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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 24.08.2009
Aktenzeichen: VII B 255/08
Rechtsgebiete: ZK


Vorschriften:

ZK Art. 49 Abs. 1 Buchst. b
ZK Art. 185 Abs. 1
ZK Art. 204 Abs. 1 Buchst. a
ZK Art. 212a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) führte im Jahr 2003 eine Maschine in die Schweiz zur Erprobung beim dortigen Kunden aus, die sie nach Ablauf der Erprobungszeit wieder zurückholen ließ. Die Maschine wurde zerlegt und auf mehrere Sendungen verteilt im Versandverfahren geliefert und sollte von der seitens der Klägerin eingeschalteten Spedition als Rückware zur Abfertigung zum freien Verkehr angemeldet werden. Da die Teilsendungen jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintrafen, wurden sie nach Gestellung zunächst nicht abgefertigt, sondern der Klägerin zur vorübergehenden Verwahrung auf ihrem Firmengelände überlassen. Die entsprechenden Verwahrungsmitteilungen wurden mit dem Hinweis auf die gesetzliche Verwahrfrist der Klägerin übergeben, die allerdings davon ausging, dass die Spedition die erforderlichen Anmeldungen vornehmen werde, was diese jedoch wegen der ihr nicht bekannten Verwahrungsmitteilungen nicht tat. Dadurch kam es zu einer Überschreitung der Verwahrfrist, weshalb der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) gegen die Klägerin festsetzte, wobei er das Verhalten der Klägerin als offensichtlich fahrlässig wertete und deshalb die Zollbefreiung für Rückwaren nicht gewährte.

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den Abgabenbescheid auf. Das FG urteilte, dass zwar die Voraussetzungen des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex (ZK) für die Entstehung der Zollschuld vorlägen, weil die Klägerin die Frist des Art. 49 Abs. 1 Buchst. b ZK nicht eingehalten habe, dass aber der Klägerin gleichwohl gemäß Art. 212a ZK die Zollbefreiung für Rückwaren zu gewähren sei. Dass es sich bei der eingeführten Maschine um eine Rückware i.S. des Art. 185 Abs. 1 ZK gehandelt habe, sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Anders als das HZA meine, liege hinsichtlich der überschrittenen Verwahrungsfrist keine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin vor. Zu Gunsten der Klägerin sei insoweit zu berücksichtigen, dass die Gestellung der gesamten Maschine zur Feststellung der Rückwareneigenschaft nicht möglich gewesen und es durch die zu verschiedenen Zeitpunkten angekommenen Teilsendungen und ihre vorübergehende Verwahrung auf dem Gelände der Klägerin zu einer ungewöhnlichen verfahrensrechtlichen Situation gekommen sei. Das Fehlverhalten der Klägerin sei zwar nicht entschuldigt, erscheine jedoch wegen des ihr bisher nicht bekannten atypischen Zollverfahrens in einem milderen Licht. Der verfahrensrechtliche Verstoß sei auch nicht von besonders erheblicher Bedeutung gewesen, denn die Gefahr eines Entzugs aus zollamtlicher Überwachung oder einer verfahrensmäßig nicht korrekten Abfertigung habe nicht bestanden.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die Zulassungsgründe der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

1.

Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt der Divergenz liegt nicht vor. Anders als die Beschwerde meint, weicht das FG-Urteil bei der Auslegung des Begriffs der offensichtlichen Fahrlässigkeit nicht von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ab.

Dieser hat im Zusammenhang mit anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die diesen Begriff verwenden, entschieden, dass zur Beantwortung der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden müssen (EuGH-Urteil vom 11. November 1999 C-48/98, --Söhl & Söhlke--, Slg. 1999, I-7877); dabei sind die im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für die Prüfung, ob der Irrtum der Zollbehörde einem Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, herangezogenen Kriterien entsprechend anzuwenden (EuGH-Urteil vom 13. März 2003 C-156/00, Slg. 2003, I-2527, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2003, 189).

Bei der Beantwortung dieser Frage handelt es sich um eine Einzelfallbeurteilung des Tatsachengerichts auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, das dabei die komplexen Verhältnisse des Einzelfalls zusammenfassend zu würdigen hat, wobei es die zu berücksichtigenden Kriterien je nach Sachlage unterschiedlich gewichten kann (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2007 VII B 1/07, BFH/NV 2008, 123).

