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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.10.2005
Aktenzeichen: VII R 10/04
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 71 | |
AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 1 |
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) als Haftungsschuldner für einen Betrag von rund 400 000 € in Anspruch genommen worden, weil er einem Mitarbeiter des FA, dem vom Finanzgericht (FG) als Zeugen vernommenen Sachbearbeiter ... (im Folgenden: X), geholfen habe, zu Lasten des FA Gelder zu veruntreuen, indem X für zwei fiktive Steuerpflichtige Steuerkonten errichtete und durch Eingabe entsprechender Daten in die EDV-Anlage des FA bzw. Erstellung entsprechender Eingabewertbögen veranlasste, dass zu deren Gunsten Umsatzsteuererstattungen festgesetzt und von der Finanzkasse ausgezahlt wurden. Der Tatbeitrag des Klägers soll im Wesentlichen darin bestanden haben, für die Errichtung der Bankkonten, auf die die Zahlungen gegangen sind, und deren Verwendung Sorge zu tragen. Der Kläger und X sind aufgrund dieser Vorwürfe wegen Untreue bestraft worden.
Das FG hat die Haftungsbescheide des FA nach dem vom Kläger erfolglos angestrengten Einspruchsverfahren durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 544 veröffentlichte Urteil aufgehoben. Es sieht den Tatbestand einer Steuerhinterziehung in der Person des X als nicht verwirklicht und folglich die Voraussetzungen des § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) im Hinblick auf den Kläger als nicht gegeben an. Für eine Steuerhinterziehung sei nämlich erforderlich, dass der Täter unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber einer Behörde mache, die "durch willentlich handelnde und entscheidende Personen mit menschlichem Leben erfüllt ist"; es reiche daher nicht aus, wenn der Täter lediglich die EDV-Anlage der Behörde manipuliere. Zudem werde in einem solchen Fall lediglich Geld, das der Fiskus im Besteuerungsverfahren eingenommen habe, erbeutet, nicht jedoch würden Steueransprüche verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Im Streitfall seien die Steuerbescheide und die daraufhin vorgenommenen Überweisungen nicht mit Willen der Finanzbehörde erfolgt; denn X habe, obgleich Finanzbeamter, nicht "im Lager der Finanzverwaltung" gestanden, sein Wissen sei dieser nicht zuzurechnen. Sein Verhalten erfülle auch nicht den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA. Das FA meint, X habe eine Steuerhinterziehung sowohl im Festsetzungsverfahren, aber auch im Erhebungsverfahren begangen.
Der Kläger beruft sich zunächst auf die Entstehungsgeschichte des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, aus der sich der Wille des Gesetzgebers ergebe, dass die Vorschrift auf Beamte der Finanzverwaltung nicht anzuwenden sei. Er beruft sich ferner auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Oktober 1999 5 StR 178/99 (BStBl II 1999, 854), nach dem der Tatbestand ausscheide, wenn der zuständige Beamte des FA umfassende Kenntnis von den steuererheblichen Tatsachen habe und ihm die Beweismittel vorlägen.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG, das Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Mangels einer klaren und zusammenhängenden Darstellung des Sachverhalts, den das FG festgestellt hat, von dem es bei seiner Entscheidung ausgegangen ist und an den der erkennende Senat daher nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, bedarf es zunächst einer Ermittlung der für die rechtliche Beurteilung des Senats maßgeblichen Tatsachen. Der als Tatbestand bezeichnete Teil des Urteils des FG ist dafür weitgehend unergiebig, weil er sich in einer umfangreichen reinen Wiedergabe des Akteninhalts erschöpft, die zudem ersichtlich nicht auf die --aus der rechtlichen Sicht des FG-- entscheidungserheblichen Tatsachen beschränkt ist und schon deshalb nicht geeignet ist, in einer für die Anwendung des § 118 Abs. 2 FGO geeigneten Weise Aufschluss darüber zu geben, welchen Sachverhalt das FG festgestellt hat.
