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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.01.2002
Aktenzeichen: VII B 41/01
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
AO 1977 § 121 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Geschäftsführer einer GmbH, welche alleinige Komplementärin von drei Kommanditgesellschaften war, als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden.

Wegen von den Kommanditgesellschaften nicht gezahlter Umsatzsteuern nebst steuerlichen Nebenleistungen erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gegen den Kläger auf §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Haftungsbescheide. Die dagegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Zur Begründung verwies das FA im Wesentlichen darauf, dass der Kläger neben dem im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer F. de facto alleinhandelnder und -verantwortlicher Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe zu seiner Überzeugung fest, dass der Kläger seit 1992 faktischer, alleinhandelnder und -verantwortlicher Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Der Kläger habe die ihm als faktischem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH obliegenden steuerlichen Pflichten der Kommanditgesellschaften nicht erfüllt. Das FA habe das Entschließungs- und Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Einer näheren Darlegung des Auswahlermessens im Haftungsbescheid habe es nicht bedurft, da die entsprechenden Ermessenserwägungen für den Kläger im Hinblick auf seine Einlassung, de facto alleinhandelnder und -verantwortlicher Geschäftsführer der Firmengruppe gewesen zu sein, offensichtlich gewesen seien.

Wegen Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde erhoben, mit der er die Abweichung des Urteils von mehreren Entscheidungen des Bundesfinanzhofes (BFH) sowie Verfahrensfehler geltend macht.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Zulassungsgrund, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordere (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--), liegt nicht vor.

a) Auch nach der Neufassung dieser Vorschrift durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) umfasst dieser Zulassungsgrund jedenfalls die Fälle der bisherigen Divergenzrevision, geht aber darüber hinaus, weil es nunmehr nicht mehr darauf ankommt, welches Gericht die Entscheidung, von der abgewichen wird, getroffen hat (Senats-Beschluss vom 15. November 2001 VII B 40/01, BFH/NV 2002, 373). Eine Abweichung liegt daher, soweit die Abweichung von einer BFH-Entscheidung gerügt wird, nach der Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO entsprechend der bisherigen ständigen Rechtsprechung nur dann vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem vom BFH aufgestellten Rechtssatz abweicht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 48 ff., m.w.N.). Keine Divergenz ist daher gegeben, wenn das FG sich die vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätze zu eigen macht und auf den Streitfall anwendet. Selbst wenn diese Anwendung fehlerhaft sein sollte, so läge keine Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, sondern ein nicht zur Revisionszulassung führender Subsumtionsfehler vor.

b) Eine Abweichung der FG-Entscheidung von dem Senats-Beschluss vom 13. Februar 1996 VII B 245/95 (BFH/NV 1996, 657) und dem Senats-Urteil vom 12. Mai 1987 VII R 159/84 (BFH/NV 1988, 139) liegt nicht vor.

Zur Begründung der Divergenz beruft sich der Kläger auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz zum Auswahlermessen, in denen das FG ausführt: "Hinsichtlich des Auswahlermessens hat das FA in den Einspruchsentscheidungen jedenfalls sinngemäß ausgeführt, der Kläger sei (allein) als Haftender in Anspruch zu nehmen, weil der formelle Geschäftsführer F. nur zum Schein Geschäftsführer gewesen sei." Daraus leitet der Kläger ab, dass das FG die Rechtsauffassung vertrete, das Auswahlermessen sei sachgerecht ausgeübt, wenn das FA die alleinige Inanspruchnahme des faktischen Geschäftsführers darauf abstelle, dass der formelle Geschäftsführer nur zum Schein Geschäftsführer gewesen sei.

Insoweit verkennt die Beschwerde, dass mit den vorstehenden Ausführungen keine eigene Rechtsauffassung des FG zum Ausdruck gebracht und demzufolge ebenso wenig ein abweichender Rechtssatz aufgestellt worden ist. Vielmehr sind die Ausführungen nur als sinngemäße Wiedergabe der vom FA in den Einspruchsentscheidungen (angeblich) angestellten Ermessenserwägungen, mithin als Sachverhaltsfeststellungen, anzusehen.

c) Eine Abweichung der FG-Entscheidung von den Senats-Urteilen vom 29. Mai 1990 VII R 85/89 (BFHE 161, 486, BStBl II 1990, 1008) und vom 30. Juni 1995 VII R 87/94 (BFH/NV 1996, 3) liegt ebenfalls nicht vor.

