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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: VII B 338/03
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
AO 1977 § 222 Satz 3
AO 1977 § 219 Satz 2
AO 1977 § 219 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 drü
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Beschwerdeführer sowie die Klägerin und Beschwerdeführerin (Kläger) waren jeweils alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer einer inzwischen in Konkurs geratenen GmbH. Mit Haftungsbescheiden wurden sie vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) gemäß §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) für rückständige Lohn- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschläge nebst Säumniszuschlägen für die Monate Juli bis Dezember 1995 sowie für Säumniszuschläge für die Monate Mai und Juni 1995 als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Für die Monate Mai bis Dezember 1995 hatte die GmbH zwar Lohnsteueranmeldungen rechtzeitig abgegeben, die für Juli bis Dezember 1995 angemeldeten Beträge jedoch nicht entrichtet; für die Monate Mai und Juni wurden die Lohnabzugsbeträge am 5. Oktober 1995 bezahlt.

Die Einsprüche gegen die Haftungsbescheide wurden vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Nach Klageerhebung erließ das FA geänderte Haftungsbescheide, in denen es die Abgabenschulden für den Monat Dezember 1995 nicht mehr erfasste. Die Klage hatte keinen Erfolg. In der mündlichen Verhandlung hat das Finanzgericht (FG) durch Vernehmung von insgesamt drei Zeugen Beweis darüber erhoben, ob die Kläger in den Jahren 1994 und 1995 Höhe und Zeitpunkte der Steuerzahlungen der GmbH mit dem FA abgestimmt haben und ob ihnen Stundung gewährt worden war. Die Behauptung der Kläger, mit dem FA Stundungsverabredungen getroffen zu haben, sah das FG aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht als bestätigt an. Dafür, dass keine Stundung gewährt worden sei, spreche, dass eine Stundung bei Abzugsteuern nach § 222 Satz 3 AO 1977 nicht gewährt werden könne, dass die Mitarbeiter der Vollstreckungsstelle für die Bearbeitung von Stundungsanträgen nicht zuständig gewesen seien, dass kein schriftlicher Bescheid vorliege und dass keine Stundungszinsen festgesetzt worden seien. Auch stünde zur Überzeugung des FG nicht fest, dass der GmbH für die Zahlung der Lohnabzugsbeträge der Monate Mai bis Dezember 1995 Zahlungsaufschub gewährt worden sei. Dem Inhalt der Vollstreckungsakte und den Aussagen der Zeugen ließen sich dafür keine Anhaltspunkte entnehmen. Schließlich ändere auch die Einlassung der Kläger, sie hätten wegen der hohen Außenstände fest mit einer Entrichtung der Steuerbeträge bei deren Fälligkeit aus den bis dahin eingegangenen Zahlungen gerechnet, nichts daran, dass eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der GmbH hätten sie nicht darauf vertrauen dürfen, die Steuern bei Fälligkeit aus inzwischen eingegangenen Außenständen aufbringen zu können. Aus dem Umstand, dass das FA bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens keine Vollstreckungsversuche unternommen habe, ließe sich keine Haftungsbeschränkung unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens des FA herleiten.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem erstinstanzlichen Urteil richtet sich die Beschwerde der Kläger, mit der sie --ohne einen Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausdrücklich zu benennen-- geltend machen, das FG habe ohne nähere Begründung zu Unrecht ein grob fahrlässiges Verhalten angenommen, obwohl es hinsichtlich des Verschuldens weitere Sachverhaltsaufklärung hätte betreiben müssen. Darüber hinaus habe das FG in seinem Urteil die Lohnsteuer gegenüber allen anderen Steuerarten in einer gleichheitswidrigen Weise privilegiert und damit gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, das eine gleichmäßige Befriedigung aller Steuern gebiete. Schließlich führe die vorzeitige Inanspruchnahme der Gesellschafter-Geschäftsführer zu einer unangemessenen Benachteiligung, da deren Forderungen gegen die Gemeinschuldnerin im Konkursverfahren wie Eigenkapital zu behandeln seien, mit der Folge, dass eine quotenmäßige Befriedigung regelmäßig ausscheide.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil in der Beschwerdeschrift ein Grund, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO führen könnte, nicht schlüssig dargelegt ist, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erfordert substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer konkreten Rechtsfrage, der auch Bedeutung für die Allgemeinheit zukommt. Darzulegen ist, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften und umstrittenen Rechtslage abhängt. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit den Äußerungen im Schrifttum und ggf. mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen befassen. Hat der Bundesfinanzhof (BFH) über die angesprochene Rechtsfrage bereits entschieden, so ist über die Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtsprechung hinaus zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. dann geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2003 III B 15/03, BFH/NV 2004, 166, m.w.N.).

a) Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Kläger nicht gerecht. Im Stil einer Revisionsbegründung beanstanden sie die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Privilegierung der Lohnsteuer gegenüber anderen Steuerarten. Ohne die angegriffenen Entscheidungen des BFH näher zu bezeichnen oder sich im Einzelnen mit den Entscheidungsgründen oder Meinungen in der Literatur auseinander zu setzen, stellen sie dabei die Behauptung auf, die Rechtsprechung, die die Lohnsteuer gegenüber anderen Steuerarten privilegiere, gehe in ihrer Begründung --nämlich dass es sich bei der Lohnsteuer um für den Arbeitgeber fremde Gelder handle-- von einem unzutreffenden Ansatz aus und sei nicht stringent. Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO formuliert. Auch die Klärungsbedürftigkeit der von den Klägern aufgeworfenen Problematik wird nicht dargelegt.