Die für eine revisionsrechtliche Prüfung des Streitfalls erforderlichen tatsächlichen Grundlagen lassen sich indes noch hinreichend aus den Ausführungen des FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils erschließen. Danach hat das FG auf der Grundlage des gegen X ergangenen Strafurteils, in welchem er vom Landgericht (LG) Potsdam wegen Untreue verurteilt worden ist, des gegen den Kläger ergangenen Strafurteils des LG Potsdam, in welchem dieser wegen Beihilfe zu den hier maßgeblichen Untreuetaten des X verurteilt worden ist, sowie der von ihm selbst durchgeführten Zeugenvernehmungen folgenden Sachverhalt festgestellt:
Für den ersten vom Verfahren betroffenen Veranlagungszeitraum (1990) ist das FG davon ausgegangen, dass X die Unterschriften bzw. Paraphen seines Sachgebietsleiters gefälscht hat, die erforderlich gewesen sind, um die vorgenannten Zahlungen veranlassen zu können. Die von X für diesen Veranlagungszeitraum vorbereiteten steuerlichen Angaben sind dann durch die Mitarbeiterinnen der Erfassungsstelle des FA in die EDV-Anlage eingegeben und die Erstattungen durch die Buchhalter der Finanzkasse freigegeben worden. Aufgrund der beschränkten Kompetenzen der Mitarbeiter der Erfassungsstelle und der Finanzkasse sind diese allerdings nach der Rechtsauffassung des FG keine für die Willensbildung des FA im Rahmen der Steuerfestsetzung und der Auszahlung der sich daraus ergebenden angeblichen Guthaben "maßgeblichen" Personen gewesen; denn ihre Aufgabe hat einzig und allein darin bestanden, die ihnen vorgelegten Eingabewertbögen zu erfassen, für deren Inhalt allein der Sachbearbeiter (X) und der Sachgebietsleiter verantwortlich gewesen sind. Bei etwaigen Sperrvermerken z.B. aufgrund von Abtretungen, Pfändungen und Rückständen sind diese von der Finanzkasse mit dem Sachbearbeiter abgeklärt worden; eine eigene Prüfung haben die Buchhalter nicht vorgenommen.
Für die Veranlagungszeiträume ab 1991 (in diesem Jahr war beim FA ein sog. Dialogverfahren eingeführt worden) hat X alle für die beabsichtigten Auszahlungen erforderlichen Eingaben in die EDV-Anlage selbst vorgenommen. Er hat dafür Sorge getragen, dass der Sachgebietsleiter und die Umsatzsteuer-Voranmeldungsstelle in die Bearbeitung nicht eingebunden wurden; die vom Computer erstellten Zeichnungsrechtsprotokolle und Prüfhinweise hat er selbst abgezeichnet, wobei er ggf. die Unterschrift des Sachgebietsleiters gefälscht hat. Nach der Beweisaufnahme sei zwar, so meint das FG, nicht auszuschließen, dass die Prüfhinweise von dem Sachgebietsleiter abgezeichnet worden sind; das habe aber nicht festgestellt werden können und gehe zu Lasten des FA. Die Mitarbeiter der Finanzkasse hätten im Übrigen die Vorgänge "normalerweise gar nicht gesehen".
2. Diese Tatsachen sind anders als das FG meint dahin zu würdigen, dass X eine Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) begangen hat.
Nach dieser Vorschrift wird u.a. bestraft, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuervorteile in diesem Sinne sind nach § 370 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 auch Steuervergütungen, die aufgrund eines steuerrechtlich erheblichen Verhaltens von der Finanzverwaltung zu Unrecht gewährt werden.
Nach der Rechtsprechung des BGH, der mit überzeugenden Gründen eine im Schrifttum vertretene und früher auch von der Rechtsprechung geteilte gegenteilige Ansicht aufgegeben hat (dazu BGH-Beschlüsse vom 23. März 1994 5 StR 91/94, BGHSt 40, 109, sowie vom 21. Oktober 1997 5 StR 328/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1998, 589; vgl. auch BGH-Urteil vom 1. Februar 1989 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100), liegt ein Fall der Steuerhinterziehung auch dann vor, wenn --wie im Streitfall-- die Existenz eines Unternehmens vorgetäuscht wird, für das ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden. In dem Beschluss in BGHSt 40, 109 hat der BGH die vom FG aufgegriffene und offenbar für überzeugend erachtete Überlegung mit Recht verworfen, die Anwendung des § 370 AO 1977 scheide in einem solchen Fall aus, weil es an einem "wirklichen" Steuervorgang fehle und bei fingierten Vorgängen das Vermögen des Staates, nicht jedoch dessen Steueranspruch verletzt oder gefährdet werde.
