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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: VII R 10/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1
1. Im massearmen Insolvenzverfahren können Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden.

2. Auch eine Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch, der sich aus anteiliger Verwaltervergütung für den Zeitraum bis zur Feststellung der Masseunzulänglichkeit ergibt, ist nicht zulässig, wenn eine entsprechende Teilvergütung vom Insolvenzgericht nicht festgesetzt worden ist (Fortführung des Urteils vom 1. August 2000 VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat als Insolvenzverwalter in dem über das Vermögen der ... GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren dem Insolvenzgericht im Dezember 2002 die Unzulänglichkeit der von ihm verwalteten Insolvenzmasse angezeigt. 2003 sind zu Lasten der Insolvenzmasse Steuerverbindlichkeiten in Höhe von rd. ... € entstanden (Umsatzsteuer aus der Verwertung einzelner Gegenstände der Insolvenzmasse, Lohnsteuer). Ferner hat die Insolvenzmasse 2004 einen negativen Umsatzsteueranspruch erworben, der aus der Vorsteuer der vom Kläger in Rechnung gestellten Verwaltervergütung herrührt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat mit Erklärung vom 13. Dezember 2004 diese beiden Forderungen miteinander verrechnet und, als der Kläger dies beanstandete, hierüber den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen. Während des dagegen eingeleiteten Einspruchsverfahrens hat der Kläger eine Quote von ... % für die Neumasseverbindlichkeiten ermittelt und seinerseits den Umsatzsteuervergütungsanspruch der Masse mit ihren quotalen Steuerschulden verrechnet, sodass sich zugunsten des FA ein an dieses ausgezahlter Betrag von ... € ergab.

Das Finanzgericht (FG) hat über die gegen den Abrechnungsbescheid erhobene Klage dahin entschieden, dass der Masse ein Vorsteuervergütungsanspruch in Höhe der von dem Kläger in Rechnung gestellten Umsatzsteuer auf seine Verwaltervergütung zustehe. Denn nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO), der nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 3. April 2003 IX ZR 101/02 (BGHZ 154, 358) allgemeiner Meinung im Schrifttum und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der Vorgängervorschrift des § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) sinngemäß anzuwenden sei, wenn ein Massegläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit etwas zur Neumasse schuldig geworden ist, sei die vom FA erklärte Aufrechnung unzulässig.

Gegen dieses in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 353 veröffentlichte Urteil richtet sich die Revision des FA, das sich im Wesentlichen darauf beruft, es fehle in der InsO eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der Aufrechnung im Falle der Masseunzulänglichkeit, welche durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO geschlossen werden könnte.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger tritt der Revision entgegen und trägt im Wesentlichen vor:

§§ 94 ff. InsO seien wegen des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung auch auf das masseunzulängliche Verfahren und insbesondere die weitere Masseunzulänglichkeit (Unzulänglichkeit der Masse zur Befriedigung der Neumassegläubiger) anzuwenden. Das entspreche der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 1. August 2000 VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323) und des BGH (Urteil vom 18. Mai 1995 IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38) zur KO sowie dem einhelligen Schrifttum zur InsO. Die Anwendung der §§ 94 bis 96 InsO im masseinsuffizienten Verfahren sei auch vom Gesetzgeber ursprünglich in § 320 Abs. 2 InsO vorgesehen gewesen, welche Vorschrift erst der Rechtsausschuss gestrichen habe. Der Gesetzgeber habe also die Problematik nicht übersehen und nicht dahin entschieden, dass die Aufrechnungsverbote nicht anzuwenden seien, sondern die Entscheidung über die Anwendbarkeit der §§ 94 ff. InsO der Rechtsprechung übertragen. Eine solche entsprechende Anwendung entspreche dem Gebot der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) und der Einteilung der Insolvenzgläubiger in Gruppen, u.a. in die Gruppe der Neumassegläubiger (Hinweis auf das BGH-Urteil in BGHZ 154, 358). Das für Insolvenzgläubiger bestehende Vollstreckungsverbot des § 87 InsO werde durch das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergänzt und vervollständigt; im nicht masseunzulänglichen Verfahren gelte für den Massegläubiger das Aufrechnungsverbot allerdings nicht, weil für ihn auch kein Vollstreckungsverbot bestehe, das durch eine Aufrechnung umgangen werden könnte. Wenn jedoch der Gesetzgeber zum Schutz der den Neumassegläubigern primär als Haftungsmasse zugewiesenen verbliebenen Insolvenzmasse ein Vollstreckungsverbot errichte, sei eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Verhinderung einer Umgehung dieses Vollstreckungsverbots durch aufrechnende Altmassegläubiger unumgänglich. Für die Situation der weiteren Masseunzulänglichkeit könne nichts anderes gelten. Auf Vertrauensschutz könne sich ein Gläubiger bei nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erworbenen Rechten nicht berufen, ganz abgesehen davon, dass das FA auf das Entstehen der Steuerschulden ohnehin keinen Einfluss gehabt habe.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet.

