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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.09.2006
Aktenzeichen: VII B 308/05
Rechtsgebiete: AO 1977, TabStG, TrZG


Vorschriften:

AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 2
TabStG § 30a
TabStG § 30a Abs. 1
TrZG § 3 Abs. 1 Satz 1
TrZG § 4 Abs. 2
TrZG § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
TrZG § 4 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist ein Soldat der Bundeswehr, der in den von diesem Rechtsstreit betroffenen Jahren 1994 bis 1999 als Mitglied eines NATO-Unterstützungsverbandes bei dem dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa (SHAPE) unterstellten Hauptquartier LANDCENT in Essen stationiert und deshalb zum Bezug unversteuerter Zigaretten mit Hilfe eines Einkaufsausweises bei dem sog. Property Accounting Office berechtigt war. Bis Ende 1996 soll für den Bezug ein Bataillonsbefehl gegolten haben, der nicht mehr verfügbar ist. Später war der Bezug nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) durch einen Regimentsbefehl auf 600 Stück/Monat und seit 1. September 1998 auf 800 Stück/Monat beschränkt. In den Befehlen war bestimmt, dass der "Missbrauch der Vergünstigungen, insbesondere auch der Einkauf über den eigenen Bedarf hinaus" einen strafbaren Verstoß gegen die deutschen Zoll- und Steuergesetze darstelle.

Ermittlungen des Zollfahndungsamtes haben ergeben, dass der Kläger --ähnlich wie zahlreiche andere Angehörige seiner Dienststelle und das Personal des Property Accounting Office-- zwischen Januar 1994 und Juni 1999 insgesamt 5 600 unversteuerte Zigaretten über die ihm nach den vorgenannten Befehlen zugeteilten Höchstmengen hinaus bezogen hat. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hat gegen den Kläger deshalb mit Bescheid vom 26. April 2004 Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer, zusammen gut 700 €, festgesetzt.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG urteilte, die Abgabenforderung sei verjährt. Zur Ausfüllung einer sonst bestehenden Regelungslücke müsse Art. 221 des Zollkodex (ZK) mangels einer besonderen Verjährungsregelung im deutschen Recht auf die Abgaben entsprechend angewendet werden, für deren Entstehen das Truppenzollgesetz 1962 (TrZG, BGBl III 1962, 613-5-6, mit mehreren späteren Änderungen) i.V.m. Art. 4 des Gesetzes zu dem Protokoll über die Rechtsstellung der aufgrund des Nordatlantikvertrags errichteten internationalen militärischen Hauptquartiere ... (BGBl II 1969, 1997) und zu den dieses Protokoll (BGBl II 1969, 2000) ergänzenden Vereinbarungen (u.a. dem Abkommen über die besonderen Bedingungen für die Errichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere --Ergänzungsabkommen--, BGBl II 1969, 2009; § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- und § 21 des Tabaksteuergesetzes --TabStG--) einschlägig sei. Da die danach grundsätzlich auf drei Jahre bemessene Festsetzungsfrist bei Erlass des angefochtenen Steuerbescheids abgelaufen gewesen sei, wäre der Steuerbescheid nur rechtmäßig, wenn eine Verlängerung der Frist gemäß Art. 221 Abs. 4 ZK i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eingreife. Das sei jedoch nicht der Fall, weil weder der Kläger noch die Soldaten des Property Accounting Office, die ihm die Zigaretten verkauft haben, die jeweiligen Bataillonskommandeure oder deren Vertreter eine Steuerhinterziehung begangen hätten.

Der Kläger habe nach § 30a Abs. 1 TabStG allenfalls eine Ordnungswidrigkeit begangen, wobei diese Vorschrift zu seinen Gunsten auch für vor ihrem Inkrafttreten getätigte Erwerbe eingreife. Aber auch diejenigen, die dem Kläger die Zigaretten verkauft haben und die militärischen Vorgesetzten, zu deren Gunsten § 30a TabStG nicht wirke, hätten keine Steuerhinterziehung begangen, in deren Folge die Festsetzungsfrist auch gegenüber dem Kläger sich auf zehn Jahre hätte verlängern können. Es komme nur eine Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen der Zollbehörde in Betracht. Es fehle indes für die Betreffenden an einer Mitteilungspflicht gegenüber den Zollbehörden. Die Genehmigung der Entnahme von Zollgut aus der Truppenzollgutverwendung habe nämlich nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TrZG nur derjenige zu beantragen, der nach § 4 Abs. 2 TrZG Zollschuldner sei. Zu diesem Personenkreis gehörten die Betreffenden nicht. Die Streitkräfte, für welche und in deren Auftrag die Veräußerungen vorgenommen worden seien, hätten gegenüber der Zollbehörde keine Mitteilungspflicht, wie Art. 12 Abs. 4 Satz 2 des Ergänzungsabkommens und Art. 65 Abs. 2 des Zusatzabkommens (BGBl II 1961, 1183, 1218; 1963, 745) zum NATO-Truppenstatut (BGBl II 1961, 1183, 1190; 1963, 745) zeigten. Eine Mitteilungspflicht ergebe sich auch nicht aus Art. 17 des Ergänzungsabkommens, nach dem die Hauptquartiere und die in sie integrierten Einheiten verpflichtet seien, Missbräuche zu verhindern, dafür angemessene Maßnahmen zu treffen und mit den Zollbehörden zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass die Mengenbeschränkungen gegenüber den berechtigten Soldaten eingehalten werden. Keine dieser Pflichten beinhalte jedoch eine Mitteilungspflicht gegenüber den Zollbehörden.

