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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.10.1998
Aktenzeichen: VII R 14/98
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 127
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 2
UStG § 21 Abs. 2
ZPO § 294
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Speditionsunternehmen. Sie beantragte als Inhaberin des Carnet TIR Nr. ... durch den mit der Durchführung des Transports beauftragten LKW-Fahrer am 2. Juni 1994 beim Zollamt (ZA) die Abfertigung von Butter zum externen Versandverfahren. Das ZA entsprach dem Antrag und setzte eine Frist für die Wiedergestellung der Sendung bei der Bestimmungszollstelle X (Spanien) bis zum 9. Juni 1994. Da von der Bestimmungszollstelle keine Rückmeldung über die Wiedergestellung der Sendung erfolgte, fragte der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) bei der Bestimmungszollstelle mit einer Suchanzeige (Formblatt TC 20) vom 10. November 1994 nach dem Verbleib der Sendung, erhielt darauf aber keine Antwort. Zugleich unterrichtete das HZA den bürgenden Verband. Mit Schreiben vom 23. Dezember 1994 (aufgegeben zur Post am 4. Januar 1995) unterrichtete das HZA die Klägerin darüber, daß die Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt worden sei und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden könne. Außerdem setzte das HZA der Klägerin eine Frist von drei Monaten, innerhalb derer sie die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachweisen könne. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist gelte die Zuwiderhandlung als in Deutschland begangen. Mit Schreiben vom 9. Januar 1995 teilte der bürgende Verband dem HZA unter Vorlage einer Kopie des Stammabschnitts des Carnet TIR mit, daß die Sendung der Bestimmungszollstelle bestimmungsgemäß gestellt worden sei.

Das HZA richtete nunmehr ein Nachprüfungsersuchen (Formblatt TC 21) an die Bestimmungszollstelle. Darauf teilte die Bestimmungszollstelle durch Ankreuzen des entsprechenden Feldes auf dem Formblatt mit: "der Dienststempelabdruck scheint falsch oder verfälscht zu sein". Außerdem wurde durch Schreiben der spanischen Zollbehörde vom 8. August 1995 mitgeteilt, daß das Carnet TIR einen falschen Stempelabdruck trägt.

Bereits vor Eingang der Antworten der spanischen Behörden erließ das HZA im Mai 1995 einen Steuerbescheid über Einfuhrabgaben (Abschöpfung, Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt ... DM gegen die Klägerin. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen diesen Bescheid legte die Klägerin (mit Schreiben vom 31. August 1995) die Kopie eines CMR-Frachtbriefes vor, auf dem im Feld 24 eine Empfangsbestätigung mit der Bezeichnung N.N. eingestempelt ist. Die Klägerin führte aus, daß die Fracht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Auftraggeber sei die Fa. A GmbH in Polen gewesen. Die Ware sei von der Fa. N.N. in X (Spanien) abgenommen worden. Das könne der Fahrer bestätigen; hierfür bezog sich die Klägerin auf eine Erklärung des Fahrers, die sie dem HZA mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 (Eingang beim HZA am 21. Dezember 1995) ebenfalls zusandte. Ihr sei nicht bekannt gewesen, daß der spanische Empfänger nicht existiert haben solle und daß die Stempel des spanischen ZA gefälscht sein könnten. Es sei in Polen ein Strafverfahren wegen Warenschmuggels eingeleitet worden, das sich aber nicht gegen sie richte. Die Klägerin habe mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt.