1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind im Fall der Masseunzulänglichkeit die insolvenzrechtlichen Vorschriften, die für die Verteilung des Vermögens im Allgemeinen einen Interessenausgleich zwischen der durch die Aufrechnungslage gebildeten Sicherung des Insolvenzgläubigers einerseits sowie dem Gebot der gleichmäßigen Gläubigerbehandlung andererseits schaffen, sinngemäß anzuwenden. Die entsprechende Anwendung bedeutet u.a., dass Massegläubiger mit ihren Altforderungen gegen die Masse weiterhin gegen solche Ansprüche der Masse wirksam aufrechnen können, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden sind; dagegen ist die Aufrechnung von Altforderungen gegen Neuansprüche der Masse, die erst nach dieser Anzeige begründet worden sind, unzulässig. Ebenso können Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden. Denn die Möglichkeit einer solchen Aufrechnung würde ebenso wie Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen die von der InsO vorgegebene Verteilung der verbleibenden Masse, insbesondere den verfassungsrechtlich gebotenen Vorrang der Verwaltervergütung im massearmen Verfahren (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1993 1 BvR 1045/89 u.a., BVerfGE 88, 145, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 2861, und vom 24. Juni 1993 1 BvR 338/91, NJW 1993, 3129) unterlaufen.

Der erkennende Senat hat sich mit dieser Rechtsauslegung bereits unter der Geltung der früheren KO der dazu ergangenen Rechtsprechung des BGH (Urteil in BGHZ 130, 38) angeschlossen (Senatsurteil in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323); seine eben dargestellten Erwägungen haben auch bei Anwendung der InsO die gleiche Berechtigung wie zuvor. Die Rechtslage wird im Übrigen vom BGH (Urteil in BGHZ 154, 358) und auch im Schrifttum, wie bereits das FG im Einzelnen nachgewiesen hat, nicht anders beurteilt (vgl. zuletzt MünchKommInsO/Brandes, 2. Aufl., § 94 Rz 46 und § 96 Rz 20).

Die dagegen vom FA erhobenen Einwände vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Das Schweigen des Gesetzes zu Aufrechnungsverboten im masseunzulänglichen Konkurs kann schon deshalb nicht als eine Regelung dahin angesehen werden, dem Neumassegläubiger sei (zwar eine Vollstreckung, aber) eine Aufrechnung nicht verwehrt, weil die Entstehungsgeschichte der in diesem Zusammenhang interessierenden Vorschriften der InsO, wie der Kläger mit Recht in Erinnerung gerufen hat, eher darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber die Rechtslage aufgrund der allgemeinen, das Insolvenzverfahren prägenden Grundsätze als klar ansah und angesichts der dazu im Rahmen der KO bereits ergangenen, auf die InsO, wie eben dargelegt, in der Tat ohne Weiteres übertragbaren Rechtsprechung eine gesetzliche Regelung für überflüssig hielt.

