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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: VII R 10/05
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 56 |
Gründe:
I.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat die Revisionsbegründungsfrist versäumt, die durch die Bekanntgabe des Beschlusses des Senats vom 23. Februar 2005 VII B 234/04 über die Zulassung der Revision in Lauf gesetzt worden ist, durch welchen das vorgenannte Beschwerdeverfahren gemäß § 116 Abs. 7 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in das Revisionsverfahren übergeleitet worden ist. Das FA beantragt deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) und trägt dazu vor:
Der Zulassungsbeschluss des Senats und das diesem beigefügte Anschreiben der Geschäftsstelle des Senats seien entgegen § 12 Abs. 14 der Geschäftsordnung der Finanzämter (FAGO) nicht dem Amtsleiter bzw. seinem Vertreter, sondern dem Sachgebietsleiter für Kraftfahrzeugsteuer zugeleitet worden. Dementsprechend sei der Eingangsstempel lediglich mit Blaustift (= Farbe des Sachgebietsleiters i.S. des § 13 Abs. 1 FAGO) abgestrichen worden. Weshalb der von der Geschäftsordnung vorgeschriebene und am FA streng praktizierte Geschäftsgang im Streitfall nicht eingehalten worden sei, habe sich nicht aufklären lassen. Beim üblichen Geschäftsgang hätte der Amtsleiter bzw. sein Vertreter den Termin für die Revisionsbegründung auf dem Schriftstück vermerkt und über die Geschäftsstelle zur Vormerkung und Überwachung des Termins weitergeleitet, so dass die Fristversäumnis vermieden worden wäre.
Der Sachgebietsleiter, der mit dem Streitfall bisher noch nicht befasst gewesen sei, habe nicht erkannt, dass die Frist zur Revisionsbegründung laufe. Er habe deshalb den Vorgang an den Sachbearbeiter zur Ablage weitergegeben. Der Sachgebietsleiter sei "allgemein" als zuverlässig bekannt, so dass ihm kein entscheidender Vorwurf gemacht werden könne, da erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerden beim FA so gut wie unbekannt seien, der Schriftverkehr den entsprechend vorgebildeten Beamten vorbehalten sei und dem Begleitschreiben der Geschäftsstelle nicht zu entnehmen war, dass eine entsprechende Begründungsfrist in Gang gesetzt werde.
Es handele sich nach alledem um einen Ausreißer, der nach den bestehenden Organisationsmaßnamen so gut wie ausgeschlossen sei und nur durch eine nicht mehr im Einzelnen nachvollziehbare Abweichung im Geschäftsgang eingetreten sei.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen und meint, das FA habe sich das Versehen zurechnen zu lassen, dass der Zulassungsbeschluss unmittelbar dem Sachgebietsleiter zugeleitet worden sei; es habe keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen, dass ein solcher Fehler nicht auftreten könne.
II.
Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen, da sie unzulässig ist. Das FA hat die Frist für die Begründung der Revision (§ 120 Abs. 2 FGO) versäumt, ohne dass ihm nach § 56 FGO Wiedereinsetzung gewährt werden kann.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das FA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. statt aller: Urteil des Senats vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters des Finanzamts oder eines von diesem Bevollmächtigten schließt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand deshalb aus (BFH-Entscheidungen vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548, und vom 7. März 1989 VII R 120/87, BFH/NV 1989, 791). Mitarbeiter des Finanzamts, die weder dessen gesetzliche Vertreter noch bevollmächtigt sind, den betreffenden Vorgang zu bearbeiten, sind hingegen nach der Rechtsprechung des BFH als Boten ohne eigene Entscheidungsbefugnis anzusehen; dementsprechend ist dem Finanzamt ein etwaiges Verschulden solcher Personen nicht als ein die Wiedereinsetzung ausschließender Umstand anzurechnen (Entscheidungen des Senats vom 11. Januar 1983 VII R 92/80, BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334; vom 