Der Einspruch der Klägerin war erfolglos. Die gegen die Verwaltungsentscheidungen gerichtete Klage hielt das Finanzgericht (FG) jedoch für begründet, weil das HZA für den Erlaß des Steuerbescheids nicht zuständig geworden sei. Die Klägerin sei zwar nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (VO Nr. 2913/92) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1992 Nr. L 302/1) Schuldnerin der Abgaben geworden, weil die Sendung der Bestimmungszollstelle in X (Spanien) nicht ordnungsgemäß wiedergestellt und damit eine der Klägerin als Inhaberin des Carnet TIR obliegende Pflicht verletzt worden sei. Das HZA sei aber für den Erlaß des Steuerbescheides nicht zuständig gewesen, weil die Klägerin fristgemäß den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung in X (Spanien) "glaubhaft nachgewiesen" habe. Für den glaubhaften Nachweis sei grundsätzlich auch ein Zeugenbeweis und ggf. eine Parteivernehmung geeignet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß der als Zeuge vernommene LKW-Fahrer die Ware nach X (Spanien) gebracht und keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dort vorgetäuschten Zollabwicklung gehabt habe oder hätte haben müssen. Auch die Befragung des Geschäftsführers der Klägerin habe keine Verdachtsmomente für ein unredliches Verhalten ergeben. Nach Überzeugung des Gerichts seien die Waren in einem Vorort von X (Spanien) der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, so daß der Ort der Zuwiderhandlung dort als nachgewiesen anzusehen sei.

Der Aufhebung des damit rechtswidrigen Steuerbescheides stehe das in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (VO Nr. 2454/93) der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 2. Juli 1993 (ABlEG 1993 Nr. L 253/1) geregelte besondere Erstattungsverfahren nicht entgegen.

Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung von materiellem Bundesrecht. Das FG sei durch das in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 VO Nr. 2454/93 geregelte Erstattungsverfahren gehindert gewesen, den Steuerbescheid aufzuheben. Außerdem sei die Frist für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung bereits abgelaufen gewesen und hätten die Beweismittel nicht den Anforderungen eines glaubhaften Nachweises genügt. Schließlich habe das FG zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 127 der Abgabenordnung (AO 1977) verneint.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie führt im einzelnen aus, weshalb sie die Revision für unbegründet und die Vorentscheidung für richtig hält. Sie macht ausdrücklich darauf aufmerksam, daß sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen zum Nachweis dafür, daß die Sendung nach X (Spanien) befördert worden sei, im Original vorgelegt habe.

II. Bei der Entscheidung über die Revision sind Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten, deren Auslegung dem Senat nicht offenkundig erscheint. Der Senat ist mithin verpflichtet, zu deren Auslegung eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Gerichtshof) einzuholen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft). Außer den dem Gerichtshof mit dem Beschluß des Senats vom 7. Juli 1998 VII R 108/97 (ZfZ 1998, 341) bereits zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen stellt sich in diesem Verfahren auch die Vorfrage nach der Frist, innerhalb derer die Klägerin den Nachweis über den die Zuständigkeit des Mitgliedstaats für die Erhebung der Abgaben entscheidenden tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung führen kann.

1. Die Klägerin ist als Inhaberin des Carnet TIR, mit dem die Butter zum externen Versandverfahren in der Gemeinschaft abgefertigt worden ist, Abgabenschuldnerin für die auf der Butter ruhenden Abgaben geworden. Das FG hat dies aus Art. 204 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 204 Abs. 3 VO Nr. 2913/92 entnommen, weil die Klägerin die ihr obliegende Pflicht zur Wiedergestellung der Sendung bei der Bestimmungszollstelle und damit eine nach dem TIR-Verfahren wesentliche Pflicht nicht erfüllt hat (Art. 92 VO Nr. 2913/92 i.V.m. Art. 28 des TIR-Übereinkommens vom 14. November 1975, ABlEG 1978 Nr. L 252/1). Obwohl das FG im Streitfall nicht nur die bloße Verletzung einer im Versandverfahren bestehenden Pflicht, sondern auch die Entziehung der zum Versandverfahren abgefertigten Sendung aus der zollamtlichen Überwachung festgestellt hat, braucht nach Auffassung des Senats nicht abschließend entschieden zu werden, in welchem Verhältnis die entsprechenden Vorschriften des Art. 204 und des Art. 203 VO Nr. 2913/92 zueinander stehen, d.h. ob sie einander ausschließen und bejahendenfalls, welcher Tatbestand Vorrang hat, oder ob sie kumulativ anzuwenden sind. Diese Frage hätte nur dann Bedeutung, wenn unter Umständen die "es sei denn-Regelung" (Art. 204 Abs. 1 2. Halbsatz VO Nr. 2913/92) in Betracht zu ziehen wäre, wofür hier allerdings keine Anhaltspunkte bestehen. Diese Überlegungen gelten nicht nur für die gemeinschaftsrechtliche Abschöpfung, sondern auch für die nationale Einfuhrumsatzsteuer, weil § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes insoweit die sinngemäße Anwendung des Zollrechts vorschreibt.

