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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.07.2000
Aktenzeichen: VII B 41/00
Rechtsgebiete: FGO, ZG, ZK
Vorschriften:
FGO § 69 FGO Abs. 3 | |
FGO § 69 Abs. 4 Satz 1 | |
ZG § 57 Abs. 2 Satz 2 |
Gründe
I. Der Antragsgegner (das Hauptzollamt --HZA--) hat gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) als Gesamtschuldner neben anderen Tatbeteiligten mit Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 Eingangsabgaben für ... Stück unversteuerte Zigaretten in Höhe von insgesamt ... DM festgesetzt (Zoll-Euro ... DM, Tabaksteuer ... DM und Einfuhrumsatzsteuer ... DM). Im Hinblick darauf, dass die übrigen Abgaben bei Einziehung der Zigaretten erlöschen würden, hat das HZA den Antragsteller nur zur Zahlung der Tabaksteuer aufgefordert.
Der vom Antragsteller gesteuerte PKW, der ihm auch gehörte, wurde am 15. Juli 1993 gemeinsam mit zwei weiteren PKW, die im Konvoi hinter dem PKW des Antragstellers mit stark überhöhter Geschwindigkeit fuhren, durch Beamte des Bundesgrenzschutzes auf der Autobahn Frankfurt/Oder - Berlin angehalten. Es wurde festgestellt, dass sich im Kofferraum des vom Antragsteller gefahrenen PKW ... Stück und jeweils im Kofferraum der beiden übrigen PKW ... bzw. ... Stück unversteuerte Zigaretten befanden. Das HZA ging davon aus, dass die aufgegriffenen Personen gemeinsam handelten und erließ deshalb gegen den Antragsteller als Gesamtschuldner mit den übrigen Beteiligten hinsichtlich der gesamten Menge Zigaretten den genannten Steuerbescheid, gegen den der Antragsteller Einspruch eingelegt hat. Nachdem das Amtsgericht ... den Antragsteller mit Urteil vom ... 1995 (rechtskräftig seit dem ... 1998) wegen gemeinschaftlicher Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt und die Einziehung der Zigaretten angeordnet hatte, wies das HZA den Einspruch des Antragstellers als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 16. Juni 1999).
Unter gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt hat der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt und Klage gegen den Steuerbescheid erhoben. Er macht geltend, dass er keine Kenntnis vom Vorhandensein der Zigaretten in dem Kofferraum des von ihm geführten Fahrzeugs gehabt habe. Er sei am fraglichen Tag nach Eisenhüttenstadt gefahren, weil er dort über einen Bekannten Aussicht auf Arbeit gehabt habe. Im Laufe des Nachmittags habe sich sein Beifahrer das Fahrzeug ausgeborgt und heimlich die Zigaretten hineingelegt. Er habe keine Veranlassung gehabt, den Kofferraum zu kontrollieren, nachdem er das Fahrzeug von seinem Bekannten zurückerhalten habe. Hierfür beruft er sich auf das Zeugnis seines Beifahrers Herrn X. Die gegen das Strafurteil eingelegte Berufung habe er aus Kostengründen zurückgenommen. Da er von den Zigaretten nichts gewusst habe, sei er nicht Zollschuldner geworden. Außerdem könnten ihm die in den anderen Fahrzeugen gefundenen Zigaretten nicht zugerechnet werden. Durch die Einziehung der Zigaretten seien die Zoll- und die Einfuhrumsatzsteuerschuld erloschen, so dass das HZA jedenfalls insoweit keinen Anspruch mehr gegen ihn habe.
Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag auf Gewährung von PKH für das Aussetzungsverfahren abgewiesen, weil nach summarischer Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers im Aussetzungsverfahren unwahrscheinlich sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein Anliegen weiterverfolgt. Er macht geltend, das FG habe die Erfolgsaussicht der Klage nicht verneinen dürfen, weil die Rechtswidrigkeit des Steuerbescheids nicht auszuschließen sei. Für das Nicht-Entstehen der Steuerschuld spreche zum einen, dass der Antragsteller von Anfang an den Besitz an den unversteuerten Zigaretten geleugnet hatte. Des Weiteren habe der benannte Zeuge X in seiner Vernehmung vor dem Zollfahndungsamt bekundet, dass er der Besitzer der Zigaretten war und ohne Kenntnis des Antragstellers die Zigaretten in dessen Fahrzeug geladen habe. Zur Klärung der Frage, wer tatsächlich der Besitzer der Zigaretten gewesen sei, bedürfe es der Vernehmung des benannten Zeugen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dem Antragsteller kann, wie von der Vorinstanz zutreffend entschieden, PKH für das Aussetzungsverfahren nicht gewährt werden, weil es an dem Bewilligungserfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht für dieses Verfahren fehlt (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). Nach der im PKH-Verfahren nur erforderlichen summarischen Prüfung ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung jedenfalls nicht begründet.
