Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 05.12.2000
Aktenzeichen: VII R 18/00
Rechtsgebiete: StBerG, EG, EGV, Richtlinie 76/207/EWG, GG, Arbeitsplatzschutzgesetz, BErzGG, ZDG


Vorschriften:

StBerG § 36 Abs. 2 Nr. 1
EG Art. 141
EGV Art. 119
Richtlinie 76/207/EWG Art. 3
GG Art. 3 Abs. 2 und 3
GG Art. 6 Abs. 4
Arbeitsplatzschutzgesetz § 13 Abs. 1
BErzGG § 15
ZDG § 78 Abs. 1
BUNDESFINANZHOF

Es verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtlich geregelte Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts und den grundgesetzlich geregelten Gleichberechtigungsgrundsatz, dass der Erziehungsurlaub nach dem BErzGG nicht auf die Dauer der für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung nachzuweisenden berufspraktischen Tätigkeit angerechnet wird.

StBerG § 36 Abs. 2 Nr. 1 EG Art. 141 EGV Art. 119 Richtlinie 76/207/EWG Art. 3 GG Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 6 Abs. 4 Arbeitsplatzschutzgesetz § 13 Abs. 1 BErzGG § 15 ZDG § 78 Abs. 1

Urteil vom 5. Dezember 2000 - II R 18/00 -

Vorinstanz: FG Köln (EFG 2000, 514)


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine ausgebildete Steuerfachgehilfin, beantragte eine verbindliche Auskunft darüber, wann sie zur Steuerberaterprüfung zugelassen werde. Der Zulassungsausschuss für Steuerberater entschied im Juni 1997, dass sie die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung mit Ablauf des 2. März 2001 erfüllen werde. Diese Entscheidung teilte ihr der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzministerium --FinMin--) mit. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage begehrte die Klägerin die Berücksichtigung weiterer Zeiten bei der Berechnung der nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) als Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung zu erfüllenden 10-jährigen berufspraktischen Tätigkeit. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es das FinMin verpflichtete, eine verbindliche Auskunft dahin zu erteilen, dass als praktische Tätigkeit der Klägerin i.S. von § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG auch die Zeit des Mutterschaftsurlaubs berücksichtigt wird. Soweit die Klägerin darüber hinaus u.a. auch die Anerkennung der Zeiten ihres Erziehungsurlaubs vom ... August 1990 bis zum 31. August 1991 begehrte, wies es die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 514 veröffentlichten Gründen ab.

Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin ausdrücklich nur noch dagegen, dass die verbindliche Auskunft die Erziehungszeiten nicht bei der Berechnung der nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erforderlichen berufspraktischen Tätigkeit berücksichtigt habe. Sie meint, die Nichtberücksichtigung der Erziehungszeiten sei rechtswidrig, weil sie die Klägerin mittelbar diskriminiere. Sie habe einen Anspruch auf die Berücksichtigung dieser Zeiten aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Nichtberücksichtigung der Zeiten verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), der im Lichte des Art. 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der vor dem 1. Mai 1999 geltenden Fassung (jetzt Art. 141 Abs. 1 und 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam --EG-- vom 2. Oktober 1997, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) zu sehen sei, und gegen das sich aus der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABlEG 1976 Nr. L 39/40 --Gleichbehandlungs-Richtlinie--) ergebende gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Während die Zeiten des Grundwehr- und des Zivildienstes nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) i.d.F. der Neufassung vom 14. April 1980 (BGBl I 1980, 425) und § 78 des Gesetzes über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (ZDG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. September 1994 (BGBl I 1994, 2811), angerechnet würden, bestehe eine entsprechende Regelung für den Erziehungsurlaub nicht. Da der Erziehungsurlaub verhältnismäßig mehr von Frauen als von Männern in Anspruch genommen werde, bedeute die Nichtanrechnung der Zeiten des Erziehungsurlaubs eine mittelbare Diskriminierung der Frauen. Objektive Gründe für die Anrechnung der Zeiten des ausschließlich von Männern geleisteten Grundwehr- bzw. Zivildienstes und die Nichtanrechnung der Zeiten des weit überwiegend von Frauen in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubs bestünden nicht. Vielmehr würden die betreffenden Zeiten arbeitsrechtlich sowie grundgesetzlich im Wesentlichen gleich oder vergleichbar behandelt.

