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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.01.2003
Aktenzeichen: VII B 262/00
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO
Vorschriften:
AO 1977 § 88 | |
FGO § 76 | |
FGO § 115 Abs. 2 | |
FGO § 115 Abs. 3 | |
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3 a.F. |
Gründe:
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist ein Textilhandelsunternehmen, das neben anderen Importen in erheblichem Umfang Einfuhren nach passiver Veredelung tätigt und zum Teil auch in das Zollgebiet verbrachte Nichtgemeinschaftswaren reexportiert. In dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum wurden die Nichtgemeinschaftswaren regelmäßig aus einem vorangegangenen Versandverfahren in B gestellt und der Klägerin anschließend zur vorübergehenden Verwahrung überlassen.
Schon im August 1993 hatte die Klägerin dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) mitgeteilt, dass die Zollabfertigung auf EDV-Basis, die dann nach Fertigstellung eine raschere Abfertigung ermögliche, noch nicht abgeschlossen sei, so dass die 20-Tage-Frist zur Zollabfertigung der in der vorübergehenden Verwahrung befindlichen Waren nicht in jedem Fall eingehalten werden könne. Das HZA teilte der Klägerin daraufhin mit, dass die Frist nur im Ausnahmefall auf Antrag verlängert werden könne. Im Januar 1994 machte das HZA die Klägerin darauf aufmerksam, dass nach In-Kraft-Treten des Zollkodex der Einhaltung der in Art. 49 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) geregelten Fristen erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen sei und bei Nichteinhalten der Fristen die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstehe. Im Februar 1994 erklärte die Klägerin anlässlich einer Besprechung mit Vertretern der Zollbehörden erneut, dass sie nicht in der Lage sei, die Verwahrungsfristen einzuhalten. Die ihr vorgeschlagene Einrichtung eines Zolllagers zum Zwecke einer flexibleren Gestaltung der Zollbehandlung hielt sie jedoch für entbehrlich.
Bei einer Überprüfung stellte das HZA fest, dass 61 in der Zeit von Mitte Februar bis September 1994 gestellte Sendungen ganz oder zum Teil keiner zollrechtlichen Bestimmung zugeführt worden waren. Die Aufforderung des HZA, hierfür Gründe anzugeben, beantwortete die Klägerin nicht.
Einem mit Schreiben vom 31. Oktober 1994 gestellten Fristverlängerungsantrag für neun im Oktober 1994 gestellte Sendungen gab das HZA statt. Dagegen lehnte es die am 8., 17. und 22. November 1994 gestellten Fristverlängerungsanträge, die ebenfalls mit einem wegen der Umstellung des Abrechnungsverfahrens entstandenen Arbeitsstau, der nicht vorhersehbar gewesen sei, und zusätzlich mit Personalausfall wegen Krankheit begründet waren, durch förmlichen Bescheid ab. Ein weiterer, nicht begründeter Fristverlängerungsantrag der Klägerin für im Dezember 1994 gestellte Sendungen wurde nicht förmlich beschieden.
In der Zeit vom 20. Oktober 1994 bis zum Februar 1995 erließ das HZA 125 Steuerbescheide betr. Zollabfertigungen aus der Zeit vom Februar bis Dezember 1994, die in der Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 1995 im Einzelnen aufgelistet sind. Hierbei wurden keinerlei Zollermäßigungen oder -befreiungen --wegen Wiedereinfuhr nach passiver Veredelung, der Präferenzberechtigung der Waren oder aus anderen Gründen-- gewährt. In den Gründen der Einspruchsentscheidung heißt es, die Klägerin sei zu Recht für die nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK entstandenen Einfuhrzollschulden in Anspruch genommen worden. Die Voraussetzungen des Art. 859 Nr. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) seien nicht erfüllt. Die Pflichtverletzungen der Klägerin hätten sich negativ auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung ausgewirkt, so dass die "Es-sei-denn-Regelung" des Art. 204 Abs. 1 ZK nicht zum Tragen komme. Das Finanzgericht (FG) hat diese Auffassung des HZA nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 11. November 1999 Rs. C-48/98, EuGHE 1999, I-7877) im Ergebnis bestätigt.
In ihrer Beschwerde, mit der sie die Zulassung der Revision begehrt, wirft die Klägerin folgende Rechtsfragen auf, die sie für klärungsfähig und klärungsbedürftig hält:
1. War die Zollschuldentstehung nach Art. 204 Abs. 1 ZK für alle 125 Steuerbescheide im Einzelfall durch die Zollbehörde nachzuweisen oder waren dafür pauschale Feststellungen in der Einspruchsentscheidung ausreichend?
2. Wird durch Art. 860 ZKDVO der Untersuchungsgrundsatz nach § 88 der Abgabenordnung (AO 1977) überlagert oder gilt dieser bei einer Zollschuldentstehung nach Art. 204 Abs. 1 ZK uneingeschränkt weiter?
3. Hat das FG gegen § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, indem es die von der Klägerin benannten und bereits geladenen Zeugen von der mündlichen Verhandlung kurzfristig ausschloss, obwohl diese nach Auffassung der Klägerin wichtige beweiserhebliche Erklärungen zu den tatsächlichen Ursachen und Umständen der relevanten Fristüberschreitungen hätten abgeben können?