Nach dem Vorbringen des Klägers liegt den beiden Urteilen der Rechtssatz zugrunde, dass nicht die Geschäftsführerschaft als solche, sondern der unterschiedliche Grad der Pflichtverletzung der Geschäftsführer im Zusammenhang mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten als sachgerechtes Auswahlkriterium anzusehen sei. Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen im Kontext der jeweiligen Entscheidung als abstrakter Rechtssatz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu verstehen sind, denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, inwieweit das FG davon abgewichen ist, soweit es unter Bezugnahme auf das Urteil in BFH/NV 1996, 3 ausführt, dass das Auswahlermessen nicht fehlerhaft ausgeübt worden sei, wenn die Finanzbehörde nur denjenigen von mehreren Geschäftsführern in Anspruch nehme, der die Geschäfte tatsächlich beherrscht habe. Denn mit diesen Rechtsausführungen hat das FG nicht gleichsam konkludent ausgeführt, dass der Umfang der Pflichtverletzung unerheblich sei. Vielmehr liegt den Ausführungen des FG, was gerade aus der Bezugnahme auf das Urteil in BFHE 161, 486, BStBl II 1990, 1008 deutlich wird, die Annahme zugrunde, dass den Kläger als de facto alleinhandelnden und -verantwortlichen Geschäftsführer der Firmengruppe ein im Verhältnis zu dem nominellen Geschäftsführer größerer Schuldvorwurf trifft, der aus Sicht des FG die alleinige Inanspruchnahme des Klägers rechtfertigt. Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob diese Rechtsauffassung fehlerhaft ist, denn selbst die Fehlerhaftigkeit unterstellt, läge keine Abweichung sondern nur ein nicht zur Revisionszulassung führender Subsumtionsfehler vor.

d) Eine Abweichung der FG-Entscheidung von den Urteilen des Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78 (BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493), in BFH/NV 1988, 139, vom 24. November 1987 VII R 82/84 (BFH/NV 1988, 206), vom 7. April 1992 VII R 104/90 (BFH/NV 1993, 213), vom 12. Mai 1992 VII R 15/91 (BFH/NV 1993, 143), in BFH/NV 1996, 3 und Senats-Beschluss vom 23. Oktober 1990 VII S 22/90 (BFH/NV 1991, 500) ist nicht gegeben.

Zutreffend führt der Kläger aus, dass die vorgenannten Entscheidungen in weitgehender Übereinstimmung den Rechtssatz enthalten, dass in den Fällen, in denen mehr als ein Geschäftsführer als Haftender in Betracht kommt, die Darlegung der Ermessenserwägungen unabdingbar ist, und dass das Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange aus der Entscheidung erkennbar sein muss. Anders als der Kläger meint, lässt sich aus den Entscheidungsgründen des FG-Urteils ein entgegenstehender Rechtssatz nicht ableiten, ebenso wenig ist die Annahme gerechtfertigt, das FG habe diesen Rechtssatz völlig unbeachtet gelassen.

Der Kläger leitet den entgegenstehenden Rechtssatz aus folgenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen ab: "Die entsprechenden Ermessenserwägungen brauchten im Streitfall --ausnahmsweise-- auch nicht näher dargelegt zu werden, da diese für den Kläger im Hinblick auf seine Einlassung, de facto alleinhandelnder und -verantwortlicher Geschäftsführer der Firmengruppe gewesen zu sein, offensichtlich gewesen sind." Diesen Ausführungen ist nach Ansicht des Klägers der vom FG aufgestellte allgemeine Rechtssatz zu entnehmen: "Wer sich unabhängig von dem Umstand, dass die GmbH einen nominell bestellten alleinigen Geschäftsführer hat, und ohne selber als Geschäftsführer bestellt zu sein, als alleinhandelnder und -verantwortlicher Geschäftsführer bezeichnet, kennt allein aufgrund dieser Aussage zur eigenen Person die Ermessenserwägungen des Finanzamtes, aus denen es ihn und nicht den nominell bestellten Geschäftsführer in Haftung nimmt, so dass die Behörde ihre Erwägungen zum Auswahlermessen nicht darzustellen braucht."