Ob der Kläger selbst überhaupt Abgabenschuldner nach § 4 Abs. 2 Satz 2 TrZG geworden sei, könne offenbleiben. Eine Entnahme der über die Höchstmengen hinaus verkauften Zigaretten aus der Zollgutverwendung sei allerdings zweifelhaft (Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 17. August 2000 VII B 45/00, BFHE 192, 149). Zudem hätte der Kläger für eine Zollschuldnerschaft wissen müssen, dass die Zigaretten an ihn vorschriftswidrig abgegeben werden; hiervon, so meint das FG, dürfte aufgrund der langjährigen und von den Vorgesetzten geduldeten Verkaufspraxis nicht auszugehen sein.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des HZA, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird.

Es bedürfe der Klärung, ob die Mitglieder der Streitkräfte, die die Zigaretten veräußert haben, nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TrZG Zollschuldner geworden sind. Das sei nach dem Wortlaut dieser Vorschrift der Fall und vom FG selbst noch in seinem Beschluss bezüglich der Aussetzung der Vollziehung angenommen worden. Diese Annahme trifft nach Auffassung des HZA auch zu. Die Betreffenden hätten das Zollgut veräußert, insbesondere die Waren, die sie über die zulässigen Höchstmengen hinaus abgegeben haben; denn nur innerhalb der Höchstgrenzen hätten sie für die Streitkräfte und in deren Auftrag gehandelt.

Verneine man die Abgabenschuldnerschaft der Betreffenden, bedürfe die weitere Frage der Klärung, ob diese eine Steuerhinterziehung dadurch begangen haben, dass sie die Zollbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben. Eine Pflicht zur Mitteilung, dass der Kläger über die zulässigen Höchstmengen hinaus Zigaretten bezogen hat, ergebe sich aus Art. 16 und 17 des Ergänzungsabkommens, wonach die Hauptquartiere mit den deutschen Behörden bei der Verhinderung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen eng zusammenzuarbeiten hätten; daraus folge, dass sie etwaige Verstöße sofort mitteilen müssten. Auch im Hinblick darauf, dass in Art. 17 Abs. 2 des Ergänzungsabkommens die Verpflichtung ausdrücklich geregelt sei, abgabenbegünstigte Waren nur in den vorgesehenen Mengen zur Verfügung zu stellen, ergebe sich eine solche Informationspflicht.

Die Bedeutung dieser Fragen über den Einzelfall hinaus ergebe sich daraus, dass bei dem FG noch eine Vielzahl vergleichbarer Verfahren anhängig sei und auch in der Zukunft mit gleichgelagerten Fällen zu rechnen sei.

