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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.07.2000
Aktenzeichen: VII B 47/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 74
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf Einstellung der Vollstreckung, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) wegen einer vollstreckbaren Einkommensteuerschuld 1993 in Höhe von ... DM gegen den Kläger eingeleitet hat. Die Einkommensteuer 1993 betreffend ist ein noch nicht entschiedenes Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung vor dem FG anhängig, mit welchem der Kläger die vollständige Aussetzung der Vollziehung (AdV) der rückständigen Einkommensteuer 1993 begehrt. In einem weiteren Verfahren vor dem FG begehrt der Kläger das FA zu verpflichten, ihm eine Verrechnungsstundung zu gewähren. Hierzu macht er geltend, er habe im Februar 1997 seine Einkommensteuererklärung für 1996 abgegeben, aus der zwar nicht die Höhe seines Gewinnes aus der Steuerberatungspraxis, wohl aber ersichtlich sei, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte wegen hoher negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung negativ sei, so dass sich aufgrund von Verlustrückträgen Einkommensteuererstattungsansprüche für 1994 und 1995 ergeben würden. Die vom Kläger wegen dieser Anträge begehrte einstweilige Vollstreckungseinstellung wegen Einkommensteuer 1993 lehnte das FA mit der Begründung ab, dass die Einkommensteuerabschlusszahlung für 1993 seit über einem Jahr fällig sei und weder eine AdV hinsichtlich dieses Restbetrages für Einkommensteuer 1993, noch eine technische Stundung in Betracht komme. Es fehle für eine weitere Aussetzung der Einkommensteuer 1993 an konkreten Angaben bzw. für die Gewährung einer Verrechnungsstundung an einer nachprüfbaren Ermittlung des negativen Gesamtbetrages der Einkünfte im Kalenderjahr 1996 bzw. an einem Feststellungsbescheid über die geltend gemachten negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Jahre 1996. Außerdem seien die Einkommensteuererstattungsansprüche für 1994 und 1995 an die ... abgetreten worden.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wegen einstweiliger Einstellung der Vollstreckung wies das FG ab, wobei es auch den Antrag des Klägers, das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen der noch nicht verbeschiedenen Anträge auf AdV der Einkommensteuer 1993 und Gewährung der Stundung wegen zu erwartender Erstattungsansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 1994 und 1995 auszusetzen, als unbegründet ansah. Das FG hielt diese Verfahren nicht für vorgreiflich. Es hat im Urteil darüber hinaus jedoch ausgeführt, die beantragte Stundung sei noch nicht gewährt worden. Es reiche nicht aus, dass nur eine ungewisse oder unbestimmte Aussicht auf die vom Kläger behaupteten Erstattungsbeträge bestünde. Weder für den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung noch für den der mündlichen Verhandlung vor dem FG könne festgestellt werden, dass ein solcher Anspruch des Klägers alsbald fällig sein werde. Dem FA sei auch kein Ermessensfehlgebrauch deshalb vorzuwerfen, weil es die Vollstreckung nicht einstweilen eingestellt habe. Aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen sowie der Einkommensteuererklärung für 1996 sei weder der Gewinn aus der Steuerberatungstätigkeit des Klägers noch die Höhe der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eindeutig ersichtlich, so dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem behaupteten Gegenanspruch des Klägers ausgegangen werden könne. Zudem könne die einstweilige Einstellung der Vollstreckung nur für eine kurze Zeit gewährt werden. Es sei aber nicht absehbar, dass über den Antrag auf AdV der restlichen Einkommensteuer 1993 bzw. über den Antrag auf Gewährung der Verrechnungsstundung alsbald entschieden werde. Eine Aussetzung des Verfahrens komme nicht in Betracht, weil entsprechend dem Zweck der Vorschrift des § 74 FGO, dem Gericht ein prozessökonomisches Vorgehen zu ermöglichen, in den anderen Verfahren über eine für das auszusetzende Verfahren rechtlich bindende Vorfrage zu entscheiden sein müsste. Eine solche Abhängigkeit des Vollstreckungsverfahrens von den Verfahren, die ein Steuerpflichtiger wegen Stundung, Erlass oder AdV vollstreckbarer Steuern führe, sei nicht gegeben.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision begründet der Kläger mit einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, weil das FG das Verfahren wegen der Vorgreiflichkeit des Verfahrens über die Verrechnungsstundung gemäß § 74 FGO hätte aussetzen müssen. Ein weiterer Verfahrensmangel liege darin, dass das FG mit Beschluss vom 4. Februar 1999 die Verfahren (gemeint ist wohl das hier streitgegenständliche Verfahren vor dem FG ... und das Stundungsverfahren ...) abgetrennt habe, ohne den Kläger vorher zu hören.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Die angefochtene gerichtliche Entscheidung beruht nicht auf den mit der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehlern.

