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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: VII B 302/05
Rechtsgebiete: BranntwMonG, Richtlinie 92/12/EWG, FGO


Vorschriften:

BranntwMonG § 143 Abs. 1 Satz 1
Richtlinie 92/12/EWG Art. 20 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Im Zeitraum Februar bis Juni 1997 führte die in Frankreich ansässige Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) insgesamt 46 Steuerversandverfahren durch, mit denen Branntwein unter Steueraussetzung mit begleitenden Verwaltungsdokumenten über die ostdeutsche Grenze aus dem Verbrauchsteuergebiet der Gemeinschaft in mehrere osteuropäische Drittstaaten ausgeführt werden sollte. In zehn Fällen konnte das Zollfahndungsamt M eine Erledigung der von der Klägerin eröffneten Steuerversandverfahren nicht feststellen. In weiteren 36 Fällen stellte das Zollkriminalamt fest, dass die auf dem Exemplar 3 (Rückschein) der begleitenden Verwaltungsdokumente angebrachten Stempel der deutschen Ausgangszollstelle gefälscht waren. Die fingierten Ausfuhren gaben Anlass zu strafrechtlichen Ermittlungen. Das Landgericht (LG) stellte in insgesamt 7 rechtskräftig gewordenen Strafurteilen in Bezug auf 8 Steuerversandverfahren fest, dass der Branntwein von verschiedenen Tätern in Depots im Steuergebiet zwischengelagert und binnen kurzer Zeit über Zwischenhändler weiterverkauft worden sei.

Mit der Begründung, dass der Branntwein in sämtlichen 46 Fällen im Steuergebiet dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden sei, nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) die Klägerin mit Steuerbescheid vom 23. März 1998 auf Zahlung von Branntweinsteuer in Höhe von insgesamt ... DM in Anspruch. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte zum größten Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Steuerbescheid lediglich hinsichtlich der 8 Sendungen rechtmäßig sei, in denen nach den strafrechtlichen Ermittlungen des LG feststehe, dass der Branntwein in ein Lager im Steuergebiet verbracht worden und von dort aus weiterverkauft worden sei. Denn in diesen Fällen sei der Tatbestand des § 143 Abs. 1 Satz 1 des Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG) erfüllt worden. Da der Ort der Zuwiderhandlungen im Steuergebiet festgestellt worden sei, stehe Deutschland nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren --Systemrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) auch die Erhebungskompetenz zu.

Anders verhalte es sich jedoch bei den übrigen 38 Fällen, in denen nach den strafgerichtlichen Feststellungen nicht hätte ermittelt werden können, wo die verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden seien. Die nach § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG erforderliche Feststellung über den Ort der Zuwiderhandlung könne auch nicht dadurch ersetzt werden, dass aufgrund der immer gleichen Begehungsweise davon ausgegangen werden könne, dass der Branntwein auch in den übrigen Fällen in Lagerstätten im Steuergebiet verbracht worden sei. Auch auf § 143 Abs. 2 BranntwMonG lasse sich der angefochtene Steuerbescheid nicht stützen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 30. November 2004 VII R 25/01 (BFHE 208, 334) ausgeführt habe, stelle diese Vorschrift keine korrekte Umsetzung des Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie dar, da sie die Fälle des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie nicht von ihrer Anwendung ausschließe und Deutschland dadurch eine Steuererhebungskompetenz vermittle, die ihr nicht zukomme. Im Streitfall sei der Branntwein am Bestimmungsort --nämlich an der deutschen Ausgangszollstelle-- nicht eingetroffen. Sämtliche Überlegungen des HZA über den tatsächlichen Verbleib der Erzeugnisse bewegten sich im spekulativen Bereich. Bei dieser Sachlage weise Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie die Erhebungskompetenz dem Abgangsmitgliedstaat, im Streitfall damit Frankreich zu.

Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), wegen der Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) und wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Zur Begründung trägt das HZA vor, dass die Rechtsprechung des BFH und des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) den Anwendungsbereich von Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie nur unzureichend geklärt habe. Denn bisher sei eine wesentliche Einschränkung des Anwendungsbereiches dieser Vorschrift nicht berücksichtigt worden. Durch den Verweis auf Art. 6 Abs. 2 der Systemrichtlinie werde klargestellt, dass die Annahme des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie, nämlich dass die Ware den Abgangsmitgliedstaat nicht verlassen habe, nur dann gelte, wenn ein Erreichen des Durchfuhrstaates in jedem Fall ausgeschlossen sei. Darauf deute der 16. Erwägungsgrund der Systemrichtlinie hin, nach der die Annahme der Erhebungskompetenz des Abgangsmitgliedstaates die Nichtvorführung der Ware im Bestimmungsmitgliedstaat voraussetze. Infolgedessen bestehe kein Bedarf, § 143 Abs. 2 BranntwMonG richtlinienkonform auszulegen. Die Erhebungskompetenz liege nur dann beim Abgangsmitgliedstaat, wenn nicht festgestellt werden könne, dass die Ware das Gebiet dieses Staates überhaupt verlassen habe. Daher sei eine Neubewertung der Verhältnisse des Art. 20 Abs. 2 und 3 der Systemrichtlinie erforderlich. Im Streitfall stehe fest, dass die Erzeugnisse Frankreich tatsächlich verlassen hätten.

Darüber hinaus habe das FG verfahrensfehlerhaft der Zollverwaltung die Beweislast dafür aufgebürdet, dass die Ware tatsächlich am Bestimmungsort eingetroffen sei. Die Beweislast hinsichtlich der Erfüllung der in Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie normierten Tatbestandsmerkmale liege indes beim Versender. Mit der Übertragung der Beweislast auf das HZA habe das FG gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen (§ 76 Abs. 1 FGO) und rechtsfehlerhaft eine gebotene Beweisaufnahme unterlassen.

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt seien. Das FG habe Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie rechtsfehlerfrei angewandt.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei lässt es der beschließende Senat dahingestellt sein, ob sie den Erfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Jedenfalls ist die aufgeworfene Rechtsfrage nicht mehr klärungsbedürftig, denn sie ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits hinreichend beantwortet worden.

1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 16. Juli 1999 IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rdnr. 102 ff.). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen gewichtigen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).

a) Hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von § 143 Abs. 2 BranntwMonG hat der Senat bereits entschieden, dass die Vorschrift das zu beachtende Gemeinschaftsrecht nur unzureichend umsetzt (BFH-Urteil in BFHE 208, 334). Vom Anwendungsbereich auszuschließen sind nämlich die von Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie angesprochenen Fälle, in denen die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eintreffen und in denen der Ort der Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit nicht festgestellt werden kann. Um eine korrekte Anwendung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, hat in diesen Fällen eine Anwendung von § 143 Abs. 2 BranntwMonG außer Betracht zu bleiben. Mit der Auslegung von Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie hat sich bereits der EuGH befasst und in seinem Urteil vom 12. Dezember 2002 Rs. C-395/00 --Cipriani-- (EuGHE 2002, I-11877) eine Anwendung dieser Vorschrift bejaht, wenn --wie im Streitfall-- verbrauchsteuerpflichtige Erzeugnisse, die im Steueraussetzungsverfahren durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten hindurch in Drittländer ausgeführt werden sollen, am Bestimmungsort nicht ankommen und sich nicht feststellen lässt, an welchem Ort die Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit begangen worden ist. Dem Einschub "unbeschadet des Art. 6 Abs. 2" in Art. 20 Abs. 3 Satz 1 der Systemrichtlinie hat der EuGH dabei zu Recht keine die Erhebungskompetenz des Abgangsmitgliedstaates einschränkende Bedeutung beigemessen.