Da in dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG), Bekanntmachung der Neufassung vom 31. Januar 1994 (BGBl I 1994, 180) mit weiteren Änderungen, keine dem § 13 des Arbeitsplatzschutzgesetzes entsprechende Regelung enthalten sei, sei die bestehende Gesetzeslücke im Wege der Analogie unter Beachtung der Rechtsprechung zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung auszufüllen. Richtliniendeterminierte Vorschriften seien im Einklang mit dem Recht der EU auszulegen, so dass die Klägerin nicht auf eine mögliche Gesetzesänderung verwiesen werden dürfe.

Sie beantragt, festzustellen, dass die verbindliche Auskunft des FinMin rechtswidrig war.

Das FinMin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es führt im Einzelnen aus, dass für die Anrechnung von Erziehungsurlaub bei der Berechnung der nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erforderlichen Zeiten berufspraktischer Tätigkeit keine Rechtsgrundlage bestehe. Eine analoge Anwendung der § 13 Abs. 1 des Arbeitsplatzschutzgesetzes und § 78 Abs. 1 ZDG komme nicht in Betracht, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Nichtanerkennung der Zeiten des Erziehungsurlaubs auf eine planwidrige Gesetzeslücke zurückzuführen sei. Die Nichtberücksichtigung dieser Zeiten verstoße auch nicht gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz und das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot. Erziehungsurlaub und Grundwehr- bzw. Zivildienst wichen mehr als nur unwesentlich voneinander ab. Es liege weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung vor.

II.

Die Revision ist zulässig aber nicht begründet.

1. Nachdem die Klägerin im Revisionsverfahren zunächst sinngemäß beantragt hatte, die Vorentscheidung und die verbindliche Auskunft aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin mit Ablauf des 2. Dezember 1999 die Vorbildungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllt hat, hat sie im Revisionsverfahren später ihr Begehren auf den Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beschränkt. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass sich die erteilte Auskunft erledigt hat.

Dies ist schon deswegen der Fall, weil die Klägerin sich nicht zur Steuerberaterprüfung im Jahre 2000 gemeldet hat und davon auszugehen ist, dass sie inzwischen auch ohne Anrechnung des Erziehungsurlaubs zehn Jahre auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesbehörden verwalteten Steuern praktisch tätig gewesen ist.

Der Übergang von der Anfechtungs- und Verpflichtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig. Zwar sieht § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO nur die Möglichkeit des Übergangs von der Anfechtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage vor, es ist aber anerkannt, dass der Übergang auch von der Verpflichtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig ist. Weiter bestehen keine Bedenken dagegen, dass ein Übergang zum Feststellungsbegehren auch im Revisionsverfahren noch zulässig ist, weil es sich insoweit nicht um eine Klageänderung, sondern nur um eine Einschränkung des ursprünglichen Begehrens handelt (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459, und vom 11. August 1998 VII R 72/97, BFHE 187, 159, BStBl II 1998, 750; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 100 Anm. 54 ff.).

Die Klägerin hat auch das nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solches Interesse schon darin zu sehen ist, dass sich die Klägerin, wie sie meint, zur Durchsetzung etwaiger Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche auf die begehrte Feststellung stützen möchte. Jedenfalls reicht zur Begründung ihres berechtigten Interesses die Darlegung aus, dass die Feststellung als "Genugtuung" erforderlich sei, weil die verbindliche Auskunft diskriminierenden Charakter habe und sich aus ihr eine Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts ergebe, indem bei Erteilung der Auskunft die Zeit des genommenen Erziehungsurlaubs nicht berücksichtigt worden sei. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, dass eine ungerechtfertigte Nichtzulassung zur Steuerberaterprüfung als ein so erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Bewerbers angesehen werden müsse, dass stets ein berechtigtes Interesse an einer Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ablehnenden Bescheids bestehe (vgl. BFH, Urteil vom 25. Oktober 1994 VII R 14/94, BFH/NV 1996, 79, m.w.N.). Das gleiche muss wegen der weitgehend identischen Interessenlage auch im Falle einer angeblich rechtswidrig erteilten verbindlichen Auskunft gelten, weil dadurch über die Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen ebenso wie in dem Bescheid über den Antrag auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung selbst verbindlich entschieden wird.