2. Die im Streitfall umstrittene Zuständigkeit des HZA für die Erhebung der Einfuhrabgaben richtet sich nach dem Ort, an dem die Zollschuld entsteht. Die allgemeine Regelung darüber enthält Art. 215 VO Nr. 2913/92, der indes für das TIR-Verfahren durch die Art. 454 und Art. 455 VO Nr. 2454/93 modifiziert worden ist. Grundsätzlich ist nach Art. 454 und Art. 455 VO Nr. 2454/93 der Mitgliedstaat für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig, der auf seinem Gebiet eine Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem TIR-Verfahren feststellt. Kann im Falle der Nichterledigung eines TIR-Verfahrens nicht festgestellt werden, in welchem Gebiet (Mitgliedstaat) die Zuwiderhandlung begangen ist, so gilt sie als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt worden ist. Das ist der Mitgliedstaat, der die Zuwiderhandlung --unabhängig davon, wo sie begangen wurde-- festgestellt hat, es sei denn, der Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, wird den Zollbehörden innerhalb der gemäß Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 vorgeschriebenen Frist glaubhaft nachgewiesen (Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93).

a) Wie das FG für das Revisionsverfahren bindend festgestellt hat, unterrichtete das HZA die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 1994 davon, daß der Ort der Zuwiderhandlung nicht habe ermittelt werden können. Außerdem wurde ihr eine Frist von drei Monaten für den Nachweis der ordnungsgemäßen Erledigung des Verfahrens oder des Nachweises des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung gesetzt. Nach den insoweit geltenden nationalen Vorschriften begann die gesetzte Frist mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an die Klägerin (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) und endete danach am 4. Mai 1995. Nachdem sich die Klägerin innerhalb dieser Frist nicht geäußert hatte, erließ das HZA am 18. Mai 1995 den angefochtenen Steuerbescheid.

Die Klägerin meint, ihr hätte nach Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 statt der gesetzten Dreimonatsfrist eine solche von einem Jahr (wohl beginnend mit dem Tag der Bekanntgabe der Mitteilung, daß der Ort der Zuwiderhandlung nicht festgestellt werden könne) zugestanden. Diese Auffassung teilt auch das FG und hat deshalb die von der Klägerin innerhalb dieser Frist angebotenen Nachweise daraufhin überprüft, ob mit ihnen der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung glaubhaft nachgewiesen worden ist.

Wäre dagegen die vom HZA gesetzte Frist von drei Monaten maßgebend und müßte sie als Ausschlußfrist angesehen werden, so hätte es keiner Überprüfung der von der Klägerin angebotenen Nachweise bedurft, weil die Klägerin diese erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist vorgelegt hat und sie deshalb für die Bestimmung des für die Abgabenerhebung zuständigen Mitgliedstaats im Rahmen des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 unbeachtlich wären. Der Abgabenbescheid wäre in diesem Fall vom HZA als der zuständigen Behörde des für die Abgabenerhebung zuständigen Mitgliedstaats erlassen worden und deshalb jedenfalls nicht --wie von der Klägerin geltend gemacht-- wegen Unzuständigkeit des HZA rechtswidrig.

Nach Auffassung des Senats sind die maßgebenden Vorschriften insoweit nicht klar. Ihre Auslegung ist aber entscheidungserheblich, weil davon abhängt, ob die von der Klägerin vorgelegten Nachweise für den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung überhaupt zu berücksichtigen sind.

Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 verweist für die Nachweisfrist sowohl hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens als auch bezüglich des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung auf Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen. Dort ist aber nur geregelt, daß die Frist für die Mitteilung der Nichterledigung des Carnet-TIR an den bürgenden Verband ein Jahr bzw. zwei Jahre nach Annahme des Carnet TIR durch die Zollbehörden beträgt. Es handelt sich hierbei um eine Frist deren Einhaltung den Zollbehörden obliegt, während es in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 um eine Frist geht, die vom Abgabenschuldner zu beachten ist. Schon deshalb ist es zweifelhaft, ob die Frist des Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen tatsächlich auch für den Nachweis des tatsächlichen Orts einer Zuwiderhandlung gilt. Diese Zweifel werden verstärkt, weil die Frist nach Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen nicht mit einer Mitteilung der Zollbehörde, sondern mit der Annahme des Carnet TIR beginnt, während nach dem Sinn des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 die dort vorgesehene Frist vernünftigerweise mit der Mitteilung, daß der Ort der Zuwiderhandlung nicht festgestellt werden kann, beginnen müßte.

Hinzu kommt, daß nach Art. 455 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 der Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung der Beförderung mit Carnet TIR i.S. des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 innerhalb der nach Art. 11 Abs. 2 TIR-Übereinkommen vorgeschriebenen Frist zu erbringen ist, was im Widerspruch zum Wortlaut des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 zu stehen scheint, wonach für diesen Nachweis ausdrücklich die Frist nach Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93, der auf Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen verweist, vorgeschrieben ist. Abgesehen davon, daß die in Art. 455 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 vorgeschriebene Frist nach dem Wortlaut der Vorschrift ohnehin nicht für den Nachweis des Orts der tatsächlichen Zuwiderhandlung gelten würde, läßt sich auch aus Art. 11 Abs. 2 TIR-Übereinkommen, auf den in dieser Vorschrift verwiesen wird, keine für eine Zuständigkeitsregelung brauchbare Frist entnehmen, weil darin bereits der Erlaß eines Abgabenbescheids von einer zuständigen Behörde vorausgesetzt wird.

Für den Fall des Nachweises der ordnungsgemäßen Durchführung der Beförderung haben die Mitgliedstaaten nach Mitteilung des HZA untereinander abgesprochen, daß die entsprechende Nachweisfrist drei Monate betragen soll. Diese Frist soll nach einem Schreiben der Europäischen Kommission vom 16. März 1998 an das Bundesministerium der Finanzen, welches das HZA vorgelegt hat, auch für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung gelten. Diese Verfahrensweise entspräche im übrigen der Regelung für das gemeinschaftliche Versandverfahren nach Art. 378 Abs. 1, Art. 379 VO Nr. 2454/93. Der Senat sieht jedoch nicht, wie sich diese --unter Gesichtspunkten der Praktikabilität an sich wünschenswerte-- Auslegung der Kommission aus den für das TIR-Verfahren maßgebenden Vorschriften herleiten oder damit vereinbaren läßt.

b) Für den Fall, daß die Klägerin den Nachweis (Erklärung des LKW-Fahrers, auf die die Klägerin in ihrem Schreiben vom 19. Dezember 1995 Bezug nahm) rechtzeitig erbracht haben sollte, ist ferner zweifelhaft, ob er für einen glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung ausreichen kann. Das FG hat dies, der Klägerin folgend, bejaht, während das HZA dies bestreitet.

Wie der Senat in seinem Vorabentscheidungsersuchen in ZfZ 1998, 341 bereits ausgeführt hat, reicht seiner Meinung nach eine bloße Glaubhaftmachung im Sinne des deutschen Zivilprozeßrechts (§ 294 der Zivilprozeßordnung) für den geforderten Nachweis nicht aus, die darin besteht, daß der Behörde der Eindruck der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsache vermittelt wird. Vielmehr wird durch die Verwendung des Wortes "glaubhaft" im Zusammenhang mit dem Wort "nachweisen" betont, daß die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß die behauptete Tatsache zutrifft, der Behörde zu vermitteln ist. Das ergibt sich auch aus einem Vergleich des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 mit der entsprechenden Vorschrift für das gemeinschaftliche Versandverfahren in Art. 378 Abs. 1 VO Nr. 2454/93, in der das Wort "glaubhaft" in bezug auf den zu erbringenden Nachweis fehlt. Es ist nicht anzunehmen, daß der Verordnungsgeber im TIR-Verfahren im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Versandverfahren einen geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit des ggf. nachzuweisenden tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung als ausreichend hinnehmen wollte, vielmehr wird in beiden Fällen der volle Nachweis des Orts verlangt, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Darüber hinaus neigt der Senat zu der Auffassung, daß nicht alle Beweismittel für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung taugen können.

