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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: VII R 1/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 74
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 121 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
VII R 1/04 VII R 2/04

Gründe:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt auf ihren Antrag Ausfuhrerstattungen im Wege der Vorfinanzierung zum einen für Malz, welches sie mit Antrag vom 28. September 1995 in die Erstattungsveredelung (Mischen von Malz mit Malz) mit Vorfinanzierung der Erstattung hatte überführen lassen, zum anderen für Braugerste, die sie mit Antrag vom 28. September 1995 in die Erstattungsveredelung mit Vorfinanzierung der Erstattung hatte überführen lassen; das Veredelungsprodukt Gerstenmalz meldete sie mit Ausfuhranmeldung vom 30. Oktober 1995 zur Ausfuhr in verschiedene Drittländer an. Das zuständige Hauptzollamt entnahm dem angemeldeten Malz in beiden Fällen Proben, welche es der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt bei der Oberfinanzdirektion (ZPLA) übersandte. Die ZPLA kam in ihren Gutachten zu dem Untersuchungsergebnis, dass die Proben jeweils eine große Anzahl lebender und toter Schädlinge enthielten, weshalb die Ware nicht von gesunder und handelsüblicher Qualität sei. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) forderte daraufhin die gewährten Ausfuhrerstattungen zuzüglich einer Sanktion in Höhe von 50 % des Unterschieds zwischen der beantragten und der zustehenden Erstattung zurück.

Mit ihren Einsprüchen bezweifelte die Klägerin u.a., dass repräsentative Proben gezogen bzw. dass die Proben ordnungsgemäß behandelt worden seien, machte geltend, dass die von ihrer Seite während des Verladens gezogenen Proben keinen Käferbefall aufgewiesen hätten und dass der vom Hauptzollamt benutzte Probenentnahmetrichter mit Käfern und Eiern kontaminiert gewesen sein müsse, und legte zwei Gutachten vor, in denen die Bewertung der ZPLA als unzutreffend dargestellt wurde. Die vom HZA veranlasste Untersuchung der Rückstellproben ergab ebenfalls das Vorhandensein zahlreicher toter Käfer und Fragmente eines bestimmten Getreideplattkäfers, wobei sich nicht feststellen ließ, ob die Käfer bei der Probenentnahme noch gelebt hatten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen ab und urteilte, dass die vorfinanzierten Ausfuhrerstattungen zu Recht zurückgefordert worden seien, weil das Gerstenmalz wegen des Befalls mit lebenden Schädlingen nicht von handelsüblicher Qualität gewesen sei. Auch wenn nach den vorgelegten Gutachten der Befall mit lebenden Schädlingen durch Begasung beseitigt werden könne, so könne ein derart befallenes Gerstenmalz gleichwohl nicht objektiv unter normalen Bedingungen auf dem Gemeinschaftsmarkt vermarktet werden. Dies folge zum einen aus den Zusatzbestimmungen zu den Einheitsbedingungen im deutschen Getreidehandel für Geschäfte mit deutscher Braugerste vom 1. August 1985 i.d.F. vom 1. April 1995, wonach Braugerste u.a. frei von lebenden Käfern zu liefern sei, anderenfalls der Käufer das Recht habe, die Ware abzulehnen. Zum anderen folge dies aber auch aus der Verordnung (EWG) Nr. 2731/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die Standardqualitäten für Weichweizen, Roggen, Gerste, Mais und Hartweizen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 281/22) sowie aus der --im Streitfall allerdings noch nicht anwendbaren-- Verordnung (EG) Nr. 824/2000 der Kommission vom 19. April 2000 über das Verfahren und die Bedingungen für die Übernahme von Getreide durch die Interventionsstellen sowie die Analysemethoden für die Bestimmung der Qualität (ABlEG Nr. L 100/31). Wenn in diesen Verordnungen ausdrücklich geregelt sei, dass die gesunde und handelsübliche Qualität von Getreide u.a. voraussetze, dass es frei von lebenden Schädlingen sei, so könne für das Bearbeitungsprodukt Gerstenmalz nichts anderes gelten. Im Streitfall sei von einem solchen Schädlingsbefall der Ausfuhrsendung auszugehen, da die Ergebnisse der durchgeführten Teilbeschau nach Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (ZK) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) für alle in der Anmeldung bezeichneten Waren gälten. Die Art und die Menge der Probenentnahme seien nicht als fehlerhaft zu beanstanden. Im Übrigen sei die Klägerin mit diesbezüglichen Einwänden auch ausgeschlossen, da sie bereits während der Beschau durch ihren anwesenden Mitarbeiter entsprechende Rügen hätte erheben bzw. nach Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK eine zusätzliche Zollbeschau hätte verlangen müssen. Die Klägerin habe die gesetzliche Fiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK daher auch nicht entkräften können, da diese nur durch eine zusätzliche Beschau des noch nicht beschauten Teils der Ware korrigiert, nicht aber durch Sachverständigen- oder Zeugenbeweis widerlegt werden könne.

