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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: VII B 316/05
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 | |
FGO § 118 Abs. 2 | |
VO Nr. 3950/92 Art. 1 | |
VO Nr. 3950/92 Art. 9 Buchst. c |
2. Bei kurzen Pachtzeiten kann die Annahme einer selbständigen Bewirtschaftung mit Erfahrungssätzen unvereinbar sein.
Gründe:
I.
Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist Milcherzeuger. Für den Zeitraum 26. bis 31. März 2002 verpachtete er seine Stallanlage einschließlich der dort aufgestellten Milchkühe an einen anderen Milcherzeuger (Pächter). Bei einer am 28. März 2002 auf seinem Hof im Rahmen der Steueraufsicht durchgeführten Kontrolle wurden der Kläger und dessen Frau im Stall beim Probemelken angetroffen. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) nahm dies zum Anlass, den Kläger auch für die während der Pachtzeit erzeugte und gelieferte Milch als Erzeuger anzusehen. Da der Kläger u.a. mit dieser Milchmenge seine Anlieferungs-Referenzmenge überliefert hatte, wurde eine Milchabgabe gegen ihn festgesetzt.
Der hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Das FG urteilte, dass nicht der Kläger, sondern der Pächter der Erzeuger der während der Pachtzeit produzierten Milch gewesen sei, da er nach den geschlossenen Verträgen die Anlagen gepachtet und diese selbständig betrieben habe; es habe sich nicht lediglich um ein Scheingeschäft gehandelt. Dies stehe nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme fest. Die eigenverantwortliche Bewirtschaftung der Produktionsmittel durch den Pächter sei auch nicht durch die Anwesenheit des Klägers beim Probemelken eingeschränkt gewesen, denn die Milchleistungsprüfung, der das Probemelken gedient habe, stehe in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zweck des Pachtvertrags. Die Milchleistungsprüfung diene der Sicherung der Milchqualität und der Gesundheit der Kühe und habe nur Bedeutung für den Kläger. Dieser sei als Verpächter verpflichtet gewesen, die Kühe in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten, weshalb er die Kühe zur Sicherung der Milchqualität einer regelmäßigen Milchleistungsprüfung habe unterziehen müssen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe --ungeachtet der Frage, ob sie in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt sind-- jedenfalls nicht vorliegen.
1. Die Entscheidung, ob die streitige Milchmenge dem Kläger oder dem Pächter zuzurechnen ist, hängt davon ab, wer als Erzeuger dieser Milchmenge anzusehen ist, weil nach Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 (VO Nr. 3950/92) des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 405/1) i.d.F. der Änderungs-Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABlEG Nr. L 160/73) bei den Erzeugern von Kuhmilch eine zusätzliche Abgabe auf die Mengen Milch oder Milchäquivalent erhoben wird, die in dem jeweiligen Zwölf-Monats-Zeitraum geliefert oder direkt verkauft wurden und eine bestimmte Menge überschreiten. Der danach für die Zuordnung von Milchmengen maßgebende Begriff des Milcherzeugers wird in Art. 9 Buchst. c VO Nr. 3950/92 definiert und ist darüber hinaus höchstrichterlich geklärt. Grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich daher insoweit nicht.
a) Die Erzeugereigenschaft kommt demjenigen zu, der den Milch erzeugenden Betrieb oder die Produktionsmittel in eigener Verantwortung leitet und bewirtschaftet (Senatsbeschlüsse vom 26. Juni 1990 VII B 196/89, BFH/NV 1991, 565; vom 1. Februar 2000 VII B 214/99, BFH/NV 2000, 1002). Diese Definition schließt es nicht aus, auch einen Pächter als Milcherzeuger anzusehen, der die Milchproduktion in gepachteten Anlagen eines anderen Landwirts betreibt, wobei es auch nicht entscheidend darauf ankommt, ob lediglich bestimmte der Milchproduktion dienende Anlagen oder sogar lediglich einzelne Kühe von einem anderen Landwirt überlassen sind. In Fällen dieser Art setzt die Anrechnung der gelieferten Milchmenge auf die Referenzmenge des Pächters jedoch voraus, dass er die gepachteten Produktionseinheiten selbständig betreibt und dass die von ihm erzeugten Milchmengen eindeutig von den vom Verpächter --falls dieser ebenfalls Erzeuger ist-- erzeugten Milchmengen zu unterscheiden sind (Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 15. Januar 1991 Rs. C-341/89, EuGHE 1991, I-25; Senatsurteil vom 23. Januar 1996 VII R 67/95, BFH/NV 1996, 654).
Ob danach in Fällen gepachteter Produktionsmittel der Pächter als Milcherzeuger anzusehen ist und die erzeugten und gelieferten Milchmengen ihm zuzurechnen sind, ist eine dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der im Einzelfall festgestellten Tatsachen, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob sie gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze verstößt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 54). Solche Verstöße zeigt jedoch die Beschwerde weder auf noch sind sie ersichtlich.