1. Das FG hat die vom Kläger beantragte Aussetzung des Verfahrens im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Ein Ermessensfehlgebrauch ist dem FG dabei nicht unterlaufen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens und damit einen Verfahrensfehler dar, wenn das FG eine Sachentscheidung trifft, obwohl es das Verfahren hätte gemäß § 74 FGO aussetzen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; BFH-Beschluss vom 9. Oktober 1991 II B 56/91, BFHE 165, 185, BStBl II 1991, 930, m.w.N.). Eine derartige Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens besteht dann, wenn das dem FG im § 74 FGO eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Entscheidung über die Aussetzung des Klageverfahrens auf null reduziert ist, weil alle Erwägungen ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend für die Aussetzung des Verfahrens sprechen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986 unter B. 3. a).

Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BFH ein Klageverfahren regelmäßig auszusetzen, wenn die Entscheidung des anderen Gerichts in dem dort anhängigen Verfahren --ohne dass Bindungswirkung notwendig wäre-- einen rechtlichen Einfluss auf das auszusetzende Verfahren hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Juli 1995 III B 8/95, BFH/NV 1996, 149, 150; vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641; siehe auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 74 Rz. 2). Eine Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens besteht indessen nicht, vielmehr hat das FG grundsätzlich in allen Fällen eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz. 7, sowie BFH-Beschluss vom 10. Oktober 1989 IV B 135/88, BFH/NV 1990, 485), wobei es insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen hat.

Im Streitfall bestand für das FG kein Zwang das Verfahren auszusetzen, bis über die vom Kläger gestellten Anträge auf AdV der Einkommensteuer 1993 bzw. die Gewährung einer Verrechnungsstundung entschieden worden ist. Vielmehr hat das FG bei der Ausübung des Ermessens unter Berücksichtigung der prozessökonomischen Gesichtspunkte zu würdigen, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet und ob mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg des Aussetzungs- bzw. des Stundungsantrages ausgegangen werden konnte. Denn es geht nicht darum, ob die Einziehung der Steuer unbillig ist, sondern darum, ob die Zwangsvollstreckung unbillig ist (siehe § 258 der Abgabenordnung --AO 1977--; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 258 Anm. 3, sowie BFH-Beschluss vom 16. Juli 1985 VII B 72/84, BFH/NV 1986, 139). Das dem FG eingeräumte Ermessen war auch nicht auf null reduziert. Die Auffassung, dass Vollstreckungsmaßnahmen schon dann unbillig sind, so lange noch nicht über einen Antrag auf AdV entschieden ist, ist vom BFH nicht geteilt worden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 1980 VII B 9/80, BFHE 130, 136, 140, BStBl II 1980, 399, 401, und vom 25. Juni 1985 VII B 54, 62/84, BFH/NV 1986, 138). Ist ein Erlass- oder Stundungsantrag gestellt worden, so sind nach der Rechtsprechung des BFH Vollstreckungsmaßnahmen nur dann unbillig, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der beantragten Stundung zu rechnen ist (BFH-Beschluss vom 11. April 1989 VII B 202/88, BFH/NV 1989, 766, 767, und vom 20. August 1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317, 318, m.w.N.). Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das FG einen Ermessensfehlgebrauch des FA im Hinblick auf die Ablehnung der einstweiligen Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung wegen der Unvollständigkeit der Angaben des Klägers zu dem behaupteten Erstattungsanspruch und damit zum Anspruch auf Gewährung einer Verrechnungsstundung sowie zur Berechtigung eines Anspruchs auf AdV der Einkommensteuer 1993 nicht festgestellt. Damit war auch für das FG eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO bis zur Entscheidung über die vom Kläger gestellten Anträge auf Gewährung einer Verrechnungsstundung wegen möglicher Erstattungsbeträge aus den wegen eines behaupteten Verlustrücktrages erst noch zu ändernden Steuerfestsetzungen für 1994 und 1995 im Hinblick auf die seit über einem Jahr bestehende Fälligkeit der Einkommensteuerabschlusszahlung 1993 aus prozessökonomischen Gründen nicht geboten. Denn es gab zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG keinen erkennbaren Anhaltspunkt dafür, dass die Anträge des Klägers in den bei einem anderen Senat des FG anhängigen Verfahren gewisse Erfolgsaussichten gehabt hätten. Die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens durch das FG beruht somit nicht auf einem Ermessensfehlgebrauch, so dass ein Verfahrensverstoß i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 74 FGO nicht vorliegt.

2. Die Rüge, das FG habe den Verfahrensverstoß der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) dadurch begangen, dass es das Verfahren wegen Gewährung der Verrechnungsstundung mit Beschluss vom 4. Februar 1999 abgetrennt habe ohne den Kläger vorher zu hören, geht schon deshalb fehl, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass das Urteil des FG darauf beruhen könnte (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).



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