Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.06.2004
Aktenzeichen: VII B 345/03
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 75 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger), alleiniger Geschäftsführer der X-GmbH, wurde zusammen mit dem Gesellschafter V vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) gemäß § 75 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen rückständiger Umsatzsteuerschulden des nicht mehr bestehenden Autohauses Y-GbR als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Die GbR befand sich 1999 aufgrund eines erheblichen Rückgangs der Verkaufszahlen in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Ende 1999 kündigte der Autoherstellerfirma den mit ihr bestehenden Händlervertrag. Im Februar 2000 erwarben der Kläger und der Mitgesellschafter V die GbR und verpachteten diese an die GmbH. Zwischen der GmbH und die Autoherstellerfirma wurde am 29. Februar 2000 ein Erweiterungsvertrag zum bestehenden Händlervertrag geschlossen, in dem der GmbH ein Gebiet zugewiesen wurde, das über die von ihr und der GbR bislang betreuten Gebiete hinausging.

Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid mit der Begründung auf, der Betrieb sei an den Kläger nicht im Ganzen übereignet worden. Denn wesentliche Betriebsgrundlage habe der Händlervertrag gebildet, der nicht auf die Erwerber übertragen worden sei. Ohne diesen Vertrag sei der Betrieb jedoch nicht lebensfähig gewesen. Aus dem Gesellschaftsvertrag und der Entwicklung der Umsätze ergebe sich, dass der wirtschaftliche Erfolg entscheidend von der Vertragsbeziehung zum Autohersteller abhängig gewesen sei. Die GbR habe auch nicht an den Verhandlungen über den Erweiterungsvertrag teilgenommen und den Erwerbern nicht die Möglichkeit verschafft, die dem Betrieb dienenden Grundlagen unverändert in Anspruch nehmen zu können. Da die GmbH eine selbstständige juristische Person sei, liege darüber hinaus auch keine Übertragung des gesamten Unternehmens auf einen Erwerber vor.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem erstinstanzlichen Urteil richtet sich die Beschwerde des FA, mit der es geltend macht, die Fortbildung des Rechts erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG sei mit seiner Entscheidung insbesondere von den Urteilen des Senats vom 7. November 2002 VII R 11/01 (BFHE 200, 31, BStBl II 2003, 226) und vom 10. Dezember 1991 VII R 57/89 (BFH/NV 1992, 712) abgewichen. Denn maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen seien, sei derjenige des Übergangs. Im Streitfall seien zu diesem Zeitpunkt sämtliche vorhandenen Betriebsgrundlagen auf die Erwerber übergegangen; der Händlervertrag gehörte jedoch nicht mehr dazu. Nach der Rechtsprechung des BFH würden finanzielle Schwierigkeiten, Überschuldung oder sogar der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit eine Haftung nach § 75 Abs. 1 AO 1977 nicht ausschließen. Im Übrigen sei gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, so dass ein Allgemeininteresse an einer weiteren Entscheidung des BFH bestehe.