Dem stehen die Ausführungen in dem Urteil des Senats in BFHE 187, 159, BStBl II 1998, 750 nicht entgegen. Vielmehr hat der Senat dort ausgeführt, dass sich die darin zur Entscheidung stehende Frage der Vereinbarkeit eines bestimmten Berufs mit dem des Steuerberaters nicht mit Sachverhaltsgestaltungen vergleichen lasse, in denen die Frage eine Rolle spielt, ob die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung erfüllt sind.

2. Die Revision, in der es der Klägerin nur noch um die Anrechnung ihres Erziehungsurlaubs auf die nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG vorgeschriebene Dauer einer berufspraktischen Tätigkeit geht, ist jedoch unbegründet.

a) Für die Anrechnung des der Klägerin nach § 15 BErzGG gewährten Erziehungsurlaubs gibt es keine gesetzliche Grundlage. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG in der bis zum 30. Juni 2000 geltenden Fassung ebenso wie in der danach geltenden Fassung auf Grund von Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG) ist eine 10-jährige praktische Erfahrungszeit auf dem Gebiet der von den Bundes- und Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung. Davon sieht das Gesetz für den Fall des von der Klägerin genommenen Erziehungsurlaubs keine Ausnahme vor.

Zwar enthält § 13 Abs. 1 des Arbeitsplatzschutzgesetzes bzw. § 78 Abs. 1 ZDG jeweils eine generelle Ausnahme in Bezug auf die Dauer einer nach der Lehrabschlussprüfung nachzuweisenden Zeit einer mehrjährigen (praktischen) Tätigkeit als Voraussetzung für die Zulassung zu weiterführenden Prüfungen, soweit eine Zeit von drei Jahren nicht unterschritten wird. Danach ist die Zeit des Grundwehrdienstes und der Wehrübungen bzw. die Dauer des Zivildienstes auch auf die Dauer der nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG geforderten berufspraktischen Tätigkeit anzurechnen. Eine entsprechende Anrechnung von Erziehungsurlaub, der nach § 15 BErzGG gewährt wird, ist dagegen gesetzlich nicht vorgesehen.

b) Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Anrechnung des Grundwehrdienstes bzw. des Zivildienstes in Bezug auf den Erziehungsurlaub nicht in Betracht kommt und bezieht sich insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des FG auf Seite 8 des Urteils.

c) Die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtlich geregelte Diskriminierungsverbot, dessen Nichtbeachtung nicht nur zur Aufhebung etwa entgegenstehender gesetzlicher Regelungen, sondern zu einem unmittelbaren Anspruch auf dessen gerichtliche Durchsetzung führen würde (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften --EuGH--, Urteil vom 7. Februar 1991 Rs. C-184/89, EuGHE I 1991, 297, Rdnr. 18).

aa) Ein solches Diskriminierungsverbot ergibt sich nicht primärrechtlich aus Art. 141 EG, weil nach den Absätzen 1 und 2 dieser Vorschrift (früher Art. 119 EGV) nur sicherzustellen ist, dass Männer und Frauen das gleiche Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit erhalten. Darum geht es aber im Streitfall nicht. Vielmehr handelt es sich bei § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG um eine Berufszugangsregelung, auf die Art. 141 Abs. 1 und 2 EG keine Anwendung finden.

bb) Das Diskriminierungsverbot in Bezug auf den Berufszugang ist sekundärrechtlich im Gemeinschaftsrecht durch die Gleichbehandlungs-Richtlinie geregelt. Danach beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass bei den Bedingungen des Zugangs --einschließlich der Auswahlkriterien-- zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen --unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig-- und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt. Der EuGH hat diesen Grundsatz nicht nur dann als verletzt angesehen, wenn eine nationale Vorschrift eine unmittelbare Diskriminierung enthält, sondern hält einen Verstoß gegen die Richtlinie auch dann für gegeben, wenn es sich um eine mittelbare Diskriminierung handelt. Diese liegt nach seiner Auffassung dann vor, wenn die Anwendung einer nationalen Maßnahme, die zwar neutral formuliert ist, tatsächlich wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt, es sei denn, dass die Regelung aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Oktober 1997 Rs. C-100/95, EuGHE I 1997, 5289, m.w.N.; Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 27. November 1997 1 BvL 12/91, BVerfGE 97, 35, 43).

