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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.06.1998
Aktenzeichen: VII B 32/98
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977
Vorschriften:
FGO § 115 Abs. 2 | |
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3 | |
AO 1977 § 124 Abs. 2 | |
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1 | |
AO 1977 § 361 Abs. 1 Satz 1 | |
AO 1977 § 361 Abs. 3 Satz 1 |
Gründe
I. Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger), gemeinsam zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute, streiten mit dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) wegen Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer 1980 und 1981.
Der Kläger ist an einer GbR beteiligt, die Gesellschafterin einer KG ist. Aufgrund der Beteiligungserträge des Klägers aus der GbR hatte das FA ursprünglich die Einkommensteuer der Kläger für 1980 und 1981 auf 0 DM festgesetzt. Nach Änderung der Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der KG und der GbR aufgrund einer Betriebsprüfung bei der KG ergaben sich jedoch für den Kläger positive Beteiligungseinkünfte, so daß das FA die Einkommensteuerbescheide 1980 und 1981 änderte. Nachdem gegen die geänderten Feststellungsbescheide der KG Einsprüche eingelegt worden waren und deren Vollziehung ausgesetzt worden war, setzte das FA auch die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1980 in Höhe von rd. ... DM und des Einkommensteuerbescheides 1981 in Höhe von rd. ... DM teilweise aus. Es befristete die Aussetzung der Vollziehung (AdV) "bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Einsprüche".
Über die Besteuerungsgrundlagen der KG haben sich die Betroffenen am ... Juni 1992 verständigt; es sind daraufhin am ... August 1992 geänderte Feststellungsbescheide gegen die KG und am ... September 1992 gegen die GbR ergangen. Die zuerst genannten Bescheide sind dem Kläger als Empfangsbevollmächtigten der KG bekanntgegeben worden.
Am ... Dezember 1993 hat das FA gegen die Kläger einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 1980 erlassen, in dem es die geänderten Beteiligungseinkünfte berücksichtigte. In der mit dem Bescheid verbundenen Abrechnung ging das FA nach wie vor davon aus, daß die Vollziehung eines Betrages von rd. ... DM ausgesetzt sei; dementsprechend erließ es ein Leistungsgebot nur für die darüber hinausgehende, von den Klägern noch zu entrichtende, Einkommensteuer, die von den Klägern auch entrichtet wurde. Erst mit Schreiben vom ... Juli 1994 hat das FA die AdV zur Einkommensteuer 1980 aufgehoben und den Klägern für die Zahlung eine Frist bis zum 22. August 1994 gesetzt, woraufhin am 23. August 1994 gezahlt worden ist.
Bereits im September 1993 hatte das FA einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 1981 erlassen. In diesem Bescheid fand die AdV der Einkommensteuer keinen Niederschlag. Den Klägern wurde eine Abschlußzahlung aufgegeben, die sie beglichen.
Streitig ist, ob das FA, das für den Zeitraum bis einen Monat nach der tatsächlichen Verständigung, also bis 19. Juli 1992, Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 und 1981 festgesetzt hat, für den daran anschließenden Zeitraum vom 20. Juli 1992 bis zum 19. August 1994 (Einkommensteuer 1980) bzw. bis zum 19. September 1993 (Einkommensteuer 1981) Säumniszuschläge verlangen kann, wie es das FA in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getan hat.
Die dagegen von den Klägern erhobene Klage hatte Erfolg.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des FA. Die Rechtsfrage, wann die AdV eines Folgebescheides ende, wenn das Einspruchsverfahren gegen den Grundlagenbescheid durch einen Änderungsbescheid abgeschlossen wird, habe grundsätzliche Bedeutung. Es sei ungeklärt, ob durch § 361 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch der zeitliche Umfang einer AdV des Folgebescheides in der Weise vorgegeben werde, daß die Aussetzung gleichzeitig mit der Aussetzung des Grundlagenbescheides ende.
II. Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben, denn sie ist unzulässig. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die sich in dem angestrebten Revisionsverfahren auf der Grundlage der den Bundesfinanzhof (BFH) bindenden tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) stellen würde, ist nicht dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Wird die Vollziehung eines Steuerbescheides vom FA nach § 361 Abs. 1 AO 1977 ausgesetzt, so ist diese Entscheidung ein Verwaltungsakt, der, sofern er nicht nichtig ist oder aufgehoben wird, diejenigen Rechtswirkungen entfaltet, auf die er seinem ggf. durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt nach gerichtet ist (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Der bekanntgegebenen Aussetzungsentscheidung kommt Tatbestandswirkung zu mit der Folge, daß deren Ausspruch (Tenor) verbindlich Umfang und Dauer der Aussetzung bestimmt (BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4), und zwar auch dann, wenn das FA die Voraussetzungen für die AdV fehlerhaft beurteilt hat. Wird also die AdV nicht unter eine auflösende Bedingung gestellt, z.B. bis zum Eintritt eines --hinreichend genau bestimmten-- Ereignisses befristet, so besteht sie mithin fort, bis die Vollziehungsaussetzung durch eine erneute, dem Betroffenen bekanntzumachende Entscheidung des FA aufgehoben wird; anderenfalls endet sie, sobald die Bedingung eintritt. Für die Annahme, die Vollziehungsaussetzung ende "automatisch", sobald der Steuerbescheid oder ein für ihn maßgeblicher Grundlagenbescheid bestandskräftig wird, ist hingegen grundsätzlich kein Raum; eine solche Verknüpfung der Vollziehungsaussetzung mit der Bestandskraft eines Steuerbescheides trotz Fehlens einer diesbezüglichen auflösenden Bedingung in der Aussetzungsverfügung kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn sich ausnahmsweise trotz Schweigens der Aussetzungsverfügung im Wege der Auslegung (siehe dazu u.a. BFH-Urteile vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 14. März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612) ergibt, daß die Vollziehungsaussetzung stillschweigend bis zum Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides vom FA befristet worden ist.
Allerdings hat der BFH in dem Beschluß vom 14. März 1986 VI B 44/84 (BFHE 146, 218, BStBl II 1986, 475) erkannt, werde die Wirkung einer Aussetzungsverfügung nicht ausdrücklich zeitlich begrenzt, so bleibe die AdV bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung, jedoch längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache gültig (vgl. schon BFH-Beschluß vom 26. Januar 1973 III S 2/72, BFHE 108, 152, BStBl II 1973, 456). Diese Einschränkung ergebe sich daraus, daß eine Aussetzung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts einen angefochtenen, d.h. noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt voraussetze. Eine Vollziehungsaussetzung, die keine ausdrückliche zeitliche Befristung enthalte, verliere daher ohne weiteres mit Bestandskraft des ausgesetzten Verwaltungsakts ihre Wirkung. Diese Entscheidung ist indes nicht dahin zu verstehen, der VI. Senat habe die Rechtswirkungen einer Aussetzungsverfügung nicht aufgrund einer Auslegung ihres Inhalts bestimmen, sondern ungeachtet des Inhalts der Aussetzungsverfügung eine Beendigung der Aussetzungswirkung allein aufgrund der materiellen Rechtslage annehmen wollen, nach der allerdings die AdV eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes --unbeschadet des § 361 Abs. 3 AO 1977-- nicht in Betracht kommt. Die vorgenannte Entscheidung beruht vielmehr auf der zutreffenden Überlegung, daß bei der Auslegung einer behördlichen Verfügung und eines Aussetzungsbeschlusses des Gerichts im allgemeinen davon auszugehen ist, daß stillschweigend eine der Rechtslage entsprechende Regelung getroffen werden sollte, auch wenn diese in der Verfügung nicht im einzelnen erläutert wird. Da freilich jeder Verwaltungsakt mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam wird, muß eine solche Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben (BFH-Urteile in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, und vom 18. Februar 1997 VII R 96/95, BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339), und zwar um so mehr dann, wenn die wirkliche Rechtslage zweifelhaft oder für den Adressaten nicht ohne weiteres erkennbar ist.