In der Rechtsprechung des BGH ist ferner geklärt, dass die für eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erforderliche und wesentliche objektive kausale Verknüpfung zwischen den unrichtigen Angaben und dem Eintritt der Steuerverkürzung keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim zuständigen Finanzbeamten voraussetzt (anders Hellmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 370 AO 1977 Rdnr. 200, der indes die Kausalität falscher Angaben zu Unrecht mit einer Täuschung gleichsetzt); es genügt vielmehr, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden (u.a. BGH-Urteil in BStBl II 1999, 854). Die Verwandtschaft der Steuerhinterziehung mit dem Betrug (§ 263 des Strafgesetzbuchs --StGB--) mag zwar auf den ersten Blick eine andere Annahme nahe legen; sie kann jedoch nichts daran ändern, dass § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 seinem Wortlaut nach --anders als § 263 StGB-- keine Täuschungshandlung verlangt und dass --wie gerade der Streitfall veranschaulicht-- die Eigentümlichkeiten des steuerlichen Verfahrens u.a. als eines weitreichend arbeitsteiligen und in neuerer Zeit zunehmend automatisierten Massenverfahrens aufgrund der sich daraus ergebenden besonderen Möglichkeiten, den Fiskus zu schädigen, eine Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf Fälle durchaus rechtfertigen können, in denen die menschliche Entscheidungsfreiheit nicht durch Täuschung beeinträchtigt, sondern ohne eine solche eine unrichtige Verwaltung der Steuern bewirkt wird. Dementsprechend hat der BGH in dem Beschluss in HFR 1998, 589 die rechtliche Würdigung einer Tat (auch) als Steuerhinterziehung gebilligt, bei der eine Finanzbeamtin für fünf nicht existente Steuerpflichtige, deren Namen sie erfunden hatte, Steuererklärungen erstellt hatte, die sie datenmäßig erfassen und verarbeiten ließ, so dass, wie von ihr beabsichtigt, aufgrund der fingierten Erklärungen Steuererstattungen festgesetzt und ausbezahlt wurden.
Damit ist nicht nur allen Überlegungen des FG die Grundlage entzogen, ob andere Mitarbeiter des FA die von X zugunsten von ... festgesetzten und später ausgezahlten Umsatzsteuererstattungen zur Kenntnis genommen und für gesetzmäßig gehalten haben und wen für die mangelnde Erweislichkeit dessen die Beweislast trifft, sondern damit ist es auch als von Rechtsirrtum geprägt erkennbar, wenn das FG auf die Finanzbehörde als ein "durch willentlich handelnde und entscheidende Personen mit menschlichem Leben erfülltes" Gebilde abstellt und den Hinterziehungstatbestand nicht für gegeben hält, weil die Mitarbeiter der Finanzkasse nicht die für die "Willensbildung maßgeblichen Personen" seien. Entsprechend dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 war nur zu prüfen, ob die Erstattungen an ... auf unrichtigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen (kausal) beruhen; daran kann kein Zweifel bestehen.
Eine Steuerhinterziehung ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil "den Finanzbehörden", d.h. gegenüber einer Finanzbehörde, keine Angaben gemacht worden wären, sondern die falschen Daten, die zu den Zahlungen an ... geführt haben, von einem Mitarbeiter der Finanzbehörde selbst stammen und möglicherweise von niemandem sonst überhaupt nur zur Kenntnis genommen worden sind. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 setzt entgegen der Ansicht des FG, das dieses offenbar, für den Senat jedoch nicht nachvollziehbar mit § 6 Abs. 1 AO 1977 begründen will, nicht voraus, dass die für die ungerechtfertigten Steuervorteile kausalen Angaben irgendjemandem zur Kenntnis gelangen oder zumindest nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge von einem Mitarbeiter der Finanzbehörde zur Kenntnis genommen zu werden pflegen. So kann nach dem Wortlaut des Gesetzes, aber auch nach seinem Sinn und Zweck nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass eine Steuerhinterziehung auch begangen werden kann, wenn in einem vollautomatisierten (EDV-)Verfahren Steuern aufgrund einer falschen Steueranmeldung in unrichtiger Höhe erhoben werden (ebenso Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 370 AO 1977 Rdnr. 175; anderer Ansicht offenbar Hellmann, a.a.O., Rdnr. 202). Gegenüber einer Finanzbehörde sind Angaben vielmehr schon dann gemacht, wenn sie so in deren steuerliches Verfahren eingespeist werden, dass sie zur Grundlage der Steuerfestsetzung oder Erhebung werden. Die Ermittlungen und Überlegungen des FG und auch der Revision, ob der Sachgebietsleiter des X von den durch X veranlassten Steuerfestsetzungen Kenntnis hatte und welche Vorstellungen die Mitarbeiter des FA bei der Verarbeitung der Eingabewertbögen und in der Finanzkasse sich zu den betreffenden Vorgängen gebildet haben mögen, liegen deshalb neben der Sache.
