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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.07.1999
Aktenzeichen: VII B 81/99
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 56
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Milcherzeuger. Im Milchwirtschaftsjahr 1996/1997 hat er die für seinen Betrieb --einschließlich zugepachteter Flächen-- festgesetzte Referenzmenge von rd. 300 000 kg um 20 700 kg überliefert. Nach Saldierung mit ungenutzten Referenzmengen gemäß § 7b der Milch-Garantiemengen-Verordnung wird von dem Kläger aufgrund der Abgabenanmeldung seiner Molkerei eine Abgabe für ... kg Milch in Höhe von rd. ... DM verlangt. Hiergegen richtet sich die Klage, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde erhoben, die am letzten Tag der Beschwerdefrist dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) per Telefax übermittelt worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat deshalb fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen:

Entgegen der seinem Büropersonal erteilten ausdrücklichen Weisung und dessen Übung sei bei der Übermittlung der Beschwerdeschrift durch die Büroangestellte Frau H, die eine zuverlässige Mitarbeiterin sei, permanent Faxbriefe fertige und das Faxgerät täglich bediene, die Telefax-Nummer des Empfängers nicht aus einem amtlichen Verzeichnis, sondern aus der Handakte entnommen worden. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat dazu eine eidesstattliche Versicherung von H vorgelegt, in welcher diese Sachdarstellung bestätigt wird.

Zur Begründung seiner auf grundsätzliche Bedeutung und Verfahrensmängel gestützten Beschwerde trägt der Kläger im wesentlichen folgendes vor:

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe zur gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Milchquotenregelung bisher keine Stellung bezogen. Er habe allerdings die Festsetzung einer Isoglukosequote, wenn sie dem Ziel der Marktstabilisierung diene, in dem Urteil vom 29. Oktober 1980 Rs. 138/79 (EuGHE 1980, 3333) als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt und in dem Urteil vom 13. Juli 1995 Rs. T-466/93 u.a. (EuGHE II 1995, 2071) habe das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Vertrauensschutz bei einer Kürzung der einem Betrieb zugeteilten Milchreferenzmenge verneint. Dies widerspreche jedoch allen vernünftigen Grundgedanken des europäischen Rechts. Jedenfalls habe vom FG berücksichtigt werden müssen, daß die Milch-Garantiemengen-Abgabe zweckgebunden verwendet werden müsse, daß sie zu hoch sei, daß nur eine europaweite konsequent umgesetzte Mengenbegrenzung, an der es fehle, zum Erfolg führen könne, daß eine totale Wettbewerbsverzerrung eingetreten sei und daß die deutschen Landwirte mit einer unzulässigen Geldstrafe belegt würden.

Ferner sei die Garantiemengenregelung nichtig, weil sie nachweislich ungeeignet sei, auf dem EU-Markt entstandenes Unrecht zu beseitigen. In einigen Regionen könnten nämlich die Landwirte sanktionslos die Milchproduktion ausweiten. Hiermit gehe ein Wettbewerbsnachteil für den Kläger einher. Die Kommission habe eingeräumt, daß es in Italien und Spanien Vollzugsdefizite gebe und das europäische Recht keine wirksame und durchgreifende Handhabe hiergegen habe.

Schließlich sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Das Ziel einer Drosselung der Milchproduktion könne auch mit einer Abgabe in Höhe der Hälfte der gegenwärtigen Abgabe erreicht werden. Außerdem sei das Interesse an einer Produktionsbegrenzung gegen das Interesse der betroffenen Landwirte abzuwägen.

Endlich sieht der Kläger offenbar einen Verstoß gegen Art. 92 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) --Art. 87 EGV n.F.-- in der Möglichkeit einer Verlagerung ungenutzter Referenzmengen in bestimmte Gebiete, woraus sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenso ergeben soll wie aus der Tatsache, daß es zu einer Wettbewerbsverzerrung führe, wenn einzelne Staaten die Abgabe bezahlten, ohne sie an die überliefernden Landwirte weiterzugeben.