2. Diese Rechtsgrundsätze, von denen auch das FG sinngemäß ausgegangen ist, sind eindeutig und bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie gestatten es ohne weiteres, die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, wann die AdV eines Folgebescheides ende, wenn das Einspruchsverfahren gegen den Grundlagenbescheid durch einen Änderungsbescheid abgeschlossen wird, dahin zu beantworten, daß die (nicht nichtige) Vollziehungsaussetzung eines Folgebescheides endet, sobald sie aufgehoben wird oder eine ihr beigefügte (auflösende) Bedingung eintritt, und daß das Ende der Vollziehungsaussetzung eines Folgebescheides folglich nicht ohne weiteres von dem Abschluß des Einspruchsverfahrens gegen einen für ihn maßgeblichen Grundlagenbescheid abhängt, wenn eine solche Verknüpfung nicht --zumindest stillschweigend-- in der Aussetzungsverfügung vorgenommen worden ist. Das gilt ungeachtet dessen, wie die materielle Verknüpfung des näheren zu bestimmen ist, welche § 361 Abs. 3 AO 1977 zwischen der AdV eines Grundlagen- und der eines Folgebescheides herstellt.
3. Auch die dem Vorbringen der Beschwerde sinngemäß zu entnehmende weitere Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Vollziehungsaussetzung eines Folgebescheides bei richtiger Handhabung des § 361 Abs. 3 AO 1977 auf den Abschluß des Einspruchsverfahrens gegen einen für ihn maßgeblichen Grundlagenbescheid zu befristen ist oder zumindest befristet werden darf, kann die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Denn diese Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen, weil es in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht darum geht, welchen Inhalt eine Aussetzungsverfügung nach § 361 Abs. 3 AO 1977 haben darf, sondern wie die vom FA tatsächlich getroffene Verfügung auszulegen ist. Dies hängt indes, wie dargelegt, in erster Linie von dem Wortlaut und ggf. dem sich anderweit ergebenden Inhalt der Aussetzungsverfügung des FA und nur insofern von der materiellen Rechtslage ab, als die Aussetzungsverfügung der Auslegung zugänglich und bedürftig ist. Selbst wenn jedoch in dem vom FA angestrebten Revisionsverfahren in diesem Rahmen Raum für die Berücksichtigung der sich aus § 361 Abs. 3 AO 1977 ergebenden Rechtslage wäre, würde sich zumal angesichts der vom FA in der strittigen Aussetzungsverfügung ausdrücklich vorgenommenen, ausschließlich auf die Bekanntgabe der Entscheidung über die Einsprüche abstellenden Befristung ein Anlaß zur Berücksichtigung der materiellen Rechtslage allenfalls ergeben, wenn diese sich als nicht zweifelhaft erwiese und von den Adressaten der Aussetzungsverfügung hätte erkannt werden müssen. Davon geht indes die Beschwerde selbst nicht aus und es ist auch nicht der Fall.