Zweifelhaft kann die Beurteilung der für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtslage allenfalls deshalb erscheinen, weil sich --was offenbar auch dem FG vorschwebte-- mit dem Begriff der Steuerhinterziehung die Vorstellung einer von außen auf die Einrichtungen der Finanzverwaltung zukommenden Einwirkung auf deren gesetzmäßiges Funktionieren zu verbinden pflegt, wie sie den wohl häufigsten Fall des Verschweigens von Besteuerungstatbeständen in der Steuerklärung kennzeichnet, und deshalb als fraglich erscheinen mag, ob die eigenen Angehörigen der Finanzverwaltung eine Steuerhinterziehung begehen können. Diese Frage ist indes ebenfalls bereits vom BGH mit Recht grundsätzlich bejaht worden.
Allerdings wird im Schrifttum nach wie vor die Ansicht vertreten, dass ein Mitarbeiter des FA keine Steuerhinterziehung begehen könne, solange er in seinem Zuständigkeitsbereich tätig werde (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO 1977 Rz. 16.6b; offenbar auch Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl., § 370 AO 1977 Rz. 194, 199). Die dem zugrunde liegende Differenzierung zwischen zuständigen und nicht zuständigen Mitarbeitern erscheint dem Senat allerdings nicht gerechtfertigt. Richtig daran mag sein, dass die bloße bewusst falsche Bearbeitung eines Vorganges --sei es, dass eine einschlägige Vorschrift nicht angewandt oder falsch ausgelegt wird, sei es, dass unrichtige Angaben des Steuerpflichtigen der Bearbeitung zugrunde gelegt werden-- durch einen für den Fall zuständigen Mitarbeiter --unbeschadet einer unter Umständen vorliegenden Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des Steuerpflichtigen-- unter Umständen keine Steuerhinterziehung ist, weil es an einer Tathandlung fehlt (vgl. Wannemacher, Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Rdnr. 721 ff.); denn der Mitarbeiter dürfte zwar, wenn er den Vorgang abschließt, sinngemäß --und unrichtig-- erklären, ihn nach bestem Wissen und Gewissen geprüft zu haben, worin indes keine Angabe über eine "steuerlich erhebliche Tatsache" i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gesehen werden kann (was insofern freilich auch dann gelten würde, wenn ein unzuständiger Finanzbeamter die betreffende Entscheidung an sich gezogen hat). Im Übrigen hat bereits der BGH darauf hingewiesen, dass die Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO 1977 gerade solche Fälle erfassen, in denen ein Amtsträger bewusst an der Steuerverkürzung eines Steuerpflichtigen mitwirkt, und dass dem Gesetz keine Einschränkung der Strafbarkeit in dem Sinne zu entnehmen sei, dass § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO 1977 nur auf den unzuständigen Amtsträger anwendbar wären, der unter Überschreitung seines Aufgabenbereichs die Steuerfestsetzung vornimmt oder auf den entscheidungsbefugten Beamten einwirkt oder einzuwirken bereit ist, nicht aber auf den zuständigen Amtsträger (BGH-Urteil in BStBl II 1999, 854).
Das kann jedoch letztlich auf sich beruhen, weil sich die Handlungen des X im Streitfall nicht in der falschen Bearbeitung der Vorgänge ... erschöpfen, sondern X in das Verfahren des FA Angaben dieser angeblichen Unternehmer über Tatsachen eingeführt --nämlich in dessen EDV-Anlage eingespeist-- hat bzw. bewirkt hat, dass diese Daten von gutgläubigen Dritten eingespeist werden, die, wenn sie von den Steuerpflichtigen selbst stammten, zweifellos unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen darstellten. Da es, wie nicht zweifelhaft sein kann, für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht darauf ankommt, wer gegenüber der Finanzbehörde solche Angaben macht (statt aller Wannemacher, a.a.O., Rdnr. 720), insbesondere dass dies der Steuerpflichtige selbst tut, fehlt es an einer Tathandlung des X folglich im Streitfall nicht.
Die Tathandlung des X gleicht auch schwerlich, wie das FG meint, dem "Griff" eines Finanzbeamten "in die Kasse". Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn X vom FA verwaltete Gelder veruntreut hätte, ohne dabei ein steuerliches Verfahren zu benutzen, etwa indem er bewerkstelligte, dass zu Lasten des Kontos der Finanzkasse eine Überweisung an einen Nichtberechtigten ausgeführt wird, ohne dass dem eine entsprechende Steuerfestsetzung oder ein sonstiger Vorgang zugrunde liegt, der sich --abgesehen davon, dass er dem Gesetz nicht entspricht-- äußerlich im Rahmen eines Verfahrens hält, das bei dem FA der Steuerfestsetzung und/oder Erhebung dient. Letzteres kennzeichnet aber gerade den Streitfall: X hat keineswegs wie ein Dieb die Kasse des FA geplündert, sondern sich für die Verwirklichung seines Tatplans zunutze gemacht, dass er Steuererstattungen festsetzen, damit ein Erstattungsverfahren in Lauf setzen und bei alledem darauf hoffen konnte, dass die objektiv-rechtlich mangelnde Berechtigung der Zahlungsempfänger wegen der äußeren Ordnungsmäßigkeit dieser Vorgänge --anders als das Tun eines Diebes-- unentdeckt bleiben würde.
