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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: VII B 248/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) hatte im Juli 2000 Koffer aus Nylon, 225 Kartons/450 Stück, zum freien Verkehr abfertigen lassen. Im Oktober 2000 hatte sie 225 Kartons Reisekoffer zur Ausfuhr nach Hongkong angemeldet und für diese Waren die Bewilligung einer passiven Veredelung (einmalige Ausbesserung) beantragt; der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hatte die Ausfuhranmeldung am 16. Oktober 2000 angenommen. Mit Zollanmeldung vom 20. Dezember 2000 meldete die Klägerin 158 Kartons/314 Stück Reisekoffer aus 100 % Nylon (Trolleys) "nach passiver Veredelung, Garantiereparatur" zur Abfertigung zum freien Verkehr an und nahm Bezug auf einen in Kopie beigefügten vom HZA am 16. Oktober 2000 ausgestellten Ausbesserungsschein PV 231/00 (Zusatzblatt zum Einheitspapier für die Abfertigung von Waren zur passiven Veredelung, Vordruck 0791). Das HZA fertigte die Waren unter Festsetzung der Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) ab. Die beantragte einfuhrabgabenfreie Abfertigung nach passiver Veredelung gemäß Art. 152 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) lehnte das HZA mit der Begründung ab, dass der sog. PV-Schein nicht im Original, sondern in Kopie vorgelegt worden sei. Der hiergegen erhobene Einspruch, mit dem die Klägerin u.a. geltend machte, dass das Original des PV-Scheins von der seinerzeit mit der Warenausfuhr beauftragten Spedition beim Hauptzollamt Hamburg-Ericus abgegeben und dort vernichtet worden sei, blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hob den Abgabenbescheid auf und urteilte, dass es jedenfalls dann ausreichend sei, den nach Art. 768 Abs. 3 Anstrich 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung --ZKDVO--) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) in der im Streitfall maßgeblichen Fassung vor In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 (VO Nr. 993/2001) der Kommission vom 4. Mai 2001 (ABlEG Nr. L 141/1) --ZKDVO a.F.-- vorzulegenden PV-Schein in Kopie vorzulegen, wenn die Nämlichkeit der Waren nicht zweifelhaft sei und auch sonst kein Anlass für die Annahme von Unregelmäßigkeiten bestehe. So liege es im Streitfall, da sich der Weg der Koffer von ihrer ursprünglichen Einfuhr über ihre Ausfuhr zum Zweck der Ausbesserung bis zu ihrer Wiedereinfuhr im Dezember 2000 anhand der Zolldokumente nachvollziehen lasse und da auch das HZA erklärt habe, dass es Zweifel an der Nämlichkeit nicht habe. Die übrigen Voraussetzungen des Art. 152 Abs. 1 ZK für eine Einfuhrabgabenbefreiung lägen unstreitig vor.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, die es auf den Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob Art. 768 Abs. 3 Anstrich 1 ZKDVO a.F. zur Inanspruchnahme einer Einfuhrabgabenbefreiung nach passiver Veredelung die Vorlage des PV-Scheins im Original auch dann erfordere, wenn keine Zweifel an der Nämlichkeit der Waren bestünden.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor.

Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). Für diesen Zulassungsgrund gilt ebenso wie für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dass es sich um eine klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche Rechtsfrage handeln muss, deren höchstrichterliche Beantwortung für die Zukunft richtungweisend sein kann, woran es aber in der Regel fehlt, wenn die zu klärende Rechtsfrage --wie im Streitfall-- ausgelaufenes Recht betrifft (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 35, m.w.N.).

Art. 768 Abs. 3 Anstrich 1 ZKDVO a.F. ist mit dem In-Kraft-Treten der VO Nr. 993/2001 zum 1. Juli 2001 gestrichen und nicht durch eine gleich lautende Nachfolgevorschrift der ZKDVO in ihrer neuen Fassung ersetzt worden. Ob Art. 768 Abs. 3 Anstrich 1 ZKDVO a.F., wonach der Anmeldung der Veredelungserzeugnisse zur Abfertigung zum freien Verkehr "das Exemplar der Zollanmeldung zur Überführung in das Verfahren" beizufügen war, in Fällen der vorliegenden Art den sog. PV-Schein meinte und die Einfuhrabgabenbefreiung von der Vorlage des PV-Scheins im Original abhing, wie es das HZA meint, kann offen bleiben, da jedenfalls die ZKDVO in ihrer durch die VO Nr. 993/2001 geänderten Fassung keine Vorschrift enthält, wonach die vollständige oder teilweise Befreiung von den Einfuhrabgaben für Veredelungserzeugnisse davon abhängt, dass bei der Abfertigung zum freien Verkehr der PV-Schein vorgelegt wird.