Das FA ist offenbar der Ansicht, die materielle Verknüpfung zwischen der Vollziehungsaussetzung eines Steuerbescheides und der Anhängigkeit eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen einen für ihn maßgeblichen Grundlagenbescheid verlange, daß die AdV der Einkommensteuerbescheide im Streitfall einen Monat, nachdem dem Kläger die maßgeblichen geänderten Grundlagenbescheide über die Gewinne der KG bekanntgegeben waren, ende, weil nämlich von diesem Zeitpunkt an wegen der rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung des Steuerfalles kein Rechtsbehelfsverfahren mehr anhängig gewesen sei, die Vollziehungsaussetzung (auch eines Folgebescheides) aber nur gerechtfertigt sei, solange der Ausgang eines solchen Verfahrens offen ist. Diese Ansicht hat jedenfalls gegen sich, daß die schutzbedürftigen Belange des Steuerpflichtigen, auf die das FG bereits hingewiesen hat, es geboten erscheinen lassen können, die AdV eines Folgebescheides während des Zeitraums zwischen der Änderung eines für ihn maßgeblichen Grundlagenbescheides --welche die Rechtmäßigkeit des Folgebescheides unberührt läßt-- und der Durchführung einer notwendigen Folgeänderung (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) bestehen zu lassen. Von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerverwaltungsakts, dessen Vollziehung ausgesetzt wird, ist die Vollziehungsaussetzung in den Fällen des § 361 Abs. 3 AO 1977 ohnehin nicht abhängig, die vom FA offenbar vorausgesetzte Verknüpfung zwischen dem Bestehen solcher (Rechtmäßigkeits-)Zweifel und der Vollziehungsaussetzung besteht also von Anfang an nicht. Vielmehr trägt § 361 Abs. 3 AO 1977 gerade der rechtlichen Selbständigkeit des Folgebescheides und seiner gleichzeitig gegebenen Abhängigkeit von dem Grundlagenbescheid Rechnung, indem er die AdV eines Folgebescheides anordnet, sobald (wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines einschlägigen Grundlagenbescheides) mit seiner späteren Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ernstlich zu rechnen ist; die eine Vollziehungsaussetzung rechtfertigende materielle Verknüpfung besteht also in den Fällen des § 361 Abs. 3 AO 1977 darin, daß --ebenso wie bei einer bevorstehenden Änderung oder Aufhebung eines Steuerverwaltungsakts in einem Rechtsbehelfsverfahren-- dessen sofortige Vollziehung (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) bei einer (möglicherweise) bevorstehenden Folgeänderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht gerechtfertigt erscheint. Daher kommt --ohne daß diese Frage zu entscheiden wäre oder in dem angestrebten Revisionsverfahren entschieden werden könnte-- durchaus in Betracht, § 361 Abs. 3 AO 1977 dahin auszulegen, daß das FA die Vollziehung nach dieser Vorschrift bis zur Bekanntgabe einer nach dem Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Grundlagenbescheid notwendigen Folgeänderung aussetzen darf.
Ob dieser Zusammenhang, wie das FG offenbar meint, stets die AdV des Folgebescheides bis zur "Umsetzung" des Grundlagenbescheides oder der "Verlautbarung" des Gesamtergebnisses des Verfahrens deshalb erfordert, weil der Steuerpflichtige seine nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens fällig gewordene Steuerschuld nicht ohne weiteres selbst errechnen kann --was unter Umständen, z.B. bei Erfolglosigkeit des Einspruchs gegen den Grundlagenbescheid anders sein kann-- oder weil er an dem Verfahren über den Grundlagenbescheid überhaupt nicht beteiligt ist (aber nach den Umständen möglicherweise gleichwohl von dem Ergebnis des Einspruchsverfahrens gegen den Grundlagenbescheid zuverlässig Kenntnis erhalten wird), steht dabei für sich und könnte in einem künftigen Revisionsverfahren erst recht nicht geklärt werden.
Es betrifft im übrigen allein die Richtigkeit des angegriffenen Urteils, ob sich nach dem Wortlaut der strittigen Aussetzungsverfügung dem FG aufdrängen mußte, daß jedenfalls im Streitfall nach dem für die Auslegung entscheidenden verlautbarten Willen des FA die Vollziehungsaussetzung der Einkommensteuerbescheide über den Zeitpunkt einen Monat nach Abschluß des Einspruchsverfahrens gegen den an die KG, an welcher der Kläger vermittels seiner Beteiligung an der GbR beteiligt war, gerichteten Grundlagenbescheid hinaus keinen Bestand haben sollte. Die dazu vom FA angestellten Überlegungen könnten allenfalls eine zugelassene Revision begründen; aus ihnen läßt sich hingegen keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision herleiten.
Ende der Entscheidung
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