R 45/93 (BFHE 174, 290, BStBl II 1994, 600). Dort war der Bescheid nämlich an den Gemeinschuldner "zu Händen Herrn ..." und nicht --wie im Streitfall-- unmittelbar an die Person des Konkursverwalters ("Herrn ...") adressiert. Daher hat der BFH in einem solchen Fall zu Recht einen Zusatz im Anschriftenfeld gefordert, aus dem deutlich wird, daß der Konkursverwalter der Bekanntgabeadressat sein soll. Ist der Bescheid hingegen an die Person des Konkursverwalters gerichtet, ohne daß sich diese Funktion aus dem Anschriftenfeld ergibt, so genügt es mit dem FG für die Wirksamkeit der Bekanntgabe, wenn sich aus dem übrigen Inhalt des Bescheids die Funktion des Angesprochenen als Konkursverwalter (Gesamtvollstreckungsverwalter) ergibt.

b) Den ersten Hilfsantrag (Rücknahme des Feststellungsbescheids) hat das FG unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 9. Juli 1985 VII R 108/83, BFH/NV 1986, 441, 442, und vom 26. März 1991 VII R 15/89, BFHE 164, 215, BStBl II 1991, 552, 553, m.w.N.) mit der tragenden Erwägung abgewiesen, die Ablehnung der Rücknahme eines Bescheids nach § 130 Abs. 1 AO 1977 sei nur dann ermessensfehlerhaft, wenn vom Betroffenen die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht hätte erwartet werden können. Ein solcher Ausnahmefall liege im Streitfall aber nicht vor, was vom FG in der Folge im einzelnen begründet worden ist. Die vom Kläger geltend gemachte Abweichung dieser tragenden Erwägung vom Urteil des BFH vom 9. März 1989 VI R 101/84 (BFHE 157, 1, BStBl II 1989, 749), in dem ausgeführt wird, bei der Ermessensabwägung, ob einem Begehren auf Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entsprechen sei, komme es auf die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes und darauf an, weshalb die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vom Steuerpflichtigen geltend gemacht werde (eine Rücknahme komme insbesondere bei Änderung der Sach- und Rechtslage in Betracht), besteht in Wirklichkeit nicht. Denn der VI. Senat des BFH fährt gleich im Anschluß an diese Erwägung fort: "Die Änderungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 AO 1977 darf aber nicht dazu führen, daß Vorschriften über Rechtsbehelfsfristen in diesem Teilbereich unterlaufen werden." Damit erkennt auch der VI. Senat als nach wie vor entscheidendes Kriterium der Ermessensentscheidung nach § 130 Abs. 1 AO 1977 die Zumutbarkeit der Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens für den Betroffenen an. Der (neue) Aspekt der "Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes" kann nur dann als zusätzliches, eigenständiges Kriterium bei der Ermessensprüfung relevant werden, wenn der Betroffene in der Begründung seines Antrags substantiiert hierzu Tatsachen vorgetragen, also schlüssig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (in diesem qualifizierten Sinne) dargelegt hat. Nur dann ist die Behörde zum Eintritt in eine Sachprüfung gezwungen und darf sich nicht auf den Hinweis auf die Bestandskraft beschränken. Im Ergebnis ist darin keine Abweichung von der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu sehen (vgl. BFHE 164, 215, 219, BStBl II 1991, 552, 554). So versteht im übrigen auch das Schrifttum die Entscheidung des VI. Senats (vgl. Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 6. Aufl. 1998, § 130 Anm. 6), und selbst der Kläger muß in der Beschwerdeschrift einräumen, daß nur dann, wenn der Steuerpflichtige zur Begründung seines Antrags lediglich solche Umstände vortrage, die er bei fristgerechter Einreichung des Rechtsmittels im Rechtsbehelfsverfahren vorzubringen in der Lage gewesen wäre, die Ablehnung der beantragten Rücknahme ermessensfehlerfrei sei (vgl. auch das BFH-Urteil vom 12. November 1991 VII K 34/90, BFH/NV 1992, 354).