b) Auch mit der bloßen Behauptung, die Rechtsprechung des BFH verstoße gegen Gemeinschaftsrecht, da die vermeintliche Privilegierung der Lohnsteuer Steueransprüche ausländischer Staaten benachteilige, wird das Erfordernis einer erneuten Befassung des BFH mit den bereits als geklärt anzusehenden Rechtsfragen zur Lohnsteuerhaftung (vgl. hierzu Senatsurteile vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283, und vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271, m.w.N.) nicht belegt. Die Kläger setzten sich auch nicht ansatzweise mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der direkten Besteuerung bzw. der Grundfreiheiten oder mit den angeblich verletzten Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts auseinander. Solche Bestimmungen werden in der Beschwerdeschrift nicht einmal benannt. Die bloße Behauptung, die als gefestigt anzusehende Rechtsprechung des BFH sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar --ohne gemeinschaftsrechtliche Vorschriften, die im Streitfall verletzt sein könnten, herauszuarbeiten--, wird den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht gerecht.

c) Soweit die Kläger eine vermeintliche Unzulässigkeit der Haftungsinanspruchnahme eines Gesellschafter-Geschäftsführers vor Abschluss des über das Vermögen der GmbH eröffneten Insolvenzverfahrens geltend machen, genügt auch dieses Vorbringen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Mit der Behauptung, der Haftungsschuldner werde gegenüber dem Fiskus in unzulässiger Weise benachteiligt, wird weder eine Rechtsfrage formuliert, noch eine Klärungsbedürftigkeit einer solchen hinreichend dargelegt. Insbesondere geht die Beschwerde nicht auf die insoweit eindeutige Bestimmung des § 219 Satz 2 AO 1977 ein, nach der die Subsidiarität der Haftung bei Abzugsteuern ausdrücklich ausgeschlossen wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 219 AO 1977 Tz. 9). Beruht nämlich die Haftung darauf, dass der Haftungsschuldner --wie im Streitfall-- gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen, darf ein Haftungsschuldner selbst dann in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 219 Satz 1 AO 1977 nicht erfüllt sind (Erfolglosigkeit der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners bzw. Annahme der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung). Mit diesen gesetzlichen Wertungen setzen sich die Kläger in keiner Weise auseinander.

2. Soweit die Kläger mit ihrem Vorbringen geltend machen, das FG hätte im Rahmen der Feststellung des Verschuldens weitere Sachaufklärung betreiben müssen, ist die Rüge dieses vermeintlichen Verfahrensmangels nicht schlüssig erhoben. Denn eine schlüssige Rüge, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt u.a. den substantiierten Vortrag darüber voraus, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, und Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2003 VII B 51/03, BFH/NV 2004, 217, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Insbesondere legen die Kläger nicht dar, aus welchen Gründen sich dem FG aus seiner Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Dabei hätte besonderer Anlass hierzu bestanden, denn das FG hat auf Veranlassung der Kläger bereits drei Zeugen vernommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte das FG jedoch keine Umstände (wie z.B. eine Stundungsvereinbarung vor Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit der Steuerschuld) feststellen, die ein Verschulden der Kläger ausgeschlossen hätten.

Im Übrigen trifft der Vorwurf der Kläger auch nicht zu, das FG sei ohne nähere Prüfung davon ausgegangen, dass ein schuldhaftes Verhalten vorgelegen habe. Denn bereits die Zeugenvernehmung belegt das Bemühen des FG um eine Aufklärung des Sachverhalts und der Verschuldensfrage. Unzutreffend ist auch die Feststellung, das FG habe nicht differenziert, ob im vorliegenden Fall vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorliege. Das FG hat in der Urteilsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kläger ihre Verpflichtung zur Abführung der einbehaltenen Abzugsbeträge in zumindest grob fahrlässiger Weise nicht erfüllt haben. Aus seiner Sicht durfte es sich mit dieser Feststellung begnügen, da die Erfüllung des Haftungstatbestandes des § 69 AO 1977 lediglich eine grob fahrlässige --und nicht eine vorsätzliche-- Pflichtverletzung voraussetzt.

Auch der Vorwurf, das FG habe unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin mit den finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft überhaupt nicht befasst war und dass der Kläger weisungsgebunden gehandelt habe, ist nach Auffassung des Senats nicht berechtigt. Das FG hat vielmehr ausgeführt, dass sich ein Geschäftsführer mit dem Hinweis, er sei weisungsabhängig gewesen, nicht entlasten könne. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Geschäftsführer zurücktreten müsse, wenn er sich innerhalb der Gesellschaft nicht mehr durchsetzen und seiner Rechtsstellung gemäß handeln könne. Darüber hinaus hat das FG eine wirksame Beschränkung der Verantwortlichkeiten nur dann für beachtlich gehalten, wenn diese zwischen den Geschäftsführern vorweg schriftlich vereinbart worden sei. Eine solche Vereinbarung sei von den Klägern jedoch nicht vorgetragen worden.

Schließlich lässt die Beschwerde Ausführungen darüber vermissen, welche --vom FG noch nicht in Betracht gezogenen-- Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung noch hätten ergeben können. Denn die von den Klägern vorgebrachten Umstände, dass die GmbH Steuerschulden befriedigt habe (z.B. für Mai und Juni 1995), dass die Kläger auf eine Begleichung der Steuerschulden durch die Realisierung von ausstehenden Forderungen vertrauten und dass die GmbH sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe, hat das FG ausweislich der Urteilsbegründung berücksichtigt.



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