1. Zwar ist der beim Gericht der Hauptsache gemäß § 69 FGO Abs. 3 i.V.m. § 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) gestellte Aussetzungsantrag nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässig, obwohl der Antragsteller nach Ergehen der Einspruchsentscheidung keinen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim HZA gestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags nach § 69 Abs. 3 FGO, dass die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde innerhalb des Verfahrensabschnitts abgelehnt worden ist, für dessen Dauer das Gericht um Aussetzung der Vollziehung ersucht worden ist (Senatsbeschluss vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, BFHE 175, 525, BStBl II 1995, 131).
Für den Streitfall ergibt sich daraus, dass der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides zulässig war, weil das HZA die vom Antragsteller mit Schreiben vom 2. August 1994 beantragte unbefristete Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 29. Dezember 1994 ausdrücklich bis auf einen Monat nach rechtskräftigem Abschluss des Steuerstrafverfahrens befristet und darauf nochmals in seiner Einspruchsentscheidung ausdrücklich verwiesen hat. Eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids ist demnach vom HZA ausdrücklich abgelehnt worden. Unter diesen Umständen hätte auch mit einem nochmaligen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim HZA das gerichtliche Verfahren nicht vermieden und das FG nicht, wie von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO bezweckt, entlastet werden können.
2. Der Aussetzungsantrag ist aber nicht begründet, weil die Voraussetzungen, unter denen nach § 69 Abs. 3 FGO i.V.m. Art. 244 ZK eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids in Betracht kommt, nicht gegeben sind. Im Geltungsbereich des ZK sind auch im finanzgerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO die Vorschriften des Art. 244 Unterabs. 2 ZK über die Aussetzung der Vollziehung im Verwaltungsverfahren anzuwenden (Senatsbeschluss vom 22. November 1994 VII B 140/94, BFHE 176, 170). Der Anwendung des Art. 244 ZK steht nicht entgegen, dass Art. 244 ZK erst zum 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist, sich der hier zur Entscheidung stehende Vorfall aber bereits im Jahre 1993 abgespielt hat. Denn das Verfahren richtet sich nach dem jeweils im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Verfahrensrecht.
Begründete Zweifel i.S. des Art. 244 Unterabs. 2 ZK bestehen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (BFHE 176, 170). Solche Zweifel bestehen indes nicht. Nach den Vorschriften des im Jahre 1993 anzuwendenden Zollschuldrechts, dessen sinngemäße Anwendung insoweit § 21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes für die Einfuhrumsatzsteuer und § 21 des Tabaksteuergesetzes für die Tabaksteuer vorschreiben, ist der Antragsteller als Gesamtschuldner mit den übrigen Beteiligten Abgabenschuldner für die auf der gesamten Zigarettenmenge von ... Stück ruhenden Eingangsabgaben geworden.
Den Umständen nach ist davon auszugehen, dass die Zollschuld für die Zigaretten gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 (ZollschuldVO) des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld (ABlEG Nr. L 201/15) durch ihr vorschriftswidriges Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft entstanden ist. Dies wird vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen.
Gemäß Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 (ZollschuldnerVO) des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichteten Personen (ABlEG Nr. L 102/5) i.V.m. § 57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) ist der Antragsteller weiterer Zollschuldner für die auf der gesamten Zigarettenmenge ruhenden Zollschulden geworden, weil er die Zigaretten vor Erlöschen der Zollschuld übernommen hat, obwohl er wusste oder zumindest hätte wissen müssen, dass es sich bei ihnen um Zollgut gehandelt hat. Dies ergibt sich, wie das FG mit Recht ausgeführt hat, bei Würdigung aller aus den Akten ersichtlichen Tatumstände.
Im Regelfall ist davon auszugehen, dass der Fahrer und Eigentümer eines PKW weiß, was sich in seinem Fahrzeug befindet (vgl. Senatsbeschluss vom 30. August 1994 VII B 71/94, BFH/NV 1996, 375). Davon ist auch im Falle des Antragstellers auszugehen. Aus der Tatsache, dass die angehaltenen Fahrzeuge im Konvoi fuhren und dass sich in dem vom Antragsteller gesteuerten ersten Fahrzeug ein Zettel mit der Wegbeschreibung und im zweiten Fahrzeug ein Zettel mit der Aufteilung der Zigaretten auf die drei Fahrzeuge fand, ist ferner darauf zu schließen, dass alle Beteiligten nach einem gemeinsamen Plan handelten und deshalb anzunehmen ist, dass sie die Zigaretten gemeinsam übernommen haben. Für die "Übernahme" der Zigaretten i.S. des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG reicht die Inbesitznahme als Fremdbesitzer aus, Eigenbesitz in dem Sinne, dass über die Ware frei verfügt werden kann, ist nicht erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 1976 VII R 113/73, BFHE 120, 314). Es reicht aus, wenn der Betreffende die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache hat. Dass dies beim Antragsteller in Bezug auf sämtliche Zigaretten der Fall war, ist anzunehmen, weil alle Beteiligten gemeinschaftlich gehandelt haben. Ist somit davon auszugehen, dass alle Beteiligten die Zigaretten gemeinschaftlich übernommen haben, liegt der Schluss nahe, dass auch alle davon wussten oder zumindest hätten wissen müssen, dass es sich bei den Zigaretten um Zollgut handelte.
