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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: VII B 257/03
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2
AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 69
AO 1977 § 71
AO 1977 § 191 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sind von der O GmbH (im Folgenden: GmbH) Ansprüche gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) auf Vergütung von Vorsteuern abgetreten worden, welche in den Voranmeldungen April, Mai, Juni, Juli und September 1990, nach Darstellung der Klägerin bewusst wahrheitswidrig, geltend gemacht worden sind. Der Klägerin ist die Vorsteuer vom FA vergütet worden. Später hat das FA jedoch festgestellt, dass die GmbH in dem betreffenden Zeitraum keine Unternehmerin gewesen sei, und dementsprechend in dem Jahressteuerbescheid die Umsatzsteuer auf null DM festgesetzt. Die bereits ausgezahlten Vergütungsbeträge hat es von der Klägerin zurückgefordert. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vorliegt.

Der angebliche Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung ist in der Beschwerde nicht einmal schlüssig geltend gemacht und liegt überdies nicht vor. Es ist nämlich nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich, dass das FG die Tatsachen, deren Aufklärung die Beschwerde vermisst, für entscheidungserheblich gehalten hat. Nur dann aber könnte die unterlassene Aufklärung verfahrensfehlerhaft sein; denn das Verfahren eines Gerichts richtet sich notwendigerweise nach dessen materiell-rechtlicher Beurteilung des Streitstoffes. Aus dem Urteil des FG bzw. den diesbezüglichen Darlegungen der Beschwerde ergibt sich indes nicht, dass das FG eine Haftung der Geschäftsführerin der GmbH, die die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen angeblich abgegeben haben soll, überhaupt in Betracht gezogen hat, geschweige denn, dass es davon ausgegangen ist, die Geschäftsführerin sei wegen der falschen Angaben und der darin liegenden Steuerhinterziehung vor der Klägerin in Haftung zu nehmen oder es sei zumindest vom FA anders, als in dem angefochtenen Bescheid geschehen zu begründen, warum sie nicht anstelle der Klägerin in Anspruch genommen wird. Die Klägerin geht überdies in ihrer ergänzenden Beschwerdebegründung selbst davon aus, dass der Gesichtspunkt einer vorrangigen Haftung der Geschäftsführerin der GmbH vom FG nicht berücksichtigt worden ist, wenn sie vorträgt, das Urteil des FG hätte anders ausfallen müssen, wenn sich das FG des Vorranges der Haftung der Geschäftsführerin bewusst gewesen wäre. Dass die Klägerin eine vorrangige Haftung der Geschäftsführerin der GmbH geltend gemacht haben mag, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts hinsichtlich der in der Beschwerdeschrift sinngemäß aufgeworfenen Frage zuzulassen, ob derjenige, der zugunsten des Zedenten einer Steuerforderung eine Steuerhinterziehung begangen hat, vor dem die Rückzahlung schuldenden Zessionar auf Haftung in Anspruch zu nehmen ist, wenn die Steuer an diesen ausgezahlt worden ist. Denn diese Frage ist zu verneinen, ohne dass dies der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte.

Ist eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat das FA sowohl gegenüber dem vermeintlichen Vergütungsgläubiger wie gegenüber demjenigen einen Anspruch auf Rückzahlung des Vergütungsbetrages, an den dieser aufgrund einer Abtretung des Vergütungsgläubigers tatsächlich ausgezahlt worden ist (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 und 3 der Abgabenordnung --AO 1977--). Hat das FA ferner aufgrund der §§ 69 oder 71 AO 1977 Haftungsansprüche gegen diejenigen, die als Vertreter des Vergütungsgläubigers die ihnen auferlegten steuerlichen Pflichten verletzt oder eine Steuerhinterziehung begangen haben, so schulden die als Haftende in Anspruch Genommenen, der Vergütungsgläubiger und der Zessionar dem FA den Rückzahlungsbetrag als Gesamtschuldner. Dabei stellt die AO 1977 die Haftungsschuldner neben den Steuerschuldner bzw. den Zessionar ersichtlich deshalb, um die Rechtsstellung des FA zu verbessern und diesem die im öffentlichen Interesse gebotene Einziehung von steuerlichen Forderungen auch dann zu ermöglichen, wenn die primären Schuldner zahlungsunfähig oder nicht erreichbar sind oder bei ihnen die Forderung aus irgendwelchen anderen Gründen nicht oder nicht ohne weiteres realisiert werden kann. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Haftungsvorschriften nicht den Sinn haben, das FA mit unter Umständen schwierigen Ermittlungen und Prüfungen hinsichtlich der Frage zu belasten, ob seine Steuerforderungen statt bei dem Steuerschuldner bei einem Haftungsschuldner realisiert werden können. Daraus folgt, dass eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei ist, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat. Jedenfalls lässt sich aus den Regelungen der AO 1977 bzw. aus der Systematik des Steuerschuld- und des Haftungsrechts kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber herleiten, ob nicht statt des (primär verantwortlichen) Steuerschuldners ein Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist.