16. März 1989 VII R 82/88, BFHE 156, 79, BStBl II 1989, 569, und in BFH/NV 1993, 6). Das Finanzamt muss bei einem Bearbeitungsfehler solcher Mitarbeiter lediglich glaubhaft machen, dass diese für ihre jeweiligen Aufgaben sorgfältig ausgewählt, angewiesen und überwacht worden sind, wie dies in gleicher Weise von dem vom Steuerpflichtigen bevollmächtigten Rechtsanwalt oder Steuerberater nach ständiger, hier nicht im Einzelnen darzustellender Rechtsprechung, deren Grundsätze sinngemäß auch für die Arbeitsorganisation in einem Finanzamt gelten, verlangt wird, wenn er bei einem Bearbeitungsfehler seiner nach außen hin nicht vertretungsberechtigten Mitarbeiter, insbesondere des Büropersonals, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO erlangen will. Anders als bei einem Bearbeitungsfehler solcher Mitarbeiter kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO bei einem Bearbeitungsfehler des Amtsleiters (Vorsteher) bzw. eines Mitarbeiters, der hinsichtlich des konkreten Vorgangs bevollmächtigt ist, das Finanzamt zu vertreten, nicht gewährt werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Betreffende sorgfältig ausgewählt, angewiesen und überwacht worden ist und sich als zuverlässig erwiesen hat, der ihm im konkreten Fall unterlaufene Fehler also einmalig ist. Denn auch der Steuerpflichtige kann sich, wenn er die Erledigung seiner Rechtsangelegenheiten anderen als seinen Vertretern überlässt, so nicht entschuldigen, sondern deren schuldhafte Bearbeitungsfehler sind ihm vielmehr stets wie eigene zuzurechnen.
Von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehend ergibt sich im Streitfall, dass dem FA Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann, weil ein nicht entschuldigtes Fehlverhalten des Sachgebietsleiters für die Kraftfahrzeugsteuersachen vorliegt und dieser als bevollmächtigt anzusehen ist, das FA in allen (bzw. ggf. den zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörigen) Kraftfahrzeugsteuersachen, und zwar auch in einem Revisionsverfahren, zu vertreten.
Dazu ist Folgendes zu bemerken:
Ein Organisationsverschulden auf Seiten des FA ist entgegen der Ansicht der Klägerin zwar nicht erkennbar. Nach der in Nr. 3.1.1 der hier einschlägigen FAGO vom 3. Januar 2002 (BStBl I 2002, 540), deren Regelung der vom FA angeführten Vorschrift in § 12 Abs. 14 FAGO a.F. entspricht, sind Eingänge über den Vorsteher zu leiten, soweit --was hier nicht der Fall ist-- in der FAGO nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist oder soweit nicht der Vorsteher auf die Vorlage bestimmter Eingänge verzichtet. Es ist vom FA sinngemäß vorgetragen worden und ohne weiteres glaubhaft, dass keine entsprechende Anordnung des Vorstehers besteht, ihm vom BFH eingehende Beschlüsse oder Schreiben der Geschäftsstellen des BFH nicht vorzulegen. Es kann ferner, wenn es auch nicht durch besondere Mittel der Glaubhaftmachung glaubhaft gemacht ist, angenommen werden, dass der Vorsteher des beklagten FA bei Eingang eines Beschlusses des BFH in einem revisionsrechtlichen Verfahren selbst prüfen würde, ob durch diesen eine Frist in Lauf gesetzt wird, und dass er ggf. diese Frist von seiner Geschäftsstelle würde eintragen lassen und ihre Einhaltung selbst überwachen lassen würde. Der beschließende Senat geht von dieser Sachdarstellung der Revision aus. Aus ihr ergibt sich, dass bei dem FA eine an sich geeignete und den rechtlichen Anforderungen genügende Organisation der Erfassung eingehender Schreiben und insbesondere der Prüfung und Wahrung mit ihnen in Lauf gesetzter revisionsrechtlicher Fristen besteht.
Dem Amtsleiter als Vorsteher des beklagten FA fällt im Streitfall offenbar auch kein eigenes Bearbeitungsverschulden zur Last. Denn im Streitfall ist der Vorgang ihm nicht bei Eingang des Revisionszulassungsbeschlusses vorgelegt worden, wie der Senat ebenfalls als richtig unterstellt, obwohl die an sich mögliche und grundsätzlich gebotene Vorlage des Eingangs mit den auf ihm befindlichen Abstrichen unterblieben ist.