Diese auch vom Strafgericht in dem inzwischen rechtskräftig gewordenen Strafurteil gegen den Antragsteller vorgenommene Würdigung vermag nach Aktenlage die Aussage des vom Antragsteller benannten Zeugen X nicht zu entkräften, die er in seiner Vernehmung vor dem Zollfahndungsamt am 16. Juli 1993 gemacht hat. Darin hat er zwar ausgeführt, dass er allein von den Zigaretten gewusst und sie zusammen mit einem Polen in die Fahrzeuge gelegt habe. Angesichts der bereits genannten Umstände erscheint diese Aussage aber nicht glaubhaft. Denn es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der Zeuge --wie er in seiner Vernehmung ausgesagt hat-- mit seinen Bekannten, den Fahrern der drei PKW, zu einer Spazierfahrt nach Frankfurt/ Oder verabredet hat, alle Fahrer dann aber getrennt essen gegangen sind und ihm (dem Zeugen) ohne weitere Nachfragen ihre Autoschlüssel übergeben haben, damit er nach seinem Gutdünken über die Autos verfügen konnte. Im Übrigen stimmt die Aussage insoweit auch nicht mit den Aussagen der ebenfalls vom Zollfahndungsamt vernommenen Zeugen Y und Z überein, die teils ausgesagt haben, dass sie von dem Zeugen gegen Versprechen von Geld engagiert worden seien (Z, Vernehmung am 16. Juli 1993), und teils behauptet haben, sie hätten sich zufällig getroffen (Y, Vernehmung am 16. Juli 1993). Bei der hier nur gebotenen summarischen Prüfung deutet alles darauf hin, dass die Aussagen der Beteiligten im Ergebnis dahin abgesprochen worden sind, dass der vom Antragsteller benannte Zeuge, die alleinige Täterschaft bewusst auf sich genommen hat, um die übrigen Tatbeteiligten zu entlasten.
Eine solche Würdigung nach Aktenlage ist im PKH-Verfahren möglich und geboten. Zwar ist eine Beweisantizipation im PKH-Verfahren grundsätzlich nicht zulässig (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. September 1987 IV a ZR 76/86, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 266). Dennoch muss das Gericht im Einzelfall im summarischen Verfahren prüfen können, ob es eine Beweisführung im Sinne des Antragstellers für möglich hält (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Juni 1994 VII B 2/94, BFH/NV 1995, 281, und in BFH/NV 1996, 375). Anderenfalls könnte der Mittellose die PKH mit jedem aussichtslosen, aber formell korrekten und prozessual nicht übergehbaren Beweisantritt erzwingen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juni 1997 VII B 83/97, BFH/NV 1998, 78). Das Gericht hat daher anhand des in den Akten befindlichen Streitstoffs, insbesondere auch anhand von Niederschriften über die Vernehmung möglicher Zeugen im Ermittlungsverfahren, darüber zu befinden, ob eine Wahrscheinlichkeit für das Obsiegen des Antragstellers im Aussetzungsverfahren besteht. Eine solche besteht aber nicht, wenn sich schon aus den bei den Akten befindlichen Vernehmungsniederschriften von Zeugen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des einzigen vom Antragsteller benannten Zeugen ergeben, dessen Aussagen eine nach den sonstigen Indizien eindeutige Beweislage entkräften sollen.
3. Die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung kommt auch insoweit nicht in Betracht, als darin Zoll und Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt worden sind. Das HZA hat in dem angefochtenen Steuerbescheid ausdrücklich erklärt, dass der Antragsteller zunächst nur die Tabaksteuer zu entrichten habe, weil im Hinblick auf den vom HZA gestellten Antrag auf Einziehung der Zigaretten mit dem Erlöschen der Zollschuld zu rechnen sei. Darin liegt bereits eine Art Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides hinsichtlich des Zolls und der Einfuhrumsatzsteuer durch das HZA, so dass es für eine Aussetzung seiner Vollziehung durch das FG insoweit an dem in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO geregelten Zulässigkeitserfordernis, der Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch das HZA fehlt. Jedenfalls fehlt es insoweit aber an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Daher kann die angestrebte Rechtsverfolgung auch insoweit keine Aussicht auf Erfolg haben, so dass der unter diesem Gesichtspunkt gestellte Antrag auf PKH ebenfalls unbegründet ist.
Ende der Entscheidung
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