Auch aus § 210 oder § 294 Abs. 3 InsO lässt sich für die Ansicht des FA, die Aufrechnung sei zulässig, nichts Entscheidendes gewinnen. Was das Erste angeht, hat das FG dazu unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH das Erforderliche ausgeführt; es bedarf keiner Wiederholung. Die nicht auch § 96 InsO umfassende Verweisung des § 294 Abs. 3 InsO, aufgrund derer eine Aufrechung mit Neumasseschulden in der sog. Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens zulässig ist, gestattet nicht die Schlussfolgerung, auch im masseunzulänglichen Insolvenzverfahren fehle es an einem entsprechenden Aufrechnungsverbot. Nach dem Urteil des BGH vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04 (BGHZ 163, 391), auf das der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 21. November 2006 VII R 1/06 (BFHE 216, 1) Bezug genommen hat, schränkt § 294 Abs. 3 InsO vielmehr die Aufrechnungsbefugnis im Restschuldbefreiungsverfahren lediglich (gleichsam punktuell) ein; im Übrigen bleibt jedoch die Aufrechnungsbefugnis der ehemaligen Insolvenzgläubiger unberührt, da sich ein Aufrechnungsverbot --jedenfalls für den Bereich der Insolvenzordnung-- insbesondere nicht aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO herleiten lässt. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern sich aus diesem eingeschränkten Schutz der im Insolvenzverfahren unbefriedigt gebliebenen Gläubiger gegenüber solchen Gläubigern, die ihre Forderungen durch Aufrechnung durchsetzen können, etwas dafür herleiten lässt, dass Massegläubigern bereits vor Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Verteilung der Insolvenzmasse eine Aufrechnungsbefugnis ungeachtet der Voraussetzungen der §§ 94 ff. InsO zustehe und ihnen damit die Möglichkeit eingeräumt sei, die für die Verteilung der Masse bestehenden Rechtsregeln zu unterlaufen.

Da nach dem mithin hier anzuwendenden § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens --was hier zu lesen ist als: nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit-- etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, und dies bei der Verpflichtung des FA zur Vergütung von Umsatzsteuer 2004 der Fall ist, war der angefochtene Abrechnungsbescheid, der eine solche Aufrechnung als wirksam behandelt hat, aufzuheben, wie es das FG getan hat.

2. Nach der Rechtsprechung des Senats wird das FA i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Umsatzsteuer allerdings in dem Zeitpunkt schuldig, in welchem für das Unternehmen des Insolvenzschuldners eine zum Vorsteuerausgleich berechtigende Leistung erbracht wird. Unbeschadet dazu fehlenden Vortrags der Beteiligten erscheint es im Streitfall naheliegend, dass der strittige Vorsteuervergütungsanspruch teilweise auf Leistungen beruht, die dem Unternehmen des Insolvenzschuldners von dem Insolvenzverwalter vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erbracht worden sind. Gleichwohl wird der Vorsteuervergütungsanspruch von dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO in vollem Umfang erfasst; er kann nicht aufgeteilt werden nach Maßgabe der vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit und der danach erbrachten Leistungen des Insolvenzverwalters. Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323, dessen Erwägungen auch unter dem neuen Insolvenzrecht Geltung haben, entschieden hat, ist eine Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch, der sich aus der anteiligen Verwaltervergütung für den Zeitraum bis zur Feststellung der Masseunzulänglichkeit ergibt, (jedenfalls dann) nicht zulässig, wenn der Verwalter seinen sich bis zu diesem Zeitpunkt ergebenden Vergütungsanspruch nicht abgerechnet hat und das Bestehen eines derartigen Vorsteuerguthabens als Altforderung der Masse im massearmen Konkurs nicht festgestellt worden ist. Dass eine Abrechnung von Teilleistungen im Streitfall vorgenommen und eine entsprechende Vergütung vom Insolvenzgericht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung festgesetzt worden ist, hat das FG nicht festgestellt und das FA auch nicht behauptet. Auch eine Zurückverweisung der Sache an das FG, um dem FA die Möglichkeit zu geben, die Aufteilung der Vergütungsfestsetzung durch das Insolvenzgericht nachträglich zu erwirken, kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).

Ende der Entscheidung

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