Warum der Vorgang entgegen der Weisung der FAGO dem Amtsleiter nicht vorgelegt worden ist, insbesondere welchem Mitarbeiter oder welchen Mitarbeitern dabei nach Lage der Dinge ein Versehen unterlaufen sein muss oder welche nach Lage der Dinge denkbare Sachverhaltsvarianten es dabei überhaupt zu berücksichtigen gilt, wird vom FA nicht dargelegt; dementsprechend fehlt es im Revisionsvortrag auch an einer näheren Darstellung und an einer Glaubhaftmachung, dass die betreffenden Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt, angewiesen und überwacht worden sind. Dies mag indes ebenfalls auf sich beruhen. Der beschließende Senat hält es für nahe liegend, dass der entscheidende Fehler den Mitarbeitern des FA unterlaufen ist, die mit der Sortierung und Verteilung der Eingangspost des FA befasst sind, und dass diese den Zulassungsbeschluss des Senats weisungswidrig nicht dem Amtsleiter, sondern dem für Kraftfahrzeugsteuersachen zuständigen Sachgebietsleiter vorgelegt haben. Wenn unterstellt wird, dass die Betreffenden sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht worden sind, würde deren Fehlverhalten entgegen der Ansicht der Klägerin eine Wiedereinsetzung des FA in den vorigen Stand nach den eingangs dargelegten Grundsätzen nicht ausschließen. Es könnte auch nicht etwa beanstandet werden, dass die Sortierung der Eingangspost --wie es der Fall sein dürfte-- Mitarbeitern des einfachen Dienstes überlassen ist, von denen weder erwartet noch verlangt werden kann, dass sie --wie es das FA ausgedrückt hat-- "die Brisanz" eines Revisionszulassungsbeschlusses des BFH erkennen. Denn wenn sie, wie das FA sinngemäß vorträgt, die Weisung haben, alle eingehende Post mit Ausnahme bestimmt bezeichneter, äußerlich leicht zu erkennender Sachen --z.B. Steuererklärungen (vgl. dazu Nr. 3.1.1 Abs. 2 FAGO)-- dem Vorsteher vorzulegen, und wenn weiter davon auszugehen ist --wie es nahe liegend ist--, dass zu den ausgenommenen Sachen Entscheidungen der Gerichte und insbesondere des BFH nicht gehören, so handelt es sich bei der der Posteingangsstelle überlassenen Aufgabe um eine Erledigung, für die eine besondere Ausbildung oder Unterweisung im Verfahrensrecht nicht erforderlich ist und die daher Mitarbeitern des einfachen Dienstes ohne weiteres übertragen werden kann. Eine Organisation, die Bearbeitungsfehler völlig ausschließt, setzt § 56 FGO nicht voraus; es gäbe sie auch schwerlich, so dass nicht etwa mit der Klägerin vom Auftreten eines Fehlers gleichsam zumindest dem ersten Anschein nach auf eine mangelhafte Organisation des Geschäftsbetriebes geschlossen werden kann.
Gleichwohl ist dem FA die eingetretene Fristversäumnis anzulasten. Neben dem mutmaßlichen Versehen der Posteingangsstelle ist für die Fristversäumnis das Verhalten des Sachgebietsleiters für die Kraftfahrzeugsteuer verantwortlich. Dieser hätte erkennen können, dass der Zulassungsbeschluss des Senats am Amtsleiter vorbeigeleitet worden war; er hätte veranlassen müssen, dass der Beschluss dem Amtsleiter vorgelegt wird, so dass die Revisionsbegründungsfrist dort notiert und überwacht worden wäre. Dass dies ohne Verschulden des betreffenden Sachgebietsleiters unterblieben ist, ist nicht dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Das Fehlverhalten des Sachgebietsleiters schließt eine Wiedereinsetzung des FA aus, weil es sich um eine Kraftfahrzeugsteuersache handelt, also einen Vorgang, welcher der Sache nach in seinen Geschäftsbereich fällt, und der Sachgebietsleiter für solche Vorgänge ungeachtet dessen, was der Amtsleiter sich insoweit selbst zu prüfen und zu erledigen vorbehalten haben mag, als Vertreter des FA anzusehen ist.