Der Kläger ist der Beschwerde entgegengetreten. Er meint im Wesentlichen, die Antwort auf die vom HZA aufgeworfenen Fragen ergebe sich klar aus dem Gesetz und aus dem vorgenannten Beschluss des Senats. Alles Weitere sei Tatsachenbewertungsfrage. Hinsichtlich der Ansicht des HZA, die Verkäufer der Zigaretten hätten jedenfalls eine Mitteilungspflicht gegenüber den Zollbehörden gehabt und diese nicht erfüllt, weist der Kläger darauf hin, dass eine solche Pflicht nach den vom HZA angeführten Vorschriften allenfalls das Hauptquartier, nicht aber den einzelnen Soldaten, der zum Verkauf eingesetzt gewesen sei, treffe.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat zu Recht angenommen, dass nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TrZG Zollschuldner nur werden kann, wer Zollgut an eine Person veräußert, die nicht Mitglied ausländischer Streitkräfte ist. Das bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil es sich klar und deutlich aus dem systematischen Zusammenhang dieser Vorschrift mit der Nr. 1 ergibt. Denn diese begründet eine Abgabenschuldnerschaft nur für Personen, die nicht Mitglieder der ausländischen Streitkräfte sind --wobei zu den Mitgliedern allerdings im Rahmen der Anwendung des Protokollgesetzes auch das berechtigte Personal der Hauptquartiere gehört, das der Bundeswehr angehört, wie der beschließende Senat bereits in seinem Beschluss in BFHE 192, 149 näher ausgeführt hat--. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TrZG macht das Mitglied der ausländischen Streitkräfte, das das Zollgut veräußert hat, nur "daneben" zum Abgabenschuldner, setzt mithin voraus, dass ein Abgabenschuldner nach Maßgabe der Nr. 1 die betreffenden Abgaben schuldet. Die Vorschrift greift also nicht ein, wenn ein Mitglied ausländischer Streitkräfte Zollgut an andere Mitglieder der ausländischen Streitkräfte über die diesen nach den einschlägigen militärischen Befehlen zustehenden Mengen hinaus verkauft, mag insoweit auch anderweit eine Abgabenschuld des Erwerbers und/oder Verkäufers entstehen.

2. Zu Recht hat das FG auch entschieden --und auch dieses bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil es klar und eindeutig ist--, dass seitens der Mitglieder der ausländischen Streitkräfte, die dem Kläger die strittigen Zigaretten verkauft haben, keine Steuerhinterziehung dadurch begangen worden ist, dass diese dem HZA nicht angezeigt haben, dass die betreffenden Verkäufe getätigt worden sind. Art. 17 Abs. 2 des Ergänzungsabkommens verpflichtet die Hauptquartiere zwar sicherzustellen, dass den berechtigten Personen nur die vorgesehenen Mengen zur Verfügung gestellt werden. Es liegt aber auf der Hand, dass aus einer solchen Verpflichtung nicht die Verpflichtung folgt, dem HZA gleichsam durch eine Selbstanzeige die Verfolgung von Zuwiderhandlungen bzw. den Erlass abgabenrechtlicher Maßnahmen zu ermöglichen, wenn die von den Hauptquartieren in Erfüllung jener Verpflichtung ergriffenen Maßnahmen im Einzelfall versagt haben und Waren berechtigten Personen über die ihnen nach den militärischen Befehlen zustehenden Mengen hinaus verkauft worden sind. Die allgemeine, in Art. 17 Abs. 1 des Ergänzungsabkommens enthaltene Verpflichtung, einen Missbrauch der Vergünstigungen und Befreiungen auf zoll- und steuerrechtlichem Gebiet zu verhindern und mit den deutschen Behörden eng zusammenzuarbeiten, ist mangels ausreichender Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes), welche das den eigentlichen Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ausfüllende, eine Erklärungs- oder sonstige Mitteilungspflicht statuierende Gesetz aufweisen muss, jedenfalls ungeeignet, Grundlage eines strafrechtlichen Vorwurfs zu sein. Nur wenn den Personen, die dem Kläger die strittigen Zigaretten verkauft haben, ein solcher strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden könnte, könnte jedoch, wie keiner näheren Erläuterung bedarf (vgl. Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 169 Rdnr. 26, m.N.), die Festsetzungsverjährung nach Maßgabe des Art. 221 Abs. 4 ZK über ihre reguläre Dauer von drei Jahren hinaus zulasten des Klägers verlängert worden sein.

Nach alledem könnte in dem vom HZA angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich auch nicht die --von diesem selbst ohnehin nicht ausdrücklich aufgeworfene-- Frage geklärt werden, ob der Verkauf von Waren an berechtigte Personen für deren eigenen Bedarf, jedoch über die Mengen hinaus, welche ihnen in den einschlägigen militärischen Befehlen --die übrigens nur den Erwerb für den Bedarf anderer ausdrücklich als zoll- und steuerrechtlich relevanten Missbrauch ansprechen-- zugestanden werden, überhaupt zur Folge hat, dass die betreffenden Personen für solche Mehrmengen die ihnen grundsätzlich zustehenden zoll- und steuerrechtlichen Vergünstigungen nicht in Anspruch nehmen können und insoweit Abgabenschuldner werden, was nicht ohne weiteres daraus folgt, dass die Hauptquartiere nach den einschlägigen Abkommen zweifellos verpflichtet sind, solche Verkäufe zu unterbinden.

Ende der Entscheidung

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