b) Entgegen der Auffassung des HZA lässt sich aus der Erwähnung von Art. 6 Abs. 2 der Systemrichtlinie nicht entnehmen, dass Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie nur dann Anwendung findet, wenn sich nicht feststellen lässt, ob die Waren den Abgangsmitgliedstaat überhaupt verlassen haben. Ein solches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift keinen Art. 6 Abs. 2 der Systemrichtlinie verdrängenden Steuerentstehungstatbestand enthält, sondern lediglich eine die Erhebungskompetenz des Abgangsmitgliedstaates begründende Fiktion des Ortes der Zuwiderhandlung anordnet, der in dem Mitgliedstaat angenommen wird, in dem das Steuerversandverfahren eröffnet worden ist (vgl. Jatzke, Das neue Verbrauchsteuerrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Veröffentlichung des Instituts "Finanzen und Steuern" e.V., Heft Nr. 322, 1993, S. 42). Durch den Zusatz "unbeschadet Art. 6 Abs. 2" wird mithin lediglich klargestellt, dass es bei der allgemeinen Regel verbleibt, nach der die Verbrauchsteuer durch Überführung des Erzeugnisses in den steuerrechtlich freien Verkehr entsteht und dass Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie allein Aussagen über den Ort der Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung trifft. Ausreichend für die Auslösung der Fiktion ist der Umstand, dass die Waren nicht am Bestimmungsort angekommen sind und dass der tatsächliche Ort der Entnahmehandlung unbekannt ist. Einer positiven Feststellung, dass die Waren das Territorium des Abgangsmitgliedstaates verlassen haben, bedarf es hingegen nicht. Auch ist dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie nicht zu entnehmen, dass die Regelung nur dann Anwendung findet, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Waren im Abgangsmitgliedstaat verblieben sind. Die Vorschrift findet vielmehr auch in den Fällen Anwendung, in denen feststeht, dass die Waren aus dem Abgangsmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden sind. Denn die Vorschrift soll eine Lösung auch für die Fälle anbieten, in denen die Ware über das Gebiet mehrerer Mitgliedstaaten ausgeführt oder in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden soll. Lässt sich zwar feststellen, dass die Ware das Territorium des Abgangsmitgliedstaates verlassen hat, besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Ware in mehreren Durchfuhrmitgliedstaaten dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden sein könnte, verbleibt es dennoch bei der Erhebungskompetenz des Abgangsmitgliedstaates, obwohl anzunehmen ist, dass der Entstehungstatbestand des Art. 6 Abs. 2 der Systemrichtlinie im Abgangsmitgliedstaat nicht verwirklicht worden sein kann. Um einen nahezu unlösbaren Erhebungskonflikt zwischen den Durchfuhrmitgliedstaaten zu vermeiden, wird der Ort der Steuerentstehung in einer fiktiven Betrachtung in den Abgangsmitgliedstaat "zurückverlegt". Die Rechtsansicht der Beschwerde würde dazu führen, dass bei solchen Fallkonstellationen eine Erhebungskompetenz des Abgangsmitgliedstaates zu verneinen wäre und offenbliebe, welcher Mitgliedstaat für die Erhebung der Steuer zuständig wäre. Das Entstehen einer solchen Regelungslücke wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die in Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie getroffene Regelung gerade vermeiden.

Entgegen der Ansicht des HZA ist die Rechtslage eindeutig, so dass es keiner neuen Entscheidung des BFH bedarf. Auch hält der beschließende Senat die von ihm vorgenommene Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts aufgrund der Rechtsprechung des EuGH für eindeutig. Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 --C.I.L.F.I.T.--, EuGHE 1982, 3415 Rdnr. 16).

2. Hinsichtlich der von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrüge fehlt es bereits an einer hinreichenden Darlegung i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Denn die behauptete fehlerhafte Beurteilung der Grundsätze über die Verteilung der Beweislast kann keinen Verfahrensfehler, sondern allenfalls einen materiell-rechtlichen Fehler darstellen (BFH-Beschluss vom 28. Juli 1994 IV S 2/93, BFH/NV 1995, 118). Deshalb kann eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nach dem Vortrag des HZA nicht in Betracht kommen.



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