Im Streitfall ist das FG bei seiner Entscheidung von den vorstehend genannten rechtlichen Kriterien ausgegangen und hiervon nicht durch Aufstellung anderer, die Kriterien erweiternder Rechtssätze abgewichen. Anders als die Beschwerde meint, kann dem EuGH-Urteil in Slg. 1999, I-7877 nicht entnommen werden, dass sich nur derjenige Beteiligte auf mangelnde Erfahrung berufen kann, der bisher nicht oder noch nicht in nennenswertem Umfang mit Ein- bzw. Ausfuhrgeschäften in Berührung gekommen ist. Soweit das FG bezüglich des Merkmals der Erfahrung differenziert und die Klägerin zwar als nicht unerfahren mit Zollverfahren angesehen, jedoch entscheidend darauf abgestellt hat, dass sie im Streitfall mit einer ihr bisher nicht bekannten, verfahrensrechtlich besonderen Situation konfrontiert gewesen sei, weicht es von den vorstehend genannten Kriterien des EuGH für die Beurteilung offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht ab.

Eine Divergenz zur Rechtsprechung des EuGH ist auch nicht erkennbar, soweit das FG angenommen hat, der zuständige Mitarbeiter der Klägerin sei auf die rechtlichen Folgen der Verletzung fristgebundener Pflichten hingewiesen worden, es diesen Umstand jedoch nicht als ausschlaggebend für die Bejahung offensichtlicher Fahrlässigkeit angesehen, sondern gemeint hat, dass das Fehlverhalten der Klägerin, sich auf die Spedition zu verlassen und die Einhaltung der Frist nicht selbst zu überwachen, zwar nicht entschuldigt sei, jedoch in Anbetracht des ungewöhnlichen Umstands der Aufspaltung der zollamtlichen Abfertigung auf verschiedene Teillieferungen in einem milderen Licht erscheine. Anders als die Beschwerde meint, zwingen die bei der Prüfung offensichtlicher Fahrlässigkeit zu beachtenden Kriterien des EuGH nicht zu einer anderen Betrachtungsweise.

Ohne von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen, durfte das FG schließlich auch berücksichtigen, dass der verfahrensrechtliche Verstoß der Klägerin nicht von erheblicher Bedeutung war, weil hierdurch eine Gefahr weder des Entzugs der Waren aus zollamtlicher Überwachung noch der verfahrensmäßig unkorrekten Abfertigung heraufbeschworen worden sei. Zum einen sind die nach der Rechtsprechung des EuGH zu prüfenden Kriterien der Komplexität der Vorschriften sowie der Erfahrung und der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers nicht abschließend, wie sich aus der Verwendung des Worts "insbesondere" ergibt; zum anderen haben die insoweit vom FG berücksichtigten Gesichtspunkte durchaus Bezug zum Kriterium der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers, weil diesem fraglos besondere Sorgfalt abzuverlangen ist, soweit die Gefahr schwerwiegender bzw. unheilbarer zollrechtlicher Verfehlungen besteht.

Soweit die Beschwerde ausführt und begründet, dass die Beendigung eines Versandverfahrens mit anschließender vorübergehender Verwahrung kein atypisches Verfahren sei, dass die Klägerin und die Spedition, deren Verhalten die Klägerin sich zurechnen lassen müsse, den drohenden Fristablauf und die daraus folgende Pflicht zur Zollanmeldung aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrung hätten erkennen müssen, dass sie sorgfaltswidrig gehandelt hätten, indem sie sich aufeinander verließen, und dass eine fünftägige Fristüberschreitung durchaus kein unbedeutender Verfahrensverstoß sei, wendet sie sich gegen die Tatsachenwürdigung durch das FG und damit die materielle Richtigkeit der FG-Entscheidung, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.

2.

Seitens der Beschwerde angeführte Entscheidungen anderer FG, die ähnliche Sachverhalte angeblich rechtlich anders beurteilt haben als das FG im Streitfall, erfordern ebenfalls keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Wie ausgeführt, ist die Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt, aufgrund einer zusammenfassenden Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls zu beurteilen, denen je nach Sachlage ein unterschiedliches Gewicht zukommen kann. Wenn somit ein FG in einem zu entscheidenden Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung bestimmte einzelne Umstände maßgebend berücksichtigt, so stellt es keine Abweichung von dieser Entscheidung dar und wirft auch keine grundsätzlich klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, wenn in einem anderen Fall solchen Umständen bei der Gesamtwürdigung ein geringeres Gewicht beigemessen wird und andere Umstände in den Vordergrund rücken.