Im Streitfall hatte das FG keinen Anlaß, bei seiner Überprüfung der Ermessensentscheidung des FA nach § 102 FGO auf den vom VI. Senat geschaffenen zusätzlichen Aspekt einzugehen, denn das FA war ausweislich der Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils gerade nicht in eine Sachprüfung dahingehend eingetreten, ob der Rechtsverstoß etwa als schwer und offensichtlich anzusehen sei, sondern hat lediglich festgestellt, daß durch die Bestandskraft des Bescheids Rechtsfrieden eingetreten sei. Da der Kläger auch im finanzgerichtlichen Verfahren --ausweislich der Ausführungen im FG-Urteil-- nicht substantiiert Tatsachen zur Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes, sondern lediglich, ausgehend von der unterstellten Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheids, solche Umstände vorgetragen hat, die ihm seiner Meinung nach erst nach Bestandskraft des Verwaltungsakts bekanntgeworden seien, hatte das FG erst recht keinen Anlaß, nachdem es diese Auffassung des Klägers im einzelnen widerlegt hatte, den Aspekt des VI. Senats in seine Ermessensüberprüfung miteinzubeziehen.

c) Den zweiten Hilfsantrag des Klägers (festzustellen, daß durch den Feststellungsbescheid kein Vorrecht festgestellt worden sei) hat das FG mit der Begründung abgewiesen, die Geltendmachung des Vorrechts der angemeldeten Umsatzsteuerforderungen ergebe sich, obschon im Feststellungsbescheid nicht ausdrücklich § 17 Abs. 3 Nr. 3 der Gesamtvollstreckungsordnung als Rechtsgrundlage für das Vorrecht der Forderung angegeben worden sei, aus den Angaben im Feststellungsbescheid insgesamt. Dieser Rechtssatz steht nach Auffassung des Klägers im Widerspruch zu den Urteilen des BFH vom 26. November 1987 V R 130/82 (BFHE 151, 349, BStBl II 1988, 124) und vom 17. Mai 1984 V R 80/77 (BFHE 141, 7, BStBl II 1984, 545), aus denen sich ergebe, daß sich der Inhalt des Feststellungsbescheids i.S. des § 251 Abs. 3 AO 1977 nach den konkursrechtlichen Bestimmungen, also auch nach § 139 der Konkursordnung, zu richten habe. Daher müsse aus dem Feststellungsbescheid selbst unmittelbar das ersichtlich sein, was auch Gegenstand der Anmeldung zu sein habe, nämlich das beanspruchte Vorrecht. Diese vom Kläger gezogene Folgerung, der Gegenstand der Anmeldung müsse unmittelbar aus dem Feststellungsbescheid ersichtlich sein, womit er wohl meint, das beanspruchte Vorrecht müsse ausdrücklich und wörtlich so bezeichnet sein und dürfe sich nicht lediglich aus dem übrigen Inhalt des Feststellungsbescheids (konkludent oder nach Auslegung) ergeben, ergibt sich nicht aus den angeführten BFH-Urteilen. Eine Divergenz ist damit nicht ordnungsgemäß i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO bezeichnet.

2. Das Vorbringen des Klägers, das FG habe verfahrensfehlerhaft gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 FGO) verstoßen, weil das FG das Feststellungsinteresse (des Klägers?, des FA?) entweder unrechtmäßig verneint oder gar nicht geprüft habe, liegt neben der Sache. Abgesehen davon, daß die vom Kläger zur Stützung seiner Ansicht, darin sei ein wesentlicher Verfahrensmangel zu sehen, angeführten BFH-Entscheidungen ganz unterschiedliche Fallgestaltungen betreffen (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1970 VII R 42/68, BFHE 100, 288, BStBl II 1970, 873: Feststellungsinteresse der Kammer an der Nichtigkeit der Bestellung eines Steuerbevollmächtigten; BFH-Beschluß vom 6. Juli 1988 II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897: hier spielt ein Feststellungsinteresse offensichtlich gar keine Rolle; BFH-Urteil vom 7. Oktober 1987 V R 147/81, BFH/NV 1988, 287: fehlendes Feststellungsinteresse des FA, wenn der Feststellungsbescheid auf einen anderen als den angemeldeten und erörterten Grund gestützt oder ein höherer Betrag beansprucht wird), beruht das Vorbringen auf einem Zirkelschluß. Auszugehen ist nämlich bei der Prüfung, ob der Verfahrensmangel fehlerhafter Sachaufklärung vorliegt, von der materiellen Rechtsauffassung, die das FG in seinem Urteil vertreten hat. Hiernach ist das FG davon ausgegangen, daß das vom FA in Anspruch genommene Vorrecht im Feststellungsbescheid ausreichend deutlich und in Übereinstimmung mit seiner Anmeldung zur Gesamtvollstreckungstabelle bezeichnet worden ist. Für eine Prüfung des Feststellungsinteresses des FA, das hier nur gemeint sein kann, im Sinne des BFH-Urteils in BFH/NV 1988, 287 bleibt dann kein Raum. Ebensowenig kommt im Vollstreckungsverfahren eine Überprüfung des Bestehens und der Höhe der bevorrechtigten Umsatzsteuerforderungen in Betracht.

Ende der Entscheidung

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