Zwar sind die Beweismittel, die zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung zugelassen sind, nicht normiert, wie dies durch Art. 455 Abs. 3 VO Nr. 2454/93 für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung der Beförderung mit Carnet TIR geschehen ist. Somit wären nach dem Wortlaut der Vorschrift an sich alle Beweismittel zugelassen, aus denen sich die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ergibt, daß die Zuwiderhandlung an einem bestimmten Ort stattgefunden hat.

Da der Nachweis jedoch nicht nur der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erhebung von im Falle einer Zuwiderhandlung ohnehin in jedem in Betracht kommenden Mitgliedstaat nach den selben gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften entstandenen gemeinschaftsrechtlichen Einfuhrabgaben dient, sondern davon auch die Entstehung unterschiedlicher nationaler Einfuhrabgaben abhängt, hat der Senat schon deshalb Bedenken, ob Aussagen des LKW-Fahrers, der den Transport durchgeführt hat, überhaupt ausreichen können. Denn im Falle des Beweises durch Zeugen kommt es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der vernommenen Personen an, die im wesentlichen nach dem subjektiven Eindruck desjenigen beurteilt wird, dem der Nachweis zu erbringen ist. Die darauf beruhende Beweiswürdigung entzieht sich weitgehend einer objektiven rechtlichen Überprüfung.

Gleiches dürfte allgemein auch für Dokumente gelten, aus denen sich wie aus den von der Klägerin im weiteren Verlauf des Verfahrens vorgelegten Dokumenten (CMR-Frachtbrief, Tankrechnungen, Belege über bezahlte Autobahngebühren) allenfalls mittelbar im Wege des Indizienbeweises durch subjektive Würdigung auf den wahrscheinlichen, tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung schließen läßt.

Zu berücksichtigen ist auch, daß die Erhebung der im Falle einer Zuwiderhandlung entstandenen Einfuhrabgaben soweit wie irgend möglich sicherzustellen ist. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn der Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nicht nur für den Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung ursprünglich festgestellt wurde, sondern auch für den Mitgliedstaat verbindlich ist, in dem der Ort der Zuwiderhandlung tatsächlich liegen soll. Nur dann ist die Zuständigkeitsfrage für alle in Betracht kommenden Beteiligten eindeutig geklärt.

Daher hält es der Senat für naheliegend, den Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung dadurch zu objektivieren, daß nach Sinn und Zweck der Vorschrift ähnlich wie im Falle von Art. 455 Abs. 3 VO Nr. 2454/93 nur bestimmte Beweismittel zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung als tauglich angesehen werden. Solche Beweismittel könnten Urkunden sein, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die dafür zuständigen Stellen eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit der Beförderung mit dem betreffenden Carnet TIR tatsächlich auf ihrem Gebiet begangen worden ist. Denn nur im Falle einer solchen positiven Feststellung wäre der Mitgliedstaat, der diese Feststellung getroffen hat, nach Art. 454 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 für die Erhebung der Zölle und anderen ggf. zu entrichtenden Abgaben zuständig und gegenüber der Gemeinschaft für die Erhebung der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft verantwortlich.

c) Wäre im Streitfall der Nachweis für den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nicht rechtzeitig erbracht worden oder wären die mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 vorgelegte Erklärung des LKW-Fahrers und die daraufhin durchgeführte Beweisaufnahme durch das FG keine tauglichen Mittel zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung, so wären die Vorentscheidung aufzuheben und die Verwaltungsentscheidungen zu bestätigen, weil in diesem Fall die in Betracht kommenden Abgaben von dem nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 2454/93 zuständigen Mitgliedstaat erhoben worden wären.