3.

Verfahrensfehler des FG sind nicht schlüssig dargelegt bzw. liegen nicht vor.

Allerdings rügt die Beschwerde zu Recht, dass das FG die Rückwareneigenschaft der streitigen Waren als zwischen den Beteiligten unstreitig angesehen und das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen für die Zollbefreiung (Art. 185 ff. ZK) ohne Prüfung unterstellt hat. Zwar ist es zutreffend, dass die Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren allein um die Frage der offensichtlichen Fahrlässigkeit der Klägerin, nicht aber um die Voraussetzungen der Zollbefreiung für Rückwaren gestritten haben. Das FG durfte hieraus jedoch nicht schließen, das HZA sehe diese Voraussetzungen als erfüllt an, zumal es in der Einspruchsentscheidung die Rückwareneigenschaft als möglich bezeichnet und in seinem Schriftsatz vom 4. Oktober 2007 (S. 2) die insoweit erforderlichen Feststellungen als noch nicht getroffen beschrieben hatte. Ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel lässt sich hieraus jedoch nicht herleiten.

Sollte die Beschwerde mit ihrer Rüge meinen, die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge sei nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt, wäre dies kein Verfahrensmangel sondern ein materiell-rechtlicher Rechtsanwendungsfehler des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 81).

Sollte wegen ihres Hinweises auf § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO davon auszugehen sein, dass die Beschwerde bemängelt, das FG habe nicht auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens entschieden, sondern mit seiner Annahme, die Voraussetzungen für eine Zollbefreiung lägen vor, gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen (vgl. insoweit Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80), so fehlt es bereits an der konkreten Bezeichnung desjenigen Teils der Akten, aus dem sich ergibt, dass im Streitfall die Zollbefreiung für Rückwaren --bei ordnungsgemäßer Anmeldung zur Überführung in den freien Verkehr-- nicht in Betracht gekommen wäre. Nicht nur im finanzgerichtlichen Verfahren, in dem zwischen den Beteiligten ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt streitig war, sondern auch im vorliegenden Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde hat das HZA keinen Grund benannt, welcher der Abfertigung der betreffenden Waren unter Zollbefreiung gemäß Art. 185 ff. ZK entgegengestanden hätte.

Deshalb ist auch der einzige weitere in Betracht kommende Verfahrensmangel, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und deshalb auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts entschieden (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), nicht schlüssig dargelegt. Die schlüssige Darlegung dieses Verfahrensmangels erfordert nämlich Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines --insoweit maßgeblichen-- Rechtsstandpunkts hätte aufdrängen müssen, obwohl der Beteiligte selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Beteiligten günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1999 VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde mit dem bloßen Vorbringen, das FG sei "nicht gehindert gewesen, die Frage der Rückwareneigenschaft anhand der ihm vorliegenden Unterlagen (...) selbständig zu prüfen", nicht gerecht. Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin eine im Jahr 2003 in die Schweiz zur Erprobung ausgeführte Maschine nach Ablauf der Erprobungszeit im November 2005 --in verschiedene Teile und Teilsendungen zerlegt-- wieder zurückgeholt, um sie als Rückware zum zollrechtlich freien Verkehr anzumelden. Das HZA hat insoweit keinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gestellt und stellt mit seiner Beschwerdebegründung den Sachverhalt in gleicher Weise dar. Weshalb es sich bei einem solchen --offensichtlich unstreitigen-- Sachverhalt dem FG, obwohl das HZA keine Hindernisse für die Abfertigung als Rückware geltend gemacht, geschweige denn entsprechende Beweisanträge gestellt hat, aufdrängen musste, dass die Voraussetzungen für die Zollbefreiung gemäß Art. 185 ff. ZK evtl. nicht vorlagen, und welche Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung es insoweit hätte von Amts wegen treffen müssen, deren Ergebnis schließlich zur Versagung der Zollbefreiung geführt hätte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

Ende der Entscheidung

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