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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: VII B 29/06
Rechtsgebiete: HGB, AO 1977, EStG, FGO, InsO


Vorschriften:

HGB § 25
AO 1977 § 34
AO 1977 § 69 Satz 1
AO 1977 § 191 Abs. 1 Satz 1
EStG § 42d
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
InsO § 133
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und --neben seiner Ehefrau-- Mehrheitsgesellschafter einer GmbH, die ab Oktober 2000 in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Die letzte Lohnzahlung an die rd. 60 Mitarbeiter erfolgte am 10. Januar 2001 für Dezember 2000. Ab Ende Januar 2001 lieferten die Lieferanten nur noch gegen Vorkasse. Die Lohnsteuer für Oktober bis Dezember 2000 wurde nicht abgeführt. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) daraufhin die Lohnsteuer für Oktober und November 2000 mit Bescheid vom 22. Januar 2001 geschätzt hatte, gab die GmbH am 9. Februar 2001 Lohnsteueranmeldungen für Oktober bis Dezember 2000 über insgesamt 55 757,59 € ab. Zahlungen erfolgten nicht.

Mit dem Ziel, zumindest einen Teil des Unternehmens und der Arbeitsplätze zu retten sowie eine Verwertung des zum Teil verpfändeten Privatvermögens der Eheleute zu vermeiden, wurden mit Wirkung zum 15. Februar 2001 der Geschäftsbetrieb der GmbH sowie etwa 35 ihrer Mitarbeiter von einer neuen GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger und deren Alleingesellschafter dessen Sohn waren, unter Ausschluss der Haftung für Altverbindlichkeiten nach § 25 des Handelsgesetzbuchs übernommen. Über das Vermögen der ursprünglichen GmbH wurde am 21. März 2001 das Insolvenzverfahren eingeleitet und am 22. Mai 2001 eröffnet. Das FA fiel mit seinen Lohnsteuerforderungen aus.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2003 nahm das FA den Kläger wegen der Lohnsteuerrückstände in Höhe von 55 757,59 € in Haftung. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 858 veröffentlicht.

II. Ungeachtet der versäumten Rechtsmittelbegründungsfrist und der Frage, ob die vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Gründe für die Verspätung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, ist die Beschwerde jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Kläger die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG sah die nach § 69 Satz 1, § 34, § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftungsbegründende, mindestens grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers in erster Linie darin, dass er nie --auch nicht stichprobenweise-- überwacht habe, ob seine Mitarbeiter, zu denen seine Ehefrau gehört habe, die Lohnsteueranmeldungen termingerecht abgegeben und die Lohnsteuer tatsächlich abgeführt hätten und dass er daran auch im Herbst 2000 festgehalten habe, obwohl er die finanziell schwierige Situation der GmbH gekannt habe. Gegen diese Feststellungen hat der Kläger keine Einwände vorgebracht. Er hält es vielmehr für verfahrensfehlerhaft i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dass das FG zusätzlich die Aussage der Ehefrau, sie habe ihrem Mann erst als die Vollstreckungsankündigung des FA gekommen sei, erzählt, dass die Lohnsteuer ab Oktober 2000 nicht mehr gezahlt worden sei, als unglaubhaft verworfen hat, ohne ihm Gelegenheit zu geben, weitere Zeugen für die Richtigkeit dieser Aussage zu benennen. Mit dieser Rüge kann der Kläger die Zulassung der Revision nicht erreichen. Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Dezember 2004 III B 14/04, BFH/NV 2005, 667).

2. Der Kläger hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass das FG infolge eines Verfahrensfehlers und in Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs --BGH-- (Urteil vom 13. Mai 2004 IX ZR 190/03, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2004, 1512, BGH-Report 2004, 1460 --betreffend die Anfechtbarkeit von Steuerzahlungen vor Insolvenzeröffnung--) die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Klägers --trotz einer möglichen Anfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO)-- für den Steuerausfall bejaht hat.

Das FG hat festgestellt, dass die Löhne für Oktober bis Dezember 2000 am 10. Januar 2001 ungekürzt ausgezahlt und noch Ende Januar/Anfang Februar Zahlungen an Lieferanten geleistet worden sind. Verfahrensrügen dagegen hat der Kläger nicht erhoben. Das FG hat daraus --nachvollziehbar-- geschlossen, dass im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuern (am 10. November 2000, 10. Dezember 2000 und 10. Januar 2001, § 41a EStG) ausreichende Mittel zu ihrer Begleichung vorhanden waren und das FA allein wegen der Nichtabführung der Lohnsteuern eine drohende Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht habe erkennen können.

a) Der Kläger hat nicht dargelegt, aufgrund welcher sonstigen --vom FG nicht aufgeklärten-- Tatsachen das FA gleichwohl auf die drohende Zahlungsunfähigkeit der GmbH in diesem Zeitpunkt hätte schließen können (vgl. § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die ins Wissen der Ehefrau gestellte Kenntnis des FA von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH "anläßlich der Nichtabgabe der Lohnsteueranmeldungen" ist weder hinreichend bestimmt, noch ist deren Entscheidungserheblichkeit angesichts der --bei der Prüfung des Vorliegens eines Verfahrensfehlers zugrunde zu legenden Rechtsansicht des FG (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2006 XI B 78/05, BFH/NV 2006, 1122)-- erkennbar. Die zulässige Verfahrensrüge unzureichender Sachaufklärung (Verstoß gegen § 76 FGO) erfordert aber zumindest die Bezeichnung entscheidungserheblicher ermittlungsbedürftiger Tatsachen (BFH-Beschluss vom 5. Mai 1997 V B 63/96, BFH/NV 1997, 818).

b) Die Divergenz zur o.g. Entscheidung des BGH (in ZIP 2004, 1512, BGH-Report 2004, 1460) hat der Kläger nur behauptet. Wird mit der Beschwerde geltend gemacht, das FG sei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen, erfordert die ausreichende Bezeichnung der Divergenz die Gegenüberstellung eines aus dieser Entscheidung und dem angefochtenen FG-Urteil abgeleiteten abstrakten tragenden Rechtssatzes in einer Weise, dass die Abweichung erkennbar wird (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Dezember 2001 VII B 109/01, BFH/NV 2002, 663, m.w.N.). Der Kläger hat jedoch keinen dem FG-Urteil zugrunde liegenden, von der von ihm zitierten Rechtsprechung abweichenden abstrakten Rechtssatz bezeichnet. Eine Abweichung liegt auch offensichtlich nicht vor. Denn nach der zu § 133 InsO ergangenen Entscheidung, in der der BGH über die Anforderungen an die Prüfung der Gläubigerkenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners zu befinden hatte, ist entgegen dem Beschwerdevortrag keineswegs "gerade aus der plötzlichen Nicht(mehr)abgabe von Lohnsteueranmeldungen und dem 'Aussetzen' der Lohnsteuerabführung" auf die Zahlungsunfähigkeit zu schließen, vielmehr kann die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes nur dann vermutet werden, wenn die Forderungen des FA über einen längeren Zeitraum ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen wurden und ihm nach den Umständen bewusst war, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt. Gerade diese Voraussetzungen hat das FG aber nicht festgestellt.

Ende der Entscheidung

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