Verfahrensmängel sieht die Beschwerde darin, daß das FG nicht durch Sachverständigenbeweis geklärt habe, daß der Abgabensatz zu hoch sei; daß die Konkurrenzfähigkeit des Klägers eingeschränkt sei; daß sich die Quotenregelung nicht bewährt habe und daß sie erdrosselnde Wirkung besitze. Das FG sei ferner nicht dem Vortrag nachgegangen, die Garantiemengenregelung werde nicht in allen EU-Staaten umgesetzt und das Abgabeaufkommen werde nicht zur Stabilisierung des Milchmarktes verwendet. Schließlich habe das FG das Entscheidungsmonopol des EuGH mißachtet und diesem die Sache trotz Antrages des Klägers nicht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Der beschließende Senat kann offenlassen, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Beschwerdefrist nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gewähren ist. Der Senat bemerkt hierzu lediglich, daß es zwar zutrifft, daß sich ein Rechtsanwalt bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen darf, daß sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die richtige Telefaxnummer ermittelt und in das Gerät eingibt. Er kann sich insoweit darauf beschränken, seinem Personal entsprechende Anweisungen, auch über die notwendige Kontrolle dieses Vorganges, zu erteilen (vgl. u.a. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 13. Februar 1998 7 B 439.97, nicht veröffentlicht; BVerwG-Beschluß vom 6. August 1997 4 B 124.97, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1998, 398; Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1995 2 AZR 1020/94, BAGE 79, 379, NJW 1995, 2742, sowie Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. August 1994 13 RJ 11/94, Soziale Sicherheit - Zeitschrift für Sozialpolitik 1995, 433) und deren Beachtung stichprobenweise zu überwachen. Im Streitfall ist allerdings nicht zweifelsfrei, ob die Versäumung der Beschwerdefrist infolge Übermittlung der Beschwerdeschrift an das HZA statt an das FG ausschließlich oder zumindest maßgeblich auf das Versehen der zuverlässigen Bürokraft H zurückzuführen ist. Zweifel daran ergeben sich daraus, daß auf der von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers selbst unterzeichneten Beschwerdeschrift --durch Fettdruck hervorgehoben-- die von H später verwendete falsche Telefax-Nummer angegeben ist. Dies läßt es nicht als ohne weiteres glaubhaft erscheinen, daß, wie der Prozeßbevollmächtigte des Klägers offenbar glauben machen will, in seiner Kanzlei Telefax-Nummern ausschließlich aufgrund der Empfängerangabe in dem betreffenden Schriftsatz aus einem amtlichen Verzeichnis entnommen werden; denn in diesem Falle wäre die Angabe der Telefax-Nummer auf den Schriftsätzen weitgehend überflüssig. Daß auch die falsche Telefax-Nummernangabe auf dem Schriftsatz dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht zum Verschulden gereicht --was ungeachtet der vorgenannten Zweifelsfrage zur Wiedereinsetzung führen müßte--, erscheint zwar möglich --etwa wenn der Prozeßbevollmächtigte diese Nummer nicht mitdiktiert hatte, sondern die Schreibkraft sie aufgrund der Empfängerangabe in dem Schriftsatz hinzugefügt hat und wenn, was offenbleibt, von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht erwartet werden kann, daß er aufgrund der falschen Ortsnetzkennzahl (für X, dem Sitz des HZA, statt für Düsseldorf, dem Sitz des FG) die Verwechslung erkennt--; es fehlt jedoch hierzu in dem Wiedereinsetzungsantrag an jedem Vortrag und an der Glaubhaftmachung, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die für die falsche Nummernangabe in dem Schriftsatz möglicherweise verantwortliche Bürokraft ebenso wie H sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht hat.

2. Die Beschwerde ist ungeachtet dieser Überlegungen als unzulässig zu verwerfen, weil in ihrer Begründung nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO ein Grund angegeben ist, der die Zulassung der Revision rechtfertigt.

a) Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nicht dargelegt. Dem umfangreichen Vorbringen der Beschwerde läßt sich zwar sinngemäß entnehmen, daß der Kläger geklärt wissen möchte, ob die Regelungen des Gemeinschaftsrechts über die Erhebung einer Zusatzabgabe für Milch und Milcherzeugnisse mit übergeordneten Rechtsgrundsätzen, wie dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, der Eigentumsgarantie und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Bestandteil auch der gemeinschaftlichen Rechtsordnung sind, vereinbar sind. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache gehören aber auch genaue Angaben, weshalb diese Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Dazu wäre es im Streitfall erforderlich gewesen, unter Auseinandersetzung mit der umfangreichen bisherigen Rechtsprechung des EuGH und des beschließenden Senats zu der Milchquotenregelung darzulegen, weshalb aus dieser Rechtsprechung die Antwort auf die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage nach der Gültigkeit dieser Regelungen nicht entnommen werden kann, insbesondere welche rechtlichen Gesichtspunkte dabei bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Ihr Vorbringen erschöpft sich überwiegend darin, daß sie in der Art einer Revisionsbegründung darlegt, warum ihrer Meinung nach die Milchquotenregelung gegen die vorgenannten Rechtsgrundsätze verstößt. Soweit die Beschwerde auf die Rechtsprechung des EuGH überhaupt eingeht, ergibt sich aus ihren Hinweisen nicht, daß der EuGH bestimmte, von der Beschwerde für wesentlich erachtete verfassungsrechtliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hätte, sondern daß er im Gegenteil die Milchquotenregelung bzw. die mit dieser von der Beschwerde verglichene Regelung, die Gegenstand des von der Beschwerde angeführten Urteils in EuGHE 1980, 3333 gewesen ist, für wirksam hält. Mit der pauschalen Rüge der Beschwerde, der Gerichtshof habe zu der gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Milchquotenregelung keine "Stellung" genommen, wird die Klärungsbedürftigkeit der von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage angesichts der zahlreichen Urteile des Gerichtshofs, in denen die Gültigkeit der Milch-Garantiemengen-Regelung (zumindest stillschweigend) angenommen und teilweise unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in unterschiedlichen Teilaspekten überprüft worden ist, ebensowenig dargetan wie dadurch, daß der Kläger dieser Rechtsprechung seine eigene Rechtsansicht entgegensetzt.