cc) Eine unmittelbare Diskriminierung von Frauen bedeutet die in § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG geforderte 10-jährige berufspraktische Erfahrung nicht, weil die Vorschrift in gleicher Weise für Frauen wie für Männer gilt.

Auch der Umstand, dass der Grundwehrdienst bzw. die Zivildienstzeit auf die erforderliche Dauer der berufspraktischen Tätigkeit angerechnet wird, während dies im Falle des Erziehungsurlaubs nicht geschieht, bedeutet keine unmittelbare Diskriminierung von Frauen. Eine unmittelbare Diskriminierung von Frauen läge nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen oder dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt würde. In Bezug auf das hier entscheidende Kriterium des Geschlechts ist das bei den betreffenden Vorschriften aber schon deswegen nicht der Fall, weil sie nicht an das Geschlecht anknüpfen.

dd) Die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG diskriminiert Frauen aber auch nicht mittelbar, weil sie allgemein gilt und nicht überwiegend Frauen trifft. Hinsichtlich der Dauer der berufspraktischen Tätigkeit unterscheidet die Bestimmung nicht zwischen verschiedenen Situationen, von denen die eine oder andere mehr Frauen als Männer betrifft, sondern verlangt allgemein die Ausübung einer berufspraktischen Tätigkeit von bestimmter Dauer, die sowohl von Männern wie von Frauen verlangt wird, die sich um eine Zulassung zur Steuerberaterprüfung bewerben. Es handelt sich also nicht wie bei der Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 3 StBerG i.d.F. vor Inkrafttreten des 7. StBÄndG, über deren Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht der EuGH entschieden hat (EuGH in EuGHE I 1997, 5289), um eine Vorschrift, die eine bestimmte Gruppe, nämlich die Teilzeitbeschäftigten, schlechter stellte als die Vollzeitbeschäftigten, indem sich im Falle der ersten Gruppe die Gesamtdauer der geforderten berufspraktischen Tätigkeit entsprechend verlängerte. Nur in diesem Fall hat der EuGH eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung von Frauen für möglich gehalten, weil die Teilzeitbeschäftigung überwiegend von Frauen ausgeübt wird, die damit gegenüber den überwiegend vollzeitbeschäftigten Männern benachteiligt werden.

Es mag zwar sein, dass Frauen die in § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG vorgeschriebene Dauer der praktischen Berufstätigkeit schwerer erfüllen können als Männer, weil diese u.a. auch heute noch überwiegend die Kindererziehung übernehmen und deshalb ihre Berufstätigkeit einschränken oder unterbrechen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. März 1996 1 BvR 609, 692/90, BVerfGE 94, 241, 259). Dieser Umstand allein rechtfertigt es aber nicht, Erziehungszeiten bei der Bemessung der Dauer der vor Zulassung zur Prüfung nachzuweisenden berufspraktischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Denn ebenso wie ein bestimmtes Maß an durch eine abgeschlossene Ausbildung erworbenem theoretischen Wissen ist auch ein bestimmtes Maß an beruflicher Erfahrung notwendig, bevor die Zulassung zu einer beruflich weiterführenden Prüfung in Betracht kommt. Dies gilt in gleicher Weise für Männer wie für Frauen. Mangels anderweitiger objektiver Kriterien kann das Maß der gewonnen berufspraktischen Erfahrung zunächst nur die Dauer der berufspraktischen Tätigkeit sein, die nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG Voraussetzung für die Prüfungszulassung ist. Es besteht daher kein Grund, die erforderliche Dauer der berufspraktischen Tätigkeit je nach Geschlecht zu differenzieren.