Wie eingangs ausgeführt, muss sich ein Finanzamt zwar nicht jedes Tun oder Unterlassen eines Mitarbeiters zurechnen lassen, sondern nur ein solches seiner Vertreter (Amtsleiter und dessen Vertreter) und sonstiger "bevollmächtigter" Mitarbeiter. Der Sachgebietsleiter ist ein solcher bevollmächtigter Mitarbeiter, und zwar auch dann, wenn ihm für die fragliche Erledigung kein Zeichnungsrecht (dazu FAGO 4.3 Abs. 2) eingeräumt ist. Denn er ist nach Nr. 2.3 Abs. 1 Satz 1 FAGO für die rechtzeitige und sachgerechte Erfüllung der Aufgaben in seinem Sachgebiet verantwortlich. Zwar trägt auch der Vorsteher Verantwortung hierfür, welcher er insbesondere durch Ausübung der ihm obliegenden Fach- und Dienstaufsicht nachkommt (Nr. 2.2 Abs. 2 Satz 1 FAGO). Diese Verantwortung verdrängt jedoch nicht diejenige des Sachgebietsleiters, sondern tritt neben sie. Sie ist auch nicht lediglich dienstrechtlicher Natur, sondern wirkt sich in einem Vertretungsrecht nach außen hin aus. Ein Sachgebietsleiter ist daher jedenfalls im Hinblick auf Vorgänge, die der Sache nach in sein Sachgebiet fallen, stets Bevollmächtigter des Finanzamts in dem eingangs erläuterten Sinne, so dass sich das Finanzamt für seine etwaigen schuldhaften Bearbeitungsfehler nicht durch den Nachweis sorgfältiger Auswahl, Einweisung und Überwachung gemäß § 56 FGO entschuldigen kann. Das gilt ungeachtet der bei dem Finanzamt im Einzelnen bestehenden Anordnungen über die Bearbeitung und das Zeichnungsrecht bei bestimmten, z.B. besonders bedeutsamen Vorgängen und unbeschadet dessen, dass solche Anordnungen wie die, dass Revisionssachen vom Amtsleiter überwacht und abschließend gezeichnet werden, u.a. gerade verhindern sollen, dass aufgrund der geringeren Erfahrung oder Rechtskenntnis der dem Amtsleiter nachgeordneten Mitarbeiter eine rechtzeitige und sachgerechte Bearbeitung der Sache unterbleibt. Es gilt also bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch Unachtsamkeit des Sachgebietsleiters auch dann, wenn sich der Amtsleiter vorbehalten hat, den Fristenlauf selbst zu überwachen.
Im Übrigen hat es der BFH schon in seinem Beschluss vom 23. April 1993 III R 73/91 (BFH/NV 1993, 746) als einen die Wiedereinsetzung ausschließenden Umstand angesehen, wenn ein Posteingang, nachdem er nicht dem zuständigen Bearbeiter vorgelegt worden ist, von einem unzuständigen Bearbeiter in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit falsch bearbeitet, z.B. in den Steuerakten abgelegt wird, obwohl eine Frist zu wahren ist. Der BFH hat in der vorgenannten Entscheidung sinngemäß verlangt, dass ein Sachbearbeiter beim Finanzamt --was erst recht für einen Sachgebietsleiter gelten müsste-- erkennt, wenn ihm ein Eingang entgegen den Vorschriften der FAGO als "Irrläufer" vorgelegt wird, und dass er in diesem Fall das betreffende Schriftstück an die Posteingangsstelle zurückleitet. Jedenfalls sei sonst für einen erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag der Vortrag erforderlich, welche Organisations- und Überwachungsmaßnahmen getroffen worden sind, damit Irrläufer auf den richtigen Weg gebracht werden. An einem solchen Vortrag fehlt es auch im Streitfall.
Ende der Entscheidung
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