II. 1. Auf Antrag der Klägerin war das Verfahren, dessen Ruhen durch Senatsbeschluss vom 15. Februar 2001 VII B 262/00 angeordnet worden war, wieder aufzunehmen. Der zur Entscheidung anstehende Antrag der Klägerin auf Erlass der streitigen Einfuhrabgaben, der Grund für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens war, ist nach einer negativen Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften durch Bescheid des HZA vom 19. September 2002 abgelehnt worden.
2. Gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ist die Zulässigkeit und damit auch die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde noch nach § 115 Abs. 2 und 3 FGO in der vor In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG geltenden Fassung (FGO a.F.) zu beurteilen, weil das angefochtene Urteil vor dem 1. Januar 2001 --am 28. Juli 2000-- zugestellt worden ist. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin die von ihr behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen nicht hinreichend dargelegt hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.).
a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ist es nicht nur erforderlich, eine konkrete Rechtsfrage zu benennen und auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einzugehen, notwendig ist es vielmehr auch darzulegen, inwieweit die aufgeworfenen Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung der Klägerin betreffend die Fragen 1 und 2.
Eine Darstellung der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfragen ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Teil der angefochtenen Entscheidung, für den diese Fragen eine Rolle spielen, auf mehrere Gründe gestützt ist, die die Entscheidung jeder für sich selbständig tragen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 59). Dies ist hinsichtlich der beiden ersten von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen der Fall. Denn das FG hat das Argument der Klägerin, die einzelnen Steuerbescheide seien nicht hinreichend begründet worden, nicht nur deswegen nicht gelten lassen, weil nach seiner Meinung die Begründung der Steuerbescheide ausreiche. Es hat vielmehr auch ausgeführt, dass sie selbst dann nicht aufzuheben wären, wenn sie nicht vollständig begründet wären. Denn auf Grund des gesamten Akteninhalts und des Vorbringens der Klägerin hätte (auch bei einer vollständigen Einzelbegründung) keine andere Entscheidung in der Sache ergehen können (§ 127 AO 1977). Die Klägerin hat nicht ausgeführt, dass und inwieweit eine Beantwortung der beiden aufgeworfenen Rechtsfragen hinsichtlich dieses Entscheidungsgrundes ebenfalls von Bedeutung sein könnte.
b) Hinsichtlich der 3. Frage lässt sich dem Beschwerdevorbringen keine ausreichende Begründung dafür entnehmen, dass an der Beantwortung der Frage ein über den Einzelfall hinausgehendes Allgemeininteresse besteht. Deshalb ist die grundsätzliche Bedeutung der Sache auch hinsichtlich dieser Frage nicht dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.). Allein die Meinung der Klägerin, dass es für künftige Verfahren vor dem FG von großem Interesse sei, unter welchen Umständen und Voraussetzungen das FG Beweisanträge ablehnen könne und in welchem Umfang es diese zur Erforschung des Sachverhalts prüfen müsse, wobei auch zu klären sei, ob benannte und bereits vom Gericht zugelassene Zeugen noch wenige Stunden vor der mündlichen Verhandlung wieder "ausgeladen" werden können, vermag das über den Einzelfall hinausgehende Interesse der Allgemeinheit nicht zu begründen. Vielmehr wird daraus deutlich, dass hier keine Rechtsfrage allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, sondern allenfalls eine auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abgestellte Entscheidung zu treffen ist.
Falls die Klägerin insoweit nicht eine Rechtsfrage (angeblich) grundsätzlicher Bedeutung hätte aufwerfen, sondern den Verfahrensmangel einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) hat rügen wollen, so fehlt es allerdings auch insoweit an der hinreichenden Bezeichnung des Zulassungsgrundes (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.). Auch zur Bezeichnung eines Verfahrensfehlers gehören Ausführungen zu seiner Entscheidungserheblichkeit. Dafür reicht das Beschwerdevorbringen der Klägerin nicht aus. Sie hätte nämlich nicht nur darstellen müssen, welches Ergebnis die Zeugenvernehmungen gehabt hätten, wenn sie durchgeführt worden wären, sondern hätte auch im Einzelnen darlegen müssen, inwieweit das Beweisergebnis auf der Grundlage der Rechtsauffassung des FG, das die Beweisaufnahme nicht für entscheidungserheblich hielt, möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 65, § 120 Rz. 40). Dazu jedoch enthält die Beschwerde keine Ausführungen.
Die den Beschwerdeausführungen zu dieser Frage auch zu entnehmende Rüge, die Feststellungen des FG würden dessen Entscheidung nicht tragen, ist keine Verfahrens-, sondern eine materiell-rechtliche Rüge. Darin wäre ein Zulassungsgrund nur zu sehen, wenn insoweit eine Frage grundsätzlicher Bedeutung gestellt wäre. Die grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Sache ist jedoch auch insoweit nicht dargelegt. Allein die nach Meinung der Klägerin rechtswidrige Entscheidung der Sache durch das FG ist kein Grund für die Zulassung der Revision.
Ende der Entscheidung
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