Wäre der Nachweis dagegen rechtzeitig erbracht worden und als ausreichend anzusehen, hätte ein dafür nicht zuständiger Mitgliedstaat die gemeinschaftsrechtlichen Einfuhrabgaben und seine nationalen Einfuhrabgaben erhoben, mit der Folge, daß der Abgabenbescheid des HZA rechtswidrig und damit aufzuheben wäre.

Die Abgaben könnten damit in Deutschland nicht erhoben werden, sondern müßten in Spanien nach den gemeinschaftlichen und dortigen innerstaatlichen Vorschriften erhoben werden. In diesem Fall würde sich in Spanien im Hinblick auf die wegen der Durchführung dieses Verfahrens bereits abgelaufene Zeit die Frage stellen, ob der Abgabenerhebung nicht bereits die Festsetzungsverjährung nach Art. 221 Abs. 3 VO Nr. 2913/92 entgegensteht.

Zu diesem Ergebnis käme es nicht, wenn Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 über ihren Wortlaut hinaus nach Sinn und Zweck dahin auszulegen wären, daß auch ein Steuerbescheid, der von der Zollstelle eines nach Art. 454 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 unzuständigen Mitgliedstaats erlassen wurde, nicht als rechtswidrig aufzuheben ist, sondern Bestand hat und ggf. der nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 vorgesehene Ausgleich durchzuführen ist.

Der Senat hat allerdings --wie er bereits in seinem schon erwähnten Vorabentscheidungsersuchen in ZfZ 1998, 341 ausgeführt hat-- gegen diese weite Auslegung der genannten Bestimmungen erhebliche Bedenken. Seiner Meinung nach können sie nur eingreifen, wenn die Abgaben in Übereinstimmung mit Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 2454/93 erhoben wurden und "später" festgestellt wird, in welchem Mitgliedstaat die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Unter Berücksichtigung der zuvor geschilderten Konsequenzen, insbesondere des Umstandes, daß in diesem Fall nach Abschluß des Verfahrens möglicherweise auch die gemeinschaftseigenen Einfuhrabgaben nicht mehr erhoben werden könnten, obwohl sie materiell unabhängig von der Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats für ihre Erhebung entstehen, stellt sich auch in diesem Verfahren die Frage nach der Auslegung des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93.

3. Wegen der zuvor geschilderten Zweifel an der Auslegung der genannten Vorschriften (Art. 454 und Art. 455 VO Nr. 2454/93), hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist es mit Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1, Art. 455 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 2. Juli 1993 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1993 Nr. L 253/1) zu vereinbaren, wenn im Falle einer Nichtwiedergestellung der zum externen Versandverfahren mit Carnet TIR abgefertigten Sendung die Zollbehörde des Abgangsmitgliedstaats dem Carnet-Inhaber eine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung von drei Monaten setzt, mit der Folge, daß später vorgelegte Nachweise die Zuständigkeit des Abgangsmitgliedstaats für die Abgabenerhebung unberührt lassen?

Für den Fall der Verneinung vorstehender Frage: Innerhalb welcher Frist kann der Carnet-Inhaber den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachweisen?

2. Sofern die Beantwortung der unter Ziffer 1 gestellten Fragen zu dem Ergebnis führt, daß der Carnet-Inhaber die Frist zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung nicht versäumt hat:

Welche Anforderungen sind an den glaubhaften Nachweis des Ortes zu stellen, an dem die Zuwiderhandlung im Verlauf der Beförderung einer Sendung mit Carnet TIR tatsächlich begangen wurde (Art. 455 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93)? Können für den Nachweis die Aussage des Carnet-Inhabers und das Zeugnis des LKW-Fahrers ausreichen, der den Transport für den Carnet-Inhaber durchgeführt hat, oder kann der Nachweis nur durch Urkunden geführt werden, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde?

3. Für den Fall, daß der Gerichtshof den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung als rechtzeitig ansieht und den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung in der beschriebenen Art und Weise für möglich hält:

Sind Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 dahin auszulegen, daß sie auch in einem Fall anzuwenden sind, in dem die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die uwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl innerhalb der dafür nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1, Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 vorgeschrieben Frist glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag?

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