Der Senat vermag den Ausführungen in dem FG-Urteil nicht den vom Kläger genannten Rechtssatz zu entnehmen. Denn die Ausführungen des FG stellen, wie auch dem Klammerzusatz zu entnehmen ist, die Subsumtion des vom FG festgestellten Sachverhaltes unter die Rechtsnorm des § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 dar. Das FG hat damit dargelegt, dass dem Kläger die nach Ansicht des FG ausreichenden Ermessenserwägungen bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar gewesen seien. Demgegenüber lässt sich den Ausführungen nicht entnehmen, dass die Darlegung von Ermessenserwägungen bei Vorliegen einer faktischen Geschäftsführerschaft in Abweichung von der BFH-Rechtsprechung nur in eingeschränktem Umfang oder überhaupt nicht zu erfolgen brauche. Ob die Annahme des FG, dass der Tatbestand des § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 erfüllt sei, zutreffend ist, hat der Senat, obwohl diese Würdigung nicht frei von Zweifeln ist, im Rahmen der vorliegenden Divergenzrüge nicht zu prüfen, da insoweit ein Fehler in der Rechtsanwendung vorläge, nicht jedoch eine Abweichung von einem Rechtssatz des BFH.

Ebenso wenig ist den Entscheidungsgründen zu entnehmen, dass das FG unter Hinweis auf die faktische Geschäftsführereigenschaft des Klägers von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung ausgegangen ist, so dass das Vorliegen einer Divergenz daraus ebenfalls nicht abgeleitet werden kann.

e) Soweit die Beschwerde sinngemäß dahin zu verstehen ist, dass aufgrund der Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision erfordere, fehlt es an der entsprechenden Darlegung gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte zwar durch die Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Möglichkeit der Revisionszulassung im Fall einer rechtswidrigen Entscheidung des FG erweitert werden. Sie soll sich auch auf solche Fälle erstrecken, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht, weil z.B. die Auslegung revisiblen Rechts durch die Vorinstanz fehlerhaft ist und der unterlaufene Fehler von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen (vgl. z.B. BTDrucks 14/4061, S. 9; BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Anm. 45; vgl. auch Lange, Neuregelung des Zugangs zum BFH - Das Zweite FGO-Änderungsgesetz, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2001, 1098, m.w.N.). Dies erfordert jedoch die schlüssige Darlegung dieser Voraussetzungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hieran fehlt es.

Mit der Beschwerde wird im Wesentlichen im Stile einer Revisionsbegründung vorgebracht, dass die erstinstanzliche Entscheidung aus in den im Einzelnen genannten Gründen rechtswidrig sei. Damit wird aber kein Fehler von erheblichem Gewicht dargelegt, welcher das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte. Zwar hat der Senat durchaus Zweifel, ob das FG die Ausübung des Auswahlermessens durch das FA sowie die hinreichende Darlegung der Ermessenserwägung im Haftungsbescheid unter Heranziehung des § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Gleichwohl rechtfertigen die Zweifel nicht die Annahme, dass die zu diesen Rechtsproblemen sehr verkürzt dargestellte Rechtsauffassung des FG unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist.

2. Der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht vor. Der Kläger rügt zu Unrecht, dass das FG bei seiner Entscheidung eine nach den Akten feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen habe (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es nicht berücksichtigt habe, dass während des Zeitraums, in dem die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Steuerschulden entstanden und nicht getilgt worden seien, der F. Geschäftsführer der GmbH gewesen sei.

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht von ihm entgegengenommenes Vorbringen bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Soweit geltend gemacht wird, dass dies im Einzelfall nicht geschehen ist, sind dafür konkrete Anhaltspunkte zu benennen (vgl. u.a. Senats-Beschluss vom 19. November 1998 VII B 127/98, BFH/NV 1999, 673). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. In den Urteilsgründen wird sowohl im Rahmen der Tatbestandsdarstellung als auch der rechtlichen Würdigung wiederholt auf den im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer F. hingewiesen. Insbesondere hebt das FG in den Entscheidungsgründen hervor, das FA habe sinngemäß ausgeführt, der Kläger sei (allein) als Haftender in Anspruch zu nehmen, weil der formelle Geschäftsführer F. nur zum Schein Geschäftsführer gewesen sei, und es hat darin die Ausübung des Auswahlermessens gesehen. Die gerichtliche Überprüfung des von dem FA ausgeübten Auswahlermessens geht damit eindeutig vom Vorhandensein beider Geschäftsführer als mögliche Haftende aus, bezüglich derer eine Auswahl getroffen worden sei.

In Wirklichkeit macht der Kläger mit seinem diesbezüglichen Vorbringen geltend, das FG hätte den Akteninhalt anders, nämlich in seinem Sinne, würdigen müssen. In der nach Auffassung des Beteiligten unzutreffenden, oder völlig unterbliebenen rechtlichen Würdigung tatsächlichen Vorbringens ist aber grundsätzlich kein Verfahrensfehler zu sehen (vgl. Gräber/Ruban a.a.O., § 115 Anm. 81 ff.).

Ende der Entscheidung

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