Mit ihren Revisionen gegen die Urteile des FG macht die Klägerin geltend, dass das FG den Begriff der "handelsüblichen Qualität" unzutreffend ausgelegt und unzutreffend angewandt habe. Gerstenmalz, das nicht frei von lebenden Schädlingen sei, könne gleichwohl unter normalen Bedingungen in der Gemeinschaft vermarktet werden, da es stets gereinigt werde, bevor es zur Herstellung von Bier verwendet werde. Unzutreffend sei auch die Ansicht des FG, dass die gesetzliche Fiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK nicht widerlegt werden könne; diese Ansicht lasse sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrem Sinn und Zweck herleiten. Für das FG habe daher die Verpflichtung bestanden, den Beweisangeboten nachzugehen, wonach die Ware im Ankunftsland keinen Schädlingsbefall aufgewiesen habe. Hinzu komme, dass die Probenentnahmen fehlerhaft und nicht repräsentativ gewesen seien.

Der Senat setzt die Verfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Satz 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die Entscheidung der Streitfälle maßgeblichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Zweifelsfragen aufwirft.

1. Rechtsgrundlage für die Rückforderung einer gewährten Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung ist --soweit die geleistete Sicherheit noch nicht freigegeben ist-- Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEG Nr. L 62/5) i.V.m. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1) i.d.F. der (Änderungs-)Verordnung (EG) Nr. 2945/94 (VO Nr. 2945/94) der Kommission vom 2. Dezember 1994 (ABlEG Nr. L 310/57), diese i.d.F. der Berichtigung gemäß ABlEG vom 16. Juni 1995 Nr. L 132/22, i.V.m. Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEG Nr. L 205/5). Soweit Sicherheiten bereits freigegeben sind, ist Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 3665/87 die gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage für die Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattungen, die auf alle ab dem 1. April 1995 getätigten Ausfuhren Anwendung findet. Nach den genannten Vorschriften ist die vorfinanzierte ebenso wie die endgültig gewährte Ausfuhrerstattung zurückzufordern, soweit kein Erstattungsanspruch besteht.

2. Eine Ausfuhrerstattung wird nach Art. 13 Satz 1 VO Nr. 3665/87 nicht gewährt, wenn die Erzeugnisse nicht von gesunder und handelsüblicher Qualität sind; sind die Erzeugnisse zur menschlichen Ernährung bestimmt, so darf ihre Verwendung zu diesem Zweck auf Grund ihrer Eigenschaften oder ihres Zustands nicht ausgeschlossen oder wesentlich eingeschränkt sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Kriterium der handelsüblichen Qualität bereits dann nicht erfüllt, wenn die Ware im Gebiet der Gemeinschaft nicht unter normalen Bedingungen vermarktet werden kann (EuGH-Urteile vom 9. Oktober 1973 Rs. 12/73, EuGHE 1973, 963; vom 19. November 1998 Rs. C-235/97, EuGHE 1998, I-7555, Rz. 77).

Ob eine Ware in ihrer Marktfähigkeit im Gebiet der Gemeinschaft derart eingeschränkt ist, ist eine Frage, deren Beantwortung von der vom Tatrichter im Einzelfall vorzunehmenden Tatsachenwürdigung abhängt und die deshalb revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Im Streitfall gibt die vom FG getroffene Feststellung, dass von lebenden Schädlingen befallenes Gerstenmalz auf dem Gemeinschaftsmarkt nicht objektiv unter normalen Bedingungen vermarktet werden könne, zu revisionsrechtlichen Beanstandungen keinen Anlass. Auch die diesbezüglichen Verfahrensrügen der Klägerin, dass das FG die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt habe, greifen nach Ansicht des Senats nicht durch. Der beschließende Senat wäre deshalb bei der von ihm zu treffenden Entscheidung an die Beurteilung des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

3. Danach hängen die Entscheidungen in den Streitfällen davon ab, ob das Gerstenmalz, für das Ausfuhrerstattungen gewährt worden sind, von lebenden Schädlingen befallen war. Das FG hat diese Frage auf Grund der Ergebnisse der Probenuntersuchungen und in Anwendung der Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK bejaht. Wird --wie im Streitfall-- nur ein Teil der angemeldeten Waren beschaut, so gelten nach dieser Vorschrift die Ergebnisse dieser Teilbeschau für alle in der Anmeldung bezeichneten Waren.