Nach Art. 62 Abs. 2 ZK sind der Zollanmeldung alle Unterlagen beizufügen, deren Vorlage zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet wurden, erforderlich sind. Diese sind bei der Anmeldung zur Überführung in den freien Verkehr die in Art. 218 ZKDVO aufgeführten Unterlagen; die Zollanmeldung zur Überführung der Waren in die passive Veredelung ist hier nicht ausdrücklich genannt. Zwar versteht es sich von selbst, dass der Anmelder, der bei der Einfuhrabfertigung eine Abgabenvergünstigung für Veredelungserzeugnisse in Anspruch nehmen will, nachweisen muss, dass die Waren zuvor mit Bewilligung der Zollbehörde in das Zollverfahren der passiven Veredelung übergeführt worden sind und dass es sich bei den nunmehr zur Einfuhr angemeldeten Waren um die nämlichen Waren der vorübergehenden Ausfuhr handelt. Dass dieser Nachweis die Vorlage des Zusatzblatts zum Einheitspapier für die Abfertigung von Waren zur passiven Veredelung zwingend erfordert, kann jedoch den maßgebenden Vorschriften (Art. 145 ff. ZK, Art. 585 ff. ZKDVO) nicht entnommen werden, selbst wenn man davon ausgeht, dass zu den "Unterlagen, die für die Anwendung (...) einer anderen Sonderregelung, die für die angemeldeten Waren gilt" (Art. 218 Abs. 1 Buchst. c ZKDVO), auch die Zollanmeldung zur Überführung der Waren in die passive Veredelung gehört.

Der Antrag für die nach Art. 85, Art. 147 ZK erforderliche Bewilligung des passiven Veredelungsverkehrs erfolgt in Fällen der vorliegenden Art (wie im Streitfall auch geschehen) im vereinfachten Verfahren gemäß Art. 497 Abs. 3 Buchst. d Anstrich 1 ZKDVO durch die Ausfuhrzollanmeldung; die Bewilligung erfolgt dementsprechend gemäß Art. 505 Buchst. b ZKDVO durch die Annahme der Zollanmeldung. In der Bewilligung sind nach Art. 586 Abs. 1 ZKDVO die Nämlichkeitsmittel und sonstigen Maßnahmen zur Feststellung, dass die Veredelungserzeugnisse aus den Waren der vorübergehenden Ausfuhr hergestellt wurden, anzugeben. Als Beleg für die Überführung der Waren in die passive Veredelung erhält der Anmelder das Exemplar 3 des Einheitspapiers. Um bei der Wiedereinfuhr der veredelten (ausgebesserten) Waren deren Nämlichkeit zur Inanspruchnahme der Abgabenbegünstigung nachzuweisen, kann der Anmelder somit der Zollbehörde das Exemplar 3 des Einheitspapiers betreffend die Ausfuhr der auszubessernden Waren vorlegen (vgl. Witte, Zollkodex, 3. Aufl., Art. 150 Rz. 3).

Dass dem Anmelder in Deutschland bei der Überführung der Waren in die passive Veredelung das Exemplar 3 des Einheitspapiers verbunden mit dem Zusatzblatt zum Einheitspapier für die Abfertigung von Waren zur passiven Veredelung (Vordruck 0791) als Beleg ausgehändigt wird, beruht nicht auf einer gesetzlichen Regelung, sondern lediglich auf Abs. 11 Unterabs. 4 der Dienstvorschrift (DV) Passive Veredelung (VSF Z 16 01). Legt der Anmelder bei der Einfuhr der Veredelungserzeugnisse dieses Zusatzblatt vor, mag dieses somit zwar von der Zollbehörde als Nachweis der Nämlichkeit der Waren anerkannt werden; die Vorlage des Zusatzblatts als solches kann aber nicht notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Einfuhrabgabenbefreiung für die Veredelungserzeugnisse sein (anders offenbar Abs. 15 DV). Auch wenn das Zusatzblatt ggf. zusätzliche Angaben zur Feststellung der Nämlichkeit enthält, sehen die gesetzlichen Vorschriften das Zusatzblatt gleichwohl nicht als einzigen möglichen Nämlichkeitsnachweis vor. Vielmehr steht es der Zollbehörde frei, sich auf jede andere Art die Überzeugung zu verschaffen, dass es sich bei den Einfuhrwaren um die nämlichen handelt, welche zuvor in die passive Veredelung übergeführt worden waren (so im Übrigen auch Abs. 18 DV). Diese Frage stellt sich allerdings nicht, wenn die Zollbehörde --wie im Streitfall das HZA-- Zweifel an der Nämlichkeit der Waren nicht hat.

Nach alledem lässt sich die Frage, ob die vollständige oder teilweise Befreiung von den Einfuhrabgaben für Waren der passiven Veredelung davon abhängt, dass bei der Abfertigung zum freien Verkehr das Zusatzblatt zum Einheitspapier für die Abfertigung von Waren zur passiven Veredelung vorgelegt wird, nach den Vorschriften der ZKDVO in ihrer durch die VO Nr. 993/2001 geänderten Fassung eindeutig verneinen. Ob dies unter der Geltung der Vorschriften der ZKDVO a.F. anders zu beurteilen war, ist --weil ausgelaufenes Recht betreffend-- nicht klärungsbedürftig.

Ende der Entscheidung

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