Das Urteil des beschließenden Senats vom 5. Juni 1985 VII R 57/82 (BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688), auf das sich die Beschwerde berufen hat, steht dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegen; es ging dort schon deshalb nicht um die Überprüfung einer ermessensgerechten Auswahl zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner, weil, wie sich aus dem Urteil deutlich ergibt, in dem dort entschiedenen Fall der Steuerschuldner zahlungsunfähig war, für eine Realisierung des Umsatzsteueranspruches des FA also von vornherein nicht in Betracht kam. Ebenso wenig ist für den beschließenden Senat nachvollziehbar, was die Beschwerde aus der Entscheidung vom 16. März 1995 VII S 39/92 (BFH/NV 1995, 950) für ihren Rechtsstandpunkt herleiten will; denn abgesehen davon, dass dort lediglich das einem bestandskräftig gewordenen Haftungsbescheid beigefügte Leistungsgebot Verfahrensgegenstand war, wird in dieser Entscheidung der Einwand des Rechtsbehelfsführers, die Auswahl zwischen den Gesamtschuldnern sei ermessensfehlerhaft vorgenommen worden, gerade als nicht verfahrensgegenständlich zurückgewiesen und im Übrigen lediglich zu § 191 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 bemerkt, dass der wegen Steuerhinterziehung Haftende unmittelbar auf Zahlung in Anspruch genommen werden kann, d.h. ohne dass vorher ein Vollstreckungsversuch in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners unternommen worden ist; dass sich daraus für die Frage, ob der Steuerschuldner gegenüber seiner Inanspruchnahme auf die Haftung des Steuerhinterziehers verweisen kann, nichts herleiten lässt, bedarf keiner näheren Ausführung.

Soweit der beschließende Senat in anderem Zusammenhang einen Anspruch eines von mehreren Gesamtschuldnern, nämlich eines von mehreren Zollschuldnern, auf ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber, ob er oder ein anderer Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden soll, unterstellt hat (vgl. Urteil des Senats vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, BFHE 204, 380, BFH/NV 2004, 597), lässt sich dies auf das Verhältnis zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner nach der AO 1977 nicht übertragen.

Ein subjektives öffentliches Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung und folglich einen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung, statt eines Haftungsschuldners einen anderen Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen, hat auch der Zessionar einer vermeintlichen Steuerforderung nicht. Denn abgesehen davon, dass ihm nicht mehr Rechte zugestanden werden können als demjenigen, von dem er seine Rechtsstellung herleitet, also dem Rückforderungsschuldner (hier der GmbH), weiß er bei der Zession und bei der Auszahlung der ihm zedierten Steuerforderung, dass sein Erwerb unsicher ist, weil dessen Bestand davon abhängt, dass die ihm zedierte steuerliche Forderung des Zedenten tatsächlich besteht und die ihr zugrunde liegende Steuerfestsetzung auch nicht aufgrund der Vorschriften der Abgabenordung später geändert wird. Muss er also von vornherein damit rechnen, den ihm ausgezahlten Steuerbetrag möglicherweise später zurückzahlen zu müssen, so fehlt es an einem vernünftigen Grund, ihn von dieser Verpflichtung dann freizustellen, wenn die Festsetzung erschlichen war (hier angeblich durch Abgabe einer bewusst unrichtigen Steueranmeldung), während er von ihr zweifellos dann nicht frei ist, wenn die Festsetzung aufgrund irgendwelcher anderen Umstände später geändert werden muss.

Es ist vielmehr der Klägerin zu überlassen, sich wegen der Folgen der für sie im wirtschaftlichen Ergebnis wertlosen Abtretung bei der Zedentin schadlos zu halten; sie hat das Risiko zu tragen, dass sich ihre dieser gegenüber bestehenden Ansprüche nicht oder nicht ohne weiteres realisieren lassen. Mit einem solchen Risiko soll das FA, wie sich aus § 37 Abs. 2 AO 1977 ergibt, grundsätzlich nicht belastet sein, wenn es Steuern einem Zessionar ausgezahlt hat. Es muss auch nicht das Risiko tragen, seine Forderung auf Rückzahlung eines Erstattungs- oder Vergütungsbetrages bei einem Haftungsschuldner möglicherweise nicht realisieren zu können und von der Inanspruchnahme des Zedenten oder des Zessionars selbst dann nicht --auch nicht in Ausübung seines Ermessens bei der Auswahl unter mehreren Gesamtschuldnern-- absehen, wenn es seine Forderung dort voraussichtlich ohne weiteres realisieren könnte.

Ende der Entscheidung

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