Der Kläger tritt der Beschwerde entgegen. Nach seiner Ansicht liegt die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des BFH nicht vor. Darüber hinaus würde das Urteil auf einer solchen Abweichung --selbst wenn sie vorliegen würde-- nicht beruhen.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht; jedenfalls beruht das Urteil nicht auf der behaupteten Divergenz.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Betriebes auf den Erwerber übergegangen sind, der Zeitpunkt der Übereignung des Unternehmens (Senatsentscheidungen vom 24. Februar 1987 VII R 163/84, BFH/NV 1987, 750, und vom 21. Februar 1989 VII R 164/85, BFH/NV 1989, 617). Eine Übereignung des Unternehmens im Ganzen liegt dann vor, wenn die bei Beginn der Übertragung vorhandenen Betriebsgrundlagen im Wesentlichen vollständig auf den Erwerber übergehen. Betriebsgrundlagen eines lebenden Unternehmens sind dabei nicht nur die Maschinen und Betriebsgrundstücke, sondern z.B. auch der Kundenstamm und die Firma als solche (Senatsentscheidung in BFHE 200, 31, 36, BStBl II 2003, 226). Auch ein Händlervertrag kann eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen. Finanzielle Schwierigkeiten oder gar eine Überschuldung stehen einer Haftung des Betriebsübernehmers grundsätzlich nicht entgegen (Senatsurteil in BFH/NV 1992, 712). Voraussetzung für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Erwerbers ist allerdings, dass es sich um ein lebensfähiges Unternehmen handelt. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 75 Abs. 1 AO 1977. Denn die Inanspruchnahme des Haftenden rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass sich der Erwerber die wirtschaftliche Kraft des übernommenen Unternehmens zuführen und daraus die rückständigen Steuern begleichen kann. Es muss sich daher um ein lebendes Unternehmen mit fortbestehender Ertragskraft handeln (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 75 AO 1977 Rdnr. 10, m.w.N.).

a) Selbst wenn das FG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Übergangs der wesentlichen Betriebsgrundlagen verkannt haben sollte, würde das Urteil auf dieser Rechtsauffassung nicht beruhen. Denn im Gegensatz zu den vom FA angeführten Senatsurteilen liegt im Streitfall nach den Feststellungen des FG kein lebendes, sondern ein lebensunfähiges Unternehmen vor. Allein dieser Umstand ist aus der maßgeblichen Sicht des FG geeignet, die Haftung des Erwerbers nach § 75 Abs. 1 AO 1977 auszuschließen. Bei dieser Betrachtung kommt es nicht darauf an, ob die wesentlichen Grundlagen des Betriebes auf den Erwerber vollständig übertragen worden sind.

b) Ob ein Unternehmen lebensfähig ist und ob ein Händlervertrag zu den wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens gehört, richtet sich nach den Verhältnissen im Einzelfall und unterliegt weitgehend der tatsächlichen Würdigung durch das FG, an die das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Die Feststellung der Vorinstanz, dass der Betrieb ohne den als wesentliche Betriebsgrundlage zu wertenden Händlervertrag mit dem Autohersteller nicht lebensfähig gewesen sei, lässt einen Verstoß gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze nicht erkennen. Auch Verfahrensrügen gegen diese Feststellung oder gegen die Beweiswürdigung durch das FG sind von der Beschwerde nicht erhoben worden. Vielmehr trägt die tatsächliche, den Senat bindende Feststellung die Auffassung des FG, der Kläger habe ein lebensfähiges Unternehmen im Ganzen nicht übernommen.

2. Entgegen dem Vorbringen des FA hat das FG seine Erkenntnis, dass die GbR im Zeitpunkt der Übertragung nicht mehr überlebensfähig gewesen sei, nicht ausschließlich auf die gesunkenen Umsatzzahlen gestützt. Vielmehr hat es diesen Umstand als Indiz für die Bedeutung des Händlervertrages gewertet, da nach dem Wegfall der Vorteile aus diesem Vertrag eine Minderung um etwa 2/3 der ursprünglich erzielten Umsatzzahlen erfolgt sei. Den vom FA unterstellten Rechtssatz, dass ein Unternehmen bereits wegen gesunkener Umsatzzahlen nicht lebensfähig sei, hat das FG nicht gebildet. Eine Abweichung vom Senatsurteil in BFH/NV 1992, 712 liegt daher nicht vor. Im Übrigen ist eine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht gegeben, weil im Streitfall von der Übereignung eines lebensunfähigen Betriebes auszugehen ist.

3. Auch der Umstand, dass gegen das Urteil des Senats in BFHE 200, 31, BStBl II 2003, 226 Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO wird mit diesem Vorbringen, das den Inhalt und insbesondere die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht einmal ansatzweise erkennen lässt, nicht dargelegt. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Ende der Entscheidung

Zurück