Das FG hat sich im Streitfall an den genannten Grundsätzen orientiert und hat aufgrund der festgestellten Tatsachen entschieden, dass über die Verpachtung der Anlagen und der Kühe Nutzungsverträge mit dem Pächter abgeschlossen worden seien, die eine selbständige Bewirtschaftung durch den Pächter geregelt hätten, und dass es sich dabei auch nicht um ein Scheingeschäft gehandelt habe, sondern die Verträge entsprechend umgesetzt worden seien. Die Zeugenvernehmung habe ergeben, dass die Kühe vom Pächter eigenverantwortlich betreut worden seien und dass dieser das wirtschaftliche Risiko getragen habe. Diese tatsächliche Würdigung der Verhältnisse durch das FG ist möglich; ob das FG aus den Tatsachen ggf. auch eine andere Schlussfolgerung hätte ziehen können, ist unerheblich. Der Senat wäre daher in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO an diese Würdigung gebunden.
b) Die von der Beschwerde bezeichnete Frage, ob ein Pächter auch dann als Milcherzeuger anzusehen ist, wenn er aufgrund einer kurzen Pachtdauer und aufgrund sonstiger Gegebenheiten sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht keine dem vorherigen Milcherzeuger vergleichbare Bewirtschaftung bewältigen kann, ist nicht klärungsfähig, weil es an entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des FG fehlt. Vielmehr hat das FG die eigenverantwortliche Bewirtschaftung durch den Pächter bejaht. Darüber hinaus hat der Senat bereits entschieden, dass allein die kurze Dauer eines Pachtvertrags der Annahme einer selbständigen Nutzung der gepachteten Produktionsmittel durch den Pächter nicht entgegensteht (Senatsurteil in BFH/NV 1996, 654).
Die weitere Frage der Beschwerde, ab wann ein Pächter Sachherrschaft und die volle Dispositionsbefugnis über die gepachtete Anlage hat, ist keine Rechtsfrage, sondern ist im Einzelfall vom Tatrichter zu beantworten.
Ob und ggf. welche bestimmten Vorgänge vom Pächter zwingend beherrscht werden müssen, um dessen Milcherzeugereigenschaft bejahen zu können, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren. Wie ausgeführt, muss der Pächter die Produktionsmittel in eigener Verantwortung bewirtschaften. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalls, bei der eine Reihe verschiedener Umstände zu berücksichtigen ist, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung für oder gegen die selbständige und eigenverantwortliche Bewirtschaftung sprechen können.
Die Frage, ob gemeinschaftsrechtliche und nationale Regelungen über die Zuteilung nicht genutzter Referenzmengen hinter zivilrechtliche Individualvertragsgestaltungen zurücktreten müssen, stellt sich im Streitfall nicht. Es geht nur darum, ob der Kläger oder der Pächter als Erzeuger der streitigen Liefermenge anzusehen ist.
Ebenso wenig ist es klärungsbedürftig, ob wegen der Bedeutung einer funktionierenden Milchwirtschaft für die Anerkennung von Pachtverträgen hohe, auch administrativ überprüfbare Anforderungen zu stellen sind. Aus den genannten Entscheidungen des EuGH in EuGHE 1991, I-25, und des Senats in BFH/NV 1996, 654, folgt bereits, dass die administrative Kontrolle der gemeinschaftsrechtlichen Milchmengenregelung gewährleistet sein muss. Ob ein Pachtvertrag über Milchproduktionsmittel und dessen Umsetzung dieser Anforderung entspricht, ist eine im Einzelfall zu treffende Entscheidung; grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich insoweit nicht.
Die Beschwerde wendet sich im Kern gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG und begründet ihre Auffassung, dass das FG unter den Umständen des Streitfalls keine eigenverantwortliche Bewirtschaftung der Milchproduktionsmittel durch den Pächter hätte annehmen dürfen. Damit wird jedoch kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan. Zwar mag die Befürchtung des HZA begründet sein, dass bei Pachtverträgen über Milchproduktionsmittel unter bestimmten Voraussetzungen die Gefahr besteht, dass diese nur zum Schein abgeschlossen werden und die Erzeugereigenschaft in Wahrheit beim Verpächter verbleibt. Im Streitfall hat jedoch das FG festgestellt, dass es sich bei den zwischen dem Kläger und dem Pächter geschlossenen Verträgen nicht um Scheingeschäfte gehandelt hat.
2. Mangels klärungsbedürftiger Rechtsfragen ist auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts nicht gegeben.
3. Der Senat sieht sich allerdings durch den Streitfall veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die vom Tatrichter auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen des Einzelfalls vorgenommene Würdigung, dass der Pächter während der Pachtzeit die Milchproduktion mit Hilfe der gepachteten Produktionsmittel selbständig betrieben habe, nicht mehr möglich, sondern unvereinbar mit Erfahrungssätzen sein dürfte, wenn es sich um eine Pacht von Milchproduktionsmitteln für einen noch kürzeren Zeitraum als im Streitfall handelt. Bei derart kurzen "Pachtzeiten" wird man die angeblich selbständige Bewirtschaftung fremder Produktionsmittel durch einen Pächter von einer bloßen Aushilfe für einen kurzfristig an der Verrichtung der für die Milchproduktion erforderlichen Tätigkeiten verhinderten Erzeuger nicht mehr sicher unterscheiden können.
Ende der Entscheidung
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