Mit ihren nachträglichen Einwendungen gegen die Repräsentativität der in Anwesenheit eines ihrer Mitarbeiter gezogenen Proben ist die Klägerin ausgeschlossen, weil die Ausfuhrwaren freigegeben und vermarktet worden sind (vgl. EuGH-Urteil vom 4. März 2004 Rs. C-290/01, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2004, 193).

Soweit die Klägerin nicht nur die Repräsentativität der Proben, sondern auch die Richtigkeit der Beschauergebnisse in Frage stellt, kann es offen bleiben, ob die vom FG vertretene Ansicht zutrifft, wonach die Fiktion der Warenbeschaffenheit gemäß Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK nur durch eine gemäß Unterabs. 2 der Vorschrift zu beantragende zusätzliche Beschau des noch nicht beschauten Teils der Ware widerlegt werden kann, nicht aber durch Sachverständigen- oder Zeugenbeweis. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK ausgeräumt werden kann; denn auf der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen lässt sich nicht die Annahme rechtfertigen, dass der restliche, nicht untersuchte Teil der Ausfuhrsendung frei von lebenden Schädlingen war.

Die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der Ausfuhrerstattungen in den Streitfällen hängt nach alledem von der Rechtsfrage ab, ob Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 ZK Anwendung findet, wenn es darum geht festzustellen, ob eine Ware, für die Ausfuhrerstattung begehrt wird, von handelsüblicher Qualität ist. Der Senat hat diese Frage mit Beschluss vom 22. Juli 2004 VII R 19/03 und 35/03 (BFH/NV 2004, 1557, Aktenzeichen des EuGH: Rs. C-353/04) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hinsichtlich der insoweit bestehenden Zweifel des Senats an der zutreffenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des genannten Beschlusses verwiesen. Der Senat hält es für angezeigt, diese Frage mit den vorliegenden Streitfällen nochmals dem EuGH vorzulegen, da sie in dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 1557 als zweite Frage in Abhängigkeit von der Beantwortung der ersten dortigen Frage steht und da die vorliegenden Streitfälle geeignet sind, dem EuGH eine breitere Entscheidungsgrundlage zu verschaffen.

4. Rechtsgrundlage für die in den Streitfällen jeweils zusätzlich zur Rückforderung der Erstattungsbeträge festgesetzte Sanktion ist Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87. Wird festgestellt, dass der Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Erstattung beantragt hat, wird nach dieser Vorschrift die für die tatsächliche Ausfuhr geschuldete Erstattung vermindert um den halben Unterschied zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr zustehenden Erstattung. Ergibt diese Verminderung einen Negativbetrag, hat der Ausführer nach Unterabs. 4 der Vorschrift diesen Betrag zu zahlen. Sowohl aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 als auch aus Abs. 3 der Erwägungsgründe der VO Nr. 2945/94 ergibt sich, dass diese Sanktion nur zu verhängen ist, wenn der Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Erstattung mit falschen Angaben beantragt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2004 VII R 36/03, BFH/NV 2004, 1427; Senatsurteil vom 26. Februar 2004 VII R 32/03, BFHE 204, 527).

Somit stellt sich im Streitfall die Frage, ob die Klägerin mit ihren Anträgen auf Gewährung von Ausfuhrerstattung falsche Angaben über die Handelsüblichkeit der Ausfuhrwaren gemacht hat, was sich nur bejahen ließe, wenn man annehmen wollte, dass eine solche Erklärung, dass die Ausfuhrware eine gesunde und handelsübliche Qualität aufweist, entweder mit dem nationalen Formular für den Zahlungsantrag (das eine solche vorformulierte Erklärung enthält) ausdrücklich oder mit jedem Antrag auf Ausfuhrerstattung konkludent abgegeben wird.

Der Senat hat auch diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 1427, Aktenzeichen des EuGH: Rs. C-309/04). Ungeachtet der noch nicht geklärten Bedeutung der in einem nationalen Zahlungsantrag gemachten Angaben (vgl. den Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Juli 2003 VII R 61/02, BFHE 203, 235, Aktenzeichen des EuGH: Rs. C-385/03) neigt der Senat --wie bereits in dem Beschluss in BFH/NV 2004, 1427 ausgeführt-- zu der Auffassung, dass in der handelsüblichen Qualität ein warenbezogenes Merkmal zu sehen ist, dessen Vorliegen bei jeder Inanspruchnahme einer Ausfuhrerstattung vom Antragsteller zumindest konkludent erklärt wird. Auch insoweit ist der Senat aus den bereits hinsichtlich der ersten Vorlagefrage genannten Gründen der Ansicht, dass diese Frage dem EuGH mit den vorliegenden Streitfällen noch einmal vorzulegen ist.

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