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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: VII B 345/05
Rechtsgebiete: UStG, AO 1977, InsO, FGO


Vorschriften:

UStG § 17 Abs. 1
UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1
UStG § 17
AO 1977 § 74
InsO § 55 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war Alleingesellschafterin einer GmbH, an die sie ein in ihrem Eigentum stehendes Grundstück vermietete. Am 10. Juni 1999 stellte der GmbH-Geschäftsführer den Antrag, über das Vermögen des Unternehmens das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Mit Beschluss vom gleichen Tage sprach das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot aus und setzte einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein. Am 30. Juli 1999 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Eine daraufhin bei der GmbH durchgeführte Umsatzsteuer-Prüfung führte hinsichtlich der Voranmeldungszeiträume Januar bis Juli 1999 zu einer Berichtigung der Vorsteuer gemäß § 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) vertrat dabei die Auffassung, dass aus den zum 10. Juni 1999 offenen Verbindlichkeiten die entsprechenden Vorsteuerbeträge zurückzufordern seien, da mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens das vereinbarte Entgelt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich geworden sei. Da die Umsatzsteuerrückstände bei der GmbH nicht beigetrieben werden konnten, nahm das FA die Klägerin nach § 74 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Klägerin an der GmbH wesentlich beteiligt gewesen sei und der vom FA nach § 74 AO 1977 geltend gemachte Haftungsanspruch zu Recht bestehe. Die aufgrund der Umsatzsteuer-Prüfung vorgenommene Vorsteuerberichtigung sei nicht zu beanstanden, denn eine solche habe zu erfolgen, wenn das vereinbarte Entgelt, z.B. im Zuge einer Insolvenz, uneinbringlich geworden sei. Ohne Auswirkungen auf die Haftung bleibe die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den vom Insolvenzgericht eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 2 der Insolvenzordnung.

Mit ihrer auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und auf die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) gestützten Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG. Das FG habe verkannt, dass sich die Haftung aufgrund einer wesentlichen Beteiligung nicht auf solche Steuern erstrecken könne, die durch den Antrag auf Insolvenzeröffnung ausgelöst worden bzw. erst im Insolvenzverfahren entstanden seien. Im Streitfall sei von einer typischen Betriebsaufspaltung auszugehen, bei der hinsichtlich des vermieteten Grundstücks eine sog. eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung vorliege. Diese Nutzungsüberlassung begründe bei Eintritt einer finanziellen Krise des Pächters kein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Die vom FG vorgenommene Auslegung von § 74 AO 1977 würde dazu führen, dass eine Haftung auch für die Steuerschulden eintrete, die in der Phase der Fortführung des Betriebsunternehmens durch den Insolvenzverwalter begründet würden. Dies verletze den in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes normierten Gleichheitssatz. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bilde den Grund für die Haftung nicht die rechtliche Beteiligung am Unternehmen, sondern der objektive Beitrag, den der Gesellschafter durch die Überlassung von Gegenständen für die Weiterführung des Unternehmens leiste. Im Falle der Insolvenz sei der Verpächter gegen seinen Willen zur Überlassung eines verpachteten Grundstücks verpflichtet. Deshalb könne er für Steuern, die erst ab Stellung eines Insolvenzantrages infolge einer jahrelangen Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter entstehen würden, nicht mehr als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden. Auch dürfe die Haftung nicht auf solche Steuerverbindlichkeiten ausgedehnt werden, die wegen einer insolvenzbedingten Berichtigung nach § 17 UStG ausgelöst worden seien. Bisher fehle zu dieser Frage, die sich in allen Fällen der Insolvenz einer Betriebsgesellschaft stellen würde, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH).

Das FA ist der Beschwerde mit einem Hinweis auf deren Unzulässigkeit entgegen getreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat lässt es dahinstehen, ob die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage hinreichend dargelegt hat, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert. Jedenfalls ist die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig und hat deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nach den gesetzlichen Grundlagen und der dazu ergangenen Rechtsprechung eindeutig so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Mai 2005 V B 146/03, BFHE 209, 105, BStBl II 2005, 714).

Nach § 74 AO 1977 haftet der an einem Unternehmen wesentlich beteiligte Eigentümer von Gegenständen, die er dem Unternehmen überlassen hat und die dem Unternehmen dienen, für solche Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet und die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind. Den Betriebssteuern ausdrücklich gleichgestellt sind Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen, zu denen auch Ansprüche aus einer nach § 17 Abs. 1 UStG vorzunehmenden Vorsteuerberichtigung gehören (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 74 AO Rz. 37). Haftungsgrund ist nicht die Beteiligung als solche, sondern der über diese Beteiligung hinausgehende Beitrag des Gesellschafters, mit dem dieser durch eine Gebrauchsüberlassung von Gegenständen die Fortführung des Unternehmens und damit auch die Verwirklichung von Steuerentstehungstatbeständen ermöglicht (Entscheidung des BVerfG vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BVerfGE 21, 6, BStBl III 1967, 166, und BFH-Urteil vom 10. November 1983 V R 18/79, BFHE 139, 242, BStBl II 1984, 127). Insoweit handelt sich um eine echte Ausfallhaftung, die an eine wesentliche Unternehmensbeteiligung und an die Gebrauchsüberlassung eines bestimmten Gegenstandes anknüpft (Jatzke in Beermann/ Gosch, AO § 74 Rz. 2).

Im Streitfall wurde die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 UStG aufgrund der insolvenzbedingten Uneinbringlichkeit von Entgelten erforderlich, die vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor der Aufnahme der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters vereinbart worden waren. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Uneinbringlichkeit und der Entstehung der Berichtigungspflicht hielt die Klägerin eine wesentliche Beteiligung am Unternehmen und stellte diesem auch weiterhin ein in ihrem Eigentum stehendes Gelände als Betriebsgrundstück zur Verfügung, so dass die Haftungsvoraussetzungen des § 74 AO 1977 erfüllt sind. Entscheidend ist, dass die Klägerin den mit der GmbH bestehenden Mietvertrag nicht gekündigt hat, so dass der Beitrag der Klägerin an der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs im Zeitpunkt der Begründung der Steuerschulden durch die GmbH fortwirkte. Nach Auffassung des beschließenden Senats ist es dabei ohne Belang, ob für die Klägerin die theoretische Möglichkeit bestanden hat, den Überlassungsvertrag vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung zu kündigen oder ob sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen daran gehindert war.

Ausdrücklich nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung sind Verbindlichkeiten, die der vorläufige Insolvenzverwalter nach seiner Bestellung durch das Insolvenzgericht als Masseverbindlichkeiten begründet hat. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Eigentümer eines dem Unternehmen überlassenen Gegenstandes auch für Steuern haftet, die durch die Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter entstehen und ob diese Situation eine Beschränkung der sich aus § 74 AO 1977 ergebenden Haftungsfolgen erfordert, stellt sich daher nicht. Folglich beruht das erstinstanzliche Urteil auch nicht auf einer Aussage des FG zu dieser Frage, die deshalb nicht klärungsfähig ist.

Im Übrigen kommt eine Zulassung der Revision nicht schon deshalb in Betracht, weil es zu der konkret im Streitfall zu beurteilenden Situation bei Insolvenz des den überlassenen Gegenstand nutzenden Unternehmens noch keine Entscheidung des BFH gibt (BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 2001 V B 129/00, BFH/NV 2001, 940, 941, und vom 20. April 2000 V B 156/99, BFH/NV 2000, 1347, 1348).



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