ee) Der Umstand, dass die Dauer des abgeleisteten Grundwehrdienstes einschließlich der Wehrübungen bzw. die Zeit des geleisteten Zivildienstes bis zu einem gewissen Umfang auf die Dauer der vor Zulassung zu einer beruflich weiterführenden Prüfung erforderlichen berufspraktischen Tätigkeit anzurechnen ist, während dies für den Erziehungsurlaub nicht vorgesehen ist, bedeutet ebenfalls keine mittelbare Diskriminierung von Frauen. Denn der wesentliche Unterschied beider Situationen besteht nicht darin, dass der Grundwehrdienst bzw. Zivildienst von Männern ausgeübt wird, während Erziehungsurlaub meistens von Frauen genommen wird, sondern darin, dass der Grundwehrdienst bzw. Zivildienst auf gesetzlichem Zwang beruht, während die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub in Bezug auf das "Ob" und das "Wie" von der Entscheidung und den persönlichen Umständen der betreffenden Eltern abhängt.

Selbst wenn der Erziehungsurlaub arbeitsrechtlich dem Grundwehrdienst bzw. dem Zivildienst weitgehend gleichgestellt worden ist, lässt sich daraus für den Streitfall nichts herleiten. Denn hier geht es nicht nur darum, dass bestimmte Beschäftigungszeiten erfüllt werden, sondern um den Nachweis einer bestimmten Qualifikation, nämlich berufspraktischer Erfahrung, die durch die Ausübung einer fachspezifischen, praktischen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg nachzuweisen ist. Es ist zwar richtig, dass diese Qualifikation auch durch den Grundwehrdienst bzw. Zivildienst nicht erreicht wird. Bei Anrechnung dieser Zeiten handelt es sich aber um eine eng begrenzte Ausnahme, die auf den Erziehungsurlaub nach § 15 BErzGG wegen der bereits aufgezeigten Unterschiede nicht ohne weiteres übertragen werden kann.

ff) Ob aus gesellschaftspolitischen Gründen in Fällen wie dem Streitfall eine andere gesetzliche Regelung zweckmäßig oder gar geboten wäre, so wie sie z.B. in § 6 Abs. 3 Satz 4 der Bundesnotarordnung (BNotO) angelegt ist, nach der Bestimmungen u.a. über die Anrechnung von Erziehungsurlaub auf die nach § 6 Abs. 3 Satz 3 BNotO erforderlichen Zeiten getroffen werden können, hat der nationale Gesetzgeber, der dazu unter dem Gesichtspunkt der Frauenförderung im Rahmen des Art. 141 Abs. 4 EG ausdrücklich befugt ist (vgl. dazu auch die Ausführungen des BVerfG, Beschluss vom 28. Mai 1993 2 BvF 2/90, BVerfGE 88, 203, 258 ff.), nicht aber das Gericht zu entscheiden. Der Gesetzgeber hat dabei einen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum, der ihm von den Gerichten nicht genommen werden darf (BVerfG in BVerfGE 88, 203, 262).

3. Aus den vorgenannten Gründen bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des grundgesetzlich in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG geregelten Gleichberechtigungsgrundsatzes, der weitgehend dem gemeinschaftsrechtlich geregelten entspricht.

Ebenso bedeutet es keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 GG, nach dem jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat, dass der Erziehungsurlaub nicht im Sinne der Klägerin bei der Berechnung der Dauer der berufspraktischen Tätigkeit berücksichtigt wird. Denn dem durch Art. 6 Abs. 4 GG gesicherten Anspruch der Mutter wird bereits durch zahlreiche Einzelvorschriften wie dem BErzGG Rechnung getragen. Er beinhaltet nicht die Notwendigkeit, auch Erziehungszeiten auf Zeiten anzurechnen, in denen fachspezifische Berufserfahrung gewonnen worden sein soll. Denn aus Art. 6 Abs. 4 GG können für Sachverhalte, die wie die Inanspruchnahme von Erziehungszeiten nicht allein Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden (vgl. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 94, 241, 259).

4. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EG einzuholen, weil sich keine vernünftige Zweifelsfrage hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften in dem Sinne ergibt, dass mehrere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442; Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).



Ende der Entscheidung

Zurück