Anders als der Kläger meint, fehlt X auch nicht die persönliche Qualifikation des Täters einer Steuerhinterziehung. Der Gesetzgeber hat keineswegs entschieden, dass Finanzbeamte nicht oder nur wenn sie außerhalb ihrer dienstlichen Aufgaben handeln als Täter einer Steuerhinterziehung sollen bestraft werden können, sondern er hat diese Frage offen gelassen. Im Wortlaut der Vorschrift findet sich dementsprechend kein Anhaltspunkt dafür, dass ein mit steuerlichen Veranlagungen betrauter Mitarbeiter des FA keine Steuerhinterziehung begehen könne, wenn er Steuererstattungen zu Unrecht festsetzt. Auch dies ist im Übrigen in der Rechtsprechung des BGH im Ergebnis geklärt (vgl. nur Beschluss in HFR 1998, 589), gegen welche der erkennende Senat nichts zu erinnern hat. Dabei ist belanglos, ob eine solche Steuerfestsetzung einen Verwaltungsakt darstellt oder nur diesen Anschein erweckt, in Wahrheit jedoch ein Nichtakt ist und ob Wissen und/oder Wollen eines solchen Beamten dem FA unter irgendeinem Gesichtspunkt "zugerechnet" oder nicht zugerechnet werden können, der Betreffende etwa, wie das FG meint, mehr "im Lager des Steuerpflichtigen" steht (was übrigens gerade für und nicht gegen die Annahme einer Steuerhinterziehung sprechen würde, wenn man von der, wie dargelegt, verfehlten Willensbildungstheorie des FG absieht, welche im Kern auf die der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade widersprechende Annahme hinausläuft, zum Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO 1977 gehöre eine Täuschung eines Bediensteten der Finanzbehörde). § 370 Abs. 1 AO 1977 verlangt nur, dass unberechtigte Steuervorteile erlangt werden, nicht dass dies aufgrund eines (womöglich wirksamen) Verwaltungsakts (anders anscheinend Rolletschke, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2005, 211) oder mit Wissen und Wollen einer Person geschieht, deren Handeln sich das FA etwa in Anlehnung an die Grundsätze wirksamer Vertretung bzw. des Vollmachtsmissbrauchs zurechnen lassen muss (vgl. Wannemacher, a.a.O., Rdnr. 157, der insofern allerdings den gleichsam umgekehrten Fall erörtert, dass der Steuerpflichtige Steuerhinterziehung begeht und der Finanzbeamte dies erkennt, aber in kollusivem Zusammenwirken mit jenem nicht verhindert). Die sichere und umfassende Kenntnis von dem wirklichen Sachverhalt aufseiten des Finanzbeamten, der die steuerliche Entscheidung trifft, kann allenfalls insofern erheblich sein (vgl. BGH-Urteil vom 19. Dezember 1990 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266), als sie die Kausalität falscher Angaben für die Steuerfestsetzung oder Erhebung in Frage stellen kann. Darum geht es aber im Streitfall nicht; denn die falschen Angaben rühren gerade von demjenigen her, der die Wahrheit kannte, der aber hoffte und auch hoffen konnte, dass es gleichwohl zur Erlangung der unberechtigten Steuervorteile kommen würde, was dann auch geschehen ist.
Hat demnach X eine Steuerhinterziehung begangen, hängt die Rechtmäßigkeit des --aus formell-rechtlichen Gründen nicht zu beanstandenden-- angefochtenen Haftungsbescheides nach § 71 AO 1977 davon ab, ob der Kläger dazu Beihilfe geleistet hat --dass er vom LG wegen Beihilfe (zur Untreue des X) verurteilt worden ist, ist als solches für die Feststellung der Haftungsvoraussetzungen nicht ausreichend-- und ob dem Fiskus dadurch ein noch nicht anderweit ausgeglichener Schaden entstanden ist. Dies wird das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, weshalb die Sache an dieses zurückgehen muss.
Ende der Entscheidung
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