b) In der Beschwerdebegründung sind auch Verfahrensmängel, auf denen das Urteil des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), nicht "bezeichnet". Denn zur Bezeichnung des von der Beschwerde gerügten Verfahrensmangels einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht wäre es erforderlich gewesen, genau darzustellen, auf welche Tatsachen es nach der insoweit allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Ansicht des FG für die Entscheidung ankam, mit welchen Beweismitteln diese Tatsachen noch hätten aufgeklärt werden können, wann der Kläger eine solche Beweiserhebung durch einen substantiierten Beweisantrag begehrt hat oder weshalb sich dem FG auch ohne einen solchen Beweisantrag die Notwendigkeit der Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, welches genaue Ergebnis die unterlassene Beweiserhebung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern dieses nach der materiell-rechtlichen Ansicht des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. An solchen hinreichend präzisen Darlegungen fehlt es in der Beschwerdeschrift.

Ob die Milch-Garantiemengen-Abgabe "zu hoch" ist, ist überdies in erster Linie eine Frage der rechtlichen Bewertung und daher einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich. Das gleiche gilt für die Frage, ob die Abgabe eine erdrosselnde Wirkung hat und die "Konkurrenzfähigkeit" des Klägers unzulässig beschränkt. Ob die Milch-Garantiemengen-Regelung sich zur Beschränkung der Milchproduktion "bewährt" hat, ist vom FG nicht geprüft und nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden; die angefochtene Entscheidung kann deshalb auf einer unzureichenden Sachaufklärung in dieser Hinsicht nicht beruhen. Daß Vollzugsdefizite in anderen Mitgliedstaaten die Rechtsgültigkeit der Milch-Garantiemengen-Regelung nicht beeinträchtigen können, hat das FG ausdrücklich --im übrigen zutreffend-- dargelegt; es hatte folglich keinen Anlaß --noch über die von ihm eingeholte Auskunft der Europäischen Kommission hinaus--, dem diesbezüglichen Vorbringen des Klägers in tatsächlicher Hinsicht nachzugehen. Das Vorbringen, die Milchabgabe werde rechtswidrig verwendet, hat das FG als unsubstantiiert unbeachtet gelassen; in der Beschwerdeschrift ist nicht dargelegt, was vom Kläger dazu Substantiiertes vorgetragen worden ist und inwiefern dies für das FG hätte Anlaß sein müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist schließlich eine Vorlage der Sache zur Entscheidung durch den EuGH dem Gemeinschaftsrecht fremd. Das allein in Betracht kommende Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV a.F. (jetzt: Art. 234 EGV) setzt voraus, daß das FG Zweifel an der Auslegung oder Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsrechts hat, die es nicht selbst ausräumen kann. Daß dies hier der Fall war, ist in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt. Im übrigen würde, wie in der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats geklärt ist, die Unterlassung eines Vorabentscheidungsersuchens einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unter keinen Umständen darstellen können (Senatsurteil vom 2. April 1996 VII R 119/94, BFHE 180, 231).

Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeschrift hält der Senat im übrigen nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nicht für geboten. Er verweist jedoch ergänzend auf seinen Beschluß vom 26. November 1998 VII S 21/98 (BFH/NV 1999, 532), aus dem sich im einzelnen ergibt, weshalb der beschließende Senat die vom Kläger gegen die Milch-Garantiemengen-Regelung erhobenen Einwände auch für unbegründet halten würde.

Ende der Entscheidung

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